Cover
Titel
Habitus barbarus. Kleidung und Repräsentation spätantiker Eliten im 4. und 5. Jahrhundert


Autor(en)
Rummel, Philipp von
Reihe
Reallexikon der germanischen Altertumskunde. Ergänzungsbände 55
Erschienen
Berlin u.a. 2007: de Gruyter
Anzahl Seiten
XI, 481 S.
Preis
€ 128,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Lambrecht, Institut für Geschichte, Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz

Als „barbarisch“ geltende Kleidung der Spätantike ist in der Dissertation Philipp von Rummels Gegenstand einer umfassenden und geschlossenen, methodisch vom Fach Vor- und Frühgeschichte ausgehenden, aber betont interdisziplinär Erkenntnisse und Verfahrensweisen der Altertumswissenschaften insgesamt einbeziehenden Untersuchung. Ihre Geschlossenheit gewinnt sie aus der Absicht, diesen habitus barbarus nicht nur anhand der Überlieferung in Bodenfunden sowie einschlägiger Abbildungen und Schriftquellen mittels repräsentativer Zeugnisse zu beschreiben, sondern darüber hinaus seine soziale Bedeutung in der Gesellschaft der Spätantike zu ergründen und auf diesem Wege den bislang häufig isoliert beobachteten und ausgewerteten Phänomenen eine neue schlüssige Gesamtdeutung zukommen zu lassen. Dieses Vorhaben bedingt zugleich eine sorgfältige Auseinandersetzung mit den herkömmlichen Erklärungen zum habitus barbarus. Aus der Darstellung aller wesentlichen Aspekte des bisherigen Forschungsstandes ergibt sich auf diese Weise von selbst der Hintergrund für die Erfassung und Bewertung des Neuen in den Forschungsergebnissen von Rummels. Im Einleitungskapitel weist der Autor auf die Bedeutung methodischer Gesichtspunkte für seinen Untersuchungsgang und dessen Ergebnisse hin: Er bekundet seine Unzufriedenheit über die rein fachimmanente archäologische Herangehensweise an die mit den untersuchten Phänomenen zusammenhängenden Probleme; dies berge nämlich die Gefahr, in Zirkelschlüssen „ethnische Einheiten als archäologische Konstrukte zu bilden“ (S. 12f.). Infolgedessen favorisiert von Rummel die interdisziplinäre Vorgehensweise, um die Ergebnisse der Fachwissenschaft(en) in einen allgemeinen altertumswissenschaftlichen Zusammenhang zu stellen und so deren Aussagen vergleichend abzuwägen, ihnen Profil zu verleihen und sie letztlich zu bereichern, kurz: das Thema auf eine Ebene zu heben, die den circulus vitiosus vermeidet und einer fächerübergreifend widerspruchsfreien neuen Sichtweise die Bahn ebnet.

Der eigentlichen Quellenuntersuchung vorgeschaltet sind drei Kapitel, die wichtige Voraussetzungen für die Vorgehensweise von Rummels behandeln. Zunächst zeichnet der Autor verschiedene bedeutende Aspekte der bisherigen Forschungsgeschichte nach, denen gegenüber er sodann seinen eigenen Absichten formal und inhaltlich Konturen verleiht. Zum überkommenen Forschungsstand gehören gerade auch beim Habitus die Konzentration auf den germanisch-römischen Gegensatz und die Betonung der Zugehörigkeit zu bestimmten Ethnien aufgrund gewisser Ausstattungsmerkmale, die als signifikant für „Stammestrachten“ erklärt und bei der Wanderung der Verbände, denen man sie zuschrieb, „mitgenommen“ wurden, so dass sie von der Ukraine bis Westeuropa und Nordafrika als Kennzeichen verlässlich einzuordnender Völkerwanderungseinheiten galten und gelten. Methodisch ist mit dieser seit dem 19. Jahrhundert geübten Interpretationsweise jedoch dort eine Grenze erreicht, wo die einheimische römische Ausstattung sich von der angeblich fremden, barbarischen kaum unterscheiden lässt. Daher findet man seit jüngster Zeit mehr und mehr Zuschreibungen, die bestimmte Kleidungsmerkmale als spätrömisch-mediterran erklären und „interdisziplinär eingebunden historische Interpretationen des archäologischen Fundmaterials vorschlagen, ohne dabei auf ethnische Deutungen zurückgreifen zu müssen“ (S. 63). Auf diesem Weg will von Rummel weiter voranschreiten. Zur Klarstellung wichtiger Prämissen des durch die bisherige archäologische Forschung erreichten Erkenntnisstandes behandelt der Autor zudem die antithetische Vorstellung vom positiven griechisch-römischen Selbstbild im Vergleich zur weniger ethnisch, als vielmehr ideologisch motivierten Barbarentopik in spätantiken Schriftquellen. Dieses Selbstverständnis spreche auch aus den überkommenen römischen Kleidungsvorstellungen im Vergleich zum Urteil über den habitus barbarus. Deutlich wird dabei darauf hingewiesen, dass Idee und Realität hier auseinanderklaffen.

Nachdem von Rummel so die Voraussetzungen für eine neue Sicht auf die von spätantiken Autoren ebenso wie von der archäologischen Fundanalyse als „barbarisch“ angesehene Kleidung in der Spätantike geschaffen hat, leistet er in den drei Kapiteln des Hauptteils die eigentliche Quelleninterpretation. Als erstes untersucht er an signifikanten Beispielen „Fremdes Äußeres in spätantiken Schriftquellen“ (S. 97–196). „Barbarische“ Merkmale hinsichtlich der Physiognomie und Kleidung sind in den Quellen weithin topisch besetzt; dies trifft auch bei Autoren zu, die sich konkret über fremde Kleidung auslassen, wie zum Beispiel Claudian, Synesius und Johannes Chrysostomus, die über gotische Fellkleidung berichten. Derartige Zuschreibungen dienten ihren Urhebern in erster Linie der Abwertung von Barbaren oder barbarischer Haltung; abgesehen davon, dass eine als „barbarisch“ klassifizierte Kleidung insofern durchaus römisch war, als sie zur gängigen spätantiken Militärausrüstung gehören konnte, also – richtiger – im Gegensatz lediglich zum zivil-römischen Habitus stand. Dies betrifft auch andere als „unrömisch“ beschriebene äußere Merkmale wie Halsringe, Hosen oder längere Haare. In einen römisch-militärisch, nicht barbarisch-germanisch zu interpretierenden Kontext ordnet von Rummel beispielsweise auch die Torqueskrönung und Schilderhebung Julians anlässlich seiner Ausrufung zum Augustus im Jahre 360 ein.

Die Erkenntnisse von Rummels zum Thema „Bilddarstellungen und der habitus barbarus“ (S. 197–268) bestätigen im Wesentlichen die an Schriftquellen ermittelten Befunde. In den Männern in Fellmänteln auf der Arcadiussäule etwa sieht er Soldaten im römischen Dienst. Der so genannte Stilicho auf dem Diptychon von Monza trägt eine römisch-militärische Amtstracht. Allerdings kann dieser militärische Habitus, wie er signifikant für den sozialen Aufsteiger ist, auf einer ideellen Ebene, in der Sichtweise der alten zivilen senatorischen Elite, durchaus als unrömisch-barbarisch klassifiziert und in das vom Römer-Barbaren-Gegensatz getragene Denkschema eingeordnet werden. Mit dieser Diskrepanz zwischen der Realität und dem Selbstverständnis bestimmter Gesellschaftsgruppen, das für die Zuschreibung von Bestandteilen eines speziellen spätrömischen Habitus als barbarisch verantwortlich ist, deutet von Rummel an verschiedenen Stellen den von ihm beschrittenen Weg aus dem methodischen Dilemma an: Dadurch sucht er zu vermeiden, die ideologische Bipolarität von „Römern“ und „Barbaren“, wie sie in diesen Quellen erkennbar ist, auf die archäologische Auswertung von spätantiken Bodenfunden zu übertragen. Stattdessen möchte er einen Weg eröffnen, im angeblich „Barbarischen“ das durch gesellschaftlichen Wandel zustande gekommene „Römische“ der Spätantike zu erkennen.

Vor diesem Hintergrund entfaltet von Rummel sodann im Kapitel „Bodenfunde und der habitus barbarus“ (S. 269–375) an signifikanten Beispielen archäologische Forschungsergebnisse, die bislang überwiegend einem barbarischen Kontext zugeordnet werden, und nimmt Stellung zu Fundtypen, die in spätantiken Schriftquellen als unrömisch klassifiziert werden. Neben verschiedenen Funden aus Nordafrika, Italien und Gallien widmet sich von Rummel besonders ausführlich dem Grabfund von Karthago-Koudiat Zâteur aus dem Jahre 1915 und stellt fest, dass bei der Kleidung hier keinesfalls eine Zuschreibung zu vandalischen Frauentrachten gerechtfertigt sei. Diese Tracht sei vielmehr für die spätantike Oberschicht signifikant und „durch und durch römisch“, nicht also germanisch, wohl aber „in Afrika neu“ (S. 323) – selbst wenn eine Verbindung zu den Vandalen bestehe, wie aus der reichen Grabausstattung und dem daraus sprechenden spätantiken Repräsentationsbedürfnis zu schließen möglich sei. Entsprechend sieht von Rummel zum Beispiel in der Ausstattung des Grabes des fränkischen Königs Childerich in Tournai weniger barbarische Selbstdarstellung als vielmehr spätrömisch-aristokratische Militärmode, also habitus barbarus in der Form des habitus militaris.

Die Kleidung und Repräsentation von Männern und Frauen der Spätantike wurde in der zeitgenössischen Propaganda nicht selten als barbarisch klassifiziert und von der archäologischen Forschung in der Neuzeit, derartigen Aussagen entsprechend, vermeintlich schlüssig als nichtrömisch ein- und bestimmten Völkerwanderungsethnien zugeordnet. Der habitus barbarus entpuppt sich auf diese Weise als oftmals aus dem Konkurrenzdenken von Eliten entspringende Propaganda, denen moderne Deutungen nicht selten folgen. In Wirklichkeit entfalte sich, schließt von Rummel, der habitus barbarus bei Männern in der Regel in einem spätrömisch-militärischen Erscheinungsbild, bei Frauen in vergleichbarem Repräsentationsbedürfnis mittels zur Schau gestellter Modetendenzen. Dadurch gäben sich die Angehörigen der neuen Oberschicht, die ihren Aufstieg der Militärkarriere verdankten, mittels eigener Selbstdarstellungsformen zu erkennen. Hiervon grenze sich die alte zivil-römische senatsorientierte Aristokratie zum Beispiel mit Hilfe einer Barbarenpropaganda bewusst ab, die die Forschung bis heute großenteils für bare Münze nehme.

In einer methodisch und inhaltlich weit ausgreifenden, dennoch ziel- und ergebnisorientierten innovativen Untersuchung hebt von Rummel diese spätrömische Auseinandersetzung und ihre Folgen in der neueren Forschung auf eine Deutungsebene, die Voraussetzungen zurechtrückt und auf diese Weise bisherige Unzulänglichkeiten ausräumt. Diese Ergebnisse erlauben unter Berücksichtigung des gesellschaftlichen Wandels in der Spätantike und der Intentionalität gesellschaftlicher Stigmatisierungen dieser Zeit einschließlich ihrer Konsequenzen auch für die Forschung bis in die jüngste Vergangenheit nunmehr eine widerspruchsfreiere Einordnung des habitus barbarus.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch