M. Kreutzmann: Adel in Sachsen-Weimar-Eisenach

Titel
Zwischen ständischer und bürgerlicher Lebenswelt. Adel in Sachsen-Weimar-Eisenach 1770 bis 1830


Autor(en)
Kreutzmann, Marko
Reihe
Veröff. d. Historischen Kommission für Thüringen, Kl. Reihe 23
Erschienen
Köln 2007: Böhlau Verlag
Anzahl Seiten
497 S.
Preis
59,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Josef Matzerath, TU Dresden

Die Erforschung des Adels in der Moderne hat in den letzten 15 Jahren ein Spektrum methodischer Neuansätze hervorgebracht, die alle den Ausgangspunkt ihrer Überlegungen von den Studien der Sozialhistoriker Hans-Ulrich Wehler, Rudolf Braun, Elisabeth Fehrenbach und vor allem Heinz Reif genommen haben. In der Adelsgeschichte ließ sich erfreulicherweise eine konzeptionelle Weiterentwicklung erkennen, die geradezu im Gegensatz zur um sich greifenden Ermüdung stand, historische Rekonstruktionen theoretisch neu zu fundieren. Auch Markus Kreutzmann hat sich in seiner Einleitung dieser Herausforderung gestellt und versucht, die älteren elitentheoretischen Zugriffe gegen die soziologisch neu konzeptionierten Ansätze abzuwägen. Das ist ehrenwert, aber offensichtlich komplexer, als schlicht den ausgetretenen Pfaden der etablierten Pionierstudien zu folgen.

Denn die Dissertation von Marko Kreutzmann führt in zentralen Punkten der Gedankenführung einen tragischen Kampf gegen Windmühlen. Der Verfasser legt den Fokus seines Erkenntnisinteresses auf Gemeinsamkeiten zwischen Adel und Bürgertum. Das ist vor der Hand selbstverständlich eine legitime Forschungsstrategie. Allerdings besteht deswegen keine Notwendigkeit, soziale Mechanismen zu negieren, die die Gruppenspezifik des Adels generierten. Es ist doch grundsätzlich in der gesamten neueren Adelsforschung unbestritten, dass die heraufziehende Moderne jeden einzelnen Adeligen zu Vergesellschaftungen innerhalb der sich ausdifferenzierenden gesellschaftlichen Feldlogiken zwang. Die Bürokratisierung etwa ist ein Paradebeispiel dafür, dass ehemals nach Privileg vergebene Staatsämter neuen Vergabekriterien unterworfen wurde. Kreutzmann formuliert dies in seinem Resümee so: „Während der Adel zunächst noch seine ständischen Privilegien zu verteidigen suchte, wuchs er in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts vor allem im Bereich der höheren Beamtenschaft in eine überständische, adelig-bürgerliche Elite hinein.“ (S. 424) Dass die Spitzenbeamten bürgerlicher und adeliger Herkunft waren und in ihren Dienststuben mit grundsätzlich gemeinsamer Zielstellung agierten, ist doch inzwischen keine umkämpfte These mehr. Die spannende Frage lautet hingegen, wie die hohen Staatsbeamten aus dem Adel ihre Zugehörigkeit zu einer „überständischen, adelig-bürgerlichen Elite“ (S. 424) mit einem adeligen Selbstverständnis vereinbaren konnten. Wie gelang es ihnen, auch noch Adeligkeit herzustellen, aufrechtzuerhalten und an ihre Kinder weiterzugeben, sodass der Adel als Sozialformation fortexistieren konnte?

Diesem Kernproblem, wie die Kohäsion des Adels unter sich wandelnden Rahmenbedingungen erhalten blieb, stellt sich Kreutzmanns Untersuchung nicht. Sie verkürzt das Problem auf die Frage nach dem Obenbleiben und behauptet, die neueste sächsische Adelsforschung, die in zentralen Passagen des Buches attackiert wird (im Kapitel „Methode, Forschungsstand und Quellenlage“ S. 18 und „Zusammenfassung“ S. 421), habe das Obenbleiben zum „monokausalen Erklärungsmuster“ (S. 421) erhoben und die These aufgestellt, mit dem Übergang zur Moderne seien die „ständischen Privilegien“ des Adels „durch die Ausbildung einer adeligen Binnenkommunikation“ ersetzt worden. (S. 421) Eine vertiefte Lektüre der einschlägigen Publikationen hätte dieses Missverständnis beheben können. In Sachsen wie in den meisten deutschen Adelsregionen war das Gros der frühneuzeitlichen Privilegien gar nicht auf den Adel beschränkt. Andere Rechte, die den Adelstitel betrafen, bestanden bis 1918. Die Binnenkommunikation ist hingegen auch schon für das ausgehende 18. Jahrhundert einer der wichtigen Mechanismen zur Gruppenkonstituierung.

Ist man in der Einleitung über die Absicht des Verfassers noch erfreut, die Studie auf die Akteursebene auszurichten, um „ausgehend vom historisch besonderen Beispiel mit Blick auf die übergreifenden Prozesse ‚systematisch Fragestellungen und Analysekategorien’ zu entwickeln“ (S. 19), wundert man sich doch bei der Umsetzung immer wieder, wie unbeschwert die Geschichte der Familien v. Fritsch und v. Ziegesar pars pro toto für den gesamten Adel genommen werden. Nicht nur sind beide Familien nach Sachsen-Weimar-Eisenach zugewandert und können daher kaum als typisch für die untersuchte Adelslandschaft gelten, es wird auch nicht ernsthaft der Versuch unternommen, aufzudecken, wie denn Gruppentypisches ermittelt werden könnte. Wenn ein Vater und dessen Sohn aus der Familie v. Ziegesar am Weimarer Grundgesetz von 1816 bzw. an Reformdebatten des Landtages mitwirkten, ist das eine unzureichende Basis für die Feststellung: „Damit fand der Adel allmählich den Weg von der ständischen Interessenvertretung in den modernen bürgerlichen Konstitutionalismus.“ (S. 426)

Kreutzmann referiert zu Beginn seiner drei inhaltlichen Teile „Familie, Bildung, Geselligkeit“, „Beruf, höfische Repräsentanz und Gutwirtschaft“ und „Adel und Politik zwischen Kleinstaat und Nation“, sowie auch in den Kapiteln dieser Teile (etwa in Kapitel 3.2.1 „Adel, ‚Ganzes Haus’ und ‚bürgerliche“ Familie“) (S. 86-88) die marktgängigen Thesen der Geschichtswissenschaft. Häufig werden die Ansichten der inzwischen hinlänglich etablierten kulturhistorischen Forschung vorgetragen. Anschließend findet Kreutzmann dann fast durchgängig in seinen Quellen die Analyseergebnisse, die für andere Regionen bzw. Sozialformationen publiziert vorliegen, bei seinem sächsisch-weimarischen Adel bestätigt. Solche Überblendungen des als allgemein zeittypisch Gesetzten auf den Adel verdecken dessen Eigenprofil mehr, als sie es offen legen.

Am Ende bleiben viele der Resultate von Kreutzmanns Studie schwer nachvollziehbar. Soll man glauben, dass die Kontakte zwischen Adeligen und Bürgerlichen so zwanglos waren wie behautet (S. 422 f.), wenn andererseits die Eltern sich gegen unstandesgemäße Ehen sperrten und im Untersuchungszeitraum Ehen „praktisch ausschließlich innerhalb des eigenen Standes geschlossen wurden? (S. 116) Selbst wenn diese Ehen „nicht nur aus strategischen Überlegungen heraus geschlossen wurden“ (S. 423), fragt sich, ob Liebesheiraten innerhalb des Adels dessen Verbürgerlichung indizieren. Handelt ein Adeliger, der eine Adelige heiratet, unadelig? Ebenso müsste plausibel gemacht werden, warum eine „emotionalisierte Beziehung“ (S. 423) zwischen Eltern und Kindern oder ein weniger repräsentativer Lebensstil in der Kleinfamilie des Carl Wilhelm von Fritsch eine Nähe zur Bürgerlichkeit bedeutet. Sozialformationen können sich unterscheiden, auch wenn ihre Mitglieder ähnlich vermögend sind. Außerdem wandeln sich innerhalb von gesellschaftlichen Großgruppen auch Umgangsformen, ohne dass sich die Gruppe gleich auflöst. Ebenfalls ohne Erläuterung lässt Kreutzmann die Behauptung, dass ein bürgerlicher Theologiestudent als Hofmeister adelige „Kinder ganz nach den Bedürfnissen ihres Standes“ ausbilden und erziehen konnte. (S. 93) Wie vermittelt ein karg alimentierter zukünftiger Pfarrer Adeligkeit? Das Spektrum der Anfragen ließe sich noch ausweiten, beispielsweise wieso Jürgen Habermas’ Theorie über Lebenswelt im methodisch-theoretischen Fundament der Studien nicht auf ihre möglichen Nutzen abgeprüft wird, oder ob man ein Zitat, es habe im Jahre 1807 mit einem Jahreseinkommen von 1700 Talern nur eine „kleine, eingezogene Haushaltung“ (S. 108) geführt werden können, unkommentiert als Tatsache in einer historisch-kritische Arbeit übernehmen kann.

Kommentare

Von Kreutzmann, Marko27.11.2008

Da die Rezension von Josef Matzerath zu meiner Studie „Zwischen ständischer und bürgerlicher Lebenswelt. Adel in Sachsen-Weimar-Eisenach 1770 bis 1830“ offensichtlich auf einigen grundsätzlichen Missverständnissen beruht, möchte ich hier eine kurze Erwiderung geben. Anders als es Matzerath für sich wahrgenommen haben mag, habe ich im theoretisch-methodischen Teil meiner Studie seine am Beispiel des kursächsischen Adels entwickelten Ansätze keineswegs „attackiert“, sondern bin in einer wohl zulässigen, kritischen Auseinandersetzung zu der Auffassung gelangt, dass die von Matzerath eingenommene exklusive Perspektive auf adelige Binnenstrukturen und Binnenkommunikation den Blick dafür verstellen kann, dass die Beteiligung des Adels an grundlegenden Wandlungsprozessen um 1800 auch Rückwirkungen auf sein gruppenspezifisches Selbstverständnis gehabt hat. Aus diesem Grunde untersuche ich den Adel nicht aus einer Binnenperspektive heraus, sondern setze an den Schnittstellen an, an welchen der Adel durch die heraufziehende Moderne herausgefordert wurde.
Dabei versucht die Studie entgegen der Einschätzung Matzeraths, zumindest in Teilen neue Akzente gegenüber den mit einem ähnlichen Ansatz operierenden Arbeiten etwa von Heinz Reif oder Elisabeth Fehrenbach zu setzen. Denn all diese Studien betonen trotz differenzierter Einzelergebnisse letztlich das Scheitern des Elitenkompromisses zwischen Adel und Bürgertum. Demgegenüber kann für den Adel Sachsen-Weimar-Eisenachs herausgearbeitet werden, dass sich über dessen immer mehr öffnende Sozialbeziehungen im Bereich von Familie, Bildung, Geselligkeit und Beruf um 1800 auch ein neues Selbstverständnis entwickelte, das über die Rezeption der im zeitgenössischen Verständnis als „bürgerlich“ konnotierten Werte wie Bildung oder Verdienst die Chance für eine Elitenverschmelzung eröffnete, die etwa auf den Feldern Hof und Beamtenschaft von Neuadel, Uradel und Bürgertum gemeinsam gegenüber der restaurativen Politik des seit 1828 regierenden Großherzogs Carl Friedrich zumindest temporär durchgesetzt werden konnte. Der Geburtsadel selbst codierte den Begriff des Adels als den einer offenen Elite, die nicht nur adelige und bürgerliche Beamte, sondern in zunehmendem Maße auch das aufstrebende Wirtschaftsbürgertum einbezog. Für Kursachsen bzw. seit 1806 das Königreich Sachsen, das bis weit ins 19. Jahrhundert hinein ständische Strukturen konservierte, mögen sich andere Befunde ergeben. Doch sollte man dabei auch die Spezifik der einzelnen Adelslandschaften ernst nehmen und das für den kursächsischen Adel erhaltene Bild nicht ohne weiteres als allgemein verbindlich ansehen.
Die Ergebnisse meiner Studie stellen damit auch das bisher gültige, dialektische Verständnis der Wandlungsprozesse um 1800 in Frage, das von einem Gegensatz zwischen Adel und Bürgertum ausgeht. Dieser liegt jedoch mehr in zeitgenössischen Diskursen als in sozialen Strukturen begründet. Die durchaus „spannende“ Frage nach den Mechanismen der Symbolisierung von Adeligkeit um 1800 sollte daher nicht dazu führen, die oft aus normativen Quellen zu entnehmenden zeitgenössischen Semantiken vorschnell in ein strukturalistisches Gesellschaftsbild zu übersetzen. Zudem erscheinen die beiden für die Studie ausgewählten Adelsfamilien nicht so untypisch für Sachsen-Weimar-Eisenach, wie Matzerath meint. Denn in dem adelsarmen und territorial kleinteiligen (Groß-)Herzogtum bildete die Ergänzung der vorhandenen Adelspopulation durch Zuwanderung oder Nobilitierung eher die Regel als die Ausnahme. Beides kann also kaum als Argument gegen die Repräsentativität der beiden Adelsfamilien für die untersuchte Adelslandschaft gelten, es sei denn, dass bereits im Vorfeld festgelegte Erkenntnisziele die Auswahl des konkreten Untersuchungsgegenstandes determinieren.