J. Trabant (Hrsg.): Sprache der Geschichte

Cover
Titel
Sprache der Geschichte.


Herausgeber
Trabant, Jürgen
Reihe
Schriften des Historischen Kollegs Kolloquien 62
Erschienen
München 2005: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
166 S.
Preis
€ 29,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Todt, Universität der Bundeswehr Hamburg

Dass Sprachwissenschaft und Geschichtswissenschaft irgendwie zusammen gehören, wussten die Historiker schon lange, schließlich ist Sprache nicht nur das Medium der Quellen, sondern auch das Werkzeug, mit dem die historischen Erkenntnisse vermittelt werden. So klingen weder der Titel des vom Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant herausgegebenen Buches noch seine ersten einleitenden Worte besonders innovativ. Vielmehr werden beim Leser eher abwehrende Erinnerungen an den linguistic turn evoziert: Es ist doch schon alles gesagt, gedacht und diskutiert worden. Müssen sich die Historiker erneut der Kritik an ihrem angeblich unsensiblen Gebrauch der Sprache aussetzen und die Diskussion über Clios Verhältnis zum Faktischen und Fiktiven wieder eröffnen? Nein, sicher nicht – und damit ließe sich die Rezension hier beenden.

Nach intensiver Lektüre stellen Trabant und die Teilnehmer des 2002 im Historischen Kolleg abgehaltenen Kolloquiums jedoch in diesem Ergebnisband unter Beweis, dass das Thema auch in der post-linguistic-turn-Phase seine Relevanz und Innovation behält. So leitet Trabant mit seinem Beitrag „Vom linguistic turn der Geschichte zum historical turn der Linguistik“ gut ins Thema ein, indem er die Bedeutungen von Ferdinand de Saussure, Roland Barthes, Jacques Derrida und Hayden White für die Debatten über die Sprachlichkeit der Geschichte innerhalb der Geschichtswissenschaft hervorhebt und hier besonders den Blick des Linguisten zur Geltung bringt. Er betrachtet die Wahrnehmung der Textualität der Quellen durch den Historiker als „heilsame Bereicherung“ (S. XIII) und wünscht sich für die Linguistik einen „historical turn“, also eine „Wieder-Bewußtwerdung der Historizität der Sprache“ (S. XIV).

Diesen Gedanken aufnehmend sind unter dem Titel „Für eine historische Wende der Linguistik“ zwei Beiträge gruppiert: Wulf Oesterreichers „Über die Geschichtlichkeit der Sprache“ und Konrad Ehlichs „dabar und logos. Kursorische Überlegungen zum Verhältnis von Sprache und Geschichte“. Oesterreicher stellt fest, dass gerade jene Forschungseinrichtungen, die neben den soziolinguistischen Ansätzen die breitesten Anschlussflächen zur Historizität der Sprache und des Sprachlichen aufweisen, wie etwa die Grammatikalisierungs- und Reanalyse-Forschung oder die Sprachwandeltheorie, aus dem historischen Kernbereich der Sprachwissenschaft „ausgewandert“ seien (S. 17) und sich an historischen Fragestellungen uninteressiert zeigten. Damit kritisiert er den „Erkenntnisverzicht im Bereich zentraler linguistischer Forschungsziele“ (S. 18). Auch Ehlich beschäftigt sich mit dem Verhältnis von Geschichte und Sprache, beachtet die Sprachlichkeit jeder Geschichte jedoch nicht nur angesichts ihrer theoretischen Reflexion, sondern zieht ihre pragmatische und exemplarische Seite in den Untersuchungsfokus: „Die Beachtung der Sprachlichkeit jeder Geschichte bedarf [...] eines linguistischen Instrumentariums, das freilich nicht einfach zur Verfügung steht“ (S. 27).

Dem Kapitel über „Fakten und Worte“ sind die Beiträge von Tilman Borsche „Die Fakten der Geschichte. Geschichtsphilosophische Überlegungen im Anschluss an Friedrich Nietzsche“, Giuseppe Cacciatore „Leben und Struktur. Dilthey und die Zweideutigkeit der Sprache der Geschichte“ und von Stephan Otto „Können Tatsachen sprechen? Überlegungen zur Darstellbarkeit historischer Faktizität“ zugeordnet, die alle den Blick auf die philosophische Varianz des Themas eröffnen. So stellt Borsche die Frage nach den Fakten der Geschichte, indem er mit Nietzsches Hilfe diskutiert, was überhaupt Geschehen ist (S. 44). Die „Darstellung dessen, was ist, [...] ist immer schon Interpretation, eingebettet in den Horizont von Denk-, Sprach- und Lebensformen, die allein sie verständlich machen können“ (S. 45). Cacciatore betrachtet die Doppeldeutigkeit der Sprache, denn sie bezeichne nicht nur die „Gesamtheit der erkennenden und wissenschaftlichen Verfahren der Erklärung und Erzählung von Ereignissen“, sondern auch die „Realität der geschichtlichen Begebenheiten selbst“ (S. 55). Otto unterstreicht, indem er die neuere Diskussion um Fakten und Fiktionen aufgreift, die Janusköpfigkeit der facta historica, denn das factum est widerfahre den Menschen, und „erst das, was Menschen in Vergangenheit und Gegenwart widerfahren ist, wird dann als deren Widerfahrnis, auch sprachlich darstellbar, erzählbar und erzählt“ (S. 73). Ihr ‚Widerfahrnis’ sei die Schnittstelle zwischen dem stumm bleibenden Faktizitätsrest des factum est und dem Sprechen über Geschichte (S. 74).

Im dritten Abschnitt, der mit „Jenseits des linguistic turn“ betitelt ist, sind die Referate von Heinz Dieter Kittsteiner „Dichtet Clio wirklich?“, Bettina Lindorfer „Der Diskurs der Geschichte und der Ort des Realen. Roland Barthes’ Beitrag zum linguistic turn der Geschichtsschreibung“ und von Tim B. Müller „Der linguistic turn ins Jenseits der Sprache. Geschichtswissenschaft zwischen Theorie und Trauma: Eine Annäherung an Dominick LaCapra“ kompiliert. Unmittelbar an Ottos Argument anschließend, beantwortet Kittsteiner die bereits im linguistic turn diskutierte Frage negativ: „Clio dichtet nicht“ (S. 85). Kittsteiner rückt die Referentialität der historischen Darstellung in den Mittelpunkt seiner Argumentation und bringt so die Diskussion über Fakten und Fiktionen in einen hermeneutischen Interpretationszusammenhang. Lindorfer untersucht in ihrem Beitrag Barthes’ Beschäftigung mit Realität, Sein und Wirklichkeit nach seinem bahnbrechenden Aufsatz über „Le discours de l’histoire“ von 1967 und kann zeigen, dass Barthes sich immer wieder mit diesen Problemen auseinandergesetzt hat. Sprachlich sei dem Sein nicht beizukommen, nur im Haiku nähere sich die Sprache der Wirklichkeit. So gesehen sind die in den Archiven liegenden, nicht systematisierten Notierungen dem Haiku am ähnlichsten: „Das Haiku ist für Barthes die Form, die die Unlesbarkeit des Lesbaren demonstriert, ohne arrogant zu wirken.“ (S. 103) Auch Müller wendet sich einem Akteur des linguistic turn zu, indem er die Anregungen LaCapras für das Historische Lesen referiert. Er erinnert daran, dass die Probleme, die der linguistic turn aufgeworfen habe, die ältesten der Geschichtswissenschaft seien. Mit LaCapra gelingt es ihm, die pragmatischen Errungenschaften des linguistic turn darzustellen. Bei der Frage, wie der Historiker mit der Doppeldeutigkeit der Sprache konkret in seiner historischen Arbeit umgehen soll, kann dieser Beitrag weiterhelfen.

Zwei Beiträge bilden den letzten Abschnitt des Buches: Ulrich Raulffs, „Der Teufelsmut der Juden: Warburg trifft Nietzsche“ und Christian Meiers „Programm einer Geschichtsschreibung“. Raulff kann am Beispiel Warburgs exemplarisch illustrieren, dass die Untersuchung der Sprache dem heutigen Betrachter zeigen kann, wie stark sich gesellschaftliche Innovationsprozesse auf den Sprachgebrauch auswirken können. Aby Warburg habe Begrifflichkeiten geprägt und bezeichnenderweise mit Hilfe seiner Sprache und Dichtkunst kunsthistorische Fakten geschaffen. Meiers Beitrag ist dagegen als Programm für eine neue Geschichtsschreibung zu lesen, indem er das Schreiben von Geschichte und die Praxis des aktiven Historikers, aber auch die lesende Öffentlichkeit in den Argumentationsfokus rückt.

Es ist die Chance der historischen Betrachtung, die Trabant und die anderen Autoren hier ergreifen: Redundanzen, kritische Reflexionen und sich daraus ergebende neue Gedankenanstöße. Und so macht wohl gerade dieses Zusammenspiel eine Lektüre lohnenswert – für neu hinzugekommene, marginal beteiligte, aber auch längst angekommene Diskussionsteilnehmer. Sprache und Geschichte ist jedenfalls ein Themenkomplex, der noch immer seine Innovation und Brisanz behält, aber auch immer wieder unter Beweis stellen muss.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension