W. Behringer: Kulturgeschichte des Klimas

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Titel
Kulturgeschichte des Klimas. Von der Eiszeit bis zur globalen Erwärmung


Autor(en)
Behringer, Wolfgang
Erschienen
München 2007: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
352 S.
Preis
€ 22,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido Poliwoda, Historisches Institut, Universität Bern

Wolfgang Behringer hat mit seiner Kulturgeschichte des Klimas ein mutiges Buch geschrieben. Seit den 1990er-Jahren wurden die wenigen Publikationen von Historikern zur Klimageschichte auf Rekonstruktionen und neben Frankreich und der Schweiz auf weitestgehend regionalgeschichtliche Aspekte konzentriert. Obgleich das Feld der Klimageschichte vermehrt Historikern zufallen sollte, dominieren nach wie vor naturwissenschaftliche Untersuchungen diesen interdisziplinären Forschungszweig. Nur wenige Dissertationen und Monographien behandeln die Schnittstellen zwischen Klima, Gesellschaft und daraus ableitbaren Krisen. Hinzu kommt, dass bisher der Versuch eine Klimageschichte aus kulturhistorischer und sozioökonomischer Sichtweise zu untersuchen, nicht vorgenommen wurde. Wolfgang Behringer hat diesen Sprung gewagt, beschränkt sich jedoch hierbei nicht auf die von ihm bisher aus kultureller Sicht eingehend untersuchte „Kleine Eiszeit“, und damit auf die Periode des 13. bis zum 19. Jahrhundert. In nur fünf Kapiteln und einem Epilog spannt er den zeitlichen Horizont von der Entstehung des Planten Erde bis zum Treibhausklima des 21. Jahrhunderts. Wer sich auf enzyklopädische Weiten gefreut hat, was durch den Titel zu erwarten stand, wird enttäuscht. Im Vorwort eröffnet Behringer die Problematik mit einem Hinweis, dass Bußprediger die Sünden der Menschen für „die Klimakapriolen der Kleinen Eiszeit verantwortlich“ (S. 7) machten. Die Frage, ob damalige oder heutige Verhaltensänderungen klimatische Einflüsse wandelten oder den heutigen Klimawandel gar aufhalten könnten, beantwortet Behringer mit Nein. Die Feststellung, dass „die wissenschaftliche Analyse allein nicht zur Lösung der Probleme“ (S. 7) ausreiche, liefert ihm eine Legitimation für seine Untersuchung. Durchsetzbare Problemlösungen hängen von einer „Vereinbarkeit mit kulturellen Vorstellungen und Zeittendenzen ab“ (S. 7). Daraus leitet Behringer die Notwendigkeit ab, neben „einer reinen Klimageschichte auch eine Kulturgeschichte des Klimas“ (S. 7) zu benötigen. Dabei betont er einen Fokus auf die Kleine Eiszeit zu legen, da diese Klimakrise nicht nur „gut aus den Quellen rekonstruierbar ist“, sondern „als Testlauf für die Globale Erwärmung“ (S. 7) angesehen werden kann.

Ehe Behringer in der Einleitung den Aufbau des Buches vorstellt, verhandelt er „Klimageschichte als Politikum“ (S. 12) und geht vom IPCC-Bericht 2001 (Intergovernmental Panel on Climate Change Report 2001) auf den wie er es nennt „Glaubenskrieg um den Hockeyschläger“ (S. 15) ein. Differente Ansichten zwischen Klimaforschern und Politikern um den Klimaverlauf der letzten 1.000 Jahre drehen sich laut seiner Ansicht um „Karrieren, um Geld und um Macht“ (S. 13).

Im zweiten Kapitel thematisiert Behringer das Holozän, wobei er uns Menschen als „Kinder der Eiszeit“ (S. 49) tituliert. Er wandert durch die Jahrtausende, schildert die weltweite Ausbreitung des homo sapiens, geht auf die Eiszeiten und die wie er es nennt „Geburt der Kunst“ (S. 54) ca. 40.000 v.Chr. ein. Über Alleröd-Zeit und das Ende „paradiesischer Lebensumstände“ vor etwa 9.000 v.Chr. in der jüngeren „Dyras-Zeit“ (S. 61) horcht der Leser beim Klimaoptimum der Jungsteinzeit wieder auf. Nicht nur die Aussage, dass im so genannten Atlantikum (circa 6.000-3.000 v.Chr.) „die Temperaturen um 2-3 Grad höher als im ausgehenden 20. Jahrhundert“ (S. 65) lagen, macht diesen Abschnitt interessant, sondern die Ausführungen zur Neolithischen Revolution, also dem Übergang von einer Jäger- und Sammlergesellschaft zu einer „Bauern- und Viehhalterkultur“ (S. 66) führen Behringer zu dem, was er als Anfänge für den Begriff Kultur betrachtet. Neben einem vergleichenden Blick gen China lässt sich Behringer auf eine deterministische Argumentation ein, da er den Aufstieg der alten Hochkulturen Mesopotamiens, des Mittelmeerraumes, Nordindiens und Nordchinas am Klimaoptimum während der Neolithischen Revolution und deren geographischer Lage „abseits der Klimaextreme“ (S. 71) festmacht. Die hochmittelalterliche Warmperiode demonstriert Behringer anhand eines Aufblühens der europäischen Kultur und letztlich mit der Besiedlung von Island, Grönland und der neuen Welt durch die Wikinger.

Die Kapitel drei und vier erschließen die Kleine Eiszeit erst klimatisch und anschließend stärker kulturell. Im Kapitel drei wird dem Leser zuerst das „Konzept kleine Eiszeit“ (S. 119) vorgeführt und warum die Periode vom 13. bis 19. Jahrhundert einer globalen Abkühlung unterworfen war. Eine Serie klimatischer Anomalien in der zweiten Dekade des 14. Jahrhundert, die als Zyklen von Katastrophen ausgewiesen werden, macht Behringer für den „Großen Hunger“ und das daran gebundene „Große Sterben“ (S. 144) verantwortlich. Diese und die klimatisch ungünstigen 1330er-Jahre sowie die „schwerste Umweltkatastrophe der letzten tausend Jahre“ (S. 146), das Hochwasser von 1342, prädisponierten die Menschen als Opfer für das Wüten der Pest bis 1352. Die folgenden Ausführungen zu den großen Konjunkturen der europäischen Gesellschaften bis 1800 schließen nicht wirklich an die vorherigen Argumentationen an. Eine Charakterisierung der Krisen im 17. Jahrhundert wird auf Malthusianische Krisen verengt, was wenig überzeugt. Mit Mortalitätshäufungen, einer Verbindung von Hunger, Krankheit und Krieg im 16. und 17. Jahrhundert leitet Behringer zu psychischen Reaktionen über und konstatiert: „War Hexerei das Verbrechen der Kleinen Eiszeit, so war Melancholie ihre symptomatische Krankheit.“ (S. 161)

Im vierten Kapitel greift Behringer den Strang der Hexenverfolgung wieder auf und verdeutlicht daran eine Sündenbekämpfung, die zudem von Judenpogromen gekennzeichnet war und die er explizit an die klimatischen Auswirkungen der Kleinen Eiszeit bindet. Daran anschließend spricht Behringer von einer „Sündenökonomie“ (S. 180). Je mehr die Menschen sündigten, desto vehementer fielen die Strafen Gottes in Form klimatischer Extreme aus. Zugleich billigt er ihr eine signifikante Funktion zu, da sie „das entscheidende Bindeglied zwischen Natur und Kultur“ darstelle, „sie war der Mechanismus, welcher dem meteorologischen Ereignis zu seiner gesellschaftlichen Bedeutung verhalf“ (S. 180). Reaktionen auf die kühlen Verhältnisse des 16. Jahrhunderts demonstriert Behringer im Weiteren für die Architektur, die Holzbewirtschaftung, Kleidung, Malerei (wobei er das für den Umschlag verwendete Bild von Brueghel „Die Heimkehr der Jäger“ erklärt), aber auch für Musik und Literatur. Einen Ausgang für das frühneuzeitliche Europa aus „klimatisch bedingten Notsituationen“ (S. 196) sieht Behringer einerseits im Begriff der Vernunft, andererseits ortet er eine Grundtendenz im Ringen „um mehr Stabilität als Strategie der Krisenbewältigung“ (S. 197). Eine neue rationalere Wahrnehmung der Natur, die von Galilei bis Franklin gespannt wird, ermöglichte „signifikante Siege von Naturwissenschaft und Technik über Religion und Aberglauben.“ (S. 205) Daran band die Bevölkerung die Erwartung an eine effizientere Krisenbewältigung, so in den 1690er-Jahren unter Ludwig XIV. Europaweite Hungersnöte offenbarten „strukturelle Defizite und politische Versäumnisse“ (S. 207), die eine Legitimation der Herrscher in Frage stellte. Reformprojekte und vorausschauende Politik halfen derartige Zustände zu vermeiden, sodass die englische wie die preußische Regierung einen „Triumph der Aufklärung“ (S. 211) über den Extremwinter 1739/1740 verbuchen konnten. Besonders in denjenigen Abschnitten, in denen sich Behringer mit den Auswirkungen von Vulkanen befasst, hat er weder die neuere naturwissenschaftlich noch die geisteswissenschaftliche Literatur benutzt – kulturelle Konsequenzen werden folglich kaum gezogen. Gerade hier hätte sich der Bezug zu kulturhistorischen Arbeiten gelohnt, war doch das Dalton Minimum von einem Wiederholungsmuster bezüglich Naturkatastrophen geprägt.

Die Kapitel drei und vier bilden die Kernstücke der Untersuchung und zeigen, dass der Autor die Schatten seiner bisherigen Publikationen kaum überspringen konnte, was durch ein Belegen von Argumentationen mit Literatur, die nicht mehr den Stand der Forschung repräsentiert, erneut deutlich wird. Zudem bleibt der Eindruck am Ende des vierten Kapitels, nicht recht vermittelt bekommen zu haben, wie denn die Faktoren Klima, Kultur und Geschichte anhand der geschilderten Beispiele letztlich zu gewichten sind.

Im letzten Kapitel „Die Moderne Warmzeit“ (S. 224) stellt Behringer leider kaum Verbindungspunkte zwischen Kultur und Klima her. Der Anspruch die Klimaerwärmung, ihre „Entdeckung und die Diskussion ihrer Auswirkungen“ (S. 16) nachzuzeichnen, wird zwar eingelöst, doch liefert der Autor hauptsächlich wirtschafts- und wissenschaftshistorische Bezüge, mit einem Exkurs auf die politischen Reaktionen. Im Epilog streicht er zu Recht eine moralisch überladene Diskussion um „Umweltsünden und Treibhausklima“ heraus. Behringer schließt das Buch mit einer aus der Geschichte abgeleiteten Selbstsicherheit hinsichtlich gesellschaftlicher Anpassungen an den Klimawandel ab, die angesichts drohender Szenarien nur schwerlich mit kulturhistorischen Beispielen untermauert werden können. Allen Unebenheiten zum Trotz darf eine Leistung dieser Publikation darin zu suchen sein, dass erstmals ein kultur- wie sozioökonomischer Ansatz beschritten wurde, an dem sich nachfolgende Studien orientieren müssen.

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