J. R. Lampe: Balkans into Southeastern Europe

Cover
Titel
Balkans into Southeastern Europe. A Century of War and Transition


Autor(en)
Lampe, John R.
Erschienen
New York 2006: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
256 S.
Preis
₤ 16.99
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Anne C. Kenneweg, GWZO an der Universität Leipzig

Der an der University of Maryland lehrende Historiker John R. Lampe ist einer der bekanntesten amerikanischen Südosteuropa-Spezialisten. Er hat sich vor allem als Wirtschaftshistoriker einen Namen gemacht und seine in zwei Auflagen erschienene Geschichte Jugoslawiens1 gehört auch im deutschsprachigen Raum zu den Standardeinführungen. Mit „Balkans into Southeastern Europe“ hat John R. Lampe nun eine vergleichende Übersichtsdarstellung zu den Balkanländern im 20. Jahrhundert vorgelegt. In acht Kapiteln schreibt er vornehmlich eine Geschichte der Kriege und der politischen wie wirtschaftlichen Übergangsphasen in der Region und macht drei große Phasen aus, in denen Krieg und Wiederaufbau eine politische und wirtschaftliche Neuordnung verlangten: die Zwischenkriegszeit nach den Balkankriegen und dem ersten Weltkrieg, die Nachkriegszeit des Zweiten Weltkriegs und schließlich die gegenwärtige Transitionsphase nach der Zäsur von 1989. Für diese Phasen fragt Lampe jeweils nach strukturellen Ausgangsbedingungen und der Entwicklung der politischen und wirtschaftlichen Systeme. In der insgesamt chronologisch aufgebauten Darstellung wechseln dabei Passagen zur politischen Geschichte mit breit angelegten sozial- beziehungsweise wirtschaftsgeschichtlichen Einordnungen. Lampes Blick auf die wirtschaftliche und soziale Entwicklung ist zumeist auf die Region im Ganzen gerichtet und erfasst dabei vergleichend Bereiche wie den demographischen Wandel, Migration, Situation ethnischer Minderheiten, Urbanisierungsprozesse und Bildung, deren Struktur und Veränderung durch zahlreiche Tabellen leicht zugänglich gemacht wird. In den Kapiteln zu den Balkankriegen, den beiden Weltkriegen sowie zum jugoslawischen Zerfall fokussiert Lampe meist einzelne Staaten beziehungsweise Gesellschaften, um knapp und überwiegend deskriptiv die wichtigsten Ereignisse und Entscheidungen der historischen Akteure zusammenzufassen. Er setzt dabei unterschiedliche Schwerpunkte: Während Lampe im Kapitel zur Zwischenkriegszeit beispielsweise die Politik König Aleksandars in Jugoslawien und König Carols Rumänien ausführlich vergleicht, um strukturelle Ähnlichkeiten herauszustellen, steht im Kapitel zu den 1960er- und 1970er-Jahren Griechenland im Vordergrund, dessen Zugehörigkeit zur Region Lampe immer wieder argumentativ zu untermauern sucht.

Bereits mit seiner vielgelesenen Geschichte Jugoslawiens hatte Lampe versucht, zum Verständnis der jüngsten Ereignisse beizutragen, in dem er die Konflikte und Transitionen nach 1989 in einen breiteren historischen Kontext stellt. Wie viele Balkanexperten versucht er sowohl in seiner Geschichte Jugoslawiens als auch im hier rezensierten Buch Vorurteile gegenüber der Region zu bekämpfen, indem er über die aktuellen Ereignissen zugrundeliegenden historischen Entwicklungen aufklärt. Ihm geht es insbesondere darum, trotz aktueller ungelöster Konflikte die Balkanregion nicht als ewigen Krisenherd zu sehen. Lampe kritisiert die verbreitete Tendenz die Geschichte von gegenwärtigen Problemlagen aus „rückwärts“ zu interpretieren; er will stattdessen das 20. Jahrhundert „forward through the century“ (S. 4) als Abfolge von Transitionsphasen beschreiben und erhebt dabei den Anspruch, eine Interpretation der Geschichte des Balkanraums im als Geschichte einer zumindest in Ansätzen gelungenen Europäisierung zu leisten. Lampe hat deshalb bewusst einen Titel für sein Buch gewählt, der sich am Titel von Eugen Webers bekannter Studie „Peasants into Frenchmen“ 2 anlehnt (S. 6f.). Ausgehend von den Phasen der Transition lässt sich Lampe zufolge die historische Entwicklung der Balkanregion im 20. Jahrhundert am besten verstehen „as a set of European processes, ideas, and institutions, at work as they were elsewhere on the Continent“ (S. 3).

Welche Prozesse, Ideen und Institutionen seiner Ansicht nach zu diesem Set gehören, erläutert Lampe auf Charles Maiers „structural narrative for all modern European history“ (S.7) aufbauend, indem er vier Merkmale europäischer Geschichte hervorhebt, die allesamt auf die Staatsbildung, staatliche Institutionen oder volkswirtschaftliche Strukturen verweisen.

Indem er nicht politischen Pluralismus und Marktwirtschaft allein als ausschlaggebend betrachtet, sondern mit Maier andere Merkmale wie Zentralismus und Industrialisierung in den Vordergrund rückt, kann er auch die autoritären Regime der Zwischenkriegszeit und den Sozialismus als Schritte auf dem europäischen Weg interpretieren, der schließlich in die Integration im Zuge des EU-Erweiterungsprozesses mündet.

Die zentrale und optimistische These von der fortschreitenden Europäisierung des Balkanraums erläutert Lampe vor allem im kurzen Einleitungskapitel und in den Ausführungen zu den Veränderungen seit 1989. In den anderen Einzelkapiteln verliert Lampe die Diskussion des Europäisierungsprozesses zuweilen aus den Augen: Während Lampe in Kapitel 2 im Zusammenhang mit der Mobilisierung von Ressourcen im Ersten Weltkrieg auf Zentralisierung als einem der von Maier genannten Merkmale noch ausdrücklich hinweist, geht die Frage nach diesen Merkmalen in den späteren Kapitel häufig in der Darstellung der politischen Ereignisse unter oder erscheint allzu knapp und stereotyp als Annäherung an „West European standards“ (z.B. S. 222). Bei der inhaltlichen Schwerpunktsetzung ist Lampes Hintergrund als Wirtschaftshistoriker klar zu erkennen. Die Entstehung und Veränderung politischer Ideen und Konzepte sowie deren Einfluss auf das Handeln der Akteure nehmen – vom Einleitungskapitel abgesehen – nur verhältnismäßig wenig Raum in Lampes Darstellung ein. Insbesondere ein Eingehen auf Europadiskurse in der Region hätte man sich gewünscht, denn angesichts der nicht nur in Serbien verbreiteten Skepsis wenn nicht gar ablehnenden Haltung gegenüber der EU und ihren Integrations- und Erweiterungsbestrebungen erscheint die Entwicklung, die Lampe für die Transformation seit 2000 skizziert, allzu geradlinig.

Man tut dem Buch allerdings Unrecht, wenn man es ausschließlich im Hinblick auf die These der erfolgreichen Europäisierung bewertet, handelt es sich doch bei „Balkans into Southeastern Europe“ auch und vor allem um eine an eine breite Öffentlichkeit gerichtete, vergleichende historische Einführung. Lampe will seine Darstellung als eine Art Handbuch verstanden wissen, das den bereits 1963 von Barbara und Charles Jelavich herausgegebenen Sammelband zu Übergangsphasen in der Geschichte des Balkanraums 3 und die historische Übersichtsdarstellung von Mark Mazower aus dem Jahr 2001 ergänzt (S. viii).4

Die Funktion einer historischen Einführung, die gut lesbar ist und zwar oft knapp aber dennoch informativ solides Wissen zur Region und ihrer Geschichte vermittelt, erfüllt das Buch fraglos, wenngleich eine kritische Diskussion der aktueller Forschungen weitgehend fehlt. Das Literaturverzeichnis ist nicht sehr umfangreich und enthält im Wesentlichen englischsprachige Standardwerke und Überblicksdarstellungen. Ein Register und zahlreiche Karten und Tabellen befördern die Handhabbarkeit, so dass das Buch insgesamt einen schnellen Zugriff auf Informationen zu politischen und wirtschaftlichen Entwicklungen bietet und deshalb eine nützliche Ergänzung zu bereits vorhandenen Synthesen darstellt.

Anmerkungen:
1 Lampe, John R., Yugoslavia as a History. Twice there was a Country, 2nd edition, Cambridge 2000.
2 Weber, Eugen, Peasants into Frenchmen. The Modernization of Rural France, 1870-1914, Stanford 1976.
3 Jelavich, Charles; Jelavich, Barbara (Hrsg.), The Balkans in Transition. Essays on the Development of Balkan Life and Politics since the Eighteenth Century, Berkeley 1963.
4 Mazower, Mark, The Balkans, New York 2001.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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