M. E. Spicka: Selling the economic miracle

Cover
Titel
Selling the Economic Miracle. Economic Reconstruction and Politics in West Germany, 1949-1957


Autor(en)
Spicka, Mark E.
Erschienen
Oxford 2007: Berghahn Books
Anzahl Seiten
288 S.
Preis
$ 90,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Mark Spoerer, Institut für Wirtschaftsgeschichte, Humboldt-Universität zu Berlin

Ist wirtschaftliches Wachstum, ist wachsender Wohlstand Folge guter Politik oder doch eher übernationaler Kräfte und Konjunkturen, auf die die Politik wenig Einfluss hat? Akademiker mögen darüber intensiv streiten, für amtierende Politiker ist die Antwort klar: Eine gute wirtschaftliche Entwicklung muss den Wählern als eigene Leistung verkauft werden, während man für den umgekehrten Fall anonyme oder ausländische Kräfte verantwortlich macht. Mark E. Spicka hat den Titel seiner Ph.D. Dissertation treffend gewählt: Selling the economic miracle, das musste Aufgabe der CDU in den Wahlkämpfen von 1953 und 1957 sein, und das ist ihr laut Spicka mit großem Erfolg gelungen.

Spicka hat sein Buch in sechs chronologische Abschnitte gegliedert, die auf den Fluchtpunkt seiner Darstellung zulaufen, den triumphalen Wahlsieg der CDU/CSU im September 1957, als es einer Fraktion zum ersten und bislang einzigen Mal in der Geschichte der Bundesrepublik gelang, bei einer Bundestagswahl die absolute Mehrheit der Stimmen und Mandate zu erlangen. Zunächst widmet sich Spicka der Genese der Sozialen Marktwirtschaft und der Währungsreform von 1948. Breiten Raum nimmt anschließend die Bundestagswahl von 1949 ein, in der ideologische Positionen noch eine stärkere Rolle spielten als später. Ein vergleichsweise kurzes Kapitel rekapituliert die Korea-Krise, die die Soziale Marktwirtschaft in weiten Teilen der Bevölkerung diskreditierte und die zu propagandistischen Gegenmaßnahmen führte, welche schließlich den zentralen Gegenstand der Untersuchung in den Kapiteln 4 und 5 bilden: Selling the economic miracle, um das gesellschaftspolitische Modell der CDU, die Soziale Marktwirtschaft, der Wählerschaft nahe zu bringen, und dies mit den neuesten (heißt: amerikanischen) Methoden der Demoskopie und des Politik-Marketings. Neben einer breiten archivalischen Grundlage basiert die Darstellung auf einer Vielzahl zeitgenössischer Publikationen, flankiert von einer großen Anzahl aufschlussreicher Fotos, Karikaturen und sonstigen Abbildungen. Das sechste und längste Kapitel schließlich beschreibt den Weg zum Wahlsieg von 1957.

Spickas zentrale These ist, dass es die CDU lange vor der SPD verstand, zu einer Volkspartei zu werden, indem sie ideologischen Ballast über Bord warf und die materiellen Bedürfnisse der Wählerschaft in den Vordergrund ihrer Wahlwerbung rückte. In diesem Zusammenhang spricht Spicka von einer "consumerization" (S. 8, S. 258) und Amerikanisierung der westdeutschen Wahlpropaganda, die ideologische sowie konfessionelle Bedenken in den Hintergrund drängen konnte und mithalf, eine neue bundesrepublikanische Identität zu konstruieren. Eine bedeutende Rolle spielte dabei in der Politikberatung das Institut für Demoskopie in Allensbach. Das Institut wurde kürzlich auch von Anja Kruke untersucht, die im Ergebnis zu ähnlichen Thesen kommt wie Spicka. Dabei sieht sie aber vor allem die CDU-geführte Bundesregierung und nicht die Partei CDU als Vorreiter beim Einsatz moderner Methoden.1 Bei Spicka steht ohnehin die "Gemeinschaft zur Förderung des sozialen Ausgleichs", besser bekannt als "Die Waage", stärker im Vordergrund. Dieser Verein, der vor allem aus dem Zusammenschluss deutscher Industrieller und Unternehmer bestand, sollte bei der Wählerschaft Werbung für die Soziale Marktwirtschaft und damit naturgemäß für die CDU machen.

Die Thesen Spickas sind natürlich nicht wirklich neu, doch so eindringlich belegt worden sind sie bislang noch nicht. Spicka vermag ein sehr stimmiges und plausibles Bild der frühen Bundesrepublik zu zeichnen. Gleichwohl fragt man sich ein wenig, wie es denn hätte anders sein können, zumindest auf Seiten der CDU. Dass die Regierungspartei den wirtschaftlichen Erfolg für sich verbucht und damit potentielle Konfliktherde im ideologischen und konfessionellen Bereich zudeckt, ist naheliegend. Das eigentlich Erstaunliche ist, dass ihr großer Widersacher, die SPD, bis zum November 1959 Zeit brauchte, um im Parteiprogramm von Bad Godesberg auf den Kurs der Sozialen Marktwirtschaft einzuschwenken und sich binnen weniger Jahre zur anderen großen westdeutschen Volkspartei zu entwickeln. Dabei kam ihr die konzeptionelle und begriffliche Unschärfe der "Sozialen Marktwirtschaft" zu Hilfe. Noch heute lässt sich vom grünen Realo-Flügel über die CSU bis zur FDP trefflich auf die Soziale Marktwirtschaft rekurrieren, wenn es der öffentlichkeitswirksamen Legitimation der eigenen Position dienlich ist. Was vor sechzig Jahren noch vermarktet werden musste, dient heute somit selbst als Vehikel der Vermarktung.

Anmerkung:
1 Kruse, Anja, Demoskopie in der Bundesrepublik Deutschland. Meinungsforschung, Parteien und Medien 1949-1990, Düsseldorf 1999: Rezensiert von Norbert Gruben, in: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-2-147>.

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