M. F. Giandrea: Episcopal Culture in Late Anglo-Saxon England

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Titel
Episcopal Culture in Late Anglo-Saxon England.


Autor(en)
Giandrea, Mary Frances
Reihe
Anglo-Saxon Studies
Erschienen
Woodbridge 2007: Boydell & Brewer
Anzahl Seiten
264 S.
Preis
£ 50.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dominik Waßenhoven, Mittelalterliche Geschichte, Universität Bayreuth

Als „Ein Europa der Bischöfe“ charakterisierte Timothy Reuter in seinem gleichnamigen Aufsatz die Bedeutung von Bischöfen in der Zeit um die erste Jahrtausendwende.1 Dieser Bedeutung wurde in der Forschung zum ostfränkischen Reich auch Rechnung getragen, wohingegen die Bischöfe des angelsächsischen England bislang nur wenig Beachtung gefunden haben. Hier will Mary Frances Giandrea mit der erweiterten Fassung ihrer Dissertation Abhilfe schaffen. Im ersten Kapitel („(Re)Writing History“) stellt sie zunächst die Quellenlage dar und geht ausführlich auf die nach der normannischen Eroberung von 1066 entstandene Historiographie ein, die das Bild von der angelsächsischen Gesellschaft – teils bewusst – umdeutete und auch auf die moderne Forschung prägend wirkte. Giandreas Fazit, dass die wichtigsten Historiographen des 12. Jahrhunderts viel über die Mentalität ihrer eigenen Zeit verraten, für verlässliche Aussagen zur angelsächsischen Geschichte aber nur mit äußerster Vorsicht zu gebrauchen sind, setzt sie in den folgenden Kapiteln selbst konsequent um, nicht ohne zu berücksichtigen, dass auch die Quellenzeugnisse aus der angelsächsischen Zeit oft problematisch sind. Im Gegenteil ruft sie die äußerst schwierige und häufig ambivalente Quellenlage immer wieder ins Gedächtnis. In den übrigen fünf Kapiteln des Buches widmet sich Giandrea den unterschiedlichen Aufgabenfeldern eines Bischofs, wobei ein graduelles Vorgehen vom gesamten Königreich bis zur lokalen Ebene auszumachen ist.

Das Verhältnis der Bischöfe zum König wird im zweiten Kapitel („The Servitium Regis“) ausführlich behandelt. Dabei geht es um Gesetzestexte, die zwar von den Königen erlassen, aber in den meisten Fällen von Bischöfen verfasst wurden, um die Verbindungen zum Königshof, um die Sakralität des Königtums und die Krönung und Salbung der Herrscher durch Bischöfe, um die Teilhabe der Prälaten an der Regierung sowie um die bischöfliche Beteiligung an Kriegen. In diesem Kapitel finden sich viele Anknüpfungspunkte zur deutschen Forschung über die ottonisch-salische Reichskirche. Doch obwohl Giandrea auch die Verbindungen angelsächsischer Bischöfe zum Kontinent thematisiert (S. 62–63), kommt sie auf die möglichen Gemeinsamkeiten und Unterschiede nicht zu sprechen. Die sich ergebenden Fragen, beispielsweise ob die Sakralität des Königtums eine ähnlich bedeutende Rolle gespielt hat wie im ostfränkischen Reich, bedürfen aber vielleicht auch eher einer eigenen Untersuchung, die den Rahmen von Giandreas Abhandlung gesprengt hätte. Im Zusammenhang mit der Verleihung gräflicher Rechte an Bischöfe hätte die Kenntnis der deutschen Debatte allerdings vor dem zu weitreichenden Schluss gewarnt, den Königen eine planende Besetzung der Bistümer zu attestieren, die ein Gegengewicht zum weltlichen Adel bilden sollte.2

Im dritten Kapitel („Cathedral Culture“) versucht Giandrea, Leben und Kultur in den Kathedralgemeinschaften näher zu beleuchten, und zieht dazu neben der Regula canonicorum – einer angelsächsischen Kanonikerregel, die auf Chrodegangs Regel und den Institutiones Aquisgranenses basiert – vor allem den handschriftlichen Befund von liturgischen Texten und von Studienliteratur heran. Lässt sich nur wenig über das kulturelle Leben an den Kathedralen sagen, so ist es noch schwieriger, Aussagen über die priesterlichen Aufgaben der Bischöfe zu treffen (Kap. 4: „Pastoral Care“). Auch hier greift Giandrea wieder auf die Überlieferung der Handschriften zurück, die es ihr erlaubt, die Ordinierung von Priestern, die Weihe von Kirchen und die öffentliche Bußpraxis zu behandeln. Eine zahlenmäßig größere Quellengruppe bilden die Homilien, deren weite Verbreitung darauf schließen lassen, dass die Diözesankleriker und Bischöfe regelmäßig predigten.

Die ausführlichen Untersuchungen der bischöflichen Besitzungen im fünften Kapitel („Episcopal Wealth“) beruhen hauptsächlich auf dem Domesday Book. Giandrea zieht aus der Auswertung des Materials, das im Anhang („Value of Episcopal Holdings“) in Teilen aufgeführt wird, den Schluss, dass die Landschenkungen von Königen an Bischöfe im 10. und 11. Jahrhundert in Zahl und Größe abnahmen, führt das aber nicht auf ein vermindertes Interesse an der Förderung von Bistümern zurück, sondern auf die geänderte wirtschaftliche Gesamtsituation. Statt Land erhielten die Bischöfe vermehrt Steuererleichterungen, Regalien und gräfliche Rechte sowie wertvolle Gegenstände, beispielsweise Handschriften. Die wirtschaftliche Situation eines Bistums hing aber auch stark von den Fähigkeiten der einzelnen Bischöfe ab; ein Desinteresse konnte hier desaströse Folgen haben.

Das sechste Kapitel („Community and Authority“) beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit die bischöfliche Autorität in die lokale Gesellschaft eingebunden war. Allerdings greift Giandrea hier vor allem Themen wieder auf, die bereits vorher angeschnitten wurden. Die Frage der Bindungen lokaler Förderer wird zwar um den Aspekt der Memoria erweitert, hätte aber auch im Zusammenhang der Landschenkungen behandelt werden können. Die Funktion des Bischofs als Richter hätte gemeinsam mit den Gesetzestexten im zweiten Kapitel erörtert werden können. Gleiches gilt für die gräflichen Rechte, die Giandrea an dieser Stelle zu folgendem Urteil führen: “Like the administration of justice, the acquisition of royal and comital rights doubtless made it more difficult for the laity to distinguish between secular and ecclesiastical authority.” (S. 185) Es ist fraglich, ob eine solche Unterscheidung von den Menschen des 10. und 11. Jahrhunderts überhaupt getroffen wurde, und es verwundert, dass Giandrea sie anführt, denn sie sprach vorher bereits von einer Weltsicht, die eine solche Unterscheidung nicht trifft. Es verwundert noch mehr, da sie gerade Gesetzestexte als bestes Beispiel für die Verzahnung von Geistlichem und Weltlichem ausmacht.3 Dieses Kapitel bringt zur tatsächlichen Verknüpfung mit der lokalen Gesellschaft keine wichtigen Erkenntnisse, weshalb ein zusammenfassender Überblick das Buch besser abgerundet hätte. Im kurzen Epilog verfolgt Giandrea schließlich die Entwicklung nach der normannischen Eroberung und betont dabei die Kontinuitäten, die trotz aller Veränderungen festzustellen sind.

Insgesamt sind Giandreas Thesen zumeist vorsichtig und ausgewogen und noch dazu von einer erstaunlichen Anzahl an Quellenbeispielen gestützt. Diese Fülle an Beispielen führt vor allem in der zweiten Hälfte des Buches, die allgemein geringfügig schlechter redigiert wurde4, zu Wiederholungen und Längen und lässt an einigen Stellen die Einbettung in den Kontext vermissen. Das ist zwar zum Teil durch die thematisch orientierte Darstellungsweise und den breiten Horizont der Untersuchung zu erklären, lässt aber quellenkritische Überlegungen im Einzelfall zu kurz kommen. So schildert Giandrea beispielsweise das Exil des Abtes und späteren Erzbischofs Dunstan als direkte Folge einer Auseinandersetzung mit König Eadwig während dessen Krönungsfeierlichkeiten, ohne zu erwähnen, dass die einzige Quelle für diesen Disput die hagiographische Vita Dunstani, also ein einseitiger Zeuge ist (S. 63). Möglicherweise ist es dagegen der geringen Anzahl an verfügbaren Quellen geschuldet, dass Giandreas Schlussfolgerungen manchmal etwas trivial anmuten, so etwa wenn sie erklärt, dass einige Bischöfe mehr in königliche Angelegenheiten eingebunden waren, andere hingegen weniger.5 Letztlich stößt Giandrea nicht nur in eine Forschungslücke, sondern eröffnet auch einen vielfältigen und spannenden Einblick in die bischöfliche Kultur der späteren angelsächsischen Zeit, der viele Anregungen enthält, die es sich weiter zu verfolgen lohnt.

Anmerkungen:
1 Reuter, Timothy, Ein Europa der Bischöfe. Das Zeitalter Burchards von Worms, in: Hartmann, Wilfried (Hrsg.), Bischof Burchard von Worms. 1000–1025, Mainz 2000, S. 1–28.
2 S. 62: “There were no episcopal dynasties such that proliferated on the Continent, and a king who planned ahead could, on the basis of episcopal and abbatial appointments, construct an ecclesiastical block of support to counterbalance surges in comital power.” Zur deutschen Forschungsdiskussion siehe Schieffer, Rudolf, Der geschichtliche Ort der ottonisch-salischen Reichskirchenpolitik, Opladen 1998.
3 S. 69: “Law codes are a prime example of the conflation of the sacred and the secular.”
4 Insgesamt gibt es nur eine Handvoll Tippfehler sowie wenige Sachfehler: Bei „King Malcolm of Norway“ (S. 63) handelt es sich um Malcolm III., König von Schottland. Im Index verweist der Eintrag zu Erzbischof Cynsige von York einmal auf Bischof Cynsige von Lichfield, der seinerseits nicht im Index aufgeführt wird.
5 S. 61: “All English bishops were royal bishops, but some were more involved in court life and royal affairs than others.”