Titel
Robert Blum. Eine Biografie


Autor(en)
Zerback, Ralf
Erschienen
Leipzig 2007: Lehmstedt Verlag
Anzahl Seiten
368 S., 54 Abb.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ansgar Reiß, Deutsches Historisches Museum, Berlin

Ralf Zerback möchte sich Robert Blums als eines „treuen Gefährten“ bedienen, der geeignet scheint, uns durch die Geschichte der Revolution von 1848/49 zu leiten (S. 5). Blum sei zudem „der einzige echte schwarz-rot-goldene Mythos“, den die deutsche Geschichte bereit halte (S. 6). Als „Teil einer höheren historischen Wahrheit“ hätten dabei auch die „Legenden und Fabeln“ Bedeutung, die sich um seine Person rankten (S. 6). Mit diesen Formulierungen setzt Zerback von vornherein Distanz zur akademischen Geschichtsschreibung. Stattdessen ist seine Absicht eine populäre Biographie im Sinne der historisch-politischen Bildung.

Blickt man auf das Buch im Ganzen, fällt zunächst ein Ungleichgewicht auf: Während Jugend, Berufsweg und der erste Einstieg in die Politik sorgfältig und mit viel Material geschildert werden, bleibt das Bild der Lebensphase unmittelbar vor und in der Revolution auffällig blass. Viele Quellen werden verwertet, um Blums schwierigen Bildungsgang und Berufsweg zu beschreiben. Der Leser bekommt einen lebendigen Eindruck der Verhältnisse in Berlin und Leipzig, und gerade das Theater, an dem Blum arbeitete, erhält gebührende Aufmerksamkeit. Dieser Hintergrund ist zweifellos geeignet, eine Vorstellung von Blums organisatorischen und kommunikativen Fähigkeiten zu erlangen.

Dies bedeutet einen klaren Fortschritt in der Blum-Biographik und es ist ein sehr guter Einstieg in eine allgemeinbildend gehaltene politische Biographie. Angesichts der Zielsetzung des Buches scheint mir eine Identifikation des Lesers mit dem „Helden“ nicht nur vertretbar, sondern sogar wünschenswert. Ein Problem sehe ich aber in sprachlichen Entgleisungen, die die überaus interessante Figur Blum geradezu ins Lächerliche ziehen. So wird sein Bildungshunger mit dem Satz kommentiert, dass offenbar „eine karge Jugend nicht den Genuß an Kunst und Philosophie verdirbt“ (S. 32), oder es wird im Zusammenhang mit seinem zweiten unehelichen Kind, das früh im Waisenhaus starb, auf seine „pralle Derbheit“ verwiesen (S. 155). Und dies ist nur die Spitze des Eisbergs.

Das eigentlich Interessante an einer Biographie, die das politische Engagement in den Mittelpunkt stellt, ist nun natürlich die Verzahnung der Person mit der politischen Welt. Unter dem Titel „Blums politisches Programm – Hallgarten“ gibt Zerback kompetent Einblick in die Struktur oppositioneller Politik im Vormärz. Um nur einiges zu nennen: Nicht theoretische Ideale standen hier im Mittelpunkt, sondern die Begriffe hatten eine „flackernde Unschärfe“ (S. 99), die es dem Fortschrittsmann erlaubten, bei vielen Einzelthemen den Hebel anzusetzen und wider den Stachel zu löcken; er trat mit „gläubigem Ernst“ (S. 105) auf und grenzte sich von den Moderaten ab, um einen Solidarisierungseffekt zu erreichen (S. 106f.); auch der vielfache Bezug auf das positive Recht nahm in dieser Art des Handelns eine systemkritische Bedeutung an (S. 104f.).

Aber dieses Niveau hält die Arbeit leider nicht. Statt die Vorteile der Biographie zu nutzen und aus der Perspektive des Einzelfalles heraus Schlaglichter auf das Geschehen und die Prozesse der Zeit zu werfen, und umgekehrt das Schicksal und das Agieren des Einzelnen aus den Erfordernissen, Möglichkeiten und Rollenzuschreibungen in der sich wandelnden Gesellschaft zu erläutern, begnügt sich Zerback oft mit simplen Charakterisierungen, die das zu Erläuternde immer schon voraussetzen. So gibt es von Blum ein sehr interessantes Dokument aus der Zeit der Julirevolution. Statt aber damit zu arbeiten, bekommt der Leser allbekannte Heine-Zitate vorgesetzt („Generation Juli“, 1844-48). Das politische System, an dem Blum sich abarbeitete, wird vage als das bezeichnet, das „sich seit 1789 überholt hatte“, statt genauer den halb-rechtsstaatlichen Charakter der vormärzlichen Staaten zu benennen, der erst die Möglichkeiten für viele der Aktionen eröffnete. Unmittelbar vor der Revolution wird dem Leser aufgetischt, dass nun die „Parteibildung in der deutschen Fortschrittsbewegung offensichtlich“ sei, statt herauszuarbeiten, was denn nun Blum und Gagern trennte (S. 198f.; vgl. S. 221f.: „die wohlbekannten Gräben“). Die Öffnung der Radikalen gegenüber den Problemen des einfachen „Volkes“ und, zögerlich, sogar gegenüber den populären Protestformen wird mit dem Satz, Blum „war kein Intellektueller, das machte ihn populär“ geradezu verdeckt (S. 98). Die Feststellung, dass die „Beteiligung der unteren Schichten“ Ausdruck seines „Demokratieideals“ gewesen sei (S. 108), lässt nicht einmal die Frage zu, wie dieses Ideal denn entstand oder sich festsetzte.

Es wurde bereits angedeutet, dass die Darstellung der Revolutionszeit generell dünner ausfällt. Die Aufnahme der ersten Nachrichten in Leipzig wird zwar ebenso wie Blums Bemühungen, überhaupt gewählt zu werden, und die letzten Ereignisse in Wien sorgfältig aufgearbeitet, aber die Paulskirche selbst kommt entschieden zu kurz. Zerback kann sein Ziel nicht einlösen, uns in Blum den aus heutiger Sicht sympathischen Radikalen vorzuführen, der gleichzeitig parlamentarisch korrekt handelte. Es wird nicht sichtbar, wie Blum diesem Anspruch, die „Mischung aus parlamentarischem Kompromiss und ‚gelenkter Straße’“ (S. 212), gerecht zu werden versuchte, außer dass er meist mit der radikalen Minderheit stimmte. Entsprechend wird die Paulskirche in den Verlauf der Revolution insgesamt auch nur unzureichend eingebettet.

Besonders problematisch ist es, wenn die alten Klischees über die Revolution von 1848/49 reproduziert werden, um die Rolle Blums hervorzuheben. Wirkliche Fehler sind zwar selten (die „Linke“ hatte sich im Vorparlament mit ihren Vorstellungen vom Wahlrecht eben doch durchgesetzt, S. 226), aber schon der Erzählton einer allgemeinen Mythologie der Revolution („Revolutionen haben ihren eigenen Rhythmus“, S. 209) lässt eine Erkenntnis des Besonderen dieser Revolution nicht zu. Dass der Protest der Straße und das Aufmarschieren von Soldaten gleichermaßen als „außerparlamentarische“ Kräfte bezeichnet werden (S. 240, S. 262), ist ebenso wenig hilfreich wie die Feststellung, die Paulskirche habe „verkopft“ begonnen und „verzopft“ zu enden gedroht (S. 269). Da hilft es auch nichts, den Sommer 1848 als „Deutschen Sommer“ zu bezeichnen (S. 237). Im Gegenteil, es verstellt den Blick auf den europäischen Charakter der Revolution. Den Bericht von Blums standrechtlicher Ermordung in Wien schließlich unter den Titel „Wiener Blut“ zu stellen (S. 265), ist so peinlich, dass man es eigentlich gar nicht wiedergeben möchte.

Auf der anderen Seite wird das Verhalten Blums allzu oft aus seinem Charakter erklärt, wobei es sich doch in eine bestimmte politische oder öffentliche Rolle fügt. Das gilt für Blums immer wieder betonten „Pragmatismus“ (S. 52 und öfter) ebenso wie für seine Ablehnung der Gewalt (S. 188), die ja gleichzeitig demonstrative Aktionen nie ausschlossen, die sorgfältig bis zum Rand des gerade noch Erlaubten getrieben wurden. Es ist nicht „natürlich“, dass Blum im Kostüm des Deutschkatholizismus nur „Politik“ machte (S. 174f.), sondern der Deutschkatholizismus bot seiner Tätigkeit Entfaltungschancen. Dass Blum 1848 ein „Mandat“ der Leipziger jüdischen Gemeinde bekam, zeigt nicht nur, dass er als „Menschenfreund“ galt (S. 219), sondern auch eine sehr spezifische Erwartung an die Revolution.

Anstatt also lesen zu müssen, Blum sei „zu gesund für die Rolle des freigeistigen Literaten“ gewesen (S. 87), möchte man lieber etwas darüber erfahren, wie es sich für seine Ideen und Strategien jeweils auswirkte, dass es ihm im Vormärz gelang, das „Volk“ zu erreichen (S. 175), oder dass er sich im ‚50er-Ausschuss’ plötzlich als Repräsentant „einer kleinen Gruppe“ fühlen musste (S. 233). Reine Küchenpsychologie ist es, wenn seine Hinwendung zur bewaffneten Verteidigung Wiens mit einem „Helfersyndrom“ erklärt wird (S. 269).

Letztlich liegt es an einem methodischen Problem, dass Zerbacks Biographie unsere Neugierde trotz ihres Materialreichtums enttäuscht. Sie wagt es nicht, uns gerade im Besonderen der Person das Wesentliche der Zeit zu zeigen, und sie lässt sich nicht genügend auf die Fremdheit und Singularität der Zeitumstände ein, aus denen sich erst das Repräsentative der Person erhellen kann. Und dabei spielt es keine Rolle, ob das Buch im akademischen oder im populären Horizont verstanden werden will. Der Erinnerung an Robert Blum wird durch diese Arbeit kein Dienst erwiesen.