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Titel
Transnational Nation. United States History in Global Perspective since 1789


Autor(en)
Tyrrell, Ian
Erschienen
Houndmills 2007: Palgrave Macmillan
Anzahl Seiten
296 S.
Preis
£ 17.99
Rezensiert für 'Connections' und H-Soz-Kult von:
Kiran Klaus Patel, Europäisches Hochschulinstitut, Florenz

In jüngster Zeit häufen sich die Synthesen zur Geschichte der USA in transnationaler oder globaler Perspektive. Zum Beispiel hat vor zwei Jahren Thomas Bender ein viel beachtetes Buch mit dem Titel “Nations among Nations” publiziert; Princeton University Press startete jüngst eine ganze Reihe zu dem Thema.1 Mit Ian Tyrrell hat nun ein weiterer der Protagonisten in der Debatte zur transnationalen Geschichte Amerikas eine solche Überblicksdarstellung vorgelegt. Zwei Hauptthemen strukturieren die Studie: zum einen, dass die Grenzen der USA seit dem 19. Jahrhundert ökonomisch, kulturell und sozial porös waren. Die USA seien, unter anderem aufgrund der relativen Schwäche des amerikanischen Staates und des Drucks europäischer Imperien, auf das Engste mit der weiteren Welt verbunden gewesen. Zum anderen hätten die Vereinigten Staaten als Reaktion auf diese Erfahrung ihr eigenes Empire aufgebaut.

Diese Themen werden in 14 kompakten, chronologisch angeordneten Kapiteln ausgebreitet, wobei der Schwerpunkt der Ausführungen auf dem 19. Jahrhundert liegt. In überaus überzeugender Weise verdeutlicht Tyrrell, wie sehr die Entstehung des US-amerikanischen Nationalstaats ein transnationales Produkt war. Nationalisierung und Selbstabschottung gingen mit globalen Kontakten Hand in Hand; Nationalstaat und Empire stellten nicht zuletzt Versuche dar, transnationale Interaktionen zu kontrollieren und zu steuern. All dies macht die Studie zu einem künftigen Standardwerk für die Geschichte der Vereinigten Staaten in transnationaler Perspektive. Tyrrell schreibt weit mehr als Politikgeschichte, und seine Ausführungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie eine Vielzahl historischer Läufe und Zugänge miteinander vereinen. Wer Tyrrells bisherige Arbeiten kennt, wundert sich nicht, dass etwa umwelthistorische Fragen berücksichtigt werden und den ihnen angemessenen Stellenwert erhalten. Das Buch differenziert zudem Akteure und Phasen transnationaler Öffnung: Wurde diese bis 1914 vor allem durch die Bevölkerung in Form von Immigration und Handel vorangetrieben, während der Staat weit weniger interagierte, verkehrte sich das Verhältnis spätestens zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Zur jüngeren Vergangenheit sind die Ausführungen übrigens nicht nur knapper, sondern auch etwas weniger originell, und man kann sich fragen, ob das nur daran liegt, dass für den Zeitraum Amerikas Ausgreifen in die Welt offensichtlicher ist. Vielleicht wurden für diese Phase die interessanten Fragen einfach noch nicht gestellt.

Bemerkenswert ist der geographische Zuschnitt des Werks. Tyrrell hat recht mit seiner Kritik, dass die Suche nach transnationalen Bindungen bisher zu einseitig auf den Atlantik fokussiert geblieben ist. Zwar hat der Pazifik in der letzten Zeit mehr Beachtung gefunden. Wie sich jedoch an der Konjunktur von “Atlantic History” in den USA zeigt, schweift der Blick der US-Historiographie weiterhin zumeist nach Osten. Demgegenüber zeichnet Tyrrell ein deutlich ausgeglicheneres Bild: Die chinesische Immigration in die Vereinigten Staaten und andere Verbindungen über den Pazifik hinweg werden souverän integriert. Aber nicht nur das: Immer wieder geht es auch um “die Amerikas”, vor allem um das Verhältnis der USA zu ihren südlichen Nachbarstaaten. Insofern handelt es sich tatsächlich um einen globalen Zugriff. Was Tyrrell außerdem nur andeuten kann, stellt eine wichtige Aufgabe künftiger Forschung dar: Die Dichte und Qualität dieser verschiedenen regionalen Beziehungen zu gewichten, um so zugleich Verlagerungen nachzeichnen und erklären zu können. Tyrrell gibt Hinweise darauf, dass im 19. Jahrhundert der Atlantik trotz aller Einschränkungen eine herausgehobene Rolle einnahm, während sich im 20. Jahrhundert die Beziehungen zunehmend auf den ganzen Globus erstreckten. Die Einschätzung wird in Zukunft weiter zu qualifizieren sein, inklusive der Frage, wie sich der (hier relativ knapp behandelte) Kalte Krieg darin einfügt. Solche Fragen stärker zu berücksichtigen heißt zugleich, deutlich über jene englischsprachige Literatur hinauszugehen, auf welcher Tyrrells Ausführungen basieren.

Um schließlich den konzeptionellen Zugriff des Werks verstehen und bewerten zu können, ist eine Gegenüberstellung zu dem bereits erwähnten “Nation among Nations” von Bender hilfreich. Dabei fällt auf, dass beide Bücher recht unterschiedliche Zugriffe wählen, um die Geschichte der USA in weitere Kontexte einzuordnen. Tyrrell stellt die Vielzahl an transnationalen Verbindungen, Vernetzungen und Kreisbewegungen, welche die USA prägte und prägten, in den Mittelpunkt. Er verdeutlicht so in überzeugender Weise, dass die Geschichte der Vereinigten Staaten nicht allein aus sich selbst heraus erzählt werden kann. Auch Bender erörtert solche Interaktionen, darüber hinaus aber vergleicht er die Entwicklung der USA stärker mit der anderer Weltgegenden. Bender versteht die Geschichte der Vereinigten Staaten so im Wesentlichen als regionale Antwort auf globale Herausforderungen und Prozesse. Das hat deutliche Vorteile: Benders Werk gewinnt dadurch einen stärker abstrahierenden und analytischen Zugriff, da der Vergleich ganzer Gesellschaften oder Makroregionen zu übergreifenden Thesen einlädt. Die Verbindungen, denen Tyrrell nachgeht, lassen sich dagegen in ihrer Bedeutung für alle jeweils betroffenen Gesellschaften deutlich schwerer bemessen. Es bedürfte jeweils sehr sorgfältiger Überlegungen, um etwa den Vorbildcharakter des deutschen Universitätssystems für die USA, um Milton Friedmans Einfluss auf die chilenische Wirtschaftspolitik oder des amerikanischen Kinos auf Japan wirklich gerecht zu werden. Dazu ist Tyrrell auf rund 200 Seiten für 200 Jahre nicht in der Lage. Häufig bleibt es vielmehr bei einer Aufzählung solcher transnationaler Verbindungen und dem Beleg der generellen Thesen, dass der amerikanische Nationalstaat transnational entstand und global agierte. Wie wichtig die Welt für Amerika war – und umgekehrt – lässt sich damit aber nicht bewerten.

Bei Bender und dem stärker komparativen Zugriff besteht dagegen die Gefahr, dass man sich durch die Hintertür eine Essentialisierung nationalhistorischer Entwicklungen einfängt und die Frage marginalisiert, inwieweit ähnliche Entwicklungen in verschiedenen Gesellschaften durch Interaktionen und ergo kausal miteinander verbunden waren. Beide Herangehensweisen haben somit Licht- wie auch Schattenseiten, und zusammen bieten Tyrrells und Benders Werke einen fruchtbaren Ausgangspunkt für die weitere Debatte über den Stellenwert von Transferanalysen und Vergleich als Verfahren transnationaler Geschichte sowie über die Möglichkeiten und Grenzen einer nationalhistorischen Synthese in transnationaler Absicht. Einmal mehr zeigt sich, wie produktiv gerade die Beiträge der “US history” zu dieser Debatte sind. Dass “Transnational Nation” als eine Geschichte der USA aus australischer Feder bei einem englischen Verlag erschienen ist und in China gedruckt wurde, rundet das Bild nur ab.

Anmerkung:
1 Bender, Thomas, A Nation Among Nations. America’s Place in World History, New York 2006, rezensiert in: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-1-182> und in: <http://geschichte-transnational.clio-online.net/rezensionen/2007-1-182>; Beckert, Sven; Suri, Jeremy, (Reihenhrsg.), America in the World, Princeton 2007 ff.

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Diese Rezension entstand im Rahmen des Fachforums 'Connections'. http://www.connections.clio-online.net/
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