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Titel
Das Siegel. Gebrauch und Bedeutung


Herausgeber
Signori, Gabriela; unter Mitarbeit von Gabriel Stoukalov-Pogodin
Erschienen
Anzahl Seiten
219 S.
Preis
€ 59,90 (Mitglieder € 39,90)
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Müller, Historisches Seminar, Universität Mainz

Der handliche Sammelband widmet sich den kulturellen Dimensionen der Besiegelung und soll nach Auskunft der Herausgeberin ein einführendes Lesebuch zu Aspekten der Selbstdarstellung und Authentifizierung durch die Anbringung von Siegeln sein (S. 5). Das Hauptaugenmerk gilt dem Siegel als Bedeutungsträger. Damit wird ein Themenfeld betreten, das auch von den eher materiell ausgerichteten Historischen Hilfswissenschaften nicht gänzlich vernachlässigt wurde 1, auf dem aber noch Platz für Annäherungen aus kulturgeschichtlicher Perspektive zu sein scheint.

Zur kulturellen Praxis der Besiegelung gehören auch Missbrauch und Missachtung von Siegeln. In diesem Sinne berührt Gabriela Signori in der Einleitung (S. 9-20) das Problem der Siegelfälschung, unter anderem anhand der Ars prosandi des Konrad Mure und der berühmten Dekretale Papst Innozenz’ III. von 1198 (nicht 1212), deren älteste deutsche Übersetzung im Wortlaut geboten wird. Rüdiger Brandt (Schwachstellen und Imageprobleme: Siegel zwischen Ideal und Wirklichkeit, S. 21-28) stellt wenig überraschend heraus, dass weder unumschränkte Glaubwürdigkeit, noch wirksamer Schutz der besiegelten oder mithilfe eines Siegels verschlossenen Texte durch das Siegel allein garantiert werden konnten. Knut Görich (Missachtung und Zerstörung von Brief und Siegel, S. 121-126) interpretiert Beispiele von Siegelzerstörung in staufischer Zeit als demonstrative Provokation des Siegelführenden. Leider wurden die zentralen Anmerkungen neun und zehn des Beitrags vom Druckfehlerteufel verschluckt. Wilfried Ehbrecht (Unde dat inghesegel lete wy ok enttwey slan. Siegelmissbrauch im Stadtkonflikt am Beispiel Bremens, S. 97-105) weist darauf hin, dass Stadtsiegel, die nach einem innerstädtischen Aufruhr gestochen wurden, einen Neubeginn der Kommune markieren.

Grundlegend für die spätmittelalterlichen Pfarrei- und Pfarrersiegel, die von der Forschung auch aufgrund der disparaten Quellenlage vernachlässigt worden sind, ist der Beitrag von Enno Bünz (S. 31-43). Der konzise Überblick lässt erkennen, dass erst ab 1200 mit der Siegelführung durch Pfarrer zu rechnen ist, dass der siegelnde Pfarrer jedoch rasch zur Beglaubigungsinstanz für fremde Rechtsgeschäfte aufstieg. Die Tatsache, dass die Benutzung der Pfarreisiegel zum Gegenstand synodaler Statuten wurde, unterstreicht die Alltagsrelevanz der Siegelführung. Achim Thomas Hack (Die zwei Körper des Papstes… und die beiden Seiten seines Siegels, S. 53-63) weist unter Bezugnahme auf die Theorie von Ernst Kantorowicz, die im Titel des Beitrags anklingt, auf praktische Aspekte der Siegelführung hin. Die Einbeziehung der Siegel, die von den Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts in Konstanz und Basel verwendet wurden, gibt der Betrachtung im Hinblick auf die doppelte Selbstdarstellung eine interessante Tiefe. Friedrich J. Battenberg, Sonne, Mond und Sternzeichen. Das jüdische Siegel im Mittelalter und Früher Neuzeit (S. 83-95), beleuchtet insbesondere die Ikonografie der von Juden verwendeten Siegel bis zum Ende des 18. Jahrhunderts und stellt dabei den Kompromisscharakter zwischen den Symboliken des eigenen Glaubens und der anders geprägten Umwelt heraus.

Mehrere Autoren gehen der Frage nach, wer für die Gestaltung der Siegel verantwortlich war. Isabelle Guerreau (Otto I. von Wohldenberg. Form und Funktion der Selbstdarstellung eines norddeutschen Weltgeistlichen im Spiegel seiner Siegel, S. 45-52) betont einmal mehr den Aussagewert der Siegelbilder für die sozialen Vorstellungen der Siegelführenden. Spannender wird die Frage jedoch, wenn herrschaftliche Gemengelagen zu beobachten sind. So weist Frank Rexroth (Die universitären Schwurgenossenschaften und das Recht, ein Siegel zu führen, S. 75-80) nicht nur konkurrierende Siegelführung innerhalb der Universität nach, sondern auch die Einflussnahme des Stifters auf die Gestaltung des Hochschul-Siegels. Der von Erich Kittel vertretenen Auffassung, Territorial- und Stadtherren hätten auf die Gestaltung städtischer Siegel keinen Einfluss ausgeübt, widerspricht Wilfried Schöntag (Siegelrecht, Siegelbild und Herrschaftsanspruch. Die Siegel der Städte und Dörfer im deutschen Südwesten, S. 127-138). Er sieht vielmehr das Ringen zwischen der Herrschaft und den um Autonomie bemühten Untertanen in den Siegelmotiven abgebildet. Wilfried Ehbrecht bezieht die ältesten deutschen Stadtsiegel auf das Himmlische Jerusalem der Apokalypse und deutet sie als programmatische Herauslösung der Stadtgemeinden aus den Zwängen irdischer Stadtherrschaft (S. 107-120). Einer solch dezidierten Eigeninitiative bei der Siegelgestaltung steht Andrea Stieldorf (Adelige Frauen und Bürgerinnen im Siegelbild, 149-160) im Hinblick auf weltliche Frauen, die ein eigenes Siegel führten, indessen skeptisch gegenüber.

Beiträge über verwandte Erscheinungsformen runden den Band ab. Instruktive Skizzen werden den Tuchsiegeln (Lukas Clemens, S. 167-174), den Hausmarken (Karin Czaja, S. 175-179) sowie dem Verschluss von Schriftstücken durch Siegel (Hermann Maué, S. 181-188) zuteil. Ein Verzeichnis der Quellen und Literatur sowie ein Orts- und Personenregister erleichtern die Orientierung. In Letzterem finden sich einige Ungeschicklichkeiten wie „Dietrich von Köln, Ebf.“ statt präzise „Dietrich (von Moers), Ebf. von Köln“; obendrein ist dieser im Buch exakt zwei Seiten früher zu finden als im Register behauptet. Unter „Clemens III., Papst“ werden irrtümlich der römische Bischof des späten 12. Jahrhunderts und der gleichnamige, aber als Gegenpapst gezählte Erzbischof Wibert von Ravenna († 1100) vereint. Zahlreiche Abbildungen ermöglichen einen optischen Nachvollzug der Argumentationen.

Die sehr kurz gefassten Aufsätze, die hier nicht alle vorgestellt wurden, sind in der Qualität schwankend, aber durchgehend den Leitthemen des Bandes, Siegelgestaltung und Siegelverwendung, verpflichtet. Ganz wenige schaffen für ihr Thema neue Grundlagen, viele erfrischen grundsätzlich Bekanntes aus dem Feld der Sphragistik im Detail durch Zuspitzung oder eine Veränderung der Perspektive. Wer kein Handbuch der Siegelkunde erwartet, wird in dem handlichen Band, für den in der Verlagsausgabe allerdings ein stolzer Preis zu entrichten ist, mit Gewinn lesen können.

Anmerkung:
1 Bilanzierend Diederich, Toni, Sphragistik, in: ders.; Oepen, Joachim (Hrsg.), Historische Hilfswissenschaften. Stand und Perspektiven der Forschung, Köln 2005, S. 35-59, bes. S. 48-55. Vgl. dazu die Rezension in: H-Soz-u-Kult, 22.03.2006, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-1-192>.

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