B. Emich: Geschichte der Frühen Neuzeit studieren

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Titel
Geschichte der Frühen Neuzeit studieren.


Autor(en)
Emich, Birgit
Erschienen
Konstanz 2006: UTB
Anzahl Seiten
304 S.
Preis
€ 17,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jonas Hübner, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Universität Bielefeld

Die anhaltende Konjunktur der Einführungen in das Geschichtsstudium hat zu der paradoxen Situation geführt, dass Studierende auf der Suche nach fachlicher Orientierung mit einer neuen Unübersichtlichkeit konfrontiert werden. Eine konzeptuelle Schneise durch die wuchernde Fülle der Studienratgeber schlägt nun die Reihe UTB basics, die jeweils epochenspezifische Einführungen von der Alten über die Mittelalterliche und Frühneuzeitliche bis zur Neueren Geschichte bietet und sich dabei explizit „an den Bedürfnissen von Anfängern im Fach Geschichte“ (Umschlagtext) orientiert. Diesem Anspruch folgend, setzen alle Lehrbücher der Reihe unter der Maxime „Leichter Lernen mit System“ auf ein uniformes Konzept, dessen propädeutische Leitlinien klar auf Aktualität, Anschaulichkeit, Übersichtlichkeit und Verständlichkeit ausgerichtet sind. Birgit Emichs Einführung in die Frühe Neuzeit vermag diese Leitlinien auf vorbildliche Art zu befolgen. Ihre Darstellung gliedert sich in einen praktischen, einen theoretischen, einen methodischen sowie in einen technischen Teil.

Im praktischen Teil (S. 9-50) stellt Emich zuerst das Studienfach Frühe Neuzeit vor, gibt dann einen vergleichenden Überblick über Inhalte und Strukturen der „alten“ und „neuen“ Studiengänge sowie der damit verbundenen Studienabschlüsse und schließt daran ein Kapitel zu den Berufszielen und -perspektiven für Historiker an. Zuletzt werden mit konzisen Antworten auf die organisatorischen Fragen „Was belegen?“ und „Wie studieren?“ nützliche Tipps zur Studienplanung und zum universitären (Veranstaltungs-) Alltag gegeben. Die meisten Hinweise in diesem Teil sind für Studienanfänger gewiss hilfreich. Welchen praktischen Wert allerdings die Ausführungen zu den Bachelor- und Masterstudiengängen in der derzeitigen Umbruchphase des Bologna-Prozesses haben, wird sich erst noch erweisen müssen. Aufgrund der laufenden Veränderungen steht eine Einführung hier vor dem Dilemma, sich entweder auf unspezifische Hinweise zu beschränken, oder möglicherweise bald falsifizierte Verallgemeinerungen zu riskieren. Den letzteren Weg hat Emich ebenso vorsichtig wie umsichtig beschritten, wobei sich die Kurzlebigkeit von allzu allgemeinen Prognosen wie der generellen Regelstudienzeit von vier Semestern im Master, der obligatorischen Abschlussprüfung in Vorlesungen sowie der Einführung von Klausuren als „feste[r] Bestandteil fast jeder Lehrveranstaltung“ im Bachelor-Master-Modell bereits offenbart hat (S. 23, 36, 39, 289). Eher irritierend dürfte auf Studienanfänger überdies die an mehreren Stellen des Buches als alternativ erscheinende Gegenüberstellung von Lehramts- auf der einen und Bachelor-Studium auf der anderen Seite wirken (S. 9, 12, 13 u.a.).

Der thematische Schwerpunkt des theoretischen Teils (S. 51-140) liegt zwar auf der „Frühe[n] Neuzeit als Wissenschaft“, Emich bietet darin aber eine über diese Ankündigung hinausgehende, souverän geschriebene Einführung in die grundlegenden Fragestellungen der Geschichte. Dabei verknüpft sie eine einleitende Erläuterung der Kernaussagen des Historismus geschickt mit einem äußerst instruktiven Kapitel zum kritischen Umgang mit den Quellen und rekonstruiert daraufhin anhand der Frage nach der Objektivität historischer Erkenntnis das wissenschaftliche Selbstverständnis des Faches im Wandel der Zeit. An die Diskussion um die stete Standortgebundenheit historischer Forschung schließt sich ein separater Abschnitt über die Debatte des „Linguistic Turn“ an, der die Bedeutung narrativer Strukturen für die Geschichtsschreibung in gut nachvollziehbarer Weise problematisiert. Wie sich hermeneutisches Verstehen und analytisches Erklären von einander unterscheiden, vermag Emich im Folgenden ebenso klar darzulegen wie die Erkenntnis, dass es letztlich auf eine Kombination beider Verfahren ankommt.

Nach einer ausgewogenen Betrachtung zum Verhältnis von Theorie und Empirie in der Geschichtswissenschaft leitet die Periodisierung, die insbesondere die Spezifika der Frühen Neuzeit als Epoche aufgreift, zu den „Perspektiven der Frühneuzeitforschung“ über. In diesem abschließenden Kapitel des theoretischen Teils wird die Entwicklung vom Historismus bis zur kulturalistischen Wende skizziert. Einigen kursorischen Bemerkungen zu den älteren politikgeschichtlichen Ansätzen des Historismus folgt eine längere Darstellung zur Struktur- und Gesellschaftsgeschichte, der jedoch deutlich weniger Raum zugestanden wird als einer Schilderung der Perspektiven der Neuen Kulturgeschichte. Problematisch an diesem Kapitel ist überdies ein allzu traditionelles Verständnis von „Politikgeschichte“, die hier ausschließlich als Programm des Historismus verstanden wird und die später ganz in der Gesellschaftsgeschichte aufgeht: „Die Politikgeschichte hat ihre Bedeutung eingebüßt, und wenn man nicht in alte Muster zurückfallen will, darf nicht abermals einem einzigen Sektor eine derart zentrale Bedeutung beigemessen werden.“ (S. 110) Hier hätte zumindest ein Hinweis auf die aktuelle historiographische Debatte um eine „Neue Politikgeschichte“ (die mit der Perspektive des Historismus wenig gemein hat) geholfen, um solchen doch etwas holzschnittartigen Bewertungen entgegenzuwirken.1

Auffallend ist auch, dass Emich in ihrer Darstellung der Neuen Kulturgeschichte die Sprache als historischen Gegenstand nur im Hinblick auf die Diskursanalyse thematisiert, während die „Begriffsgeschichte“ lediglich in einem engeren, etymologischen Sinne angeführt wird (S. 91, 99, 110, 175, 199). Folglich erfährt sie auch keine optische Hervorhebung im Text – im Gegensatz etwa zur „Geschichte der Emotionen“ (S. 203). Auf die „Historische Semantik“ stößt der Leser erst im methodischen Teil, wo dieser Ansatz im Zusammenhang mit dem Handwörterbuch „Geschichtliche Grundbegriffe“ am Seitenrand eine vierzeilige Definition erfährt. Wer an anderer Stelle so treffend auf das „Vetorecht der Quellen“ und die „Theoriebedürftigkeit der Geschichtswissenschaft“ hinweist (S. 106), sollte hier doch auch der Begriffsgeschichte ihren gebührenden Platz einräumen. Ob man in einer Einführung neben dem „Linguistic Turn“ nicht auch noch auf einen der zahlreichen anderen „Turns“ in der Neuen Kulturgeschichte eingehen sollte, ist Ansichtssache; denkbar wäre hier eine Erweiterung um den „Spatial Turn“ und den „Visual Turn“ gewesen – zumal Emich im dritten, methodischen Teil überzeugend darlegt, wie man Bilder als historische Quellen kritisch auswertet.

Der methodische Teil (S. 141-238), der in die Praxis der historischen Arbeit einführt, ist der qualitativ stärkste und zugleich quantitativ umfangreichste der gesamten Darstellung. Die Vorstellung der einzelnen Quellengattungen, der Stellenwert und Nutzen der Historischen Hilfswissenschaften sowie die möglichen Anregungen von Nachbardisziplinen der Geschichtswissenschaft werden nicht einfach theoretisch erörtert, sondern am Beispiel sowohl schriftlicher als auch nichtschriftlicher Quellen zum Westfälischen Frieden eindrucksvoll illustriert. Hier können Studienanfänger neben dem Methodenwissen auch erstes historisches Zusammenhangswissen über ein zentrales Ereignis der Frühen Neuzeit erlangen. Das gesamte Kapitel zeichnet sich durch die Repräsentativität und Anschaulichkeit der gewählten Quellenbeispiele und durch die Schritt für Schritt nachvollziehbare „Entschlüsselung“ der Quellen mithilfe der gewählten Methoden aus. Gewinnbringend dürfte für Studierende nicht zuletzt auch die Behandlung der Frage sein, wie sich Fragestellung, Quellenauswahl und Methode gegenseitig beeinflussen können.

Im vierten und letzten Teil, „Vom Proseminar zum Examen“ (S. 239-291), werden die wichtigsten Techniken wissenschaftlichen Arbeitens vorgestellt. Dabei spannt Emich einen weiten Bogen, angefangen bei der ersten Informationsbeschaffung, über die systematische Heranziehung und Auswertung von Quellen und Literatur, bis zur Abfassung von Haus- und Abschlussarbeiten. Sowohl das Thesen- und Quellenpapier als auch kleinere Textformen wie das Protokoll, die Rezension und der Essay finden hier Berücksichtigung. Die Beschreibung der letzteren Gattung verdeutlicht dabei recht schön, dass weder Studierende noch Lehrende wissen, was damit eigentlich genau gemeint ist (S. 286). Im Abschnitt „Frühe Neuzeit im Internet“ präsentiert Emich sodann eine überlegte Auswahl von einschlägigen Internetseiten; die vorzügliche Online-Einführung in die Epoche von Barbara Stollberg-Rilinger 2 bleibt hier unerwähnt, sie findet sich jedoch in den Literaturempfehlungen am Ende des Bandes (S. 292). Etwas kurios muten die im Abschnitt zur Gestaltung von Seminarsitzungen vorgeschlagenen Präsentationsformen „Quiz“, „Theateranspiel“ und „Rollenspiel“ an (S. 269f.), denen jeweils mindestens ebenso viel Raum zugestanden wird wie der doch wohl wichtigeren „Computer-Präsentation“ (S. 271f.). Auch wenn „die herkömmlichen Projektor-Folien denselben Zweck“ erfüllen (S. 271), gehört Power-Point mittlerweile zum universitären Veranstaltungsalltag – und in der Praxis zeigt sich immer wieder, dass ein kompetenter Umgang mit dieser Visualisierungsform alles andere als selbstverständlich ist.

Insgesamt ist es Emich gelungen, eine überaus lesbare und vor allem für Studienanfänger gut verständliche Einführung in die Geschichte der Frühen Neuzeit zu schreiben, die nicht zuletzt mit einem fundierten theoretischen und einem vorbildlichen methodischen Teil punkten kann. Aufmachung und Konzept der Reihe sollten hingegen in manchen Aspekten überdacht werden. So lässt die Einband-Gestaltung, die in ihrer gewollten Jugendlichkeit etwas peinlich wirkt, eher eine Einführung in die „Geschichte der Hässlichkeit“ als in die Geschichte der Frühen Neuzeit vermuten. Die am Ende jedes Unterkapitels formulierten „Fragen zum Selbsttest“ werden von Studierenden wohl kaum beachtet werden, zumal sie gerade im praktischen und technischen Teil des Buches die Grenze zum Banalen streifen. Fragen kann man sich auch, ob die farbigen Texthervorhebungen in dieser großen Zahl wirklich noch eine sinnvolle Orientierung ermöglichen oder ob eine derartige „Screenshot-Optik“ letztlich nur als Konzession an die (vermeintlichen) Sehgewohnheiten studentischer Leser gedacht ist.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Frevert, Ute; Haupt, Heinz-Gerhard (Hrsg.), Neue Politikgeschichte. Perspektiven einer historischen Politikforschung, Frankfurt am Main 2005; Schorn-Schütte, Luise, Historische Politikforschung. Eine Einführung, München 2006; jüngst auch Steinmetz, Willibald (Hrsg.), „Politik“. Situationen eines Wortgebrauchs im Europa der Neuzeit, Frankfurt am Main 2007.
2 Siehe: <http://www.uni-muenster.de/FNZ-Online/>.

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