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Titel
Heinrich I.. Begründer der ottonischen Herrschaft


Autor(en)
Giese, Wolfgang
Erschienen
Darmstadt 2008: Primus Verlag
Anzahl Seiten
247 S.
Preis
€ 29,90 (WBG-Mitgliederpreis: € 24,90)
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Claudia Moddelmog, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Heinrich I. ist einer der populärsten mittelalterlichen Könige. Trotzdem ist es eine Herausforderung, ihm eine moderne Biographie zu widmen: Wir wissen ja fast nichts. Und mehr noch, die spärlichen Nachrichten über den ersten sächsischen König entstammen hauptsächlich einer Überlieferung, auf der in besonderer Weise ein „Verdacht“ liegen muss – jener „Generalverdacht“, den Johannes Fried in seiner „Memorik“ vor wenigen Jahren als methodisches Postulat im Umgang mit allen Quellen formuliert hat, die von den konstruierenden Aktivitäten menschlicher Erinnerung verformt sind.1 Widukind von Corvey, Hrotsvit von Gandersheim und die späteren Geschichtsschreiber – wie erinnerten sie einen König, der schon Jahrzehnte zuvor gestorben war? Vielleicht ist deshalb kein Zufall, dass es ein älterer Forscher ist, der neben Kennerschaft auch ein Stück Gelassenheit mitbringt, um die Herausforderung zu wagen. Wolfgang Giese tut es sehenden Auges.

Er hebt an mit einer kleinen Quellenkunde, in der neben den einschlägigen mittelalterlichen Autoren die jüngere Forschung wie im Ritterturnier auf den Plan tritt: Da steht mit „Polterton“ und „Sticheleien“ Carlrichard Brühl gegen Widukind auf und findet in Johannes Fried einen „noch radikaleren Bundesgenossen“ gegen den Corveyer Mönch (S. 12). Vor dem „verdüsterten“ Horizont kommt Gerd Althoff zu Hilfe, gefolgt von Hagen Keller (S. 13). Doch überzeugen die von Giese gegen Fried aufgerufenen Helfer nicht. Um eine Einzelfallprüfung der Quellenpassagen wird nicht herumzukommen sein. Allerdings scheint es in der derzeit aufgeheizten Debatte kein geringes Verdienst, dass Wolfgang Giese – und dies gilt für das ganze Buch – es bei stumpfen Waffen belässt: kein Gegner braucht das Schlimmste zu fürchten, jedem wird Gehör verschafft und auf den sich wandelnden Schauplätzen darf und muss er sich aufs Neue beweisen.

Dem Überblick über die Quellenproblematik lässt Giese einen Abriss der deutschsprachigen Forschung folgen und erörtert, in einem Buch über Heinrich I. wohl unvermeidlich, die Frage nach dem Beginn des deutschen Reiches. Dieser Einführung folgen in gemischt chronologisch-systematischer Folge die Hauptkapitel, wobei Giese sich an klassisch gewordenen Problemkernen orientiert. Stichworte müssen genügen: „Designation“ und Königserhebung Heinrichs, Arrangement mit den süddeutschen Herzögen, schrittweiser Erwerb Lotharingiens, Ungarneinfälle, Burgenbau und Slawenfeldzüge, innere Strukturen des Reiches (Wormser Hoftag, „Hausordnung“, Francia-Saxonia-Struktur) und Kontakte nach außen.

Viel Überraschendes in der Gesamtbeurteilung Heinrichs I. werden Spezialisten bei Giese nicht finden, auch wenn der Münchner Historiker durchaus eigene Akzente setzt, etwa militärgeschichtliche Forschungen recht breit behandelt oder die Frage aufwirft, wie viel Planmäßigkeit, wie viel auf das ganze Reich bezogenes Konzept man dem sächsischen König unterstellen darf. Ein Grundproblem der biographischen Darstellung, die Konturierung des Individuums Heinrich vor dem Hintergrund seiner Zeit, löst Giese ganz beiläufig: „Die Zuschreibung eines Entwicklungsprozesses allein auf seine Person [...] fungiert letztlich nur als Formulierungsbehelf.“ (S. 185)

Nach der Lektüre bleibt zu konstatieren, dass Wolfgang Giese ein Kunststück gelungen ist. Er hat eine politische Biographie Heinrichs I. und ein Handbuch geschrieben, eine gut lesbare, geschichtengesättigte Erzählung und ein Lehrbuch für die analytisch-methodische Arbeitsweise des Historikers. Parallelüberlieferung, Übersetzungsprobleme, Plausibilitätserwägungen und anderes mehr erörtert er (von dem oben zur Sprache gebrachten Einwand abgesehen) ebenso gekonnt und unterhaltsam wie die Thesenbildung moderner Historiker. Er macht die Leer- oder Schwachstellen der Amicitia-Forschungen Gerd Althoffs – dem er zustimmt (S. 151) – ebenso kenntlich wie die der Schmidschen Designationsthese – die er ablehnt (S. 178). In gleicher Weise erkennbar bleibt Gieses Position, wo sie auf eigener Forschung beruht – etwa seine These, Heinrich habe nach einem Aushandlungsprozess mit Eberhard von Franken auf die Königssalbung verzichten müssen (S. 65) oder diejenige, Heinrichs Slawenfeldzüge seien zum Gutteil der Notwendigkeit geschuldet gewesen, den sächsischen Adel „bei Laune“ zu halten (S. 173).

Die ältere Darstellung „Heinrich I. und Otto der Große“ von Gerd Althoff und Hagen Keller ist mit Gieses Buch gewissermaßen eingeholt.2 Wer sich stärker auch für kulturgeschichtliche Fragen und Ansätze interessiert, wird wohl weiter „Der Weg in die Geschichte“ von Johannes Fried bevorzugen.3 Beiden Werken voraus hat die vorgelegte Biographie ihre vorzüglich erschließende Funktion für die praktische Arbeit, was auch dem Verlag zu danken ist. Zusätzlich zur Darstellung selbst erlauben die zahlreichen Anmerkungen eine schnelle Zuordnung von Quellenbelegen und Forschungsergebnissen. Giese bietet einem breiten Publikum anregende Lektüre: den interessierten Laien, den Studierenden, die sich einarbeiten wollen, aber auch den Experten, die Einzelfragen vielleicht neu überdenken werden.

Zuletzt ist Gieses Heinrich I. ein gegenwartsbezogener Held, der Popularität verdient. Der Mann der Stunde war er, weil er in der verfahrenen politischen Situation, mit der er als König konfrontiert wurde, Neues denken, tun oder zulassen konnte. Das ist, was Wolfgang Giese, gewiss mit dem Blick auf unsere Zeit, als größte Leistung seines Protagonisten würdigt.

Anmerkungen:
1 Fried, Johannes, Der Schleier der Erinnerung. Grundzüge einer historischen Memorik, München 2004.
2 Althoff, Gerd; Keller, Hagen, Heinrich I. und Otto der Grosse. Neubeginn auf karolingischem Erbe. 2., verb. Aufl., Göttingen 1994.
3 Fried, Johannes, Der Weg in die Geschichte. Die Ursprünge Deutschlands bis 1024, Berlin 1994.

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