Chr. Müller u.a. (Hrsg.): Hugo Preuß: Gesammelte Schriften

Titel
Hugo Preuß: Gesammelte Schriften. Bd. 1: Politik und Gesellschaft im Kaiserreich


Herausgeber
Müller, Christoph; Albertin, Lothar
Erschienen
Tübingen 2007: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
X, 812 S., 1 Kunstdruckbl.
Preis
€ 89,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Nadine Rossol, History Department, University of Limerick

Das Herausgeben von Editionen ist eine Sisyphusarbeit, die selten entsprechend gewürdigt wird. Zwar ist ihre praktische Anwendung unumstritten, Editionen erleichtern das Leben von Wissenschaftlern indem sie weit verstreute Texte zusammenbringen, doch haftet ihnen auch der Vorwurf an, „nur“ eine Zusammenstellung fremder Schriften zu sein. Der Historiker Lothar Albertin hat in Zusammenarbeit mit dem Rechtswissenschaftler Christoph Müller den ersten Band einer auf fünf Bände angelegten Gesamtausgabe der Schriften Hugo Preuß’ herausgegeben. Dabei präsentiert er viel mehr als bloße Fleißarbeit. Denn in den Texten „des Vaters der Weimarer Verfassung“ Preuß zeigt sich der scharfe Verstand und liberale Geist eines großen Intellektuellen seiner Zeit. Dazu sind die Schriften kenntnisreich erläutert, so dass sie auch ohne Spezialwissen über Preuß’ Wirken verständlich werden.

Hugo Preuß starb 1925 und geriet schnell in Vergessenheit – ein Schicksal, welches er mit vielen seiner linksliberalen Kollegen, die in der Weimarer Republik gewirkt hatten, teilte. So besaß die erste deutsche Demokratie, neben bekannten Männern wie Friedrich Ebert, Otto Braun und Carl Severing, noch weitere Republikaner, deren Leistungen eine größere öffentliche Kenntnisnahme verdient hätten. Preuß war einer von ihnen. Auch nach 1945 wurde kaum noch Bezug auf ihn genommen, weil die Bundesrepublik aus den so genannten Fehlern Weimars lernen wollte. Dazu gehörten auch die irrtümlichen Vorwürfe, dass die Weimarer Verfassung mit ihrer starken Stellung des Reichspräsidenten es den Nationalsozialisten zu leicht gemachte habe, sich mit Hilfe dieser Verfassung gegen die Demokratie zu wenden. Jetzt ist allerdings das Projekt einer Gesamtausgabe von Hugo Preuß’ Schriften in Angriff genommen worden, welche im Auftrag der Hugo-Preuß-Gesellschaft e.V. von Detlef Lehnert und Christoph Müller herausgegeben wird. Der erste Band mit dem Titel „Politik und Gesellschaft im Kaiserreich“ ist 2007 erschienen und versammelt Schriften von 1885 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Dabei zeigt sich, dass die meisten von Preuß’ Ideen und Forderungen ihren Anfangs- und Ausgangspunkt in der Gedankenwelt des Kaiserreichs hatten.

Eine ausführliche Einleitung von Lothar Albertin veranschaulicht das Wirken Hugo Preuß’ und verankert ihn mit seine Ideen in den linksliberalen Diskursen des Kaiserreichs. Dabei identifiziert Albertin bestimmte Grundthemen für Preuß’ Arbeiten und Schriften, etwa die Auseinandersetzung mit dem Scheinkonstitutionalismus der Verfassung Bismarcks und immer wieder die Forderung, Deutschland möge Anschluss an den westeuropäischen Verfassungsstaat finden. Preuß’ Feindbilder, das Junkertum und die Antisemiten, vor denen er im Kaiserreich warnte, sollten ihre destruktiven Kräfte in den Jahrzehnten nach 1918 noch weiter entfalten. Albertin verweist bereits in seiner Einleitung auf zahlreiche der später in Originallänge abgedruckten Schriften, wodurch diese bereits die positiven Eigenschaften eines komprimierten Quellenkommentars aufweist und eine erste Orientierung bietet. Dadurch gewinnt der Leser Lust auf weiteres Stöbern.

Die 53 Schriften, die in diesem ersten Band chronologisch präsentiert werden, zeigen bereits die ganze Bandbreite von Preuß’ Wirken. Sie beginnen mit den Arbeiten, die zur Bismarck-Zeit entstanden und schließen mit mehr als zwanzig Texten aus der Zeit des Ersten Weltkrieges. Darunter befindet sich etwa ein 70 Seiten starker Beitrag, in dem Preuß das Junkertum angreift genauso wie eine Trauerrede zur Beerdigung seines Freundes Theodor Barth sowie Preuß’ kritische Schriften aus dem Ersten Weltkrieg. In dem 1915 publizierten Text „Das deutsche Volk und die Politik“ zeigte der Jurist sich nicht nur als Kritiker eines verfallenden Obrigkeitsstaates, sondern auch als politischer Erzieher. Er forderte „einen innerlichen Erziehungsprozess vollkommenerer Politisierung des Volkes“ (S. 521), denn nur so lasse sich ein Volkstaat errichten. Preuß lobte andererseits die gewerkschaftlichen und sozialdemokratischen Verbände, da diese ihre Arbeit der politischen Volkserziehung vorbildlich geleistet hätten. Auch mahnte er, dass ein positives Verhältnis zwischen ihnen und dem Staat auch in friedlichen Zeiten bestehen bleiben müsse und schlussfolgerte: „Der feindliche Gegensatz fast gegen die ganze Welt hat die Einheit des deutschen Staatsvolkes und damit seine Stärke offenbart, zugleich aber auch die Schwäche, die in dem Missverhältnis zwischen seiner Macht und ihrer politischen Ausnutzung liegt“. (S. 530) Hier schrieb, wie so oft, der unermüdliche Streiter für eine Verfassungsreform und politische Mitgestaltungsrechte der Bevölkerung.

Kritisieren lässt sich an dem ersten Band der Gesamtausgabe wenig. Bedauerlich ist lediglich der hohe Preis. Zwar mag dieser mit fast 90 Euro vielleicht dem enormen Umfang von mehr als 800 Seiten gerecht werden, dennoch wird dadurch das Buch seine Käufer hauptsächlich in Bibliotheken und wissenschaftlichen Instituten finden. So steht zu befürchten, dass Hugo Preuß genau das bleibt, was eine Herausgabe seiner Schriften eigentlich verändern wollte, nämlich ein Persönlichkeit, die nur Spezialisten bekannt ist. Es bleibt zu hoffen, dass die jetzt vereinfachte Zugänglichkeit der Texte wissenschaftliche Forschungen inspirieren, die ihrerseits in der Öffentlichkeit Gehör finden. Ob Preuß’ Ansichten und Vorschläge zu den Aufgaben des Staates, seiner Verfassung und seiner Bürger heute noch zeitgemäß sind und, wie Lothar Albertin formuliert, „der Lösung künftiger Aufgaben dienlich sein kann“ (S. 65) mag diskussionswürdig sein. Aber eine Diskussion ist es allemal wert.

Überraschend, vielleicht selbst für Preuß-Kenner, ist die Tatsache, dass er sich auch als ein ironischer Kommentator des politischen Geschehens hervortat. So persiflierte er die polizeiliche Überwachung sozialdemokratischer Druckschriften in seiner 1887 erschienenen Glosse „Ein Besuch in Hottingen-Zürich“. Preuß berichtet darin von seinem Besuch einer sozialdemokratischen Druckerei und Volksbuchhandlung in der Schweiz. Dabei fragt er sich: „Wenn ich aus Hottingen-Zürich zurückkehrte, konnte ich nicht - wie alles, was von dort kommt - von der Landespolizeibehörde auf Grund des Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen usw. verboten werden?“ (S. 118) Preuß kommentierte auch ironisch die Sauberkeit und Ordnung der so genannten „vaterlandslosen Gesellen“, und spekulierte, ob er nicht zu den Sozialdemokraten überlaufen sollte. „Wenn man selbst drucken lässt und aus Erfahrung weiß, wie schwer es hält, einige hundert Exemplare eines gänzlich unverbotenen Buches abzusetzen, wie soll man da nicht neidisch werden, bei der kolossalen Auflage, in welchen jene verbotenen Schriften hergestellt werden“. (S. 120) Damit dokumentiert der erste Band auch eine weniger bekannte, aber sehr amüsante, Seite von Preuß.

Weitere Bände der Gesammelten Schriften sollen 2008 erscheinen. Der zweite Band behandelt die rechtswissenschaftlichen Arbeiten Preuß’ im Kaiserreich, der dritte seine Verfassungsentwürfe, der vierte Politik und Verfassung in der Weimarer Republik. Der fünfte und letzte soll sich auf die Kommunalpolitik konzentrieren. Mögen die ausstehenden Bände ebenso gut gelingen wie dieser erste Band.

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