A. B. Kilcher (Hrsg.): Die Kabbala Denudata

Titel
Die Kabbala Denudata. Text und Kontext; Akten der 15. Tagung der Christian Knorr von Rosenroth-Gesellschaft


Autor(en)
Kilcher, Andreas B.
Reihe
Morgen-Glantz 16/2006
Erschienen
Anzahl Seiten
480 S.
Preis
€ 56,20
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jeannine Kunert, Religionswissenschaftliches Institut, Universität Leipzig

Nur wenige Jahre nach dem Westfälischen Frieden lud der Pfalzgraf Christian August von Sulzbach (1622-1708) Gelehrte unterschiedlicher Konfessions- und Religionszugehörigkeit zum interreligiösen Dialog an seinen Hof. Ab dem Jahr 1666 wohnte dieser Gruppe der schlesische Jurist Christian Knorr von Rosenroth (1636-1689) bei, welcher später die Position des Direktors der Hofkanzlei einnehmen sollte. Die Kabbala Denudata war ein Editions- und Übersetzungsprojekt kabbalistischer Texte, das vor allem von Knorr von Rosenroth betrieben wurde.

Der vorliegende Sammelband entstand aus der im Juli 2005 abgehaltenen 15. Tagung der Christian Knorr von Rosenroth-Gesellschaft, die den "Text und Kontext" der Kabbala Denudata zum Thema hatte. Anspruch der Konferenz und der daraus resultierenden Publikation war es, dieses Werk "in seiner komplexen Textkonstitution wie in seinen unterschiedlichen, kontextuellen Diskursfeldern zu durchleuchten und zu analysieren." (S. 9) Ob dieses weitreichenden Anliegens gestaltet sich der Inhalt des Bandes recht heterogen. So reichen die Beiträge in ihrer thematischen Vielfalt von Arbeiten zu den Quellen der Kabbala Denudata und ihrer Entstehungsgeschichte, von Fragen nach dem theologisch-philosophischen Kontext des Werkes bis zu dessen Wirkung und Rezeption.

Der erste Themenkomplex des Tagungsbandes widmet sich Übersetzungen von Drucken und Handschriften. Eingeleitet wird mit einer Übersetzung Knorrs "Vorrede an den Leser (Lectori philibraeo salutem!)" (S. 17-54), die von Erna Handschur vorgenommen wurde. Rosmarie Zeller verortet diesen Textabschnitt im Gesamtwerk Christian Knorrs von Rosenroth und deutet in ihrer kurzen Einführung eine historische Kontextualisierung an. Im Text selbst setzt sich Knorr mit der jüdisch-christlichen Beziehung auseinander, im Besonderen mit der Bekehrung der Juden und ihrer (staatlichen) Duldung. Einem Gutachten gleich, begründete er die Notwendigkeit eines toleranten Umgangs mit den Juden. Hilfreich für weitere wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Werk sind die von der Übersetzerin fleißig recherchierten bibliographischen Angaben zu den Autoren, auf die sich Knorr selbst stützt.

Im nachstehenden Beitrag beschäftigt sich Rosmarie Zeller mit dem "Nachlaß Christian Knorr von Rosenroths in der Herzog August-Bibliothek in Wolfenbüttel" (S. 55-70). Sie vermutet wegen der geringen Menge noch vorhandener Quellen, dass Knorr wohl selbst bemüht war, so wenig wie möglich persönliche Zeugnisse zu hinterlassen, aus Angst sie könnten gegen ihn verwendet werden. Im Folgenden listet und kommentiert Zeller jene Dokumente, die in Zusammenhang mit Knorrs Erforschung der Kabbala stehen. Außerdem werden drei in deutscher Sprache und von unbekannten Autoren verfasste Handschriften abgedruckt: eine titellose Schrift über die Zehn Sefirot (S. 71-89), "Von dem Gesang im Hebreischen Sarka genand" (S. 91-104) und "Folget ferner von dem Buchstaben" (S. 105-110).

Der nächste inhaltliche Abschnitt des Bandes beschäftigt sich mit dem Entstehungskontext der Kabbala Denudata. Guillaume van Gemert will in seinem Artikel (S. 111-133) zeigen, dass während Knorrs Aufenthalt in Amsterdam "der Grundstein für dessen Engagement in der Hebraistik und dessen Bemühungen um die christliche Kabbala gelegt worden sein könnte" (S. 114). Aus Mangel an Quellen bleibt es dem Autor jedoch nur übrig, ein mögliches Umfeld von Knorrs Amsterdamaufenthalt zu entwerfen, indem er auf die Verquickung von christlichen und jüdischen Endzeiterwartungen, Pietismus und Kabbala sowie die darüber im 17. Jahrhundert geführten Diskussionen eingeht. Van Gemert gelangt zu dem Resultat, dass Knorr "beide Potenzen der Kabbala" (S. 133) kennengelernt haben muss: die Möglichkeit mit ihrer Hilfe Juden zum Christentum bekehren zu können und die Möglichkeit durch sie verschiedene Denominationen und Konfessionen mit dem Verweis auf eine gemeinsame Tradition versöhnen zu können. Daran anschließend verhandelt Boaz Huss in seinem Beitrag "Text und Kontext des Sulzbacher Zohar von 1684" (S. 135-159) die jüdisch-christliche Zusammenarbeit an dieser Zohar-Ausgabe, weißt allerdings auch auf die unterschiedlichen Ziele der beteiligten Parteien hin. Während von christlicher Seite missionarische Anstrengungen verfolgt wurden, wollten Sabbatianer wahrscheinlich damit den Zohar verbreiten, in dem sie die Heilsgeschichte Shabbatai Zwis beschrieben sahen. Gemeinsames Ziel jedoch war, eine benutzerfreundliche Edition für den "traditionsbewußten jüdischen Leser und den christlichen Hebraisten" (S. 142) zu schaffen.

Literaturwissenschaftlich-philologische Betrachtungen der Kabbala Denudata erfolgen in den nächsten vier Beiträgen. Während Elke Morlok (S. 161-179) den Einfluss Rabbi Joseph Gikatillas auf Knorr von Rosenroth und den Eingang von dessen Ideen in die Kabbala Denudata in den Blick nimmt, stellen Konstantin Burmistrov (S. 181-201), Gerold Necker (S. 203-220) und Philipp Theisohn (S. 221-241) die Frage nach der Rezeption Knorrs von Moshe ben Jacob Cordovero, Abraham Cohen de Herraras und Naphtali Herz Bacharas Ideen und deren Adaption. Jeder der vier Autoren sucht durch Textvergleiche und Rezeptionsanalyse die Ursprünge der Ideen Knorrs, beschreibt mehr oder weniger die Struktur des Originaltextes und dessen Rezeptionsgeschichte, um ihn dann mit Knorrs Wiedergabe zu vergleichen und auf Auslassungen, Hinzufügungen oder andere Veränderungen zu verweisen.

Jean Pierre Brach nimmt in seinem Artikel "Das Theorem der 'messianischen Seele' in der christlichen Kabbala bis zur Kabbala Denudata" (S. 243-258) eine ähnliche Problemstellung auf, doch macht sich seine Untersuchung an der Rezeption des Themas der messianischen Seele bei verschiedenen christlichen Kabbalisten und dessen Funktion fest. Seine historische Betrachtung beginnt bei Paulus Ricius und endet bei Knorr von Rosenroth und Henry More. Dabei stellt er fest, dass der Umgang mit Texten vom sozialen und historischen Umfeld abhängt, was sich wiederum in der Funktion der Texte für den Leser widerspiegelt. Ähnliches kann auch Yosef Schwartz (S. 259-284) für die Debatte um Kabbala und/als Atheismus nachweisen. So werden aus der Kabbala heraus be- oder widerlegende Argumente in der Debatte um den Atheismus gewonnen und in einen diskursiven Kontext gestellt. Schwartz setzt sich nicht nur mit dem Atheismusverständnis des 17. Jahrhunderts auseinander, sondern zeigt ferner, wie Zeitgenossen die Kabbala mit dem Atheismus in Verbindung brachten.

Wilhelm Schmidt-Biggemann (S. 284-322) stellt den ideengeschichtlichen Hintergrund und die unterschiedlichen Interessen der beiden Männer Christian Knorr von Rosenroth und Henry More bei der Beschäftigung mit Kabbala vor. Dabei richtet er sein Augenmerk vor allem auf die Debatte zwischen Knorr und More, die an der Vorstellung des Schöpfungsaktes und der Interpretation des adam qadmon entbrennt und bis zur Frage nach dem Ursprung und der Reinheit der Kabbala reicht. Mit der eindrucksvollen Darstellung dieser beiden Positionen wird abermals die Heterogenität innerhalb des Feldes der christlichen Kabbala aufgezeigt.

Guiseppe Veltri (S. 323-341) geht auf die Probleme der Begrifflichkeiten der jüdischen Philosophie, jüdischen Theologie, jüdischen Weisheit und Kabbala ein. Er strengt dazu eine historische Untersuchung an, deren Ausgang das17. Jahrhundert ist. Veltri beschäftigt sich mit der Verwendung und Zuordnung dieser Begrifflichkeiten bis ins 20. Jahrhundert und kommt zu dem Ergebnis, dass Klassifizierungen wie "Kabbala" und "philosophia perennis" dem Judentum von außen oktroyiert wurden. Diese Zuordnungen flossen sodann in ein jüdisches Selbstverständnis ein, weswegen er sie "gezwungene Identitäten" (S. 341) nennt.

Andreas B. Kilcher (S. 343-383) verlässt mit seinem Artikel gänzlich den zeitlichen Rahmen des 17. und 18. Jahrhunderts und wendet sich der Rezeption der Kabbala und der Kabbala Denudata als Vermittlerin der "jüdischen Geheimlehre" in esoterischen Kreisen des 19. und 20. Jahrhunderts zu. Die in der Kabbala Denudata angelegte Fokussierung auf den Zohar als Schlüssel zu geheimen Wissen und lurianischer Kabbala wurde weitergetragen und fand Eingang in die esoterischen Systeme des Okkultismus jener Zeit. Zeitlich wieder zurück ins 18. Jahrhundert geht der Beitrag (S. 386-457) von Bernd Roling. Der Autor leuchtet darin Verbindung zwischen kabbalistischen Ideen und Emanuels Swedenborgs Weltbild stärker aus.

Der vorliegende Band spiegelt den Facettenreichtum in der Beschäftigung mit der Kabbala Denudata wieder, der sich in der Erschließung und Übersetzung der Texte, philologisch- kritischen Auseinandersetzungen, Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte zeigt. Obwohl sich die Aufsätze in ihrem jeweiligen Themenkomplex teils hervorragend ergänzen, wären Arbeiten wünschenswert, die noch mehr die Querverbindungen zwischen den jeweiligen Forschungsfeldern ziehen würden. Leider wird dieser Sammelband auch den eher an sozial- und kulturwissenschaftlichen Fragen interessierten Leser enttäuschen. Die Edition und Übersetzung der Texte aus dem Umfeld der sogenannten christlichen Kabbala ist ungemein wichtig für die Öffnung dieses spannenden Forschungsgebietes für Wissenschaftler uns Wissenschaftlerinnen, denen - auch aufgrund der notwendigen hohen sprachlichen Kompetenzen (u.a. Hebräisch, Latein, Griechisch) - die Originalquellen nicht zugänglich sind. Publikationen wie diese liefern hierfür wichtige Grundlagen und geben Impulse für weitere Untersuchungen auf diesem faszinierenden Gebiet der europäischen Religionsgeschichte.

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