D. Blumenwitz: Okkupation und Revolution in Slowenien (1941-46)

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Titel
Okkupation und Revolution in Slowenien (1941-46). Eine völkerrechtliche Untersuchung


Autor(en)
Blumenwitz, Dieter
Reihe
Studien zu Politik und Verwaltung 81
Erschienen
Anzahl Seiten
162 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Joachim Hösler, Lehrbeauftragter für Neuere und Osteuropäische Geschichte, Philipps-Universität Marburg

Die letzte Publikation des im April 2005 verstorbenen Staats- und Völkerrechtlers Dieter Blumenwitz ist den Umbrüchen im
slowenischen Teilgebiet Jugoslawiens während des Zweiten Weltkriegs und unmittelbar nach Kriegsende 1945/46 gewidmet. Zu diesen Problemen hat im Jahr 2003 Tamara Griesser-Pečar eine historische Untersuchung vorgelegt.1 Blumenwitz’ völkerrechtliche Studie ist in einem sachlich-nüchternen Stil verfasst, der angesichts des Themas phasenweise beklemmend wirkt. Teil A der 149 Textseiten umfassenden Studie dient der völkerrechtlichen Bewertung der Okkupation und der verschiedenen Widerstandsgruppen 1941 bis 1945, Teil B befasst sich mit den Geschehnissen nach Kriegsende, vor allem mit der Verfolgung der „Kollaborateure“.

Im Rahmen der Klärung völkerrechtlicher Vorfragen verweist Blumenwitz zur Begründung des Selbstbestimmungsrechts der slowenischen Nation auf die Herrschaftsbildung der Karantaner von Mitte des 7. bis Mitte des 8. Jahrhunderts, auf eine „sprachliche und kulturelle Homogenität“ der Slowenen, eine „Ausprägung eines slowenischen Selbstverständnisses“ und eine vorgestellte Kontinuität von der Illyrischen Bewegung des 19. Jahrhunderts zum Unabhängigkeitsreferendum des Jahres 1990. Daraus folgert der Völkerrechtler, dass der Zerfall Jugoslawiens und die Gründung eines slowenischen Nationalstaats vorgezeichnet gewesen und lediglich durch den Zweiten Weltkrieg und den Titoismus verzögert worden seien. Nach der „Drei-Elementen-Lehre“ (S. 33) sei das Königreich Jugoslawien 1941 nicht untergegangen, da keines der drei Staatlichkeitsmerkmale (Staatsvolk, -gebiet und -gewalt) dauerhaft verloren gegangen sei. Der deutsche Einmarsch sei eindeutig völkerrechtswidrig gewesen. Dennoch habe für die Zeit des Krieges das Kriegsrecht gegolten, auf dessen Einhaltung auch derjenige Anspruch gehabt habe, der den illegalen Krieg führte.

Mit dem Kriegsrecht – so Blumenwitz in Kapitel II – sei das provisorische Recht der kriegerischen Besetzung verbunden, das Rechte und Pflichten der Okkupanten und der Bevölkerung im Besatzungsgebiet festlege. Letztere werde dadurch zu Gehorsam verpflichtet, genieße aber den rechtlichen Anspruch auf Schutz der Ehre, des Lebens, des Eigentums etc. Die jugoslawische Exilregierung habe ihren Regierungsstatus nicht verloren. Die De-facto-Anerkennung der Tito-Administration durch die Alliierten unterstreiche geradezu, dass es weiterhin auch eine vorübergehend handlungsunfähige De-jure-Regierung gegeben habe. Aus dieser Perspektive besaßen Widerstandsgruppen, die konspirativ agierten, Anschläge verübten und in der Zivilbevölkerung Deckung suchten, keinen völkerrechtlichen Schutz. Hitlers Befehl, für jeden getöteten Deutschen 100, für jeden Verwundeten 50 Geiseln zu töten, war demnach eine „Form völkerrechtlicher Selbsthilfe, gegen die keine Gegenrepressalie erlaubt ist“ (S. 52). Blumenwitz räumt ein, diese Auffassung basiere auf unsicherem Gewohnheitsrecht, besteht aber darauf, dass nur zwei Aspekte der Geiseltötungen kritikwürdig seien: die willkürliche Auswahl und die hohe Zahl der Opfer.

In Kapitel III geht es um die Bewertung der besatzungshoheitlichen Gewalt. Die Haager Landkriegsordnung habe die deutsche Besatzungsmacht dazu verpflichtet, die öffentliche Ordnung aufrecht zu erhalten; daraus habe sich auch das Recht abgeleitet, Widerstand gegen die Okkupation gewaltsam zu unterdrücken. Da Landesrecht jedoch grundsätzlich fortgelte, sei ein großer Teil der erlassenen Gesetze völkerrechtswidrig gewesen. Dies betreffe insbesondere die Auflösung des Gerichtswesens, den Umbau der Verwaltung, die Ausbeutung privaten und staatlichen Eigentums, die Eindeutschung, Deportation und Treueverpflichtung der Bevölkerung, die gezielten Zerstörungen von Sach- und Kulturwerten beim Rückzug usw. Die Requisition von Staatseigentum sei über das von der Haager Landkriegsordnung vorgesehene Beuterecht des Okkupanten hinausgegangen.

Kapitel IV ist der völkerrechtlichen Bewertung der Akteure des Widerstands und des Bürgerkriegs gewidmet. Als „Widerstandsgruppen“ betrachtet Blumenwitz die Tschetniks unter der Führung von Draža Mihailović, die kommunistisch geführte Befreiungsfront, antikommunistische Legionen, Ortswehren und Landeswehr sowie die Kirche. „Zusammenarbeit mit den Besatzungsmächten“ wird lediglich in einem Exkurs thematisiert, in dem es um die Aktivität des Generals Leon Rupnik und des Ljubljanaer Polizeichefs Dr. Lovro Hacin geht; um zwei Akteure also, „die sich mit den Zielen der Besatzungsmächte identifizierten und mit diesen in größerem Umfang als zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unbedingt notwendig zusammenarbeiteten“ und die daher „als Täter“, nicht als Opfer einzustufen seien (S. 82).

Die Anerkennung der Befreiungsfront durch die Alliierten führt Blumenwitz auf das schlechte Erscheinungsbild der jugoslawischen Exilregierung und auf Fehlinformationen über die Partisanen zurück. Sie sei aus völkerrechtlicher Sicht verfrüht und unzulässig, aber insoweit gerechtfertigt gewesen, da sie dem Schutz der alliierten Truppen und der Sicherung der Nachkriegsordnung dienen sollte. Mit der Anerkennung durch die Alliierten und die Exilregierung seien die Partisanen an das Kriegsrecht gebunden und zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung verpflichtet worden. Die damit verbundenen Pflichten hätten sie jedoch in mehrfacher Hinsicht verletzt (Umgang mit Steuergeldern, Requisitionen, Bestrafung der Zivilbevölkerung etc.). Dadurch sei das Treueverhältnis der übrigen „Widerstandsgruppen“ (die de facto nicht gegen die Okkupation, sondern gegen die Befreiungsfront Widerstand leisteten) gegenüber der Exilregierung nicht aufgehoben worden. Sie seien, so Blumenwitz, befugt gewesen, sich gegen die Partisanen „zu verteidigen“.

In Teil B thematisiert Blumenwitz zuerst die Triest-Frage, die 1954 zugunsten Italiens entschieden wurde. Die versuchte Eingliederung Triests, die Vergeltungsmaßnahmen und die Übergriffe gegen die Zivilbevölkerung durch Armee- und Polizeikräfte Tito-Jugoslawiens bezeichnet Blumenwitz als völkerrechtswidrig. Auch die staatliche Reorganisation Jugoslawiens und die Ausgestaltung der einzelnen Republiken hätten dem Völkerrecht widersprochen. Die Teilrepubliken seien keine souveränen Staatsgebilde gewesen.

Blumenwitz räumt ein, dass die Bestrafung von Kollaboration eine Frage innerstaatlichen Rechtes sei. Doch bei seiner völkerrechtlichen Prüfung legt er nur ein Kriterium an: „ob die Bevölkerung rechtmäßige oder rechtswidrige Anordnungen der Besatzungsmächte befolgt bzw. freiwillig oder entschuldbar unter Druck gehandelt“ (S. 113) habe. Mit anderen Worten: Blumenwitz sucht allein nach strafausschließenden Gründen zur Rechtfertigung des Besatzungsrechts und der Zusammenarbeit mit den Besatzungsmächten.

Das Ergebnis folgt logisch aus der damit eingefädelten Argumentationskette: „Kollaboration“ ist ein politischer Begriff und diente zur willkürlichen Verfolgung von Antikommunisten; Bevölkerung, Verwaltung, Kirche und „Selbstschutzorganisationen“ waren den Okkupanten zu Gehorsam verpflichtet; diese hatten das Recht, Ungehorsam zu bestrafen; nach „erfolgter und effektiver Besetzung“ entfiel die Rechtfertigung zum Volksaufstand; Aufforderungen zum Widerstand gegen die Besetzung waren also völkerrechtswidrig; gegen „die Angriffe der Partisanen“ hingegen bestand ein „Notwehrrecht“; wer den Anordnungen der Besatzer folgte, konnte sich auf „Höhere Gewalt“ berufen, so Blumenwitz.

Im vorletzten Kapitel geht es um die Rücksendung antikommunistischer Widerstandskämpfer und geflohener Zivilisten durch die britischen Truppen nach Jugoslawien. Dieser Vorgang habe den menschenrechtlichen Mindeststandard verletzt. Gleiches gilt laut Blumenwitz für die Vergeltungsmaßnahmen innerhalb Jugoslawiens 1945/46, da nicht Taten, sondern Gesinnungen bestraft, da Menschenrechte missachtet und Rechtsgrundsätze verletzt worden seien, da in der jugoslawischen Verfassung Menschenrechte nur nominell verankert, aber jederzeit relativierbar gewesen seien.

Dies alles, so Blumenwitz abschließend, spalte die Gesellschaft bis in die Gegenwart (der Jahre 2003/04). Die von der „linken“ Parlamentsmehrheit und der Regierung unter Ministerpräsident Tone Rop betriebene Gedenkpolitik missachte das völkerrechtliche Gebot, das Schicksal der Opfer der Vergeltungsmaßnahmen zu untersuchen, sie verschleiere die Zahl der Opfer und verunglimpfe die Opfer postmortal.

Der an sich verdienstvolle Versuch Blumenwitz’, eine völkerrechtliche Bewertung der Folgen des deutschen Überfalls auf Jugoslawien insbesondere im Hinblick auf den slowenischen Landesteil zu unternehmen, ist angesichts des vorgelegten Ergebnisses äußerst kritikwürdig. Dies beginnt bei der Klärung der völkerrechtlichen Vorfragen. Der Laie staunt, wie simpel der Jurist argumentiert. Blumenwitz beruft sich auf genau die Mythen, die jede Nationalgeschichtsschreibung nicht müde wird zu repetieren, die dadurch jedoch keinen Deut Wahrhaftigkeit gewinnen und einer kritischen Überprüfung nicht standhalten. Der Zerfall Jugoslawiens und die Gründung eines slowenischen Nationalstaates waren keineswegs in den 1920er- oder 1930er-Jahren vorgezeichnet; vielmehr vollzogen sich erst in Jugoslawien I und II die staatsbildenden Prozesse, die die Eigenstaatlichkeit Sloweniens 1991 möglich machten.2

Sowohl die Besatzungsmächte als auch – nach der alliierten Anerkennung – die Befreiungsfront sieht Blumenwitz an das Kriegsrecht gebunden. Aber er misst mit zweierlei Maß. Die Befreiungsfront habe ihre mit dem Kriegsrecht verbundenen Pflichten verletzt und daher den Anspruch auf Gehorsam der Bevölkerung verloren. Gegenüber den Besatzern blieb die Bevölkerung laut Blumenwitz zu Gehorsam verpflichtet, jeder Widerstand war illegal, sogar die exzessive, liquidatorische Gewalt gegen zivile Geiseln bezeichnet er als „völkerrechtliche Selbsthilfe“ der Besatzungsmacht. Dies alles aufgrund der Annahme, diese Besatzungsmacht habe die öffentliche Ordnung aufrechterhalten und die Zivilbevölkerung geschützt. Dass die Praxis der deutschen Besatzung (anders als die der Befreiungsfront!) auf die Vernichtung der slowenischen Bevölkerung zielte, weiß Blumenwitz (S. 57). Eben weil die deutsche Besatzungsmacht die Zivilbevölkerung nicht schützte, sondern 73 Prozent der Sloweninnen und Slowenen im Besatzungsgebiet einer rassistischen Musterung unterzog, bis zu 80.000 Menschen deportierte und am Ende mindestens 40.000 Todesopfer zu verantworten hatte, hat sie nach Blumenwitz’ eigener Logik den Anspruch auf Gehorsam verwirkt. Dieser Konsequenz verweigert sich der voreingenommene Völkerrechtler.

Die Befreiungsfront hat den Widerstand gegen die faschistische Vernichtungspolitik notwendigerweise aus der Illegalität heraus organisiert. So pauschal wie sie alle, die sich ihr nicht anschlossen, zu Kollaborateuren erklärte, so pauschal stellt Blumenwitz allen antikommunistischen Kräften einen Persilschein aus: für ihn gibt es nur „angebliche Kollaborateure“. Fragen nach tatsächlicher Zustimmung zur Stoßrichtung der Besatzungspolitik, nach ihrer Unterstützung und nach echter Kooperation mit ihr, stellen sich für ihn nicht.

Drei weitere Fehlurteile können aus Platzgründen hier nur kurz genannt werden: So waren „die Slowenen“ sich keineswegs in ihrem politischen Kampf gegen die Besatzungsmächte einig, wie Blumenwitz meint (S. 76). Ortswehren und Landeswehr leisteten keinen Widerstand gegen die Besatzungsmächte, sondern ließen sich von diesen für den Kampf gegen die Befreiungsfront bewaffnen, finanzieren, ausbilden und befehligen (S. 80-82). In Slowenien wird bereits seit Anfang der 1990er-Jahre keine „linke“ Gedenkpolitik mehr gemacht; vielmehr wurde und wird die Umcodierung der Erinnerung betrieben: Kollaboration wird geleugnet, der Widerstand als kommunistischer Terror delegitimiert, die Landeswehr zur nationalen Vereinigungsbewegung stilisiert. Nicht aufgrund parteipolitischer Orientierung, sondern aufgrund fachlicher Solidität kritisieren seriöse Historiker diese „Kontaminierung der Vergangenheitsinterpretation“ (Oto Luthar).3

Blumenwitz’ Studie demonstriert die Unzulänglichkeit einer rein völkerrechtlichen Bewertung komplexer historischer Vorgänge. Dies gilt umso mehr, wenn sich, wie in diesem Fall, hinter der unpolitischen, formal-juristischen Attitüde eine Haltung verbirgt, die nahezu alles zu rechtfertigen weiß, was sich in der untersuchten Vergangenheit gegen die Kommunisten gerichtet hat.

Anmerkungen:
1 Griesser-Pe&#269;ar, Tamara, Das zerrissene Volk. Slowenien 1941-1946. Okkupation, Kollaboration, Bürgerkrieg, Revolution (Studien zu Politik und Verwaltung 86), Wien 2003. Dazu meine Rezension unter <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-1-215> (31.3.2006).
2 Vgl. Hösler, Joachim, Slowenien. Von den Anfängen bis zur Gegenwart, Regensburg 2006; ders., Von Krain zu Slowenien. Die Anfänge der nationalen Differenzierungsprozesse in Krain und der Untersteiermark von der Aufklärung bis zur Revolution 1768 bis 1848, München 2006 (dazu die Rezension von Wolfgang Kessler unter <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-3-056> (5. Juni 2007).
3 Dazu Hösler, Joachim, Sloweniens historische Bürde, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 46 (2006), S. 31-38.

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