: Die Kraft der schöpferischen Zerstörung. Joseph A. Schumpeter. Die Biografie. Frankfurt am Main 2007 : Campus Verlag, ISBN 978-3-593-38490-0 280 S. € 24,90

: Prophet of Innovation. Joseph Schumpeter and Creative Destruction. Cambridge 2007 : Belknap Press, ISBN 978-0-674-02523-3 736 S. $ 35.00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Arndt Christiansen, Wirtschaftswissenschaften, Philipps-Universität Marburg

Die Schumpeter-Biografien von Annette Schäfer und Thomas McCraw reihen sich in zweierlei gegenwärtige Entwicklungen ein. Zum einen gewinnt man beim Studium der Neuerscheinungen bereits seit einiger Zeit den Eindruck, dass die ökonomischen Klassiker hoch im Kurs stehen.1 Dieses Interesse an den Werken der großen Ökonomen und an ihren Lebensläufen ist zu begrüßen. Es bietet eine hervorragende Möglichkeit, Fachfremde ebenso wie Neueinsteiger an die zentralen Inhalte der Volkswirtschaftslehre heranzuführen. Insider können damit die Entwicklung ihrer Disziplin besser nachvollziehen und die jeweiligen zeitbedingten Einflüsse erkennen.

Speziell Joseph Alois Schumpeter erlebt zum anderen gerade eine Renaissance. Der immer schnellere technologische Wandel und der Aufstieg ganzer Volkswirtschaften wie der asiatischen Tigerstaaten und neuerdings Chinas sorgen dafür, dass seine Analysen der Dynamik des Kapitalismus aktueller sind denn je. Herbert Giersch, seinerzeit Präsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, proklamierte etwa bereits Mitte der 1980er-Jahre das „Zeitalter Schumpeters“.2 Einen genaueren Eindruck von der gegenwärtigen Schumpeter-Rezeption geben die Untersuchungen von Diamond, der zum einen anhand des Social Sciences Citation Index und zum anderen anhand der “Search Inside the Book“-Funktion des Internet-Buchhändlers Amazon eine starke Zunahmen der Verweise auf Schumpeter nachweisen konnte.3 Nicht zuletzt sind in den letzten Jahren bereits eine Reihe von Biografien erschienen, die das Werk (und Leben) Schumpeters aus verschiedenen Perspektiven beleuchten.4

Schumpeter gab mit seiner „Theorie der wirtschaftlichen Entwicklung“ aus dem Jahr 1911 und „Capitalism, Socialism and Democracy“ aus dem Jahr 1942 der Entwicklung der Ökonomie und der Sozialwissenschaften insgesamt wichtige Impulse. Insbesondere die Teilgebiete der Innovationsökonomik, der evolutorischen Ökonomik und der Neuen Politischen Ökonomie verdanken ihm grundlegende Fragestellungen und Erkenntnisse.5 Das posthum veröffentlichte Spätwerk „Geschichte der ökonomischen Analyse“ gilt immer noch als Standardwerk der Dogmengeschichte. Auch zur (Wirtschafts-)Soziologie hat er wichtige Beiträge geleistet. Außerhalb dieser Spezialgebiete hat allerdings erst in den letzten Jahren das Interesse an Schumpeter deutlich zugenommen.

Dies überrascht umso mehr, als Schumpeter sich weder einer bestimmten Schule in der Ökonomie zugehörig fühlte noch eine solche begründet hat. Er blieb, wie beide Biografen hervorheben, zeitlebens ein wissenschaftlicher Einzelkämpfer. Das lag an seiner exzentrischen Persönlichkeit, aber auch an der monumentalen Forschungsfrage, die er sich gestellt hatte. Ihm ging es um nicht weniger als die Funktionsweise des Kapitalismus und hier in erster Linie die laufende Schaffung von Neuerungen. Dafür prägte er den Begriff der „schöpferischen Zerstörung“, der folgerichtig im Titel beider Biografien auftaucht. Eine weitere Gemeinsamkeit bei McCraw und Schäfer besteht darin, dass sie den Schwerpunkt nicht auf das wissenschaftliche Werk Schumpeters legen, sondern auf die äußeren Umstände und die inneren Befindlichkeiten seines Urhebers. Das mag auch daran liegen, dass weder Schäfer noch McCraw selbst in der ökonomischen Forschung tätig sind. Insbesondere Annette Schäfer, studierte Psychologin und heute als Journalistin tätig, widmet der Psyche des Protagonisten viel - nach Meinung des Rezensenten etwas zu viel - Aufmerksamkeit. Bei Thomas McCraw, Emeritus für Unternehmensgeschichte an der Harvard Business School, finden sich dagegen zahlreiche Bezüge zu den zeit- und wirtschaftsgeschichtlichen Hintergründen.

Die von McCraw verfasste Biografie ist das ungleich anspruchsvollere und umfangreichere Werk. Auf knapp 700 Seiten (einschließlich Anmerkungen) zeichnet er das stürmische Leben Schumpeters nach. Als Ordnungsprinzip hält McCraw sich streng an die chronologische Abfolge. Die Fülle des verarbeiteten Materials umfasst nicht nur alle zentralen Monografien Schumpeters, sondern auch auf viele seiner weniger bekannten Publikationen. Zudem hat er dessen persönlichen Nachlass in den Archiven der Harvard University ausgewertet. Ausgiebig zitiert er aus Schumpeters Tagebüchern und Briefen und gewinnt so tiefe Einblicke in die emotionalen Befindlichkeiten seines Protagonisten: „Behind a veneer of ebullience, Schumpeter hid his passionate and dark – sometimes very dark – emotional side. Throughout his life, he fought a fierce internal wrestling match with himself” (S. 4).

Die Mischung aus Beschreibung der historischen Umstände, Darstellung des äußerlichen Verlaufs von Schumpeters Leben und – im hinteren Teil des Buchs zunehmend – Ergründung der inneren Befindlichkeit des Protagonisten ist insgesamt gut gelungen, auch weil die wissenschaftlichen Werke dabei angemessen gewürdigt werden. Besonderen Wert legt McCraw allerdings darauf, die Wendepunkte in Schumpeters Leben nachzuzeichnen. Ohne hier auf die Details eingehen zu können, sei nur auf die Eckdaten verwiesen. So lebte und arbeitete Schumpeter in sieben Ländern und lehrte an fünf Universitäten. Nach dem Ersten Weltkrieg amtierte er kurzzeitig als österreichischer Finanzminister und war danach einige Jahre lang als Bankier in Wien tätig. Durch die Pleite der Bank und persönliche Verbindlichkeiten stand er Mitte der 1920er-Jahre vor dem finanziellen Ruin. Der Ruf an die Bonner Universität führte ihn zurück in das akademische Leben, dem 1932 nach mehreren Kurzaufenthalten der (letzte) Umzug an die Harvard University folgte. Den Tiefpunkt stellten die „triple tragedies of 1926“ (S. 140) dar, der Tod seiner Mutter, seiner zweiten Frau und ihres gerade geborenen gemeinsamen Sohnes in schneller Folge. Dieser Einschnitt machte laut McCraw aus dem Lebemann und enfant terrible, der Schumpeter immer gewesen war, einen sehr viel ernsteren und auf seine Arbeit fokussierten Mann.

Dies gilt speziell für die Zeit in Harvard, der McCraw mit fast 300 Seiten die größte Aufmerksamkeit zuteil werden lässt. Ein ganzes Kapitel widmet er mit „Business Cycles“ von 1939 demjenigen Werk, dessen Rezeption für Schumpeter selbst am enttäuschendsten ausfiel (S. 251-278). Zu sehr standen seine Fachkollegen Ende der 1930er-Jahre im Bann der „General Theory“ von Keynes, wie Schumpeter schmerzlich erfahren musste. McCraw hält das Werk dennoch für wegweisend, und zwar zum einen für Schumpeters persönliche intellektuelle Entwicklung und zum anderen als Vorarbeit zur modernen Unternehmensgeschichte als eigenständiger wissenschaftlicher Disziplin (S. 278). McCraw schließt mit einem Epilog über das Vermächtnis Schumpeters (S. 495-506). Er hält dessen Erkenntnisse unverändert für relevant und das Studium seiner Werke daher für lohnend. Dies trifft mutatis mutandis auch auf die Lektüre der Biografie zu. Dazu tragen die pointierte Schreibweise und die klaren Stellungnahmen bei. So verfolgt McCraw zwar inhaltlich erkennbar einen wissenschaftlichen Anspruch, aber die Art der Formulierung macht das Buch auch für den „gebildeten Laien“ verständlich und lesenswert.

Letzteres gilt ebenso für die Schumpeter-Biografie von Annette Schäfer. In anderer Hinsicht unterscheidet sie sich jedoch grundlegend. Schäfer erhebt nicht den Anspruch von Wissenschaftlichkeit. Anders als McCraw weicht sie mit ihrer Gliederung von der chronologischen Reihenfolge ab. Sie beginnt mit der endgültigen Ankunft in Harvard im Jahr 1932 und erzählt das Leben Schumpeters von dort aus gewissermaßen in einer Mischung aus Vor- und Rückschauen. Teilweise sind Kapitel auch bestimmten einzelnen Themen gewidmet wie seinen (zahlreichen) Beziehungen zu Frauen (S. 109-143) oder seiner Rivalität mit Keynes (S. 144-167). Diese Gliederung macht es dem Leser nicht immer leicht zu folgen.

Insgesamt erweckt das gut lesbare Buch den Anschein, als wolle Schäfer in erster Linie ihre Faszination von Joseph A. Schumpeter mit einer breiten Leserschaft teilen. So äußert sie selbst im Vorwort, dass die „psychologischen Aspekte immer mehr in den Vordergrund“ traten (S. 8) und zählt dann unter anderem Schumpeters „chronische Depression“, seine „Tendenz zum Außenseitertum“ und die „neurotisch anmutende Trauerarbeit um die verstorbene Ehefrau sowie die tote Mutter“ auf (ebd.). Insgesamt reizt sie offenbar die Ambivalenz und die Tragik im Leben ihres Protagonisten. Dies bringt vor allem ihr Schlusssatz zum Ausdruck: „Dass Schumpeter die Köpfe und Herzen anderer erhellte, während er sich selbst mit düsteren Gedanken quälte, war vielleicht die größte Tragik seines Lebens. Gleichzeitig war es aber auch seine größte Leistung.“ (S. 220) Demgegenüber kommen Schumpeters inhaltliche Beiträge zu den verschiedenen Teilgebieten der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften leider zu kurz. Dennoch schafft es auch Annette Schäfer, nachhaltiges Interesse an Leben und Werk zu wecken. Für eine erste Annäherung an den großen Ökonomen ist das Buch – insbesondere für Fachfremde – durchaus zu empfehlen.

Zum Abschluss seien trotz der insgesamt positiven Bewertung der beiden Werke einige kritische Hinweise angefügt. Beide Biografen behandeln Schumpeters gespanntes Verhältnis zu John Maynard Keynes. Annette Schäfer reserviert dafür ein ganzes Kapitel mit dem vielsagenden Titel „Das Pech, ein Zeitgenosse Keynes’ zu sein“. Thomas McCraw folgt ebenfalls dieser Bewertung, auch wenn er immerhin eine zeitliche Eingrenzung vornimmt: „From 1936 until the end of his life, a specter haunted Joseph Schumpeter, and that specter was John Maynard Keynes“ (S. 274). Ganz typisch konstatieren beide Biografen fundamentale intellektuelle Differenzen zwischen den beiden großen Ökonomen, aber eben auch eine gehörige Portion Neid Schumpeters angesichts des durchschlagenden Erfolgs von Keynes’ 1936 veröffentlichter „General Theory“. Tatsächlich fällt es vergleichsweise leicht, einen Gegensatz zwischen Schumpeter und Keynes aufzubauen. So wird Keynes mit einer kurzfristigen Sichtweise identifiziert, einer Beschränkung auf die Nachfragebedingungen in der Volkswirtschaft, einem Misstrauen in die Fähigkeit der Marktwirtschaft zur Vollbeschäftigung und der Vermischung von theoretischer Analyse und politischen Handlungsempfehlungen. Schumpeter gilt dagegen als langfristig orientierter Ökonom, der zudem auf die Selbstheilungskräfte der Marktwirtschaft setzte, die Angebotsbedingungen (Unternehmertum, Kredit) in den Mittelpunkt stellte und streng zwischen wissenschaftlicher Analyse und Wirtschaftspolitik unterschied.

Auch wenn diese Gegenüberstellung ihrerseits zugespitzt ist, so stimmt sie im Kern doch mit den Darstellungen bei Schäfer und McCraw überein. An diesem Punkt offenbaren beide Biografen einen Hang zur Vereinfachung und zur Übernahme von gängigen Interpretationsmustern, ohne sie in Frage zu stellen. So müsste mindestens angemerkt werden, dass Keynes und Schumpeter in den 1920er-Jahren durchaus freundschaftlich oder zumindest respektvoll miteinander verkehrten, wie ihre Korrespondenz zeigt.6 Auch wäre darauf hinzuweisen, dass Keynes sehr wohl eine langfristige Perspektive entwickelt hatte – die allerdings eine gänzlich andere als diejenige Schumpeters war. Diese Hinweise zeigen, dass die einfache Gegenüberstellung der beiden Ökonomen so nicht zutrifft. Zumindest einige qualifizierende Bemerkungen wären für beide Biografien angezeigt gewesen. Besonders bei McCraw wäre zudem die klarere Einordnung von Schumpeters Forschungsprogramm in die damaligen Strömungen der Disziplin wie der (deutschen) Historischen Schule, der Österreichischen Schule und der sich im angelsächsischen Bereich entwickelnden Neoklassik wünschenswert gewesen. Gerade dies ist einigen der bereits vorliegenden Biografien deutlich besser gelungen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Blomert, Reinhard, John Maynard Keynes, Reinbek 2007; Fitzi, Gregor, Max Weber, Frankfurt am Main 2008; Weitz, Bernd O. (Hrsg.), Bedeutende Ökonomen, München 2008; Rothschild, Kurt W., Die politischen Visionen großer Ökonomen, Bern 2004.
2 Giersch, Herbert, The Age of Schumpeter, American Economic Review 74 (1984), S. 103-109; ders., Economic Policies in the Age of Schumpeter. Joseph Schumpeter Lecture, in: European Economic Review 31 (1987), S. 35 –52.
3 Vgl. Diamond, Arthur M., Schumpeter vs. Keynes: “In the Long Run Not All of Us Are Dead”, Working Paper, August 11, 2006, online verfügbar unter <http://www.artdiamond.com/DiamondPDFs/SchumpKeynes05.pdf>; Diamond, Arthur M., Thriving at Amazon: How Schumpeter Lives in Books Today, in: Econ Journal Watch 4 (2007), S. 338-344 (online verfügbar unter <http://www.econjournalwatch.org/pdf/DiamondEconomicsInPracticeSeptember2007.pdf>.
4 Vgl. etwa Swedberg, Richard, Schumpeter. A Biography, Princeton 1991; Stolper, Wolfgang F., Joseph Alois Schumpeter, The Public Life of a Private Man, Princeton 1994; Kesting, Peter, Zwischen Neoklassik und Historismus: das ökonomische Werk Joseph A. Schumpeters aus methodologischer und theoriegeschichtlicher Perspektive, Marburg 1997.
5 Vgl. etwa Fagerberg, Jan, Schumpeter and the revival of evolutionary economics: an appraisal of the literature, in: Journal of Evolutionary Economics 13 (2003), S. 125-159; Scherer, Frederic M., Schumpeter and Plausible Capitalism, in: Journal of Economic Literature 30 (1992), S. 1416-1433.
6 Vgl. Seidl, Christian, Schumpeter addressing Keynes, in: History of economic ideas 4 (1997), S. 169-180.

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