P. Mat'a u.a. (Hrsg.): Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740

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Titel
Die Habsburgermonarchie 1620 bis 1740. Leistungen und Grenzen des Absolutismusparadigmas


Herausgeber
Mat'a, Petr; Winkelbauer, Thomas
Reihe
Forschungen zur Geschichte und Kultur des östlichen Mitteleuropa
Erschienen
Stuttgart 2006: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
474 S.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter G. Tropper, Archiv der Diözese Gurk

Im Februar 2003 fand am Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas e.V. an der Universität Leipzig eine Tagung zur Geschichte der Habsburgermonarchie statt, die vom tschechischen Historiker Petr Mat’a und seinem österreichischen Kollegen Thomas Winkelbauer organisiert wurde. Die Struktur und die breite Anlage des hier vorzustellenden Buches gehen auf diese Tagung zurück, die nicht nur einer Hinterfragung des Absolutismuskonzeptes diente, sondern auch der Tatsache Rechnung trug, dass die Habsburgermonarchie bis dahin „Stiefkind der Absolutismusdebatte“ gewesen ist (S. 17).

Nicht zuletzt die Entwicklung von einzelnen Nationalgeschichten im Gegensatz zu einer Geschichte des gesamten Staates, vor allem aber die Problematik der einzelnen Sprachen in den Nachfolgestaaten des habsburgischen Herrschaftsverbandes, die einem gegenseitigen Austausch von Forschungsergebnissen zwischen deutsch-, tschechisch- und ungarischsprachigen Wissenschaftlern nicht förderlich war, mögen dafür als Gründe gelten, dass die Periode von der Schlacht am Weißen Berg 1620 bis zum Regierungsantritt Maria Theresias 1740 von der historischen Forschung nahezu aller Richtungen vernachlässigt wurde. Ausgespart sowohl bei der Tagung als auch beim Berichtsband blieben die beiden Fragestellungen eines Konfessionalisierungs-Konzeptes und der Reichspolitik der Habsburger, die als Themen eigener Tagungen abgehandelt wurden.

Die von den beiden Herausgebern des Bandes, Petr Mat'a und Thomas Winkelbauer, verfasste Einleitung: „Das Absolutismuskonzept, die Neubewertung der frühneuzeitlichen Monarchie und der zusammengesetzte Staat der österreichischen Habsburger im 17. und frühen 18. Jahrhundert“ (S. 7-42) zeigt die „Randposition der Habsburgerforschung in der Absolutismusdebatte“ auf (S. 24): Der Kenntnisstand über die Monarchie der Bourbonen sei um vieles „günstiger als es bei der Habsburgermonarchie der Fall ist“ (S. 19). Angesichts der staunend machenden Fülle an Literatur, die in diesem einleitenden Abschnitt geboten wird, kommt Dankbarkeit auf.

Jeroen Duindam (Die Habsburgermonarchie und Frankreich: Chancen und Grenzen des Strukturvergleichs, S. 43-61) tritt ein für eine vergleichende Perspektive der Positionen hochadeliger Schichten an den Höfen von Wien und Versailles. Seine These: Der in Ehrenämtern am Wiener Hof wirkende Hochadel sei in größerem Maße gezähmt und dienstwillig gewesen als in Versailles, wo die Erblichkeit und auch die Käuflichkeit die Positionen garantierte. Jaroslav Pánek (Ferdinand I. - der Schöpfer des politischen Programms der österreichischen Habsburger? S. 63-72) befasst sich mit der Verneuerten Landesordnung von 1627 für das Königreich Böhmen und stellt fest, dass Ferdinand II. und die Verfasser dieses Textes „an eine verfassungsrechtliche und praktisch-politische Tradition anschlossen“ (S. 27), die auf Ferdinand I. und dessen Berater zurückging. Bereits im 16. Jahrhundert seien Modelle zur Herrschaftsausübung entwickelt worden, die von den Nachfolgern übernommen worden wären. Karin J. MacHardy zeigt in ihrem Beitrag „Staatsbildung in den habsburgischen Ländern in der Frühen Neuzeit. Konzepte zur Überwindung des Absolutismusparadigmas“ (S. 73-98) die Intensivierung gegenseitiger Abhängigkeit im Verhältnis von habsburgischen Herrschern und den Eliten der Herrschaftsgebiete auf.

Mit der Bestrafung des aufständischen Adels und Bürgertums durch Ferdinand II. befasst sich Tomáš Knoz (Die Konfiskationen nach 1620 in (erb)länderübergreifender Perspektive. Thesen zu Wirkungen, Aspekten und Prinzipien des Konfiskationsprozesses, S. 99-130). Katrin Keller zeigt in ihrem Beitrag „Das Frauenzimmer. Zur integrativen Wirkung des Wiener Hofes am Beispiel der Hofstaaten von Kaiserinnen und Erzherzoginnen zwischen 1611 und 1657“ (S. 131-157), dass der Drang zum Hofstaat größer war als der Zwang dazu, und dass zumeist soziale Ziele der einzelnen Familien Beweggrund zur Übernahme eines solchen Amtes waren. Neuland beschreitet Mark Hengerer mit seinem Artikel über die Finanzierung der Höflinge und landesfürstlichen Amtsträger durch die Stände (Die Hofbewilligungen der niederösterreichischen Stände im zweiten Drittel des 17. Jahrhunderts. Zur Frage der Leistungsfähigkeit des Absolutismusbegriffs aus der Perspektive der Hofforschung zur Habsburgermonarchie, S. 159-177). In seinem Beitrag „Nervus rerum Austriacarum. Zur Finanzgeschichte der Habsburgermonarchie um 1700“ (S. 179-215) weist Thomas Winkelbauer auf die Neuerungen in den Jahren um 1700 hin und zeigt, wie die Habsburgermonarchie eine derartige Erhöhung der finanziellen Ressourcen erreichte, dass sie sich den wirtschaftlich fortschrittlichen Ländern Europas annähern konnte.

Den engen Zusammenhang von Krieg und Staatsbildung behandelt Michael Hochedlinger (Der gewaffnete Doppeladler. Ständische Landesdefension, Stehendes Heer und „Staatsverdichtung“ in der frühneuzeitlichen Habsburgermonarchie, S. 217-250). Der Frage der politischen Dimension von Heiligenkulten geht Stefan Samerski anhand dreier Fallbeispiele nach: Unter dem Titel „Hausheilige statt Staatspatrone. Der mißlungene Absolutismus in Österreichs Heiligenhimmel“ (S. 251-278) zeigt der Autor, dass die staatlicherseits betriebene Intensivierung der Kulte des hl. Markgrafen Leopold III., des hl. Joseph und der Marienverehrung auf die der Dynastie treue Elite beschränkt blieb und – außerhalb Österreichs – kaum Eingang in die Volksfrömmigkeit fand.

Géza Pálffy berichtet in seinem Beitrag „Zentralisierung und Lokalverwaltung. Die Schwierigkeiten des Absolutismus in Ungarn von 1526 bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts“ (S. 279-299) von der Sonderstellung des Königreichs Ungarn innerhalb des habsburgischen Staatengebildes, die sich nicht zuletzt in einer recht unterschiedlichen, von der geläufigen Periodisierung stark abweichenden Einteilung der Zeitabschnitte ausdrückt. Projekte zur Neugestaltung des ungarischen Königreiches nach dem großen Türkenkrieg (1683-1699) stellt Joachim Bahlcke unter dem Titel „Hungaria eliberata? Zum Zusammenstoß von altständischer Libertät und monarchischer Autorität in Ungarn an der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert“ (S. 301-315) vor; eine Realisierung dieser Reformprogramme wurde offenbar gar nicht versucht, die neue Ordnung erwies sich als „Folge von Improvisationen“ (S. 311).

Den Beziehungen zwischen weltlicher Obrigkeit und der katholischen Kirche gilt die Studie von Alessandro Catalano, „Das temporale wird schon so weith extendiret, daß der Spiritualität nichts als die arme Seel überbleibet.“ Kirche und Staat in Böhmen (1620-1740), (S. 317-343). Der Autor setzt sich dabei vornehmlich mit dem Wirken des Prager Erzbischofs und Kardinals Ernst Adalbert von Harrach (1622-1667) innerhalb der Machtgefüge von Kaiserhof, böhmischem Hochadel und auch Jesuitenorden auseinander; er zeigt, dass die Kirchenpolitik des Herrscherhauses nicht von einem Programm bestimmt war, sondern dass dabei „der eher improvisierte Charakter aller Entscheidungen“ deutlich wird (S. 328).

„Landstände und Landtage in den böhmischen und österreichischen Ländern (1620-1740). Von der Niedergangsgeschichte zur Interaktionsanalyse“ (S. 345-400) erörtert der Mitherausgeber des Bandes, Petr Mat’a, der im Wirken der Stände „ein janusköpfiges Instrument des Ausgleiches zwischen dem Zentrum und den privilegierten Oberschichten der Habsburgermonarchie“ sieht (S. 400). Péter Dominkovits bringt unter dem Titel „Das ungarische Komitat im 17. Jahrhundert. Verfechter der Ständerechte oder Ausführungsorgan zentraler Anordnungen?“ (S. 401-441) eine Zusammenfassung der neueren, nahezu ausschließlich ungarischsprachigen Forschungen über Funktion und Tätigkeit der Komitate vom 16. bis ins frühe 18. Jahrhundert.

„Der Staat und die lokalen Grundobrigkeiten. Das Beispiel Böhmen und Mähren“ (S. 443-453) ist das Thema des Artikels von Eduard Maur, der aufzeigt, dass einerseits die Institution der Grundherrschaft in Böhmen und Mähren für den werdenden Staat aufgrund ihrer Leistungen unverzichtbar war. Andererseits garantierte die starke Macht des Herrschers den Grundobrigkeiten ihre Positionen.

Abkürzungsverzeichnis, Personenregister und Ortsregister beschließen das stattliche Werk, dessen Lektüre ungezählte Anregungen enthält. Einzig ein Literaturverzeichnis hätte sich der Rezensent noch gewünscht. Möge das Buch, zu dem Wissenschafter aus Deutschland, Italien, Kanada, den Niederlanden, Österreich, Tschechien und Ungarn beigetragen haben, der künftigen Forschung zahlreiche neue Impulse geben.

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