K. Stokłosa u.a. (Hrsg.): Glaube - Freiheit - Diktatur

Cover
Titel
Glaube - Freiheit - Diktatur in Europa und den USA. Festschrift für Gerhard Besier zum 60. Geburtstag


Herausgeber
Stokł osa, Katarzyna; Strübind, Andrea
Erschienen
Göttingen 2007: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
894 S.
Preis
€ 79,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felix Krämer, Hamburg

Aufgrund ihrer Komplexität und Vielfalt stellen Sammelbände in der Regel für ihre RezensentInnen eine Herausforderung dar. Im Falle des zu besprechenden Buches mit dem verheißungsvollen Titel „Glaube – Freiheit – Diktatur in Europa und den USA“ gilt dies auch, allerdings mit der Einschränkung, dass es sich um eine Festschrift handelt, die – wie für diese Textsorte üblich – entlang der Wirkungskreise und Themenschwerpunkte eines Jubilars strukturiert ist. 1 Der vorliegende Band ist dem (Kirchen-)Historiker und Theologen Gerhard Besier zum 60. Geburtstag gewidmet. Dessen Werk sei „von geradezu enzyklopädischer Breite“, betonen die Herausgeberinnen Katarzyna Stokłosa und Andrea Strübind in der Einleitung zu der knapp 900 Seiten starken Jubiläumsschrift (S. 11). So personenzentriert eine solche Festschrift ab initio angelegt sein mag, spiegeln die 50 Beiträge doch eine breite Palette von Betrachtungen aus unterschiedlichen religionstheoretischen, zeit- wie ideengeschichtlichen Kontexten auf dem hochaktuellen Feld der Religionsforschung. Das Buch ist in drei übergeordnete Bereiche untergliedert, von denen der erste Part Forschungen zur Historischen Theologie beherbergt, der zweite Fragen nach religiösen Minderheiten fokussiert, der dritte das weite Feld der europäischen und nordamerikanischen Zeitgeschichte im Hinblick auf das Verhältnis von Glaube und Gesellschaft betreibt. Im Folgenden werden kursorisch einzelne Beiträge aus den drei übergeordneten Schwerpunkten herausgegriffen, um auf diesem Wege Spannweite und Richtung des Bandes zu skizzieren.

Bei Betrachtung des ersten Schwerpunktes mit dem Titel „Historische Theologie in praktischer, systematischer und ökumenischer Perspektive“ fällt in den Blick, dass dieser Teil im Besonderen Gerhard Besiers Beschäftigung mit der Frage nach der Rolle von Religionsgemeinschaften im Bezug auf Diktatur und Widerstand im Kontext mit deutscher Geschichte im 20. Jahrhundert spiegelt (S. 12ff.). So behandelt der erste Beitrag des schwedischen Historikers Anders Jarlert das Widerstandspotential evangelischer Kirchen in Europa während der Zeit der nationalsozialistischen Diktatur. Eingehend lokalisiert Jarlert den Begriff des Widerstandes unter historisch-theologischem Blickwinkel und rückt vor allem eine kontinentale Perspektive in den Vordergrund, die das Sichtfeld für die praktischen Bedingungen für Interventionen weitet, die zwischen 1933 und 1945 europaweit in protestantischen Gemeindeverbünden auszumachen sind (S. 41ff.). Dagegen fokussiert Robert P. Ericksen Kollaboration und Unterstützung der Nationalsozialisten durch evangelische Kreise in Deutschland vor allem in der frühen Phase der nationalsozialistischen Herrschaft. Die Mitherausgeberin des Bandes Andrea Strübind verfolgt den – wie sie eingangs hervorhebt – immer noch recht spärlich beackerten Bereich der Freikirchenforschung (S. 113). Sie stellt das Verhältnis von baptistischen Gemeinden zu Antisemitismus und Judenverfolgung im Dritten Reich anhand von bis dato unerschlossenen Quellen dar. Ein Beispiel dafür findet sich in den Tagebüchern des baptistisch-jüdischen Laienpredigers Josef Halmos, welcher nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten 1933 Schritt um Schritt aus seiner selbst mitbegründeten Münchner Gemeinde gedrängt und schließlich zehn Jahre später 1943 in Auschwitz ermordet wurde. Strübind kontrastiert den Zusammenhang mit Aussagen von Halmos’ ehemaligem ‚Sonntagsschülers’ Karl Fiehler, später selbst NS-Oberbürgermeister von München (S. 126).

Einen Sprung weiter in Richtung Gegenwart seziert Maria D. Mitchell politikgeschichtlich die Genese der Christlich Demokratischen Union nach dem Zweiten Weltkrieg in der Frühphase der Bundesrepublik. Sie erklärt, wie und warum (inter)konfessionelle Fragen eine solch entscheidende Rolle bei der Parteigründung 1945 und im weiteren Verlauf der CDU-Geschichte gespielt haben (S. 159f.). Eine lesenswerte und im Bezug auf kirchengeschichtliche Methodologie und Theorie nicht nur für religionshistoriografisch unerfahrene Laien interessante Darlegung gelingt dem Theologen Torleiv Austad, der die Unterschiede und Wechselwirkungen zwischen historischer und systematischer Herangehensweise an (zeit)geschichtliche Zusammenhänge herausarbeitet (S. 173). Forschungen zur Geschichte der Katholischen Kirche sind in den Beiträgen von Urs Altermatt und Josef Pilvousek vertreten. Altermatt beschreibt die neuen Tendenzen der Katholizismusforschung und hebt dabei jene kulturalistische Wende, die in den 1990er-Jahren in der Geschichtswissenschaft debattiert wurde, als besonders ertragreich für die Kirchengeschichte hervor. Anders herum würden sich religionsgeschichtliche Perspektiven mit der Kulturgeschichtsschreibung zu einer „histoire religieuse“ verdichten lassen, die Zirkulationen von Ideen und Wissen sowie die Bedeutungen von Symbolen und Riten treffender in der Gesellschaftskultur verorten könnten. Er stellt fest: „Das Katholische Milieu ist nicht losgelöst vom soziokulturellen Kontext und somit von den Interaktionen mit anderen Konfessionskulturen sowie anderen Sozialmilieus zu sehen.“ (S. 281) Der Erfurter Kirchenhistoriker Pivousek untersucht die Auswirkungen des Zweiten Vatikanischen Konzils auf die Katholische Kirche in der DDR und analysiert diese Geschichte verdichtet zwischen 1966 und 1973 anhand des Wirkens der „Berliner Ordinarienkonferenz“ (BOK) (S. 287ff.). Darüber hinaus widmen sich auf Gegenwartsprobleme bezogene Aufsätze wie der des Rechtswissenschaftlers Martin Kriele dem Verhältnis zwischen Wissenschafts- und Gottesglaube in Neuzeit und Moderne (S. 359ff.) sowie Reijo E. Heinonens Text der Frage nach Dialogkompetenz und global-ethischen Werten in gegenwärtigen Konflikten (vgl. S. 419ff.).

„Religiöse Minderheiten und rechtsstaatliche Ordnung“ lautet die Überschrift des zweiten Schwerpunktes. Verhältnisse von Kirchen und Glaubensgemeinschaften zu staatlichen Ordnungen werden hierin thematisiert. Öffentliche Artikulationsmöglichkeiten und -formen religiöser Überzeugungen stehen im Zentrum jener Artikel, die um Positionen religiöser Minderheiten en gros in westlichen Gesellschaften kreisen. Diese Fragen reflektieren wiederum einige der von Besier beackerten Beschäftigungsfelder (vgl. S. 25). Der abschließende Beitrag dieses Blockes von Bassam Tibi birgt eine graduelle Abweichung zur ansonsten eher westlich ausgerichteten Linie des Buches. Sein Text mit dem recht ausgreifenden Titel „Schari’a und religiöse Minderheiten im Schatten der Schari’atisierung des Rechts. Politischer Islam versus religiöser Pluralismus und Toleranz der Religionen in der islamischen Welt“ thematisiert die eurozentrischen Zentrifugen zumindest teilweise (S. 583ff.). Allerdings stellen auch Tibis Erläuterungen den eurozentrischen Grundtenor des Bandes nicht entscheidend in Frage, da er schematisch zwischen einem mit westlichen Werten kompatiblen ‚Islam des Friedens’ und einer (illegitimen) politischen Shari’a-Bewegung unterscheidet, was durchaus eine klarere kontextuelle sowie machttheoretische Verortung verdient gehabt hätte.2 In der Konzeption des in New York und in Göttingen lehrenden Politologen Tibi erscheint jedenfalls das einzige Versagen seitens ‚des Westens’ in einer Art Übertoleranz gegenüber einem sich als radikal gebärdenden Islamismus zu liegen (S. 605f.).

Kehren wir nach dem Ausflug zum Ende des Kapitels zurück zur Chronologie des zweiten Schwerpunktes. Zunächst erörtern der Jurist Derek H. Davis und der Politologe Charles McDaniel im Eingangsbeitrag des Blockes die Rechtsprechung des Supreme Court zu religiösen Äußerungsmöglichkeiten im Verlauf der US-Geschichte (S. 423ff.). In einem zweiten Schritt analysieren sie Versuche der Einflussnahme religiöser Gruppen auf die Bundespolitik in Washington. Sich auf einer anderen Seite desselben Feldes bewegend, beschreibt der amerikanische Religionswissenschaftler Charles H. Lippy Abgrenzungs- und Überlebensstrategien religiöser Minderheiten in einer vor allem durch den Protestantismus geprägten nordamerikanischen Kultur (S. 459ff.). Dabei macht er historisch ganz unterschiedliche Strategien zwischen Abgrenzung und Anpassung seitens der Katholiken, jüdischen Gemeinschaften, Mormonen, Hindus und Buddhisten aus. Ihm zufolge hatten Katholiken und Mormonen ihr Heil eher in einer Abgrenzung zur vorherrschenden Glaubenskultur gesucht – mit eigenen Ausbildungssystemen beispielsweise – Hindus, Buddhisten und jüdische Gemeinden dagegen eine flexiblere Anlehnung an hegemoniale Traditionen der Kultur der Mehrheitsgesellschaft praktiziert. Hubert Seiwert weist auf die blinden Flecken in der US-Außenpolitik im Hinblick auf die Relevanz religiöser Gruppen insbesondere in muslimischen Gesellschaften hin. Der 1998 vom US-Kongress verabschiedete „International Religious Freedom Act“ (IRFA) sei eine aus der amerikanischen Geschichte erklärbare politische Konsequenz. Das dürfe die US-Außenpolitik aber nicht dazu verleiten, nationale Auffassungen über internationale Aushandlungsprozesse zu stellen und auf Grundlage unilateraler Politiken und Rechtsauffassungen eine international isolierte Position militärisch durchzusetzen (S. 489). Neben Forschungen, die Mikko Ketola zum Opus Dei in Finnland vorstellt (S. 491ff.) und einem Text des Philologen Max Wöhrnhard zur Geschichte der Zeugen Jehovas in der Schweiz (S. 501ff.), stellt der Text von Johannes Neumann eine eindrucksvolle Darlegung geschichtlicher Ambivalenzen gespickt mit ausgreifenden historischen Beispielen im Bezug auf die Säkularisierungsprozesse im deutschsprachigen Raum seit dem Jahre 1803 dar. Michael Wolffsohn beschreibt das historische Verhältnis von Christen- und Judentum auf politischen und theologischen Ebenen und schlussfolgert, dass die beiden Religionen macht- und gewalttheologisch in ihren Bildern und ihrer Sicht auf „Gott und die Welt“ weit voneinander entfernt bleiben (S. 566).

Der dritte und letzte Themenblock bewegt sich innerhalb der Spannweite zwischen westlichen Freiheitstraditionen und ihrer Negationen, nämlich Diktatur und Totalitarismus. Unter der Überschrift „Europäische und nordamerikanische Zeitgeschichte“ beginnt der Block mit einem Versuch den virulenten Totalitarismusbegriff genauer zu fassen. Uwe Backes – Stellvertreter Besiers am Hannah Arendt Institut für Totalitarismusforschung – nähert sich dem Thema, indem er den Begriff der Herrschaft differenziert und verschiedene Autokratieformen typisiert. Auch wenn er gegen Ende seiner Ausführungen anmerkt, dass die verschiedenen Formen seiner Typologie nie ein genaues Abbild historischer Realität(en) darstellen könnten, soll sein Ansatz doch auf der anderen Seite helfen, die jeweiligen Herrschaftsgefüge, Eigenarten der Ideologien und spezifische Dynamiken derjenigen Systeme genauer beschreibbar zu machen, die als „totalitär“ bezeichnet werden (vgl. 624f.). Die weiterführende Frage bleibt allerdings, wer, wann und von welcher historischen und gesellschaftlichen Position heraus ein Regime, einen Staat, eine Gesellschaftsform etc. als totalitär bezeichnen kann. – Diese Frage müsste wiederum auf Grundlage einer diskurstheoretisch fundierten Machtanalyse bearbeitet werden. Hermann Lübbe befasst sich mit der Bedeutung des Begriffes „Zivilreligion“ in Deutschland komparativ zu seiner Verwendung in den USA. Den von Niklas Luhmann bereits 1968 aktualisierten Begriff, der auf Rousseau zurückgeht, erklärt Lübbe anhand verschiedener relativ aktueller Beispiele, wie dem Kruzifix-Streit oder anhand von Gottesbezügen, die in Präsidentenreden auftauchen. Er veranschaulicht auf diesem Wege Dimensionen von religiösen Elementen in der deutschen wie nordamerikanischen (Staats-)Kultur. Er plädiert dafür, den Begriff der Zivilreligion ernst zu nehmen, da dieser hilfreich sei: „religionskulturelle Bestände diesseits wie jenseits des Atlantiks etwas differenzierter als gewohnt zu beschreiben“ (S. 638). Der Heidelberger US-Historiker Detlef Junker beschreibt in seinem Beitrag den Einfluss des evangelikalen Fundamentalismus auf die US-Außenpolitik (S. 643ff.). Axel Kreienbrink belichtet in seinem Aufsatz Versuche, Migrationsdiskurse und -wellen in Spanien während der Zeit des Franco-Regimes (1939-1975) nationalistisch zu lenken und zu deuten (S. 771ff.).

Eine Reihe osteuropäischer BeiträgerInnen zeigen Besiers Hinwendung zu Themen an, die ostmitteleuropäische Geschichte(n) und Gesellschaften wie beispielsweise polnische und tschechische betreffen (vgl. S. 35). So nimmt der polnische Historiker Andrzej Grajewski in seinem Artikel gegen den Vatikan gerichtete Aktivitäten kommunistischer Geheimdienste unter die Lupe (S. 809ff.). Der Kirchenhistoriker Jerzy Myszor beschreibt die Struktur der konfessionellen Landschaft in Polen nach Ende des Zweiten Weltkrieges und zeigt Beeinflussungs- und Unterdrückungsverhältnisse – vor allem nicht-römisch-katholischer Gemeinschaften in der Volksrepublik Polen auf (S. 825ff.). Kristina Kaiserová historisiert das Verhältnis zwischen Deutschen und Tschechen in Böhmen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges (S. 839ff.). Mit einer Facette der politisch-philosophischen Reflexionen Hannah Arendts beschließt der letzte Beitrag den Band. Passend, denn wie bereits erwähnt ist Gerhard Besier seit 2003 Direktor des Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung in Dresden und hat sich auch selbst mit den Haltungen der Namensgeberin zur Freiheit auseinandergesetzt. Der Pariser Germanist Gilbert Merlio zeigt in seinem Text „Einige Gedanken über das Verhältnis Hannah Arendts zu Deutschland“ – vornehmlich anhand ihres Briefwechsels mit Karl Jaspers – Arendts ambivalentes Verhältnis zu Deutschland und beschreibt ihre Kritik an den Verdrängungsmechanismen in der Bundesrepublik der 1950er- und 1960er-Jahre (v.a. S. 868ff).

Insgesamt lässt sich ein Sammelband resümieren, der sowohl sehr interessante als auch weniger spannende Analysen zu Religion, Theologie und Geschichte birgt. Eine eingehendere Beschau medialer Dimensionen von religiösen Ausdrucksformen hinsichtlich gegenwärtiger Fragen wäre darüber hinaus interessant gewesen. Konfliktbebilderung und Stereotypisierungen ‚des Anderen’ hätten so noch deutlicher in die Gesamtkonzeption der Religions- und Zeitgeschichte einbezogen werden können. Zu kurz gekommen sind außerdem Ansätze, die Religiosität und Glaubensformationen in der Geschichte der Moderne mit neueren kulturgeschichtlichen oder diskursanalytischen Ansätzen untersuchen. Nichtsdestoweniger ist Gerhard Besier – wie auch die internationale Zusammensetzung der im Band vertretenen AutorInnen beweist – mit etlichen Arbeiten für die Disziplin der Kirchengeschichte und für eingehendere Fragen nach Formationen von Glaube, Religiosität und Theologie aus historischer Perspektive seit gut 30 Jahren ein wichtiger Bezugspunkt in der Forschungslandschaft. Das gilt eben nicht erst, seit Fragen nach Religionen und deren kultureller Bedeutung in den letzten Jahren wieder an politischer Brisanz gewonnen haben.

Anmerkungen:
1 Vgl. eine weiterführende Idee zu der Organisationsfunktion der Autorschaft: Foucault, Michel, Was ist ein Autor? in: Engelmann, Jan (Hrsg.), Michel Foucault, Botschaften der Macht. Reader Diskurs und Medien, Stuttgart 1999, S. 30-48.
2 Vgl. zur kulturwissenschaftlichen Eurozentrismuskritik folgenden Sammelband: Conrad, Sebastian; Randeria, Shalini (Hrsg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main u.a. 2002.

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