J. Fajt (Hrsg.): Karl IV. Kaiser von Gottes Gnaden

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Titel
Karl IV. Kaiser von Gottes Gnaden. Kunst und Repräsentation des Hauses Luxemburg 1310-1437


Herausgeber
Fajt, Jiř í
Erschienen
Anzahl Seiten
679 S.
Preis
€ 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marc C. Schurr, Kunstgeschichtliches Seminar, Universität Freiburg/Fribourg (Schweiz)

Der im renommierten Deutschen Kunstverlag erschienene, opulent bebilderte Band enthält den Katalog zu den 2005 im Metropolitan Museum, New York, und 2006 auf der Prager Burg gezeigten spektakulären Schauen, welche das künstlerische Schaffen am Hof der Kaiser und Könige aus dem Geschlecht der Luxemburger eindrucksvoll präsentierten. Beides, Ausstellungen und Publikation, sind eng verbunden mit einem Forschungsprojekt zur Hofkultur Ostmitteleuropas, das am „Geisteswissenschaftlichen Zentrum Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas an der Universität Leipzig“ (GWZO) realisiert wird. Dementsprechend ist das von Projektleiter Jiří Fajt unter Mitarbeit von Markus Hörsch und Andrea Langer sowie mit Unterstützung der New Yorker Kuratorin Barbara Drake Boehm herausgegebene Werk weit mehr als ein gewöhnlicher Ausstellungskatalog. In einer ganzen Reihe von synthetisierenden Texten wird der historische Hintergrund beleuchtet und gleichzeitig der Versuch unternommen, die im Auftrag der Hofgesellschaften entstandenen Kunstwerke in vergleichender Abgrenzung zu anderen Werken der Zeit als Medien künstlerischer Repräsentation im Sinne herrschaftsbegründender Selbstinszenierung erkennbar zu machen. Durch diese Herangehensweise, so der Herausgeber im Vorwort, sollten alte, nationale, kunstlandschaftliche oder auch rein formal stilgeschichtliche Ansätze abgelöst werden.

Der Band gliedert sich in acht große Kapitel, die sich um die erwähnten historisch-kunstgeschichtlichen Essays gruppieren. Zu den einzelnen Objekten gibt es darüber hinaus kurze, von verschiedenen renommierten Autoren signierte Begleittexte. Das erste Kapitel wird durch einen Text von Markus Hörsch eingeleitet und behandelt die künstlerische Repräsentation im Umfeld der bedeutendsten, unmittelbaren Vorfahren Karls IV., seines Großvaters Kaiser Heinrichs VII., seines Onkels Balduin, Erzbischof von Trier, und seines Vaters König Johann von Böhmen. Daran schließt ein naturgemäß zu den wichtigsten und umfangreichsten des Bandes zählendes, der Person Kaiser Karls IV. selbst gewidmetes Kapitel an. Die einführenden Textbeiträge stammen hier von Barbara Drake Boehm, Jiří Fajt und Robert Suckale. Das dritte Kapitel ist der Stadt Prag gewidmet und enthält Essays von Barbara Drake Boehm, und Vivian B. Mann. Insbesondere im brillanten Beitrag von Paul Crossley und Zoë Opačić kommt auch die für das Thema in ihrer Bedeutung kaum zu unterschätzende, im Katalogteil aber aus nachvollziehbaren Gründen so gut wie nicht repräsentierte Baukunst zu ihrem Recht. Das vierte Kapitel erweitert mit Texten von Kaliopi Chamonikola, Jiří Fajt, Romuald Kaczmarek und Evelyn Wetter den Blick auf die Länder der böhmischen Krone, während das anschließende fünfte Kapitel in Beiträgen von Jiří Fajt, Markus Hörsch, Adam S. Labuda und Robert Suckale die für Karl IV. wichtigsten Regionen des Reiches mit einbezieht. Den beiden Söhnen und Nachfolgern Karls IV., Wenzel und Sigismund, sind schließlich die Kapitel sechs und acht gewidmet. Während Drake Boehm und Fajt das einleitende Essay zum Kapitel, welches die Kunst unter Wenzel IV. zum Gegenstand hat, verfasst haben, zeichnen für die Begleittexte zum Sigismund-Kapitel Ernö Marosi und Wilfried Franzen verantwortlich. Das siebte Kapitel behandelt schließlich unter dem Titel „Bewegung und Gegenbewegung“ (S. 540) zwei enorm wichtige übergeordnete Fragestellungen. Dabei beschäftigt sich Gerhard Schmidt mit einem formalen Aspekt und versucht, die für die Epoche gängigen Stilbegriffe der ‚Internationalen Gotik’ und des ‚Schönen Stils’ einer Klärung zuzuführen. Diese Arbeit ist umso verdienstvoller, als gerade für die den Katalogtexten zugrunde liegende Absicht einer historischen Interpretation des künstlerischen Stils die genaue Definition der Stilkomplexe und der für sie gewählten Terminologie eine Grundvoraussetzung ist. Jan Royt hingegen versteht Bewegung und Gegenbewegung eher aus einer historisch geprägten, bildwissenschaftlichen Perspektive heraus und behandelt das für das Verständnis der kulturellen Entwicklung in den böhmischen Ländern so essentielle Thema von Kirchenreform und Hussitentum mit ihren vielschichtigen Auswirkungen auf die künstlerische Produktion.

Insgesamt gesehen leistet der vorliegende Band einen bedeutenden Beitrag zur mediävistischen Kunstgeschichte. Mit der dezidierten Perspektive seiner Essays findet der Katalog Anschluss an aktuelle Diskurse der Geschichtswissenschaft, die unter den Stichworten von Performanz und Inszenierung geführt werden, aber auch der Kunstgeschichte im Zeitalter des ‚medial turns’.

Wenn dabei die von Fajt und Suckale gemeinsam verfassten Beiträge besonders zu beeindrucken vermögen, ist dies keine Überraschung. Schließlich knüpft der Katalog mit seiner Generalthese eines ‚kaiserlichen Stils’, welcher im Kunstzentrum Prag geprägt wurde und von dort aus quasi zur künstlerischen ‚corporate identity’ des Kaisers und seiner Gefolgsleute geriet, an frühere Arbeiten Suckales an.1 Was für die Epoche Ludwigs des Bayern durchaus Widerspruch provoziert hat 2, gewinnt durch die zeitliche Erweiterung der Perspektive an Überzeugungskraft. Gleichwohl bleibt kritisch festzuhalten: Letztlich muss jeder Einzelfall, jede mutmaßliche Motivation einer Stilübernahme/-annäherung individuell und differenziert untersucht werden, was den Rahmen des auf die Luxemburger konzentrierten Ausstellungsprojektes zweifellos gesprengt hätte. Um so mehr aber stellt sich die Frage, ob man wirklich immer und überall jene Intentionen unterstellen muss, die Fajt und Suckale auf die griffige Formel gebracht haben: „Wo auch immer wir einen kaiserlichen Ratgeber als Stifter von Kunstwerken nachweisen können, stellen wir fest, dass sie entweder aus Prag importiert oder von böhmischen bzw. böhmisch geschulten Künstlern geschaffen wurden. Das kann heuristisch auch umgekehrt werden: Findet sich irgendwo ein der böhmischen Kunst eng verwandtes Werk, so darf man dahinter einen Anhänger Karls vermuten.“ (S. 183) Insbesondere der zuletzt genannte Umkehrschluss birgt doch einigen kunstgeschichtlichen Sprengstoff. Seine Gültigkeit hängt neben der Aussagekraft der historischen Fakten sicherlich entscheidend von der Sorgfalt der Anwendung der stilanalytischen Kriterien ab. In welchem Maß und wie ausschließlich müssen denn die Physiognomien der Gesichter und die Drapierung der Gewandfalten mit den Modellen übereinstimmen, damit man von einer Stilübernahme sprechen kann? Wo sind bei nachrangigen Werken stilistisch die Grenzen zwischen zufälliger Beeinflussung und bewusster Imitation des Vorbildes zu ziehen? Diese kritischen Fragen sind berechtigt, gilt es doch den Horizont der Rezipienten einzubeziehen.

Letztlich aber ist das hier skizzierte Spannungsfeld eine zwangsläufige Begleiterscheinung der Methode, die ja darauf abzielt, die Wahl der künstlerischen Form einer historischen Interpretation zu unterziehen. Es wird dabei immer Raum für Zweifel und Irrtümer, bisweilen sogar Streitfälle geben, was aber nicht dazu verleiten darf, die Methode als solche zu diskreditieren, zumal wenn man, wie die westliche Kultur das seit der Aufklärung implizit ständig tut, künstlerischen Artefakten eine historische Aussagekraft beimessen will. Auch die klassische historische Forschung sieht sich im übrigen, selbst wenn sie sich ausschließlich mit Schriftquellen beschäftigt, denselben oder ähnlich gelagerten Problemen der Interpretation oder Auslegung gegenüber.

Was der vorliegende Band vermittelt, bleibt ein faszinierendes Gesamtpanorama der karolinischen Kunst und ein überzeugendes Plädoyer für die historische Interpretierbarkeit der künstlerischen Form. Beeindruckend ist darüber hinaus die inhaltliche Homogenität und Kohärenz des vielschichtigen Werks, wofür dem Herausgeber Jiří Fajt, der zudem einen Großteil der synthetisierenden Texte selbst verfasst oder mitsigniert hat, größter Respekt zu zollen ist.

Anmerkungen:
1 Suckale, Robert, Die Hofkunst Kaiser Ludwigs des Bayern, München 1993.
2 Köstler, Andreas, Rezension zu Robert Suckale, Die Hofkunst Kaiser Ludwigs des Bayern, in: Kunstchronik 48 (1995), S. 288-291.

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