Cover
Titel
Seide, Pfeffer und Kanonen. Globalisierung im Mittelalter


Autor(en)
Ertl, Thomas
Reihe
Geschichte erzählt 10
Erschienen
Darmstadt 2008: Primus Verlag
Anzahl Seiten
144 S.
Preis
€ 16,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Juliane Schiel, Humboldt-Universität zu Berlin, Institut für Geschichtswissenschaften

Längst ist „Globalisierung“ auch in unseren Breitengraden kein abstrakter Begriff mehr, der undurchsichtige Transaktionen auf dem Weltmarkt oder subtile Abhängigkeiten der armen, aber fernen Länder Asiens, Afrikas und Südamerikas von den reichen Industrienationen Europas und Nordamerikas bezeichnet. Globalisierung ist vielmehr zu einer Alltagserfahrung für jedermann geworden, die sich in Internetkommunikation, Massentourismus und Konsumverhalten ebenso äußert wie in der Entgrenzung von Konflikten und Kriegen, dem Phänomen des Terrorismus und der Rhetorik vom Kampf der Kulturen.1

Entsprechend hoch ist das derzeitige Interesse an Themen der Global- und Weltgeschichte. Nicht nur Historikerinnen und Historiker – deren Schicksal es nun mal ist, die überlieferten Zeugnisse der Vergangenheit vor dem Hintergrund eigener lebensweltlicher Erfahrungen immer wieder neu zu befragen und zu kontextualisieren – haben in den letzten Jahren verstärkt nach Wegen jenseits der etablierten Nationalgeschichtsschreibung gesucht. Auch der interessierte Laie fragt nach den historischen Wurzeln seiner Lebenssituation oder nach vergleichbaren Beispielen in der Vergangenheit. China, Indien und der Nahe Osten erscheinen dem deutschsprachigen Leser dabei heute näher denn je zuvor.

Es erstaunt deshalb nicht, dass der Darmstädter Primus Verlag in seiner Reihe „Geschichte erzählt“ die Frage nach der Globalisierung im Mittelalter behandeln lässt. Thomas Ertl, Anfang 2006 an der FU Berlin habilitiert und seit Oktober 2007 akademischer Mitarbeiter am Historischen Seminar der Universität Heidelberg, hat sich dieser Aufgabe gestellt und eine Verflechtungsgeschichte der alten Welt für die Zeit von 500 bis 1500 n.Chr. verfasst.2

Das 140 Seiten schlanke Buch mit dem Titel „Seide, Pfeffer und Kanonen“, das mit neun Anmerkungen und gut 30 Literaturtiteln auskommt und neben einem schön gesetzten, gut lesbaren Text 15 Abbildungen und 26 Schautafeln enthält, gibt dem interessierten Laien vielfältige Einblicke in die damaligen Kontakt- und Austauschbeziehungen zwischen Europa, Asien und Afrika. Neben einem Überblick über die großen interkontinentalen Reiserouten und die verschiedenen Weltvorstellungen im Spiegel lateinischer, arabischer und chinesischer Kartografie wird der Transfer von Waren, Wissen und Viren ebenso nachgezeichnet wie die politischen und religiösen Entwicklungen und Tendenzen jener Zeit.

Zentrales Anliegen des Buches ist es, die wirtschaftlichen, kulturellen und kommunikativen Verflechtungen der „alten dreigeteilten Welt“ (S. 9) aufzuzeigen. Ertl vertritt dabei die Auffassung, dass die Grundlagen der modernen Erschließung der Welt und der heutigen Globalisierung in der Zeit von 500 bis 1500 n.Chr. gelegt wurden (S. 7; 9; 51; 140). Ob man dabei den Begriff der Globalisierung auf diese Epoche anwendet oder nicht, bleibt für ihn zweitrangig. Stattdessen konstatiert er: „Der Sache nach hat Globalisierung im Mittelalter stattgefunden.“ (S. 140)

Auch der wissenschaftliche Standort des Autors kommt in der Darstellung deutlich zum Ausdruck: „Kein Kontinent entwickelte sich isoliert.“ (S. 7) Wer den Aufstieg Europas verstehen wolle, könne die alten Hochkulturen nicht getrennt voneinander betrachten. Auch der transkulturelle Vergleich erweise sich hier als unzureichend, da er „die zu vergleichenden Gesellschaften als fest gefügte Entitäten“ begreife. Stattdessen müssten die Beziehungen zwischen den Kontinenten in den Blick rücken, denn nur sie machten deutlich, „dass Kultur, Wirtschaft und Technik mittelalterlicher Gesellschaften zu einem beträchtlichen Teil das Ergebnis grenzüberschreitender Austauschbeziehungen darstellen“ (S. 137). Ertls Auffassung von Globalgeschichtsschreibung steht damit in der Tradition der Beziehungs- und Transfergeschichte, wie sie sich im deutschsprachigen Raum mit Namen wie Jürgen Osterhammel, Matthias Middell oder Michael Werner verbindet, und wie sie von Vertretern der ‚Postcolonial Studies‘ wie Sebastian Conrad, Shalini Randeria oder Almut Höfert unter dem Schlagwort der ‚Entangled History‘ vertreten wird.3

Thomas Ertls Buch zur Globalisierung im Mittelalter muss sich deshalb an zwei Dingen messen lassen: an der didaktischen Aufbereitung des Stoffes für ein interessiertes Laienpublikum und an dem methodischen Anspruch, eine globale Verflechtungsgeschichte zu schreiben.

Durchaus gelungen erscheint die vorgenommene Materialauswahl für eine Reihe wie die des Darmstädter Primus Verlags „Geschichte erzählt“. Ein ausgewogenes Verhältnis zwischen wohl etablierten Größen des kollektiven Gedächtnisses wie Marco Polo, Christoph Columbus und Sindbad dem Seefahrer und weniger bekannten Figuren und Episoden aus der Geschichte der alten Welt verspricht dem europäischen Leser eine unterhaltsame und vielfach lehrreiche Lektüre mit einer gesunden Mischung aus Wiedererkennungseffekten und Aha-Erlebnissen. Didaktisch wertvoll ist die Darstellung dabei besonders dort, wo der Autor dem Leser durch quellenkritische Bemerkungen zu Xuanzangs ‚Reise in den Westen‘ (S. 30), zu Ibn Battutas ‚Rhila‘ (S. 40) oder Marco Polos ‚Il milione‘ (S. 46f.) Einblicke in historische Erkenntnisgewinnung vermittelt. Ähnliches gilt für die Darstellung bestehender Forschungskontroversen zum Aufstieg Europas (S. 136). Auch die knapp und pointiert gehaltenen Erläuterungen in den vom Fließtext abgesetzten Schautafeln sind in ihrem Anliegen, weit verbreitetes Halbwissen zu korrigieren, sehr überzeugend. Die psychologisierende Erzählung zur Verheiratung der chinesischen Prinzessin Taihe an den Khan der Uighuren (S. 27-29) hingegen fällt ebenso wie die Rede von den „Sturmtruppen Allahs“ (S. 108) im Vergleich dazu stark ab.

Was Ertls methodischen Anspruch betrifft, eine globale Verflechtungsgeschichte zu schreiben, so steht außer Frage, dass der ständige Perspektivwechsel die eigentliche Stärke des Buches ausmacht. Jedes Kapitel beleuchtet die verschiedenen Gegenstände der Darstellung (z.B. Reisen, Handel, Erfindungen und Wissenstransfer) immer wieder abwechselnd im chinesischen, indischen, arabischen, afrikanischen und europäischen Kontext und weist konsequent Verbindungslinien und Transferwege zwischen den einzelnen Kulturen und Kontinenten auf. Vorbildlich gelungen ist dies beispielsweise in den Abschnitten zur Kartografie (S. 51-58), zum Umgang mit Sklaven (S. 74-78) und zur Verwendung von Papier (S. 78-80). Auch wenn das Byzantinische Reich, in der Gesamtschau betrachtet, vergleichsweise stiefmütterlich behandelt wird, finden die anderen Hochkulturen und Großregionen relativ gleichberechtigt Beachtung.

Problematisch wird es allerdings an den Stellen, an denen die Darstellung von Verflechtungen auf Kosten von klarer Struktur und Gedankenführung geht. So erschließt sich die analytische Kapitelunterteilung des Stoffs dem Leser nur zu Teilen, in Überschriften werden ständig die Ebenen gewechselt, und große Zeitsprünge auch innerhalb kleinster Teilabschnitte behindern das Verständnis (vgl. z.B. das Unterkapitel zum Welthandelssystem im 13. Jahrhundert, S. 68-70, zum chinesischen Kaiserreich, S. 96-98, oder zu Westeuropa im späten Mittelalter, S. 119-121).4 Auch mögen die beiden Schlusskapitel zu den politischen Verhältnissen und den großen Weltreligionen, die inhaltlich zudem die schwächsten Abschnitte darstellen, nicht so recht zum Titel und zur sonstigen Anlage des Buches passen. Die Assmannsche Frage nach dem Konfliktpotential monotheistischer Religionen (S. 135) wäre sicherlich ein geeigneter Stoff für einen weiteren Band in der Darmstädter Reihe; an dieser Stelle jedoch wirkt sie verfehlt und in der Durchführung unbefriedigend.5

Darüber hinaus nimmt sich die unreflektierte Übertragung des für die europäische Geschichte entstandenen Begriffs vom „Mittelalter“ auf andere Kulturen und Kontinente für einen Globalhistoriker sonderbar aus.6 Anstelle von unbedachten Formulierungen zur „frühmittelalterlichen islamischen Welt“ (S. 53) oder zum „chinesische[n] Mittelalter“ (S. 54) hätte man hier wohl eher eine prägnante Schautafel erwarten dürfen, die die Entstehung des Begriffs erläutert und seine Verwendung für außereuropäische Kulturen als eurozentristisch enthüllt. Ebenso widerspricht die Rede vom „christlichen Europa“ (S. 129) der Prämisse von Verflechtungsgeschichten, die verschiedenen Gesellschaften nicht als „fest gefügte Entitäten“ (S. 137) zu begreifen.

Insgesamt jedoch handelt es sich um eine interessant aufbereitete Darstellung der Zeit von 500 bis 1500 n.Chr., die als Weihnachtsgeschenk für Freunde und Verwandte durchaus geeignet ist.

Anmerkungen:
1 Zu Formen und Auswirkungen der modernen Globalisierung sei hier nur auf eine kleine Auswahl der einschlägigen Literatur verwiesen. Vgl. beispielsweise Manuel Castells, Der Aufstieg der Netzwerkgesellschaft. Teil 1 der Trilogie: Das Informationszeitalter, Opladen 2001; Herfried Münkler, Die neuen Kriege, Reinbek 2002; Richard Sennett, Der flexible Mensch. Die Kultur des neuen Kapitalismus. 5. Aufl. Berlin 2000; Ulrich Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt 1986; sowie die kontroverse Debatte zu Samuel Huntington, Kampf der Kulturen. Die Neugestaltung der Weltpolitik im 21. Jahrhundert. 3. Aufl. München/Wien 2002.
2 Thomas Ertl hat sich bereits in zwei HZ-Aufsätzen auf diesem Gebiet profiliert. Gemeinsam mit Stefan Esders wies er 2004 in einer vergleichenden Besprechung der Europadarstellungen von Ernst Pitz und Michael Borgolte neue Perspektiven auf das europäische Mittelalter auf und 2005 problematisierte er die Funktionen Chinas in der westlichen Historiographie und forderte die Erweiterung des mediävistischen Themenkreises in Zeiten der Globalisierung. Thomas Ertl; Stefan Esders, Auf dem Sprung in eine planetarische Zukunft. Mediävistische Annäherungen an ein interkulturelles Europa und seine Nachbarn, in: Historische Zeitschrift 279 (2004), S. 127-146; Thomas Ertl, Der China-Spiegel. Gedanken zu Chinas Funktionen in der deutschen Mittelalterforschung des 20. Jahrhunderts, in: Historische Zeitschrift 280 (2005), S. 305-344.
3 Vgl. hierzu u.a. Matthias Middell, Kulturtransfer und Vergleich, Leipzig 2000; Michael Werner; Benedicte Zimmermann, Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in: Geschichte und Gesellschaft 28 (2002), S. 607-636; Jürgen Osterhammel, Transfer und Migration von Ideen. China und der Westen im 19. und 20. Jahrhundert, in: Urs Faes; Béatrice Ziegler (Hrsg.), Das Eigene und das Fremde. Festschrift für Urs Bitterli, Zürich 2000, S. 97-115; Sebastian Conrad; Shalini Randeria (Hrsg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main u.a. 2002; Almut Höfert; Armando Salvatore (Hrsg.), Between Europe and Islam. Shaping Modernity in a Transcultural Space, Bruxelles u.a. 2000.
4 Die Kapitel ‚Verkehrsachsen‘, ‚Grenzüberschreitungen‘, ‚Die Eroberung des Raums‘ und ‚Interkontinentaler Transfer‘ werden zwar zunächst durch die Untertitel präzisiert, die Überschriften innerhalb der Kapitel verwirren den Leser jedoch erneut. Dies gilt insbesondere für das Kapitel zum ‚Interkontinentale[n] Transfer‘, doch auch der Abschnitt zu den ‚politischen Verhältnisse[n]‘ wechselt zwischen deskriptiven Titeln wie ‚Das chinesische Kaiserreich als Zentrum des Fernen Ostens‘ und narrativen Titeln wie ‚Der unaufhaltsame Aufstieg des Islam‘ und ‚Westeuropa gewinnt Gestalt‘.
5 Hierzu Jan Assmann, Die Mosaische Unterscheidung oder der Preis des Monotheismus, München 2003. Problematisch ist Ertls Darstellung insbesondere dort, wo er dem Judentum „Selbstausgrenzung“ und dem Christentum und Islam „Fremdausgrenzung“ zuschreibt (S. 128), ohne dabei die politischen Situationen, in der die Religionen jeweils wirkten, ins Kalkül zu ziehen. Denn selbstverständlich unterscheidet sich das Leben der Religionsangehörigen, die in einer Diasporasituation leben, fundamental von der Lage derjenigen, deren Glauben „staatstragend“ ist. Auch generalisierende Aussagen wie: „Die Konsequenz war nicht nur eine Ablehnung fremder Götter, sondern eine allgemeine Intoleranz und Gewaltbereitschaft.“ (S. 128) sind der Vermittlung differenzierter Einsichten wenig zuträglich.
6 Zwar spricht Ertl gleich zu Beginn seiner Einleitung von „jener Epoche zwischen 500 und 1500, die in Europa Mittelalter genannt wird“ (S. 7), für seine Darstellung hat diese Randbemerkung jedoch keine Konsequenzen.