Dewald, Carolyn; Marincola, John (Hrsg.): The Cambridge Companion to Herodotus. . Cambridge u.a. 2006 : Cambridge University Press, ISBN 978-0-521-53683-7 XV, 378 S. ₤ 45.00

Irwin, Elizabeth; Greenwood, Emily (Hrsg.): Reading Herodotus. A study of the _Logoi_ in Book 5 of Herodotus' _Histories_. Cambridge 2007 : Cambridge University Press, ISBN 978-0-521-87630-8 XV, 343 S. ₤ 55.00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Charlotte Schubert, Universität Leipzig

Die hier zu besprechenden Werke bieten viel Interessantes; dabei antworten sie auf sehr unterschiedliche Bedürfnisse, wenngleich die Autoren oft dieselben sind. Der von Dewald und Marincola herausgegebene Sammelband widmet sich ausschließlich dem Buch V des herodoteischen Werks, in dem im Wesentlichen der ionische Aufstand und der ihm vorangehende Feldzug des Megabazos gegen Thrakien und Makedonien geschildert wird. Der Sammelband mit 12 Beiträgen zu Themen aus dem Buch V sieht sich als Mischung aus verschiedenen Publikationstypen, insbesondere aber als ein Hybrid aus ‚conference proceedings’ und Kommentar.

Diese Beschreibung ist gerechtfertigt, da eine Konferenz (der beiden Herausgeberinnen zu dem Thema ‚Reading Herodotus’ (2002) im Rahmen des von Osborne geleiteten Projekts „The Anatomy of a Cultural Revolution: 430–380 BC“) am Anfang stand, auf die die Beiträge von Irwin, Greenwood, Osborne, Hornblower, Pelling und Moles zurückgehen. Die Beiträge von Fearn, Munson, Gray, Haubold, Serghidou und Henderson sind nachträglich eingeworben worden, so dass der Umfang von Buch V des herodoteischen Werks fast vollständig behandelt wird.

Die detailreiche, fast schon lemmatische Form annehmende Darstellung einzelner Beiträge ähnelt stark der Gattung des Kommentars. Selbstkritisch wird zugegeben: „The reader ends up knowing both more and less than he or she would learn from a good single-authored monograph: more, because the volume covers more angles with more contexts und intertexts, but less because the knowledge on display is divergent rather than convergent.“ (S. 2f.) Die Konzentration speziell auf die logoi und die thematische Orientierung am Verlauf der vom Text vorgegebenen Reihenfolge der logoi in Buch V überschreiten aber deutlich die von einem Kommentar erwarteten Beiträge zum Textverständnis: Alle Beiträge sind darauf ausgerichtet, die Querbezüge zwischen den logoi und insbesondere zwischen den jeweils im Textverlauf angrenzenden Textpassagen herauszuarbeiten.

Das Verständnis von logos ist dabei ein sehr weitgehendes, das von der Grundbedeutung der ‚Geschichte’ über diejenige der ‚Argumente’, ‚Gründe’ bis hin zur „metahistoriographical significance“ (S. 7) reicht. Allerdings wird der Abgrenzung der logoi im Hinblick auf die Gesamtanlage des herodoteischen Werks und der Frage, in welchen Stufen das Werk entstanden ist, der philologischen Analyse doch etwas zu wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Bezeichnenderweise fehlt im Literaturverzeichnis das Werk von Rosén (Eine Laut- und Formenlehre der herodoteischen Sprachform, Heidelberg 1962), der aufgrund seiner minutiösen Analysen zu teilweise anderen Passageneinteilungen kommt.

Die Begründung dafür, mit dem Buch V genau in der Mitte des umfangreichen Werks zu beginnen, wird in der Passage V 97,3 gesehen, nach der die Entsendung der 20 attischen Schiffe 499 v.Chr. als die arche kakon für Griechen und Perser beschrieben wird und damit auch als Verweis auf den Beginn I 5,3, wo Kroisos von Herodot als derjenige genannt wird, der die Feindseligkeiten gegen die Griechen begonnen habe. Intertextuelle Bezüge dieser Art ziehen sich als methodische Leitlinie durch alle Beiträge des Bandes verführen aber dazu, das Werk Herodots für einheitlicher zu halten als es ist. Insbesondere den dabei zutage tretenden Konstruktionen von Kontingenz und Kausalität wird besondere Aufmerksamkeit geschenkt (vgl. dazu die Aufsätze von Hornblower, Irwin, Osborne und Henderson).

In das dominierende Thema des ionischen Aufstandes sind gegenwärtige und vergangene Geschichten aus Griechenland so eingewoben, dass ein ganzes Netz von geografischen, zeitlichen, politischen etc. Bezügen erkennbar wird. Faern, Greenwood, Hornblower und Serghidou konzentrieren sich im Wesentlichen auf die geografischen Exkurse; über die ethnografischen Bezüge, auch die darin integrierten, zum Teil konkurrierenden Ursprungsmythen erschließen die Beiträge von Fearn, Haubold und Serghidou das dargestellte Verhältnis von Griechen und Persern. Mit der Entwicklung der politischen Konzeptionen, der Gegenüberstellung von Isonomie und Tyrannis und der entstehenden Freiheitsvorstellungen beschäftigen sich Gray, Henderson, Moles, Munson und Pelling.

Eine kurze Bemerkung sei hier noch dem Beitrag von Henderson gewidmet: Wenn man es nicht aus dem sorgfältig lektorierten Gesamtbild des Buches anders entnehmen würde, schiene es, als seien Korrekturzeichen und Durchstreichungen stehen geblieben. Wahrscheinlich stehen diese „Zeichen“ für intertextuelle Bezüge, die sich der Rezensentin aber leider nicht erschlossen haben und da keine Anleitung zur Dechiffrierung gegeben wird, bleibt ein merkwürdig irritierender Eindruck zurück.

Das zweite der hier zu besprechenden Werke ist einer der heute immer zahlreicher werdenden Companion-Bände, die sich – laut Homepage des Verlags CUP – vor allem an Studierende richten („All are collections of specially commissioned essays, shaped and introduced to appeal to student readers“). Hier sind doch einige Zweifel angebracht. Denn dieser Band, die Paperback-Ausgabe der 2006 als Hardcover erschienenen Ausgabe, fasst in 20 Beiträgen ausgewiesener Herodot-Forscher eine solche Vielfalt von Themen zusammen, dass allein schon eine übersichtliche Zusammenfassung schwerfällt. Da die Beiträge nicht nach thematischen Gruppen gegliedert sind, ihre Reihenfolge sich der Rezensentin auch nicht erschlossen hat, kann hier nur auf einige Schwerpunktthemen hingewiesen werden.

In der Einführung geben die Herausgeber Dewald und Marincola eine kurze Übersicht zur Entwicklung der Herodot-Forschung im 20. Jahrhundert und legen dabei – zu Recht – einen Schwerpunkt auf die Arbeiten von Felix Jacoby. Jacoby hat betont, dass Herodot, der anfangs durchaus in der Tradition des Hekataios von Milet zu sehen ist, sein Werk unter dem Eindruck der Perserkriege einerseits und dem Einfluss der Entwicklung in Athen andererseits in der uns vorliegenden Reihenfolge der Bücher geschrieben habe, das heißt die Bücher V – IX sind tatsächlich die später geschriebenen. Danach hat Herodot seine Historiografie aus Geografie und Ethnografie entwickelt, wobei Jacoby ihm die Rolle des Ersten und in seiner Zeit Einzigen zubilligte.

Dieser – unitarischen, entwicklungsorientierten – Sichtweise entgegengesetzt ist die eher analytische, die den einheitlichen, von Anfang an bestehenden Plan zugunsten eines anfänglich aus einer Sammlung einzelner Geschichten bestehenden Konvoluts ersetzt (vgl. dazu die Position von Asheri). Als Beispiel für die kritische Auseinandersetzung mit diesen Thesen der Herodot-Forschung wird insbesondere auf Strasburger verwiesen, der den Mythos von der athenfreundlichen, insbesondere denjenigen der Perikles-Idealisierung, überzeugend decouvriert hat. Auch den Arbeiten Detlev Fehlings wird in dieser Einführung der ihnen zukommende Stellenwert eingeräumt, wenngleich sich in den Einzelbeiträgen davon wenig erkennen lässt. Die verschiedenen ‚turns’, die auch die Altertumswissenschaften seit den 1980er-Jahren mitvollzogen haben (vor allem der oral turn oder cultural turn) werden ebenso angesprochen wie etwa die Bedeutung der ‚postcolonial studies’ im Gefolge der von Edward Said angestoßenen Orientalismus-Debatte.1

Als Fazit, das als Leitlinie der in dem Band versammelten Beiträge gelten kann, heißt es: „What has changed is that older assumptions about the writing of history and how it is managed have been complicated by the various methodologies mentioned above, that is, by the recognition that historiography is neither a straightforward and transparent activity nor a matter merely of recording unproblematic ‚facts’.“ (S. 6f.) In diesem Sinn setzen sich Thomas, Romm und Scullion mit intellektuellen Entwicklungen auseinander wie sie sich in Bereichen des argumentativen Diskurses, der Geografie und Medizin im 5. Jahrhundert v.Chr. erkennen lassen und in denen Herodot einen bedeutenden Platz einnimmt.

Die seit langem geführte Diskussion um die Spezifika der oralen Überlieferung und ihren Niederschlag im herodoteischen Werk wird ausgesprochen differenziert und bei Weitem nicht mehr so einseitig wie noch vor einigen Jahren dargestellt: Dewald, Griffiths und vor allem Luraghi in seinem Beitrag über die historie Herodots gehen diesem Thema nach. Auch als politischer Denker, der insbesondere die griechischen Ansichten Persien gegenüber kritisch sieht, spielt Herodot eine nicht zu unterschätzende Rolle (Forsdyke, Stadter und Tritle).2 Ein besonderer Schwerpunkt liegt in der komplizierten Dynamik der Ost-West-Strukturen, mit der sich viele der Aufsätze auseinandersetzen (Munson, Friedman, Flower und Rood).

Die Einzelbeiträge sind bei vielen Autoren eine kurze, prägnante Synopsis früherer Arbeiten zu Herodot, die jeweils durch weiterführende, kurze Literaturempfehlungen ergänzt werden. Eine ausführliche Bibliografie, ein hervorragender Stellen- und Stichwortindex und einige Karten machen aus diesem Companion einen vielseitig, aber erst für fortgeschrittene Studenten (jedoch auch im wissenschaftlichen Kontext) einsetzbaren Überblick zu den neueren Themen der Herodot-Forschung.

Abschließend sei bemerkt, dass beide hier besprochenen Werke für eine Vielzahl an Publikationen zu Herodot stehen, die für die wissenschaftliche Arbeit zwar durchweg erfreulich ist, für die Lehre aber das Problem der Auswahl immer deutlicher hervortreten lässt.

Anmerkungen:
1 Vgl. aber die kritischen Stimmen dazu: Kerr, Malcolm, Rez. zu Said, Edward, Orientalism, International Journal of Middle Eastern Studies 12 (Dez. 1980), S. 544–547 und Lewis, Bernard, "The Question of Orientalism", in: ders., Islam and the West (London 1993) S. 99–118. Vgl. auch jüngst: Ibn Warraq, Defending the West, A Critique of Edward Said's Orientalism, Prometheus Books, 2007; vgl. dazu Weiss, Michael, The Betrand Russel of Islam, The New York Sun, 12. Dez. 2007 (http://www.nysun.com/article/67922).
2 Zu der ganz anderen Position vgl. Asheri, David, in: Murray, Oswyn; Moreno, Alfonso (Hrsg.), A Commentary on Herodotus Books I–IV, Oxford 2007.

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