A. Wittke u.a. (Hrsg.): Historischer Atlas der antiken Welt

Cover
Titel
Historischer Atlas der antiken Welt.


Herausgeber
Wittke, Anne-Maria; Olshausen, Eckart; Szydlak, Richard
Reihe
Der Neue Pauly - Supplemente 3
Erschienen
Stuttgart u.a. 2007: J.B. Metzler Verlag
Anzahl Seiten
XX, 308 S.
Preis
€ 179,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markus Sehlmeyer, Heinrich Schliemann-Institut für Altertumswissenschaften - Alte Geschichte, Universität Rostock

Die historische Entwicklung der antiken Welt in Karten darzustellen, bringt verschiedene Probleme mit sich, die auch aus anderen Bereichen historischer Kartographie bekannt sind.1 Nicht für jeden Zeitpunkt sind die verbliebenen historischen Informationen über die territoriale Entwicklung so umfassend, dass man Grenzen genau angeben könnte. Wenn man historische Entwicklungen zeigen möchte, wird es noch schwieriger: Farbverläufe und Schraffuren werden verwendet, um die Folgen von Krieg, Migration oder Kulturkontakten überhaupt darzustellen. In der Antike kommen besondere Probleme hinzu: Manche Siedlungen oder Orte sind kaum genauer zu lokalisieren; überhaupt hat man damals keine Notwendigkeit gesehen, periphere Grenzen der Weltreiche genau zu fixieren. Auf die kartographischen Folgen solcher Probleme komme ich unten zurück, zunächst zum Metzler-Atlas selbst: Er erscheint als Supplement des 18-bändigen Lexikons „Der Neue Pauly“ (DNP). Rund 60 Prozent der enthaltenen Karten gehen auf DNP zurück 2, wobei im Atlas nun größeres Format und Farbigkeit hinzukommen sowie gegebenenfalls auch Korrekturen inhaltlicher Art.

Was man unter ‚Antike‘ zeitlich zu verstehen hat, ist von DNP vorgegeben: „Das (klassische) Altertum ist hier konzipiert als Epoche des Kulturraumes Méditerranée, die frühgriechische als spätaltorientalische Randkultur, das Ende der Antike als Ausgliederung der byzantinischen, germanischen und islamischen Kulturen aus ihrem mediterranen Verbund. So bilden die ägäische Koine (Mitte des 2. Jahrtausends v.Chr.) und die Entstehung des frühmittelalterlichen Europa (600/800 n.Chr.) die Zeitgrenzen für den I. Teil des Neuen Pauly.“3 Der zeitliche Rahmen unterscheidet sich also vom „Großen Historischen Weltatlas 1“, der mit der Vorgeschichte beginnt, aber das byzantinische Reich und den Islam unberücksichtigt lässt.4 Ein weiteres Konkurrenzprodukt wäre der „Große Atlas zur Weltgeschichte“ von Westermann, der auch in älteren Ausgaben noch von Nutzen ist.5 Die Zielrichtung des Metzler-Atlasses ist eine andere als beim Barrington-Atlas 6 oder beim gewaltigen TAVO-Projekt.7

Die Karten sind im Atlas chronologisch angeordnet, wobei sieben Abschnitte unterschieden werden. Auffällig ist Abschnitt III, „Die Epoche der östlichen Reiche (ca. 1200 bis 6. Jh. v.Chr.)“ – offensichtlich ein besonderer Schwerpunkt. Die linke Buchseite enthält jeweils einen Erläuterungstext, Literaturhinweise und gegebenenfalls kleinere Detailkarten 8, die rechte Seite eine oder mehrere Karten in Farbe. Nach Rekonstruktionen antiker Weltbilder (S. 3 u. 5) und einer sehr innovativen Karte zur Fernerkundung in der antiken Welt (S. 8–9) 9 folgen 36 Karten zum Alten Orient, zur mykenischen Zeit und zu Ägypten. Die Dark Ages Griechenlands spielen nur am Rande eine Rolle – dazu dient eine Karte von Anne-Maria Wittke (S. 37); Anatolien wird indes separat abgehandelt (S. 39), wobei die Verzeichnung des Panionion beispielhaft für die Berücksichtigung aktueller Forschungsergebnisse ist. Die Karte zu Urartu (S. 41) ist gegenüber der Fassung im DNP an etlichen Stellen überarbeitet worden.10 Zwölf Karten betreffen vornehmlich das westliche Mittelmeer in Bronzezeit, Eisenzeit und archaischer Zeit (S. 63–85), also beispielsweise die Kolonisationsbewegungen der Phönizier und Griechen, aber auch die Handelsbeziehungen zu den Kelten.

Mit dem Titel „Die Neuordnung der Mittelmeerwelt“ sind die Karten über das klassische Griechenland und das frühe Rom bezeichnet. Sie werden im akademischen Unterricht erwartungsgemäß eine größere Rolle spielen. Nach Perserreich und Perserkriegen werden ältere und jüngere Tyrannis kartographisch gegenübergestellt (S. 92f.). Diese Karten sind sehr instruktiv, da sie die Vernetzung der einzelnen Herrschaften zeigen. Nach dem Attisch-Delischen Seebundsgebiet und dem Peloponnesischen Krieg folgende etliche Karten griechischer Bundesstaaten, die die Bedeutung des Föderalismus in klassischer und hellenistischer Zeit eindrucksvoll belegen. Unter der Bezeichnung „Die Epoche der Großmächte“ folgen Karten der hellenistischen Reiche – auch weniger traktierte wie das Bosporanische Reich und die Indobaktrischen Reiche sind hier berücksichtigt – sowie Karten zur römischen Expansion.

Die Karten zur römischen Kaiserzeit konzentrieren sich zunächst auf die Entwicklung der Provinzen, gehen aber auch auf das Wegenetz, die wirtschaftliche Struktur und die militärischen Verhältnisse ein. Die komplizierten Änderungen in der Provinzabgrenzung stellen den Kartographen vor besondere Herausforderungen. Die Graustufen der DNP-Karten halfen hier nicht viel weiter, aber auch die Farbdarstellung hat mitunter Grenzen. Der Versuch, die Entwicklung der Provinzen an der Levante vom 1. bis ins 4. Jahrhundert darzustellen, führt doch zu einer recht komplizierten Karte (S. 181), die die Grenzen der gedruckten Karten zeigt – hier dürften dynamische Karten 11 in Zukunft leichtere Durchschaubarkeit bringen. Eine hilfreiche Ergänzung bietet die Karte zur Ostgrenze des römischen Reiches (S. 213). Die Spätantike wird als kartographischer Gegenstand nicht abgegrenzt, so dass die Karten zur Kaiserzeit die Entwicklung im Westen bis zum Ende des weströmischen Reichsteiles und den Nachfolgestaaten darstellen. Hier fallen Karten über das Palmyrenische Sonderreich (S. 221), das Gallische Sonderreich (S. 223) oder kulturelle Entwicklungen im germanischen Siedlungsraum (S. 231) ins Auge. Man sollte sich aber fragen, ob die Behandlung germanischer Kulturgruppen und der viel späteren Einzelsprachen nicht für die Überfrachtung letztgenannter Karte gesorgt haben. Die Geschichte des oströmischen Reiches wird von Justinian bis zum Untergang Konstantinopels 1453 nachgezeichnet – hierbei wird der zeitliche Rahmen von DNP offenbar verlassen. Man hätte meines Erachtens deutlicher machen sollen, inwiefern die Wirtschaft des mittelbyzantinischen Reiches (S. 247) oder die Kreuzzüge (S. 249 u. 251) noch in antiker Tradition gesehen werden können – und warum das Reich der Karolinger nicht berücksichtigt ist.

Bevor auf die Kartenauswahl einzugehen ist, zunächst ein paar technische Bemerkungen: Generell ist der moderne „Look“ der Karten, den der Kartograph Richard Szydlak verantwortet, zu loben, einige speziellere Entscheidungen könnte man diskutieren. Die Karten im Metzler-Atlas zeigen etwa die Küstenlinie schwarz; üblich ist jedoch die Färbung in Mittelblau, was die Betextung vereinfacht: Bei der Beschriftung von Küstenorten kann das Schwarz der Ortsnamen problemlos die blaue Küstenlinie überlagern. Im Metzler-Atlas ist dies jedoch nicht möglich, die Küstenlinie ist gelöscht. Bei Grenzänderungen von Territorien kommt man, wie erwähnt, an die Grenzen der „statischen“ Kartographie. Hier wird man mittelfristig überlegen müssen, inwiefern dynamische Karten auf einer beiliegenden CD-ROM nicht die bessere Wahl wären. Der Einsatz der Farbe Rot zieht den Blick des Betrachters besonders an. Deshalb verwundert, warum auf der Karte zum Palmyrenischen Reich die Sasaniden diese Farbe erhalten, das Sonderreich selbst aber nur durch Schraffur angedeutet ist.

Zur Auswahl der Karten ist zu bemerken, dass der Alte Orient und überhaupt die östliche Mittelmeerwelt sehr stark betont werden. Es handelt sich hier gewiss um einen Bereich, für den besondere historische Atlanten fehlen, aber auch ein Feld, das vom Universitätsfach Geschichte in Deutschland nicht abgedeckt wird, allenfalls bei unmittelbaren Kulturkontakten. Neuere Forschungen zur ägäischen Koine (S. 25) und den Hethitern werden aufgegriffen, teilweise freilich in einer Weise, die eine von mehreren möglichen Ansichten als die einzig wahre herausstellt – so geschehen im Falle von Troja, das als Bestandteil des Hethiterreiches gesehen wird (S. 23). So sind dann in diesem historischen Atlas Karten weggefallen, die man bislang häufig vorgefunden hat, beispielsweise das „freie“ Germanien, das Augustus doch anscheinend dem römischen Reich einverleiben wollte. So findet man im Metzler-Atlas weder Kalkriese, Waldgirmes noch Hedemünden, dafür dreimal den Glauberg. Gern gesehen hätte man auch ein paar geographisch detailliertere Karten, auf denen man dann den Malischen Golf oder Piazza Armerina gefunden hätte. Die Auswahl an Stadtplänen war in den älteren Atlanten viel umfassender; der Wegfall von Schlachtplänen ist hingegen zu verschmerzen.

Alles in allem ist das vorliegende Werk ein hervorragend gestalteter Atlas, der Bewährtes mit Neuem verbindet und durch die gegenübergestellten Textteile auch dazu beiträgt, bislang im akademischen Unterricht weniger häufig behandelte Zeiten und Räume verstärkt eines Blickes zu würdigen.

Anmerkungen:
1 Orth, Wolfgang, Die Diadochenzeit im Spiegel der historischen Geographie. Kommentar zu TAVO-Karte B V 2 „Diadochenreiche (um 303 v.Chr.)“, Wiesbaden 1993; allgemeiner: Papay, Gyula, Kartographie, in: Sachs-Hombach, Klaus (Hrsg.), Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden, Frankfurt am Main 2005, S. 281–295; ausführlich zur Geschichte der Kartographie: Harley, John B.; Woodward, David (Hrsg.), The History of Cartography, 3 Bde., Chicago 1987–2007 (bislang bis in die Renaissance).
2 S. V. Anne-Maria Wittke und Eckart Olshausen verantworten auch viele der Karten inhaltlich, für den Orient und andere Spezialbereiche wurden 15 Kolleginnen und Kollegen beigezogen (Liste auf S. IV).
3 Cancik, Hubert; Schneider, Helmuth (Hrsg.), Der Neue Pauly, Bd. 1, Stuttgart 1996, S. VI; allgemeine Bemerkungen zu DNP: Sehlmeyer, Markus, Bryn Mawr Classical Review 8 (1997), S. 309–313; Walter, Uwe, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 14.12.1999, S. 55; Kany, Roland, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 17.10.2000, S. L45.
4 Bengtson, Hermann u.a., Großer Historischer Weltatlas, Bd. 1: Vorgeschichte und Altertum, 6. Aufl., München 1978. Der Erläuterungsband erschien 1976.
5 Stier, Hans-Erich; Kirsten, Hans u.a., Großer Atlas zur Weltgeschichte, Braunschweig 1998.
6 Talbert, Richard J. A. (Hrsg.), Barrington Atlas of the Greek and Roman Worlds, Princeton 2000. Die Erstellung führte das Ancient World Mapping Center durch, das einen Großteil der verzeichneten Fundorte mit GPS neu lokalisieren ließ. Die Karten sind überwiegend physikalisch, d.h. sie geben auch die Höhenverhältnisse an. Stark vereinfachte Karten aus Studienbüchern bietet das Internet unter <http://www.unc.edu/awmc/mapsforstudents.html>.
7 Der Tübinger Atlas des Vorderen Orients (TAVO) hat in den Jahren 1969–1992 eine große Zahl an Kartenblättern vorgelegt. Das Projekt war als Sonderforschungsbereich 19 der DFG an der Universität Tübingen situiert und hat Dutzende von Beiheften hervorgebracht, zu denen auch das bereits erwähnte von Wolfgang Orth (Anm. 1) zählt. Einen Auszug für Zwecke der biblischen Archäologie bzw. der Kartographie der biblischen Länder stellt der „Tübinger Bibelatlas“ dar (hrsg. von Siegfried Mittmann und Götz Schmitt, Stuttgart 2001, 64 Faltblätter). Vgl. <http://www.reichertverlag.de/tavo.htm>.
8 Falls der Platz für den Erläuterungstext nicht reichte, sind am Ende (S. 255–273) Ergänzungen zu finden (auch Listen und Tabellen, z.B. zur Entwicklung der Provinzen).
9 Diese Karten sind in der Leseprobe, die unter https://www.metzlerverlag.de/buecher/leseproben/978-3-476-02031-4.pdf online verfügbar ist.
10 Röllig, Wolfgang; Fuchs, Andreas, Karte Urartu, in: DNP 12/1 (2002), Sp. 1027f.
11 Unter dynamischen Karten versteht man solche, die filmartig die Veränderung über einen Zeitraum deutlich machen oder in die man ausgewählte Informationen übernehmen kann („interaktive Karten“). Schon seit längerer Zeit beteiligen sich auch Althistoriker an der Entwicklung solcher „Karten. Beispielsweise Beat Näf, dessen multimedialer Grundkurs zur antiken Geschichte hier schon besprochen wurde (Rez. Ernst Baltrusch, in: H-Soz-u-Kult, 28.07.2004, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2004-3-070>) und dessen Materialia auch online zur Verfügung stehen (<http://www.hist.uzh.ch/lehre/altegeschichte/naef/e-learning.html>). An dem großen „Mapping History“ Projekt der Universitäten Münster und Oregon sind u.a. James Mohr, John Nicols, Peter Funke und Barbara Stollberg-Rilinger beteiligt (<http://mappinghistory.uoregon.edu/>).

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