R. Luft u.a. (Hrsg.): Bayern und Böhmen

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Titel
Bayern und Böhmen. Kontakt, Konflikt, Kultur. Vorträge der Tagung des Hauses der Bayerischen Geschichte und des Collegium Carolinum in Zwiesel vom 2. bis 4. Mai 2005


Herausgeber
Luft, Robert; Eiber, Ludwig
Reihe
Veröffentlichungen des Collegium Carolinum 111
Erschienen
München 2007: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
399 S.
Preis
€ 59,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Josef Harna, Historický ústav AV ČR, Prag

Die Beziehungen zwischen Bayern und Böhmen als Länder, bzw. zwischen Bayern und Böhmen als Menschen, von historischen Quellen seit mehr als zwölf Jahrhunderten belegt, wiesen während dieser langen Zeit eine Vielfalt von Formen auf, die natürlich nur schwer in Gänze zu fassen sind. Dennoch gelang es den Autoren des vorliegenden Tagungsbandes, wichtige Entwicklungsphasen dieser Beziehungen einzufangen. Obwohl die semantische Zweideutigkeit, aber auch inhaltliche Wandelbarkeit der deutschen Begriffe „Bayern“ und „Böhmen“, welche sowohl diese Regionen als auch deren Bevölkerung bezeichnen, die Verständigung ein wenig verkomplizierte (tschechisch: Bavorsko und Čechy = das Bayern und das Böhmen als Länder; Bavoři und Češi = die Bayern und die Böhmen, letzteres als Bezeichnung für die gesamte Bevölkerung des Landes, das heißt sowohl der Tschechen als auch der böhmischen Deutschen), wussten alle Verfasser der Konferenzbeiträge mit diesem Problem umzugehen und die Begriffe im Einklang mit den jeweils diskutierten Themen anzuwenden.

Zwischen den beiden Ländern, Bayern und Böhmen, gab es über die Jahrhunderte eine klare, meist durchlässige, aber sonst sehr stabile Grenze – die einzige Änderung in der Geschichte war die Eingliederung des Egerlandes in den böhmischen Staat im 14. Jahrhundert. Die relativ feste Trennlinie spiegelte sich im Laufe der Zeit im Charakter der gegenseitigen Beziehungen, in der Wahrnehmung des Anderen und dadurch auch in den auf beiden Seiten der Grenze entwickelten Identitätsgefühlen. In der Geschichte der Nachbarschaft ist auffallend, dass Böhmen viel häufiger Empfänger denn Urheber von Anregungen war, was aber von den Konferenzteilnehmern kaum thematisiert wurde. Auch blieben Konflikte, insbesondere in Kriegszeiten meist außerhalb ihrer Aufmerksamkeit. Waren diese doch, wie die Herausgeber in der Einleitung bemerken, in der Regel nicht bilaterale Streitigkeiten, sondern Bestandteil breiterer Konflikte in Europa (Dreißigjähriger Krieg, Spanischer Erbfolgekrieg, Österreichischer Erbfolgekrieg). Im 20. Jahrhundert standen die bilateralen Beziehungen dann im Zeichen der Einbindung beider Länder in sich verändernde Staatengebilde, bis schließlich Bayern zum vereinigten Deutschland und Böhmen zur Tschechischen Republik gehörten.

Historische Quellen ermöglichen es, die Anfänge der bayerisch-böhmischen Beziehungen ungefähr bis ins 9. Jahrhundert zurückzuverfolgen, als das Gebiet Böhmens in die politische Expansionssphäre des ostfränkischen Reiches geriet. Karl Hausberger kommt in seinem Beitrag über die mittelalterlichen Kirchenbeziehungen zwischen Regensburg und Böhmen zu dem Schluss, dass hinter der Errichtung des Bistums Prag auch der Wunsch des böhmischen Herzogs stand, das Land von dem bedrückenden Einfluss des Großmährischen Reiches zu lösen (S. 9). Leider hat der Verfasser mit der neuen reichen tschechischen Literatur über diesen Zeitabschnitt nicht gearbeitet, und findet so für seine Ausführungen keine Opponentur.

Lenka Bobková geht im Zusammenhang mit der Machtpolitik Karls IV. auf eine spezifische Form von Kontakten zwischen Böhmen und Bayern, bzw. der Oberpfalz ein. Sie verweist auf das Bemühen des böhmischen Herrschers und römischen Kaisers, seine eigenen Besitzungen über die Grenze der Böhmischen Kronländer hinaus zu erweitern. Sein Ziel sei es gewesen, durch Enklaven Böhmen mit Luxemburg perspektivisch zu vereinigen, wofür er einige in den Böhmischen Ländern gültige Verwaltungs- und Rechtsnormen über die Landesgrenzen hinaus verbreitete (S. 57). In seinem Beitrag über Spuren böhmischer und mährischer Pilger in Bayern und Franken im Spätmittelalter fasst Jan Hrdina die vorhandenen Erkenntnisse über Wallfahrten aus Böhmen im 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts nach wichtigen Wallfahrtsorten in Bayern und Frankreich zusammen. Er arbeitet heraus, dass es sich in der Regel um Pilger aus überwiegend katholischen Gebieten im deutschsprachigen Böhmen handelte (S. 62, 71-72). Neuen Raum für Intensivierung der religiösen Kontakte zwischen den beiden Ländern bot die Rekatholisierung Böhmens nach der Schlacht am Weißen Berg (1620), wie Jan Royt in seinen Ausführungen über die religiösen Beziehungen zwischen Böhmen und Bayern im 17. und 18. Jahrhundert zeigt.

Von einem ganz anderen Gesichtspunkt aus wird die Frage der grenzüberschreitenden Kontakte von Václav Bůžek betrachtet, der aufgrund seiner Erkenntnisse über den Lebensstil des südböhmischen Adels in der frühen Neuzeit belegen kann, dass es inspirierende Einflüsse des bayerischen Milieus gegeben hat (S. 100-104). Obwohl auch Konflikte keine Ausnahmen waren, gab es langfristige Integrationstendenzen in den Grenzgebieten. Wie sich die Lage am Anfang des 19. Jahrhunderts verkomplizierte, ist der soziologischen Studie von Reinhard Haller über die der Migration von Arbeitskräften aus Böhmen nach Bayern zu entnehmen. Obwohl es vielen Emigranten gelang, das Heimatrecht in Bayern zu erwerben, vollzog sich deren „wahre Integration“ oft erst Generationen später (S. 186-187).

Eine fruchtbare und bis heute sichtbare Periode der böhmisch-bayerischen Beziehungen setzte mit dem Wirken der ursprünglich bayerischen Architektenfamilie Dientzenhofer in Böhmen ein. Robert Stalla belegt anhand ihrer Werke die gegenseitige Beeinflussung des böhmischen und bayerischen Barock. Eine weitere Periode intensiver Kontakte im Kulturbereich ist in der Mitte des 19. Jahrhunderts auszumachen. München galt als eine Stadt der Künste, deren Attraktivität für böhmische Künstler Roman Prahl erwähnt, sich aber eher auf die Wirkung von Vertretern der bayerischen bildenden Künste direkt in Prag konzentriert. Dass Bayern in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts mit seinem merkwürdig entwickelten Parlamentsystem ein Vorbild für die liberale tschechische Nationalbewegung unter den Bedingungen des Metternichschen Absolutismus war (S. 190), arbeitet Jiří Kořalka heraus.

In die davon gänzlich unterschiedliche Welt des 20. Jahrhunderts führt uns René Küpper auf seiner Suche nach bayerisch-böhmischen Aspekten in der Zeit des Münchner Diktats von 1938 sowie der nachfolgenden Naziokkupation der Böhmischen Länder bis zum Ende des „Protektorats“. Obwohl Bayern im Raum des Großdeutschen Reiches verlorengegangen war, gelingt es dem Verfasser, die bayerische Spur auch in dieser dramatischen Zeit zu verfolgen: Er behandelt die Stellung der südböhmischen Grenzgebiete in NS-Deutschland, die Beteiligung von Nationalsozialisten aus Bayern an der Protektoratsverwaltung, den Zwangseinsatz von Tschechen auf bayerischem Gebiet, das Schicksal von Tschechen in Gefängnissen und Konzentrationslagern in Bayern.

Die Konferenz konnte natürlich das heikelste Problem der tschechisch-deutschen Beziehungen, das heißt die Aussiedlung der deutschen Bevölkerung aus der Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg, nicht aussparen. Adrian von Arburg konzentriert sich aus dem breiten Komplex der damit verbundenen Teilfragen namentlich auf die Folgeprobleme, die dieser Akt der Tschechoslowakei verursacht hatte. Obwohl seine Abhandlung über den engen Rahmen der böhmisch-bayerischen Beziehungen hinausgeht, ist die Objektivität zu schätzen, mit der darin die demographischen, ökonomischen, ideologischen, politischen und moralischen Aspekte der Wiederbesiedlung der früher von Sudetendeutschen bewohnten Gebiete untersucht werden. Die von Staatseingriffen begleitete Massenmigration hatte – so von Arburgs Einschätzung – eine Sozialnivellierung des größten Teils der Gesellschaft zur Folge gehabt, und den Kommunisten den Weg zur Machtübernahme erleichtert (S. 280-281). Diese Schlussfolgerung ist vertretbar. Er stellt sich jedoch nur nicht die Frage, wo der Anfang des Bruchs zwischen Tschechen und Sudetendeutschen eigentlich lag und was die primären Motive der Aussiedlung waren. Eine Parallele zu der Abhandlung über die Aussiedlung von Deutschen und die nachfolgenden Migrationsprozesse in der Tschechoslowakei stellt die K. Erik Franzens Studie „Von ungeliebten Fremden zum ‚vierten bayerischen Stamm’“ dar.

Wie empfindlich die gegenseitigen Beziehungen auch nach der schmerzhaften Katharsis des 20. Jahrhunderts und trotz aller historiographischen Aufarbeitungsbemühungen nach wie vor sind, wird schließlich von Jaroslav Pánek in seinem Beitrag „Reflexionen über die bayerisch-böhmischem Beziehungen und über die unterschiedlichen Sichtweisen“ betont. Obwohl die tschechisch-deutschen Spannungen in den letzten Jahren ziemlich abgenommen haben, lassen sind trotzdem im allgemeinen Bewusstsein gewisse Stereotypen nachweisen. Pánek zeigt, wie sich diese beispielsweise in der deutschen Phraseologie widerspiegeln. Er macht auf die auffallende Frequenz von bildlichen Begriffen aufmerksam, welche die im vorhinein als problematisch empfundenen Beziehungen implizieren: diese seien „verletzt“ und benötigten „Heilung“; im europäischen Haus seien die Tschechen „Mieter“, die die Hausordnung übernehmen sollen usw. Er betont, dass bei gemeinsamen Veranstaltungen, die der Öffentlichkeit frühere Kontakte vermitteln wollen, sehr vorsichtig vorzugehen sei. Man solle sich eher auf Beispiele einer konfliktlosen Zusammenarbeit konzentrieren, ohne dabei jedoch die umstrittenen und problematischen Momente der gegenseitigen Kontakte zu verheimlichen. Man solle, so Páneks Schlussfolgerung für Ansätze künftiger Zusammenarbeit, unterschiedliche Ansichten zulassen, ohne damit neue Animositäten anzufachen (S. 365-375).