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Titel
Agenten des Bösen. Verschwörungstheorien von Luther bis heute


Autor(en)
Wippermann, Wolfgang
Erschienen
Berlin 2007: be.bra Verlag
Anzahl Seiten
208 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Malte Gebert, Göttingen

Für die Geschichtswissenschaft stellen Verschwörungstheorien eine Herausforderung dar, die bisher nur selten angenommen wurde. Auch wenn die Kernaussagen verschwörungstheoretischer Welterklärungsmodelle sich als banal darstellen, gestalten sich ihre Wirkungsmechanismen erstaunlich kompliziert.1 Wolfgang Wippermann, der als Professor für Neuere Geschichte an der Freien Universität Berlin lehrt, unternimmt nun mit seiner Monografie den Versuch, „die Geschichte der Verschwörungsideologien zum ersten Mal umfassend“ darzulegen (S. 8). Hierfür distanziert er sich zunächst vom Begriff der „Verschwörungstheorien“, indem er darauf verweist, dass diese immer ein ideologischer Charakter auszeichne. Verschwörungstheorien stellen somit ein geschlossenes Welterklärungsmodell dar, welches am besten als „Verschwörungsideologie“ zu bezeichnen sei. Seine im Folgenden entfaltete Kernthese lautet kurz und knapp, der christliche Teufelsglaube und damit der dem Neuen Testament zugrunde liegende Dualismus zwischen Gott und Satan – zwischen Gut und Böse – sei Ursprung jeder Verschwörungsideologie von „Luther bis heute“.

Anders als der Untertitel des Buches suggeriert, beginnt Wippermann seine Darstellung nicht mit dem Wirken Martin Luthers im 16. Jahrhundert. Vielmehr arbeitet er in den ersten zwei Kapiteln heraus, wie das Christentum zunächst unter Einfluss des persischen Zarathustra-Glaubens und später durch das Johannes-Evangelium des Neuen Testaments einen strengen Dualismus entwickelt habe, in dem nun alles Böse auf eine einzige Quelle zurückgeführt werde: den Teufel. Da dieser sein böses Werk nicht alleine vollziehen könne, benötige er verschiedene Helfer – die im Titel angesprochenen „Agenten des Bösen“. Die Rolle dieser Agenten ist im Verlauf der Geschichte im Wesentlichen Juden, Hexen, Freimaurern und Illuminaten zugeschrieben worden.

In den folgenden Kapiteln stellt Wippermann die historisch wirkungsmächtigsten Verschwörungsideologien vor. Er schlägt einen weiten Bogen der unter anderem von den Hexenprozessen im 14. Jahrhundert über die Fabrikation der „Protokolle der Weisen von Zion“ im zaristischen Russland des ausgehenden 19. Jahrhunderts bis zu den Verschwörungsideologien der Gegenwart reicht. In zwei Kapiteln unternimmt Wippermann zudem den Versuch zum einen die antikommunistischen und kommunistischen Verschwörungsideologien des Kalten Krieges sowie zum anderen die islamistischen und antiislamistische Verschwörungsideologien gegenüberstellend zu diskutieren.

Wippermann arbeitet heraus, dass in den unterschiedlichsten Verschwörungsideologien „die Juden“ immer wieder die Funktion eines universellen Platzhalters erfüllen. Angelegt sei diese Funktion schon in der im Alten Testament beschriebenen „Synagoge des Satans“ sowie in der Ritualmordlegende und den Pestpogromen des christlichen Mittelalters. Das Urbild von der „jüdischen Verschwörung“ sei von Martin Luther in dessen Schriften aufgegriffen und zu einer Judenfeindschaft mit „exterminatorischen Charakter“ verdichtet worden (S. 28). Seitdem schreiben die Verschwörungsideologien „den Juden“ nicht nur zu, für die Französische Revolution verantwortlich zu sein, sondern auch, sich des Kapitalismus und des Bolschewismus zum Zwecke der Weltverschwörung zu bedienen (S. 78ff.). Auch in der Gegenwart haben diese antisemitischen Verschwörungsideologien nicht an Bedeutung verloren, wie Wippermann in vier weiteren Kapiteln überzeugend verdeutlicht. Beispielsweise seien „die Juden“ bezichtigt worden, die Anschläge am 11. September 2001 geplant und durchgeführt zu haben. Zudem dienen die bereits erwähnten „Protokolle der Weisen von Zion“ in der islamistischen Verschwörungsideologie als „Beweis“ für eine angebliche jüdische Weltverschwörung.

Doch hinter all diesen Erscheinungsformen von Verschwörungsideologien stünde immer die imaginierte Gestalt des Teufels: „Am Anfang war der Teufel. Genauer gesagt seine Erfindung, die mit dem alten Testament begann“. (S. 159) Somit ließe sich bei Betrachtung der Inhalte von Verschwörungsideologien eine Konstanz von den Anfängen bis heute feststellen. Dies heißt jedoch nicht, dass Funktionen und Wirkungen von Verschwörungsideologien immer gleich sind. Im Gegenteil: Verschwörungsideologien seien einem steten Wandel unterworfen, der von der Zeit ihres Entstehens abhänge. Indes zeichneten sich alle Zeiten in denen Verschwörungsideologien entstanden durch eine Besonderheit aus, welche Wippermann wie folgt auf den Punkt bringt: „Krisenzeiten sind Verschwörungszeiten“. (S. 160)

Mit diesem Befund erklärt Wippermann auch die Attraktivität, der sich Verschwörungsideologien als unterkomplexe Welterklärungsmodelle in der Gegenwart erfreuen. Denn, so sein bedrückendes Fazit, spätestens mit den Anschlägen am 11. September 2001 habe die bis dato letzte Krisen- und Verschwörungsepoche begonnen. Auf den letzten Seiten des Nachworts, findet sich einer – der leider wenigen Versuche – zu erklären, was das Verlockende daran ist, alles vorstellbare „Üble“ und „Böse“ auf der Welt auf Minderheiten zu projizieren: Als ursächlich für Verschwörungsideologien bezeichnet Wippermann „eine geistige Krise“, die eng mit der als „bedrohlich empfundenen“ Moderne verbunden sei und zu einer Abkehr von der Aufklärung führe. Gerade die Hinwendung zu fundamentalistisch ausgelegten Religionen oder esoterischen und okkulten Ersatzreligionen sei Zeichen für einen „Rückfall in eine vor- und antiaufklärerische Zeit mit alten und neuen antisemitischen und diabolischen Verschwörungsideologien“ (S. 163).

Wippermann wird seinem selbstgesteckten Ziel, „die Geschichte der Verschwörungsideologien zum ersten Mal umfassend“ darzulegen nicht vollständig gerecht. Hierfür gibt es mehrere Gründe: Besonders gravierend fällt zunächst auf, dass ein systematischer Versuch Verschwörungsideologien sowie ihre Merkmale und Funktionen zu definieren, bei Weitem zu kurz kommt. Stattdessen versteift Wippermann sich darauf, jedes der dargestellten verschwörungsideologischen Phänomene einzig und alleine auf den Teufelsglauben zurückzuführen. Dies wirkt besonders an solchen Stellen arg konstruiert, wo er zum Ende der Darstellung der nationalsozialistischen Verschwörungsideologie ein einzelnes Zitat zur Stützung seiner Kernthese anführt (S. 93), um den Bezug zum Teufelsglauben wiederherzustellen. Zudem muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, mit der Rückführung jeder Verschwörungsideologie auf den Diabolismus selber eine unterkomplexe und monokausale Lesart eines so komplexen Phänomens anzubieten. Dabei wäre eine Untersuchung, die sich bemüht Verschwörungsideologie als Folge des christlichen Monotheismus zu erklären, durchaus interessant, wenn sie auch möglicherweise dem Vorwurf des Eurozentrismus ausgesetzt bliebe.2 Denn die islamistische Verschwörungsideologie kann Wippermann nur in sein Schema pressen, indem er darauf verweist, dass diese „kein Produkt des islamischen Orients, sondern ein Import aus dem christlichen Abendland“ sei (S. 120). Außereuropäische Verschwörungsideologien, wie sie der Ethnologe James Mitchell schon in den 1970er-Jahren am Beispiel des Magie- und Hexenglaubens der Yao in Sambia herausgearbeitet hat, kommen bei ihm nicht vor.3

Ein weiteres Manko des Buches ist schließlich, dass Wippermann die Existenz realer Verschwörungen nahezu überhaupt nicht zur Kenntnis nimmt. Bei seiner Diskussion der antikommunistischen Verschwörungsideologien während des Kalten Krieges beispielsweise, spielt die Tatsache, dass Julius und Ethel Rosenberg – auch wenn das zu ihrer Hinrichtung führende Verfahren höchst antidemokratisch war – für die UdSSR spioniert haben, keine Rolle. Der Historiker Daniel Pipes hat in seiner Monographie zum gleichen Thema indes auf die zunehmende Legitimation von Verschwörungsdenken als Form des politischen Diskurses verwiesen.4 Diesen Aspekt greift Wippermann in seiner Darstellung leider gar nicht auf.

Bei aller Kritik kommt Wolfgang Wippermann dennoch das Verdienst zu, einen einführenden Überblick über einen Großteil der sich bis heute ständig neu aktualisierenden und tradierenden Verschwörungsideologien zu liefern. Insofern ist sein Buch als Einstieg in die Thematik durchaus zu empfehlen. Besonders positiv ist abschließend hervorzuheben, dass er jegliche Verschwörungsideologie als „Produkt menschlichen Denken und Handelns“ begreift und der Vorstellung, es handle sich um eine „anthropologische Konstante“, welche sich in verschiedenen „historischen Varianten“ aufzeigen lasse 5, eine klare Absage erteilt (S. 7).

Anmerkungen:
1 Vgl. Caumanns, Ute; Niendorf, Mathias, Raum und Zeit, Mensch und Methode: Überlegungen zum Phänomen der Verschwörungstheorie, in: Dies. (Hrsg.), Verschwörungstheorien. Anthropologische Konstanten – historische Varianten, Osnabrück 2001, S. 197.
2 Vgl. Conrad, Sebastian; Randeria, Shaline (Hrsg.), Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main 2002.
3 Vgl. Mitchell, James Clyde, The Yao village. A study in the social structure of a Malawian tribe, Manchester 1971.
4 Pipes, Daniel, Verschwörung. Faszination und Macht des Geheimen, München 1998, S. 284ff.
5 Diese Herangehensweise findet sich fast durchgängig in den Aufsätzen des ansonsten nach wie vor grundlegenden Beitrags zum Thema Verschwörungsideologien: Caumanns, Ute; Niendorf, Mathias (Hrsg.), Verschwörungstheorien. Anthropologische Konstanten – historische Varianten, Osnabrück 2001.

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