I. Loose: Kredite für NS-Verbrechen

Cover
Titel
Kredite für NS-Verbrechen. Die deutschen Kreditinstitute in Polen und die Ausraubung der polnischen und jüdischen Bevölkerung 1939-1945


Autor(en)
Loose, Ingo
Reihe
Studien zur Zeitgeschichte 75
Erschienen
München 2007: Oldenbourg Verlag
Anzahl Seiten
495 S.
Preis
€ 69,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Wixforth, Ruhr-Universität Bochum

Die Rolle der Kreditwirtschaft in den vom NS-Regime besetzten Ländern gehörte lange Zeit zu den Tabu-Themen der deutschen bankhistorischen Forschung. Erst durch die von einigen Großbanken vor circa zehn Jahren eingesetzte Historikerkommission war es möglich, diese dunkle Facette der deutschen Bankengeschichte intensiv zu durchleuchten. Der Verfasser der vorliegenden Studien über die deutschen Kreditinstitute in Polen war lange Zeit Mitglied des Forscherteams um Ludolf Herbst an der Berliner Humboldt-Universität, das vor allem die Geschichte der Commerzbank während der NS-Diktatur aufarbeiten sollte. Loose spannt den Bogen in seiner Arbeit jedoch wesentlich weiter: Er nimmt die Rolle der deutschen Kreditinstitute in den annektierten polnischen Gebieten, die in das Reichsgebiet eingegliedert wurden, ebenso in den Blick wie die der Geldhäuser im Generalgouvernement. Dieser Zugriff ist sinnvoll, erlaubt er doch sowohl einen direkten Vergleich der Unternehmensstrategie und des operativen Geschäfts der einzelnen Institute, als auch eine Ausweitung des Blickwinkels auf Segmente der Kreditwirtschaft in den besetzten Gebieten, die bisher weniger im Focus der bisher vorliegenden Untersuchungen standen. Hierzu zählen vor allem die Sparkassen und die Genossenschaftsbanken.

Im ersten Kapitel seiner Studie präsentiert Loose einen Überblick über die Entwicklung so genannter „deutscher Banken“ in Polen und in der Freien Stadt Danzig bis zum Überfall im September 1939. Dieser Vorspann bietet nicht nur eine gute Einführung in die Entwicklung der polnischen Kreditwirtschaft nach dem Ersten Weltkrieg, sondern macht den Leser mit den Eigentümlichkeiten und Spezifika des polnischen Bankwesens zwischen den Weltkriegen vertraut. Im zweiten Abschnitt seiner Arbeit skizziert Loose die Grundzüge der deutschen Besatzungsherrschaft in Polen. Dabei thematisiert er nicht nur den Aufbau der neuen Verwaltungs- und Herrschaftsstrukturen, sondern verdeutlicht auch die Unterschiede im völkerrechtlichen Status und in den Verwaltungsstrukturen zwischen den „eingegliederten Ostgebieten“ und dem Generalgouvernement. Die wesentlichen Ziele in der Besatzungs- und Ausbeutungspolitik sowie im Aufbau neuer Wirtschaftsstrukturen im „germanisierten“ Osten kommen dabei ebenfalls zur Sprache.

Im dritten Abschnitt wendet sich Loose seinem eigentlichen Forschungsfeld zu: der Rolle der Kreditwirtschaft im besetzten Polen. Hier differenziert er wieder – völlig zu Recht – zwischen den „eingegliederten Ostgebieten“ und dem Generalgouvernement. In den Kapiteln über die Entwicklung des Kreditwesens in Ost-Oberschlesien, dem Warthegau und dem Gau Danzig-Westpreußen wird bereits die Schwerpunktsetzung in Looses Arbeit deutlich. Während er die „Neuordnung“ der Kreditwirtschaft in diesen Gebieten und den Aufbau der neuen Bankenstruktur vergleichsweise kurz auf fünfzehn Seiten abhandelt, analysiert er auf knapp hundert Seiten die Rolle der Kreditinstitute bei der Beschlagnahmung und „Verwertung“ polnischen und jüdischen Eigentums. Eine solche Schwerpunktsetzung ist sicherlich nachvollziehbar, doch bleibt die Frage, ob die Geschäftstätigkeit der reichsdeutschen Banken mit ihren Filialen und Affiliationen damit korrekt wiedergegeben wird. So erfährt man zum Beispiel relativ wenig über die Konflikte und Auseinandersetzungen bei der „Neuordnung“ des Bankwesens in den „eingegliederten Ostgebieten“. Gleiches gilt für die Personalpolitik der einzelnen Institute. Auch mit Blick auf das Kreditgeschäft der Banken ist zu konstatieren, dass die Vergabe von reichsverbürgten Krediten und Krediten im Rahmen der Reichswirtschaftshilfe ebenso vergleichsweise ausführlich behandelt wird, wie die Vergabe von Umsiedlungskrediten im Rahmen der von der Deutschen Umsiedlungs-Treuhand-Gesellschaft initiierten Deportations- und Umsiedlungsprogramme. Die Rolle der Banken im Industriefinanzierungsgeschäft wird dagegen exemplarisch am Beispiel der Litzmannstädter Textilindustrie sowie der oberschlesischen Montanindustrie und damit vergleichsweise knapp abgehandelt. Für diesen Zugriff mag das zur Verfügung stehende Quellenmaterial ausschlaggebend gewesen sein. Dennoch hätte hier eine etwas breitere Rezeption der neueren deutschsprachigen Literatur – die dem Autor durchaus zur Verfügung stand, wie an anderen Stellen zu ersehen ist – die eine oder andere Lücke in der Darstellung schließen können.

Den zentralen Abschnitt in Looses Arbeit bilden sicherlich seine Ausführungen zur Rolle der Banken in den „eingegliederten Ostgebieten“ bei der Beschlagnahmung und „Verwertung“ polnischen und jüdischen Vermögens. Hier rekonstruiert er nicht nur akribisch die einzelnen und teilweise komplizierten rechtlichen Bestimmunen, sondern zeichnet ein exaktes Bild der jeweiligen Maßnahmen, die der Herrschaftsapparat zwecks Konfiskation polnischer und jüdischer Vermögenswerte ergriff. Ausführlich geht er dabei auf die Lage der jüdischen Bevölkerung in Oberschlesien und im Warthegau ein, deren schrittweise Entrechtung und Verelendung bis hin zur physischen Vernichtung er genau analysiert. Dabei kann er aus einem reichen Fundus an polnischen und jiddischen Quellen und Literatur schöpfen. Einige Passagen tragen ihn jedoch etwas zu weit von seinem eigentlichen Forschungsgegenstand, der Rolle der Banken bei der Vermögenskonfiskation weg, auch wenn zu konzedieren ist, dass eine möglichst exakte Rekonstruktion des Handlungsumfeldes der Kreditinstitute für die Bestimmung ihrer Handlungsspielräume erforderlich ist. Auch werden einzelne Segmente der Kreditwirtschaft und Institute durchaus unterschiedlich behandelt. Im Zentrum des Interesses steht für den Warthegau die Ostbank, die dort als Affiliation der Dresdner Bank massiv mit dem Herrschaftsapparat kooperierte, sowie die Dresdner Bank-Filiale in Litzmannstadt, für Oberschlesien die Filialen der Dresdner Bank und der Deutschen Bank in Kattowitz. Dieser Zugriff lässt sich sicherlich mit der Verfügbarkeit von Quellen rechtfertigen. Dennoch wäre es wünschenswert gewesen, etwas mehr über die Filialen der Commerzbank und der Deutschen Bank in Litzmannstadt und im Warthegau bei der Vermögenskonfiskation zu erfahren, vor allem aber die Rolle der einzelnen Institute aus der Sparkassenorganisation im Warthegau und in Oberschlesien. An der Beteiligung der Ostbank an der Vermögenskonfiskation ist nicht zu zweifeln, an ihrer Verstrickung mit dem Herrschaftsapparat ebenso wenig. Ob sie vor diesem Hintergrund das rentabelste und wichtigste Kreditinstitut im Warthegau nach 1939 wurde, wie Loose ausführt (S. 280), ist jedoch sicherlich noch einmal gründlich zu diskutieren.

Den zweiten großen inhaltlichen Block in seiner Arbeit bildet Looses Analyse des Kreditwesens im Generalgouvernement. Nach einer kurzen Skizze der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in diesem Teil des deutschen Herrschaftsgebiets behandelt er hier ausführlich die Probleme und Konflikte bei der Umgestaltung der dortigen Kreditwirtschaft. Die Quellenlage, vor allem die Bestände im Archiv der Neuen Akten in Warschau, erlauben hier eine präzise Aufarbeitung der dabei zutage getretenen Probleme, die Loose auch ausführlich thematisiert. Dazu zählten unter anderem die lange diskutierte Präsenz deutscher Kreditinstitute in Warschau und in Ost-Galizien sowie das Problem der so genannten „durchschnittenen“ polnischen Banken, das heißt der Institute, die sowohl in den „Ostgebieten“ als auch im Generalgouvernement Filialen besaßen.

Das Kernstück in Looses Analyse der Kreditwirtschaft im Generalgouvernement bildet – wie im vorherigen Teil seiner Arbeit – deren Rolle beim Raub polnischen und jüdischen Vermögens. Dabei zeichnet Loose erneut sowohl die einzelnen rechtlichen Bestimmungen als auch die Maßnahmen der jeweiligen Akteure wie etwa der Treuhandstelle des Generalgouvernements akribisch nach. Looses Befund, dass sich beim Raub von Vermögenswerten vor allem die Kommerzialbank in Krakau – die Affiliation der Dresdner Bank im Generalgouvernement – und die Krakauer Filiale der Wiener Creditanstalt in den Dienst des Herrschaftsapparates stellten, ist unstrittig. Hervorzuheben ist zudem, dass er ebenso auf die Rolle der Stadtparkasse in Krakau als „Finanzdienstleister“ für Organe der Judenvernichtung eingeht wie auf die Bedeutung anderer Sparkassen und Genossenschaftsbanken in der Kreditwirtschaft des Generalgouvernements.

Auch mit Blick auf das Generalgouvernement wird das Einlagen- und Kreditgeschäft der Banken und Sparkassen weniger intensiv behandelt als ihre Rolle beim Vermögensentzug. Loose ist sicherlich zuzustimmen, dass das Kreditgeschäft im wirtschaftlich schwach entwickelten Generalgouvernement mit nur wenigen industriellen Großkunden für die Institute ausgesprochen schwierig war. Am ehesten ließen sich noch mit staatlichen oder parteinahen Institutionen und Unternehmen Kreditgeschäfte abschließen. Andererseits ist das Kreditportfolio etwa der Kommerzialbank in neueren Studien durchaus untersucht worden, so dass durch eine Verwendung dieser Forschungsergebnisse deren Rolle im Kreditgeschäft sich hätte präziser darstellen lassen.

Looses Arbeit ist dennoch ein wichtiger Beitrag zur lange Zeit tabuisierten Rolle der Banken in den vom NS-Regime besetzten Gebieten. Die Studie weist große Stärken auf, wie etwa die Analyse der Mitwirkung der Kreditwirtschaft am Raub polnischer und jüdischer Vermögen. Schwachpunkte wie etwa die Darstellung des Kreditgeschäfts oder die gar nicht thematisierte Rolle der Banken bei der Umgestaltung von Schlüsselbranchen wie der oberschlesischen Montanwirtschaft lassen sich jedoch nicht übersehen. Die Schwerpunktsetzung der Arbeit sorgt dafür, dass ein lange Zeit schamvoll verschwiegener Aspekt der Bankentätigkeit präzise aufgearbeitet wurde. Das gesamte Panorama des operativen Geschäfts der Kreditinstitute ließ sich dadurch jedoch nicht erfassen. Im Verbund mit anderen neueren Arbeiten zur Geschäftstätigkeit der Kreditinstitute im besetzten Polen ist Looses Studie ein weiterer wichtiger Schritt, um das Bild über die Entwicklung des Bankwesens während der NS-Diktatur präziser zeichnen zu können.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension