D. Hellema: Buitenlandse Politiek van Nederland

Cover
Titel
Buitenlandse Politiek van Nederland. De Nederlandse Rol in de Wereldpolitiek


Autor(en)
Hellema, Duco
Erschienen
Utrecht 2006: Spectrum Verlag
Anzahl Seiten
480 S.
Preis
€ 23,25
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christoph Meyer, Jacobs University Bremen, School of Humanities and Social Sciences

Beschäftigt man sich mit Fragen der Geschichte niederländischer Außenpolitik, kommt man nicht um den Utrechter Historiker Duco Hellema herum. In nunmehr dritter, aktualisierter Auflage ist sein Standardwerk zur Geschichte der auswärtigen niederländischen Beziehungen erschienen. Er verfolgt die These, dass die Politikgestaltung in einem hohen Maße von Kontinuität geprägt wurde und spürt der Frage nach, wie sich diese angesichts zum Teil massiver gesellschaftlicher Veränderungen in den Niederlanden als auch in der externen Umgebung des Staates erklären lassen und wie sie in Beziehung zueinander stehen.

Der eigentliche Schwerpunkt der Monographie liegt auf dem 20. Jahrhundert. Vor diesem Hintergrund liest sich das erste Kapitel wie ein Präludium, das den zeitlichen Bogen vom späten 16. bis zum Ende des 19. Jahrhunderts spannt. In diese Zeit fällt der immense Aufstieg zur Kolonial- und Wirtschaftsmacht als auch der machtpolitische Abstieg gegen Ende des 19. Jahrhunderts, als das Königreich der Niederlande nunmehr ein „kleiner, schwacher Staat mit kolossalem Kolonialbesitz“ (S. 46) war. Hellema zeigt diese Entwicklung in vielen Beispielen, erläutert außenpolitische Ziele und Instrumentarien, die ab etwa 1850 unter dem Nenner ‚Freihandel, Neutralität und Kolonialbesitz‘ zusammengefasst werden können.

Auf knapp 400 Seiten entfaltet er dann seine facettenreiche Darstellung niederländischer Außenpolitik im 20. Jahrhundert. Er geht hierbei chronologisch vor, setzt aber deutliche Akzente auf die Sicherheitspolitik, das Verhältnis zu den europäischen Nachbarn und den USA, analysiert die Haager Bündnispolitik inklusive des aktiven Blauhelmengagements und den europäischen Integrationsprozess. Ferner greift er Fragen der Dekolonisierung Indonesiens auf und widmet in den Kapiteln für die Zeit nach 1945 jeweils ein Unterkapitel dem Thema Entwicklungszusammenarbeit. Je Kapitel entfaltet er zudem ein weltpolitisches Panorama, das dem Leser die Einordnung der Haager Politik erleichtert. Schließlich greift er wiederholt Debatten der niederländischen Geschichtsschreibung zur Außen- und Sicherheitspolitik auf und eröffnet hiermit weitere Interpretationsmöglichkeiten des ‚Geschehenen‘.

Indem er auf einige zentrale Themen fokussiert, werden alsbald Hauptmotive in der Politikgestaltung der niederländischen Regierung erkennbar. Hierzu zählen die Sicherung der Position als Handelsnation sowie ein ständiges Bemühen zur Wahrung der eigenen Unabhängigkeit den großen europäischen Nachbarn gegenüber. Dies war zunächst Großbritannien, später waren es Frankreich und Deutschland. Nachvollziehbar und ohne großes Detailwissen voraussetzend, verortet er die niederländische Politik in den Jahren unmittelbar vor den beiden Weltkriegen im europäischen Machtgefüge: Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs befanden sich die Niederlande auf der Grenze zweier Einflusssphären zwischen dem Deutschen Reich auf der einen und vor allem Großbritannien auf der anderen Seite. Für Hellema grenzt es daher nachgerade an ein „Wunder“ (S. 70), dass das geografisch strategisch gelegene Land nicht in kriegerische Handlungen einbezogen wurde. Zwar weist er auf Erklärungsansätze hin, insgesamt erscheint seine Argumentation an dieser Stelle aber schwach, was angesichts der detaillierten Studie von Marc Frey zum Thema verwundert.1 Im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs sehen sich die Niederlande wiederum zwischen widerstreitenden Interessen des deutschen Nachbarn und der anderen Großmächte. In der von Hellema skizzierten innerniederländisch Auseinandersetzung um einen eher pro-britischen oder eher pro-deutschen Kurs prävalierte letztlich eine „vorsichtige und wohlwollende“ (S. 95) Haltung Berlin gegenüber.

Nach der Erfahrung des deutschen Überfalls im Mai 1940 und dem offenkundigen Scheitern der Neutralitätspolitik wurden die Niederlande Mitglied verschiedener internationaler Institutionen. Diese sollten während der Zeit des Kalten Krieges die militärische Sicherheit und wirtschaftliche Entwicklung der Niederlande garantieren, wobei NATO und EU – beziehungsweise ihren Vorgängerorganisationen – besonderes Gewicht zukam. Als wichtigste Macht für Den Haag erschienen die USA: Sie allein boten aufgrund ihres Status’ als Supermacht ein glaubwürdiges Abschreckungspotential gegenüber der Sowjetunion. Außerdem waren es die USA und die NATO, welche die niederländische Position auch in der westlichen Welt – insbesondere gegenüber den beiden großen Mächten Deutschland und Frankreich – nachhaltig sicherte. Versuchen, eine engere außen- und sicherheitspolitische Kooperation der ‚Europäer‘ herzustellen, standen sämtliche Regierungen unabhängig von ihrer politischen Couleur aus Furcht vor negativen Konsequenzen für die transatlantischen (Sicherheits-)Beziehungen skeptisch bis deutlich ablehnend gegenüber. Trotzdem war Den Haag ab den 1970er-Jahren schrittweise und unter dem Druck seiner europäischen Partner und auch Washingtons bereit, eine auch stärker politisch orientierte Zusammenarbeit der Europäer sowie regelmäßige Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs zu akzeptieren.

Nach 1989 kam es zu Veränderungen in der Haager Außenpolitik. Hellema argumentiert, dass diese – wie in den Jahrzehnten zuvor – der sich gewandelten externen Umgebung geschuldet waren. Die Niederlande blieben ihren zentralen Ausgangspunkten NATO und EG verbunden und waren weiterhin ein „loyaler Adjutant“ (S. 434) der Vereinigten Staaten, der den Kampf gegen den Terrorismus in Afghanistan und im Irak politisch wie militärisch unterstützte.

Die Europapolitik zeichnete sich durch einen deutlich intergouvernementaleren und offensichtlich interessengeleiteten Kurs aus, als dies vor 1989 der Fall war. Für Hellema erscheint es in diesem Licht als „logische Konsequenz aus dem Standpunkt, den die Regierung in den Jahren zuvor vertreten hatte“ (S. 403), dass die Bevölkerung den EU-Vertrag in einem Referendum 2005 mehrheitlich ablehnte.

Behutsam öffnet er ein Unterkapitel zum Fall von Srebrenica des Jahres 1995, als niederländische Blauhelme die UN-Schutzzone bosnisch-serbischen Truppen überließen, die daraufhin tausende Schutzsuchende ermordeten. Hellema zeichnet auf mehreren Ebenen – Außenamt, Verteidigungsressort, Parlament, UNO, NATO und Soldaten vor Ort – den Gang der Geschehnisse sowie ihrer Aufarbeitung nach.

Ein für die niederländische Außenpolitik zentrales Aufgabengebiet stellt der Bereich der Entwicklungspolitik dar. Duco Hellema gelingt es, diese als Teil der Geschichte Haager Außenpolitik – mit ihren Anfängen „vor allem als Kompensation und Alternative“ (S. 201) für den Verlust der Kolonie Indonesien – darzustellen. Gleichzeitig veranschaulicht er, dass sie keinesfalls ‚Anhängsel‘ des Außenamtes ist, sondern zu unterschiedlichen Zeiten nur als absolut eigenständig agierende Einheit des niederländischen Politikbetriebs verstanden werden kann.

„Buitenlandse Politiek van Nederland“ lässt sich ohne besondere Vorkenntnis der niederländischen oder europäischen Geschichte lesen. Hellema schreibt seine Darstellung als eine Geschichte von Anpassungen, Zusammenhängen und Kontinuitäten, bei der es keine ‚Stunde Null‘ gibt. Er zeigt auf, dass verschiedene Ereignisse und Entscheidungen einander in unterschiedlichem Maße bedingen und stellt sie in den Zusammenhang langfristiger Entwicklungen. In seiner Argumentation überzeugt er, ohne jedoch Abweichungen und Umwege zu verschweigen. Die Stärke des Buches liegt in dieser stringenten Verknüpfung und Einbettung von Veränderungen in einen größeren Kontext. Während er eine europäische Geschichte aus niederländischer Perspektive vorlegt, begründet er zugleich, wie diese Perspektive entsteht und welche Folgen sie für das regierungspolitische Handeln des Kleinstaats Niederlande hat. Ohne den roten Faden aus dem Auge zu verlieren, führt er vor Augen, welche unterschiedlichen Faktoren (er definiert sieben Konstanten: geografische Lage, Grad der Einbettung in die Weltwirtschaft, Verortung in der internationalen Machtstruktur, sozial-ökonomische und kulturelle Langzeitverhältnisse, staatliche Struktur und bürokratische Bedingungen, parteipolitische Landschaft, individuelle Entscheidungsträger) wie auf die Politikbildung einwirken und diese bestimmen bzw. beeinflussen. Er berücksichtigt dabei sowohl interne wie externe Variablen. Hellema verwendet dieses Modell in überzeugender Abgrenzung zu den Voorhoeveschen außenpolitischen Traditionen der Niederlande.2 Voorhoeve meint, die niederländische Außenpolitik beruhe auf Traditionen, die – wie Hellema zeigen kann – jedoch nur situativ durch die Empirie zu belegen sind. In der Fülle der Ausnahmen fällt es daher auch schwer, kontinuierlich wirkende Traditionen zu erkennen, deren Quelle nur bedingt andere Faktoren als menschliches Handeln darstellt. Die Antwort, unter welchen Umständen welche der von ihm benannten Konstanten die größte Wirkungsmacht entfaltet, muss Hellema schuldig bleiben: Für den Fall der Niederlande empirisch belegt, zeigt er implizit, dass diese keinen Gesetzmäßigkeiten unterliegen.

Der Untertitel „Die niederländische Rolle in der Weltpolitik“ suggeriert, dass die Niederlande ‚am großen Rad‘ zu drehen vermögen. Da das internationale System die Rolle der niederländischen Politik indes viel häufiger determinierte als diese den ‚Lauf der Dinge‘ wesentlich beeinflussen konnte, darf dieser Untertitel als ironisches Zwinkern gegenüber all jenen aufgefasst werden, die – wie der damalige Staatssekretär Benschop im Jahr 2000 – von den Niederlanden als einer „mittelgroßen Macht“ (S. 393) sprechen.

Mithilfe einer großen Fülle an Verweisen und Anmerkungen sowie der umfangreichen Bibliographie, deren Vollständigkeit durch die Aufnahme einiger unter anderem deutschsprachiger Titel der jüngeren Zeit ergänzt werden könnte3, untermauert der Autor seine Ergebnisse und bietet zusätzlich eine nahezu unerschöpflich anmutende Quelle für die weiterführende Beschäftigung mit von ihm nur skizzierten Themen. Der ausführliche Index eröffnet die Möglichkeit, das Buch als Nachschlagewerk zu verwenden und kompensiert so das Inhaltsverzeichnis, welches lediglich die Kapitelnamen aufführt, die weitere Untergliederung jedoch leider nicht berücksichtigt. Hilfreich wäre ein Anhang, in dem tabellarisch die niederländischen Regierungen und Außenminister zumindest für die Kernkapitel sowie eine Zeittafel der wichtigsten Ereignisse aufgenommen worden wären.

Von diesen zu vernachlässigenden ‚Extrawünschen’ abgesehen, ist das Buch uneingeschränkt interessierten Laien als auch einem mit der Materie vertrauten Fachpublikum zur gewinnbringenden Lektüre zu empfehlen. Als solchem ist ihm auch die Übertragung ins Englische zu wünschen, um ihm eine größere – auch nicht-niederländischsprachige – Leserschaft zu ermöglichen. Gerade mit Blick auf Voorhoeves „Peace, Profits and Principles“, auf das nach wie vor vielfach zurückgegriffen wird, wäre dies eine überfällige Ergänzung der englischsprachigen Literatur zur Geschichte der niederländischen Außenpolitik.

Anmerkungen:
1 Frey, Marc, Der Erste Weltkrieg und die Niederlande. Ein neutrales Land im politischen und wirtschaftlichen Kalkül der Kriegsgegner, Berlin 1998.
2 Voorhoeve, J.J.C., Peace, Profits and Principles. A Study of Dutch Foreign Policy, Leiden 1985 (2. Auflage).
3 etwa Frey, Der Erste Weltkrieg und die Niederlande (wie Anm.1).

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