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Titel
Pecunia non olet. Die Wirtschaft der antiken Welt


Autor(en)
Fellmeth, Ulrich
Erschienen
Anzahl Seiten
192 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Günther, Institut für Alte Geschichte, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Bankensterben, Kapitalakkumulation, staatliche Wirtschaftspolitik – das sind nicht nur diverse aktuelle Schlagworte aus den Finanzteilen hiesiger Zeitungen, sondern auch Begriffe, mit denen Fellmeth in seinem Überblickswerk die Wirtschaft der antiken Welt umreißen und verständlich machen will. Mittendrin in der immer noch schwelenden Debatte um den „Primitivismus“ bzw. „Modernismus“ antiken Wirtschaftens 1, die fast um jede Quelle zur antiken Wirtschaft kreist, verortet Fellmeth seine grundlegende These, dass damals schon Grundelemente heutigen Wirtschaftsdenkens vorhanden gewesen seien, wenn auch in weniger komplexer und reflektierter Form (S. 7–12). Trotz des Fehlens einer umfassenden und durchgestalteten theoretischen Ökonomie seien nämlich Methodeninstrumentarien für die verschiedensten wirtschaftlichen Tätigkeiten vorhanden gewesen, die aus Erfahrungswissen herrührten und zu planvoll wirtschaftlichem Handeln führten. Anhand von Fallbeispielen zeigt Fellmeth im Folgenden diese zwar einfachen, jedoch nicht „primitiven“ Ökonomiemechanismen und -entwicklungen in der griechischen wie römischen Welt auf.

Jegliche wirtschaftliche Betätigung zum Zwecke des Lebenserwerbs begegnete dabei zunächst einem gesellschaftlichen wie philosophischen Moralvorbehalt. Fellmeth skizziert die Dichotomie dieser Beurteilungsmuster, welche einerseits dem „verrufenen“ Handwerk und dem Kleinhandel die gesellschaftliche Anerkennung versagten, andererseits den auf Großgrundbesitz und Großhandel orientierten Führungsschichten positive moralische Attribute zugestanden, die damals wie heute eher gesellschaftliches Ideal denn Wirklichkeit darstellten (S. 13–18). Zur gesellschaftlichen Realität gehörte indessen die sich im archaischen Griechenland entwickelnde Oikos-Wirtschaft (S. 19–30). Ausgehend von Homer wird der Blick auf die wirtschaftlichen und sozialen Beziehungsgeflechte im oikos gelenkt, der sowohl Personenverband als auch Besitz- und Wirtschaftseinheit darstellte. Dem Anspruch einer unabhängigen Selbstversorgergemeinschaft mit Thesaurierung der produzierten Güter stand jedoch auch hier die Wirklichkeit der von außen benötigten Rohstoffe, Sklaven usw. entgegen. Deren Erwerb vollzog sich im Geschenketausch, bei fahrenden Händlern oder durch Raub- und Kriegszüge. Die einschneidenden Umwälzungen dieses auf Autarkie ausgerichteten Systems im 8. und 7. Jahrhundert v.Chr. fanden in die Schriften Hesiods, vor allem in seine „Werke und Tage“, Eingang, der die Not der Kleinbauern und ihre Forderungen nach Rechtssicherheit ebenso wie die planvolle Steuerung eines Landwirtschaftsbetriebes und die Öffnung zum Handel eindrücklich beschrieb.

Die Folgen dieses wohl gemeingriechischen Umbruchs, nämlich die Herausbildung der klassischen Poliswirtschaft, untersucht Fellmeth im nachfolgenden Kapitel (S. 31–58). Die strukturell bedingte Systemkrise entlud sich einerseits in der sogenannten Großen Kolonisation, der er zu Recht nicht nur handelspolitische Motivationen zuschreibt, andererseits auch in inneren Unruhen. Den breit angelegten Lösungsversuch einer solchen stasis in Athen durch Solon sieht Fellmeth dabei als Ausgangspunkt für die Entstehung der klassischen Polis Athen, nicht nur in politischer, rechtlicher sowie kultischer Hinsicht, sondern auch im Sinne der wirtschaftlichen Funktion des „Stadtstaates“. In diesem Sinne deutet er das solonische Ausfuhrverbot von landwirtschaftlichen Produkten mit Ausnahme von Olivenöl als erste wirtschaftspolitische Maßnahme (S. 32f.), lässt jedoch die meines Erachtens wichtigere, weil zugleich auch für die politische Struktur bedeutsame Reform des Maß- und Gewichtssystems unberücksichtigt.2 Das Angebot eines zentralen Marktes in der Polis setzte in der Folge teilweise die Thesaurierung auf den Landwirtschaftsgütern außer Kraft und führte zusammen mit der Einführung von Münzsystemen zu einem florierenden Kleinhandel, dem sich bald auch ein groß angelegter Fernhandel anschloss, der meist jedoch von Fremden betrieben wurde. In diesem Sinne erläutert Fellmeth dann die sorgsam planende „attische Ökonomie“ des Perikles sowie die weiteren drastischen Änderungen im Haushalten; letzteres beispielhaft am Depositen- und Kreditgeschäft der attischen Bankiers und den durchaus risikobereiten Geldanlagen von Demosthenes’ Vater, die allesamt, aber in unterschiedlicher Intensität, neben dem klassischen Investieren in Grundbesitz und Landwirtschaft neue Erwerbsformen wie Fabriken oder verzinste Darlehen erschlossen. Das Bündel von Maßnahmen, das Xenophon in seiner Schrift „Poroi“ zur Einnahmensicherung für den athenischen Staatshaushalt vorschlägt, interpretiert er folgerichtig als eine Übertragung der neuen, planenden Privatwirtschaft auf Staatsebene, die trotz der teilweise utopischen Forderungen das schon in Sichtweite befindliche hellenistische Wirtschaftssystem vorbereitete. Diesem in den Nachfolgestaaten Alexanders praktizierten System nähert sich Fellmeth am Beispiel des ptolemäischen Ägypten (S. 59–79). Eindrucksvoll arbeitet er hierbei das Eingreifen des Staates in alle wirtschaftlichen Bereiche heraus, das private Initiative zwar nicht ausschloss, aber auf risikobehaftete und arbeitsaufwendige Tätigkeiten umlenkte.

Als Einstieg in die Wirtschaft der Römischen Republik dient Fellmeth dann die geraffte Darstellung ihrer beginnenden Krise mit den bekannten Faktoren Geld, Aufstieg der Ritter, Sklaven, Verarmung und Landflucht der Kleinbauern oder auch Spezialisierung der Landwirtschaft (S. 80–85). Als Einschub fungiert darauf das ambivalente Beispiel des Marcus Porcius Cato Censorius, der Wirtschaftsfeindlichkeit predigte, im gleichen Atemzug aber eine ökonomische Rationalität sondergleichen an den Tag legte (S. 86–92), bevor wieder die Krisenfaktoren und der (gescheiterte) Lösungsversuch durch Tib. Gracchus in den Mittelpunkt der Schilderung rücken (S. 93–102). Dass hierbei der ganzheitliche, meines Erachtens durchdachtere wirtschaftspolitische Ansatz seines Bruders, C. Gracchus, keine gesonderte Würdigung erfährt, ist bedauerlich. Die folgende Untersuchung der Ressourcenflüsse in der Oberschicht am Beispiel des C. Verres und des Rabirius Postumus (S. 102–110) entwirft meiner Meinung nach ein viel zu einseitiges Bild vom permanenten (moralischen) Fehlverhalten rein ökonomisch interessierter Einzelpersonen und damit von einer moralischen Krise im 1. Jahrhundert v.Chr. insgesamt. Hier sollte man nicht (nur) mit der sallustianischen ‚Moral-Keule‘ agieren, sondern sich unvoreingenommen den Quellen unter Herausarbeitung der vielfältigen, auch und gerade wirtschaftlichen Krisenfaktoren nähern, deren Gewichtung sich im Vergleich mit dem 2. Jahrhundert v.Chr. durchaus verschob.

Klar und eindrucksvoll stellt sich hingegen Fellmeths Sichtweise der betriebswirtschaftlichen Konzeptionen der römischen Agrarschriftsteller dar, die nach durchaus modernen ökonomischen Prinzipien den Ideal-Gutshof beschrieben (S. 110–119). Ein rundes Bild ergibt ebenso die pointierte Beschreibung der kaiserzeitlichen Wirtschaft (S. 120–143). Obwohl die Optimierungspotentiale sich auf Arbeitsdifferenzierung und Intensivierung beschränkten, regionale Märkte vorherrschten und in Landwirtschaft, Gewerbe und Handel neuartige Methoden oder Ansätze kaum geschaffen, geschweige denn umgesetzt wurden, blieb die kaiserzeitliche Wirtschaft bis zum 3. Jahrhundert n.Chr. erstaunlich stabil, wie Fellmeth auch anhand der Münzprägung und des Geldumlaufs aufzeigt. Der damit verbundene soziale Aufstieg und die gesellschaftliche Anerkennung bisher verachteter Berufe wie Handwerker drückten sich dabei ebenso in Inschriften wie in Bilddarstellungen aus (S. 143–152). Das ökonomische Handeln des Kaisers untersucht Fellmeth am Beispiel der Lebensmittelversorgung der Stadt Rom, die den Prinzeps stets umtrieb, da die politische Stabilität mit dem Nahrungsmittelangebot stieg oder fiel (S. 152–159). Ob man allerdings das Eingreifen des Kaisers als Handeln nach dem „Subsidiaritätsprinzip“ charakterisieren sollte, erscheint mir im Hinblick auf die heutigen (demokratischen) Assoziationen mit diesem Begriff problematisch. Vielmehr ist umgekehrt ein Eingreifen von Kaiser sowie Verwaltung in gewachsene Verwaltungsstrukturen vor Ort immer dann festzustellen, wenn politische Stabilität bzw. direkte wirtschaftliche wie fiskalische Interessen berührt wurden, ohne dabei auf eventuell vorhandene regionale Lösungsmöglichkeiten Rücksicht zu nehmen. Dieses wachsame Interesse des Staates an einer funktionierenden, weil reichs- und haushaltsstabilisierenden Wirtschaft fand einen gewissen Gegenpol in der Rentenmentalität breiter Kreise der Oberschicht, wie Fellmeth am Verhalten von Plinius dem Jüngeren erläutert (S. 159–165). Seiner Meinung nach schlugen die fehlenden Optimierungsanreize jedoch erst im spätantiken Zwangsstaat 3 voll durch, so dass sich die antike Wirtschaft – von mehreren Krisen im 3. Jahrhundert n.Chr. gebeutelt – nicht mehr stabilisierte (S. 166–172). Im Grunde hätten sich hier also ähnliche Ablaufmuster wie in der Entwicklung der hellenistischen Staatswirtschaft gezeigt.

Dass insgesamt gesehen die Entwicklungslinien vom archaischen Oikos-System hin zur hellenistischen Staatswirtschaft mit den römischen Verhältnissen durchaus zu vergleichen sind, ist dann auch ein wesentliches Ergebnis im zusammenfassenden Schlussteil (S. 173–178). Fellmeth präsentiert hier noch einmal seinen Ansatzpunkt vom zwar einfachen, aber dennoch nicht primitiven Wirtschaftsdenken in der Antike in unterschiedlichen Facetten und betont den Modellcharakter der antiken Wirtschaft für unsere heutige Zeit. Ob er damit allerdings den Altertumswissenschaften im Sumpf der rational-ökonomischen Hochschulreformen ein neues, absicherndes Berechtigungs- und Sicherungsseil knüpft, wird die Zukunft zeigen müssen.

Anmerkungen:
1 Scheidepunkt dieser rivalisierenden Auffassungen sind – trotz Vorläufern – die unterschiedlichen Bewertungen der antiken, vor allem der römischen Wirtschaft seitens Michael I. Rostovtzeff (Modernismus) und Moses I. Finley (Neo-Primitivismus). Vgl. dazu Rostovtzeff, Michael Ivanovitsch, The Social and Economic History of the Roman Empire, Oxford 1926; Finley, Moses I., The Ancient Economy, New York u.a. 1973. Ein guter Überblick über die teils heftig geführte Kontroverse findet sich bei: Drexhage, Hans-Joachim; Konen, Heinrich; Ruffing, Kai, Die Wirtschaft des Römischen Reiches (1.–3. Jahrhundert). Eine Einführung, Berlin 2002, S. 19–21, sowie: Strobel, Karl (Hrsg.), Die Ökonomie des Imperium Romanum. Strukturen, Modelle und Wertungen im Spannungsfeld von Modernismus und Neoprimitivismus, St. Katharinen 2002. Über den „dritten“ Weg, die antike römische Wirtschaft vor allem als staatlich gelenkte Wirtschaft zu begreifen, vgl. das Forum „Produktion und Distribution von Nahrungsmitteln im Imperium Romanum. Der Monte Testaccio und die Forschergruppe CEIPAC“ mit einer instruktiven Einleitung von Sabine Panzram im Online-Rezensionsjournal Sehepunkte 7 (2007), 1, siehe: <http://www.sehepunkte.de/2007/01/forum.html> (27.5.2008).
2 Vgl. dazu Horsmann, Gerhard, Athens Weg zur eigenen Währung: Der Zusammenhang der metrologischen Reform Solons mit der timokratischen, in: Historia 49 (2000), S. 259–277.
3 Die These vom spätantiken Zwangsstaat ist mittlerweile heftig unter Beschuss geraten. Vgl. etwa die neueste Arbeit von Sarris, Peter, Economy and Society in the Age of Justinian, Cambridge 2006, der insbesondere die Zeugnisse für eine relativ freie Wirtschaft im spätantiken Ägypten als Paradigma für das gesamte oströmische Reich heranzieht. Dazu die relativierende Rezension von Hartmut Leppin in: Sehepunkte 8 (2008), 6, siehe: <http://www.sehepunkte.de/2008/06/12554.html> (17.6.2008).

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