Cover
Titel
Raphael Lemkin and the Struggle for the Genocide Convention.


Autor(en)
Cooper, John
Erschienen
Anzahl Seiten
338 Seiten
Preis
£ 55.-
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Jost Dülffer, Historisches Seminar, Universität zu Köln

Die beiden Bestandteile des Buchtitels kennzeichnen recht gut sehr unterschiedliche Intentionen des im Ruhestand befindlichen britischen Anwalts und studierten Historikers. Leider passen sie nicht so gut zusammen, wie der Autor sich das denkt. Raphael Lemkin (1900-1959) gilt als Erfinder oder gar als Vater der Genozid-Konvention der UNO, die 1948 unterzeichnet wurde und 1951 in Kraft trat. Sein Nachlass ist vielfältig zerstreut und so hat dieser Autor in bislang unerreichter Breite diese Papiere ausfindig gemacht und ausgewertet. Ursprünglich hieß er Rafał Lemkin, entstammte einem kleinen Stetl in Wolhynien im Nordosten Polens. Jüdische und polnische Identität spielten für ihn gleichermaßen eine Rolle. Der studierte Jurist knüpfte bald internationale Kontakte in Europa, dann auch in den USA. Konkrete Anschauung über die Behandlung von Juden in seiner Region, die Nichtbeachtung des polnischen Minderheitenvertrages von 1919 in diesem Land und dessen Aufhebung 1935 führten ihn zu einer Beschäftigung mit Minderheitenschutz. Eben daraus leitete sich ab: Schon 1933 gibt es von ihm Ausführungen in Richtung auf das Ziel einer Bestrafung von kulturellem Genozid. Den Begriff hat er – so Dirk Moses – nie selbst verwendet.1 Dann war er eher rechtsvergleichend tätig. Nach dem deutschen Einmarsch in Polen floh er in verschiedenen Etappen schließlich in die USA, wo er zunächst an der Duke University, nach dem Krieg an der Yale University Völkerrecht lehrte. Im Krieg stellte er eine Sammlung publizierter deutscher Anordnungen zur Besatzungsverwaltung zusammen, die 1944 in ein monumentales historisches Werk „Axis rule in occupied Europe“ mündeten – ein wichtiges Referenzwerk auch anschließend für die Aufklärung über NS-Verbrechen. Hier fiel auch seine Prägung des Begriffs „genocide“. Im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess suchte er Einfluss zu nehmen auf die Aufnahme des Genozids als Straftatbestand, was misslang. Immerhin soll er für die Fassung des Anklagepunkts der Organisationsverbrechen wichtig gewesen sein. Aus dieser Enttäuschung erwuchs sein Engagement für eine spezielle UN-Konvention, da auch in der UN-Charta selbst der Tatbestand nicht auftauchte. Das gelang schließlich 1948/51 unter anderem durch eine rege Lobby- und Vortragstätigkeit Lemkins in Europa, den USA und vor allem gegenüber Diplomaten, Menschenrechtsorganisationen und vielen anderen Gruppierungen staatlicher und nichtstaatlicher Art.

In diesen Jahren vernachlässigte er in Yale seine Lehrtätigkeit, lebte nach seiner Entlassung von privaten Zuwendungen, verfasste eine welthistorische Materialsammlung mit langen Ausarbeitungen zu einzelnen Fällen von Genoziden, die jedoch unpubliziert blieb. Cooper referiert in zwei Kapiteln wesentliche Inhalte dieses Rohmanuskripts in langen Zitaten und sucht sie im Lichte der gegenwärtig entwickelten Genozidforschung zu erhärten oder zu korrigieren. Das ist insgesamt nicht sehr ergiebig, dringt es doch kaum über eine Addition hinaus, vermag vor allem keine wirkliche intellektuelle Biographie Lemkins zu geben. Da haben sich andere Autoren, oft in kürzeren Aufsätzen bereits präziser geäußert.2 Darüber hinaus: Lemkin war offenbar streitsüchtig, hatte zahlreiche Frauen, an die er sich je nur kurzzeitig band, war rechthaberisch, verkrachte sich auch mit guten Freunden und starb schließlich verarmt. Das alles wird kritisch erwähnt.

So viel an neuen detaillierten Schilderungen Cooper auch beizubringen vermag, so stören doch einige Dinge sehr. So habe Lemkin sehr früh Hitlers „Mein Kampf“ gelesen und somit gewusst, dass dieser "die Juden wie Würmer zerstören werde" (S. 36). Mit Blick auf das Jahr 1941 jedoch heißt es: „why should Lemkin... suspect that Germany was planning the mass murder of Jews?“ (S. 38). Lemkins Autobiographie blieb ungedruckt, ist nach Cooper in vielem unzuverlässig; dennoch sind lange Passagen wörtlich diesen ausgeschmückten Selbststilisierungen Lemkins nacherzählt – so auch Zitate über Alpträume des in USA lebenden Lemkin über den Tod der Eltern (sie wurden wie der überwiegende Teil seiner Familie tatsächlich umgebracht). Das ist bisweilen fragwürdig bis unseriös. Das gleiche gilt mit Vorbehalt von dem Preis der Leistungen Lemkins. Es waren nicht weniger als „superhuman efforts“ (S. 4), die er auf sich nahm. Das liest sich manchmal als reine Helden-, fast schon Heiligengeschichte, indem die durch Gesundheitsprobleme behinderten Aktivitäten Lemkins aus den Akten berichtet werden und fast immer den Ausschlag für künftige Handlungen zu geben scheinen. Das ist sogar mit dem Material des Autors sehr häufig nicht wahrscheinlich.

Das führt zur zweiten Leistung Coopers: der minutiösen Rekonstruktion der Entstehung der Genozidkonvention. In diesen Kernkapiteln führt der Autor wie angedeutet die Verhandlungen auch aufgrund anderer staatlicher Akten aus unterschiedlichen Archiven minutiös vor, wie es nach meiner Kenntnis bisher noch nicht geschehen ist. Aber die Lektüre ist hartes Brot, da die einzelnen diplomatischen Schritte einer nach dem anderen sehr im Detail vollzogen werden. Aus sehr unterschiedlichen Gründen waren alle Großmächte gegen eine solche Konvention, da sie je nach Fassung selbst davon betroffen sein konnten – die Kolonialmächte für ihr entsprechendes Vorgehen, die USA wegen der Afroamerikaner und Native Americans, die Sowjetunion wegen ihrer nie eingestandenen Massenmorde. Das wird immer aus der Perspektive Lemkins angeführt, der immer wieder Diplomaten bei UN-Verhandlungen überredet dieses oder jenes in seinem Sinne zu tun. Die indische Delegierte Pandit (eine Schwester Nehrus) unterstützte eine UN-Vollversammlungsresolution – und schon rennt Lemkin zwei Stunden vor Ablauf der Frist zum Generalsekretär um die Resolution der Vollversammlung vom November 1946 zu sichern. Kein Wort von der bevorstehenden Unabhängigkeit und den zu erwartenden tödlichen Konflikten bei der Trennung in Indien und Pakistan im folgenden Jahr, die später nur einmal kurz als Argument für Massentötungen gestreift werden.

So umfassend die Lobbyarbeit Lemkins auch ausgebreitet wird – gegenüber Skandinaviern, gegenüber Südamerikanern, vor allem mit dem australischen Außenminister –, so wenig überzeugt die Einordnung als genuine Erfolge Lemkins. Bisweilen wird richtig eine britische und sowjetische Obstruktion der ganzen Genozid-Konvention berichtet, auch mit deren Argumenten. Dies macht dann doch deutlich, dass Staaten und deren Regierungen oft ganz andere Motive hatten als „die“ Genozidkonvention. Insbesondere die inneramerikanische Debatte seit 1942 und auch nach der Zeichnung der Deklaration wird breit und quellennah dargestellt. Hier hat es den Anschein, dass jüdisch-christliche Gruppen und hier der eine Generation ältere James Rosenberg oft viel wichtiger waren als Lemkin, der sich schließlich mit diesem verkrachte. Nur am Rande bekommt der Leser mit, dass die USA tatsächlich nicht ratifizierten, wobei vor allem eine Südstaaten-Lobby wichtig war – der US-Beitritt geschah rechtskräftig erst am 25. November 1988. Auch die Sowjetunion, deren Haltung Lemkin nach Cooper (und gegen andere Autoren) immer kritisch sah, war erst seit 1954 dabei.

Das führt zu einer ganz wichtigen Erkenntnis aus Coopers Material, das er aber nicht selbst hervorhebt oder analysiert: Lemkin strebte seit 1933, dann im Zweiten Weltkrieg und im Rahmen der UNO eine Konvention an, die auch auf einen kulturellen Genozid abzielte und eine internationale Gerichtsinstanz schaffen wollte. Beides kam bekanntlich in seiner Zeit nicht zustande. Die verabschiedete Konvention verbot die ganze oder teilweise Zerstörung von nationalen, ethischen, rassischen oder religiösen Gruppen – nicht jedoch von politischen. Als Instanzen wurden zunächst die nationalen Gerichte genannt und erst in zweiter Linie ein entsprechender, neu zu schaffender internationaler Gerichtshof. Etliche Staaten behielten sich die Unterstellung unter letzteren ausdrücklich vor.

Von besonderem Interesse ist hier der kulturelle Genozid. Bis in die Entwürfe von 1948 hatte Lemkin den von ihm als entscheidend angesehenen Begriff in Artikel 3 durchgehalten, welcher die Zerstörung von Sprache, Religion oder Kultur im täglichen Gebrauch in Schulen und Öffentlichkeit durchsetzen wollte (S. 123 und öfter). Das beruhte auf seinen Herkunftserfahrungen und auf der NS-Herrschaft gleichermaßen, war aber wesentlich weniger als die massenhafte Tötung von Menschen.3 Genau dies schien nicht nur den USA, sondern auch anderen großen Mächten als untragbar. Lemkin scheiterte also in seinen beiden zentralen Punkten – und genau das legt Cooper nicht dar, wenn er nur die Tatsache erwähnt, dass der Menschenrechtler später nicht nur für die Ratifikation von mindestens 20 Staaten eintrat (sie waren für die Gültigkeit der Konvention erforderlich), sondern auch für deren Erweiterung.

Fasst man zusammen, so findet sich eine allzu sehr ins Detail verliebte Rekonstruktion von Lebenslauf und publizistischem Lebenswerk Lemkins sowie der innerstaatlichen und vor allem internationalen Entscheidungsprozesse zur Entstehung der Genozidkonvention von einer Resolution der Vollversammlung 1946 über die Behandlung im frühen ECOSOC bis hin zur allgemeinen Konvention. Nur: der Materialsammler sieht oft den Wald vor Bäumen nicht. Oder: für einen kritischeren Leser ordnen sich die Bäume zu einem ganz anderen Wald, als ihn der Autor zeichnet. Einzelne Sachfehler, Schreibfehler 4, Schludrigkeiten, Informationsbezug auf zweiter Hand 5 und Selbstgewißheiten bei mangelnder analytischer Durchdringung kommen leider hinzu. Ein nützliches, aber leider kein gutes Buch.

1 Moses, Dirk, The Holocaust and Genocide. In: Stone, Dan (Hrsg.), The Historiography of the Holocaust, New York 2004, S. 533-551, hier S. 541.
2 Vgl. etwa Kraft, Claudia, Völkermorde im 20. Jahrhundert. Rafal Lemkin und die Ahndung des Genozids durch das internationale Strafrecht. In: Hösler, Joachim; Kessler, Wolfgang (Hrsg.), Finis mundi. Endzeiten und Weltenden im östlichen Europa, Festschrift Hans Lemberg, Stuttgart 1998, S. 91-111.
3 Die im Jahr 2008 vom Dalai Lama für Tibet gebrauchte Wendung des Begriffs „cultural genocide“, die zumeist in den westlichen Medien heftig abgelehnt wird, scheint auf einer genaueren Kenntnis eben dieser Debatten der Jahre 1946 bis 1948 zu beruhen.
4 Z.B. „Hederian romantic approach“ bezieht sich auf J.G. Herder, der an anderen Stellen richtig geschrieben, aber kaum richtig verstanden wird (S. 240).
5 Bei den Versuchen Lemkins auch über den NS-Genozid sucht Cooper nach Maßstäben und findet sie mit einem Zitat von Richard Evans, dem zufolge Andreas Hillgruber die nicht qualitativ andere Art des NS-Genozids behauptet und damit relativiert habe (S. 253). Daneben zitiert er aber auch mehrere andere gegenwärtige Autoren, die Ähnliches darstellen- hier jedoch ohne Kritik. Fairerweise sei hinzugefügt, dass auch Cooper Lemkin vorwirft, fälschlich von einer Vielzahl von Genoziden ausgegangen zu sein und den singulären Charakter der Vernichtung der europäischen Juden falsch eingeordnet zu haben; gerade da setzen die heutige Debatten ein.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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