Titel
Robert Blum. Ein deutscher Revolutionär 1807-1848


Autor(en)
Reichel, Peter
Erschienen
Göttingen 2007: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
232 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Oliver Groß, Institut für Geschichtswissenschaften,

Zum 200. Geburtstag Robert Blums am 10. November 2007 sind gleich zwei biographische Werke erschienen – der hier zu besprechende biographische Essay von Peter Reichel sowie Ralf Zerbacks "Robert Blum. Eine Biographie".1 Beide Autoren wählen das gleiche Portrait auf dem Einband, hegen eine unverblümte Sympathie und Begeisterung für Blum und möchten ein Fanal gegen dessen Vergessen setzen. Doch damit enden die Gemeinsamkeiten. Während Zerback eine erschöpfende klassische Lebensbeschreibung auf der Grundlage neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse vorstellt, versucht Reichel mittels biographischer und essayistischer Mittel auf 200 knappen Seiten „die Lebensgeschichte des Politikers Robert Blum zu erzählen“ (S. 11). Der emeritierte Hamburger Politikwissenschaftler Reichel, dessen eigentliche Forschungsschwerpunkte der Nationalsozialismus und die Vergangenheitsbewältigung in der Bundesrepublik sind, begibt sich auf eine methodische und stilistische Gratwanderung.

Der Aufbau des Werkes folgt chronologisch dem Lebenslauf. Das erste Hauptkapitel behandelt Kindheit, Jugend und Familiengründung, dann Ausbildung, Berufseinstieg und politischen Werdegang. Es endet mit dem Ausbruch der Märzrevolution 1848. Im Mittelpunkt des zweiten Teils stehen die Geschehnisse der Revolution, die Tätigkeit Blums als Abgeordneter der Frankfurter Nationalversammlung sowie dessen standrechtliche Erschießung in Wien am 9. November 1848.

Die langatmigen Schilderungen der frühen Lebensphase Blums erinnern an eine Romanfigur von Charles Dickens. Reichel präsentiert eine arme vom Schicksal gebeutelte hochbegabte, untadelige Halbwaise, die sich einem geizigen Onkel, einer reichen Tante und bösen Lehrmeistern gegenübersah. Der biographische Ansatz erklärt natürlich die Fokussierung auf die individuellen Lebensumstände Blums, jedoch wäre eine stärkere Einbindung in den gesellschaftlichen Kontext wünschenswert gewesen. Robert Blum war in erster Linie ein Kind seiner Zeit und seiner sozialen Herkunft – zudem eine Persönlichkeit deren Blick altruistisch auf die Umwelt und deren Missstände gerichtet war. Blum war, so der Autor, ein Glücksfall für die biographische Literatur (S. 24). Diese Begeisterung für seinen Probanden ist der rote Faden der gesamten Erzählung. Euphorisch, emotional und mit Superlativen hantierend trägt Reichel zunächst ein Rührstück und zuletzt eine Heldenposse vor. Den Vorwurf der Hagiographie nimmt er offensichtlich in Kauf, dafür spricht vor allem die bewusste Wahl des historischen Präsens, das die Nähe zum Protagonisten unterstreicht. Den Mangel an kritischer Distanz, analytischer Sachlichkeit und an Perspektivenwechseln rechtfertigt jedoch auch die Wahl der essayistischen Methode nicht.

So tönt der Einband, Blums Geschichte sei ohne Parallele und mit vierzig Jahren habe er alles erreicht (vgl. auch S. 7). Das parlamentarische und außerparlamentarische sowie zuletzt das militärische Scheitern Blums wird beiläufig erwähnt, aber weder gewichtet noch interpretiert. Darüber hinaus verschweigt die detaillierte Schilderung des Gutmenschen Blums, die Existenz mehrerer unehelicher Kinder und die Nöte der Familie.2 Reichel rechtfertigt die vereinzelt angedeuteten Schattenseiten mit den Worten: „Ein Berufener lebt nach eigenen Regeln.“ (S. 67f.)

Über die mannigfaltigen Tätigkeiten des „Vorkämpfers für amnesty international“ (S. 48) erfährt der Leser viel. Eine Strukturierung der vielen journalistischen, politischen und kulturellen Aktivitäten des Tausendsassa Blums wäre indes hilfreich gewesen. Trotz der vielen Informationen gelingt dem Autor keine nachvollziehbare Verortung seines Helden. Dessen politische Sozialisation bleibt schemenhaft. Reichel greift Blums Selbstcharakterisierung als „Wühler“ (S. 68) auf – eine Verlegenheitsbezeichnung. Wer oder was explizit den aus ärmlichen Verhältnissen stammenden Autodidakten geprägt und letztendlich bewegt hatte, den steinigen Weg eines oppositionellen Aktivisten in jener reaktionären Ära der 1830er- und 1840er-Jahre einzuschlagen, bleibt unbeantwortet. Auch die Verwendung eigentümlicher – vor allem unerläuterter – Begriffe wie „Politikunternehmer“ (S. 8) und „Camouflage-Politik“ (in unterschiedlichen Schreibweisen S. 8 bzw. S. 64) oder auch unpassender wie „Berufspolitiker“ (S. 67) schaffen hier keine Abhilfe.

Der inkonsistente Eindruck dieses biographischen Essays spiegelt sich in der Aussage des Autors, dass es sich um eine Nacherzählung der Lebensgeschichte Blums handle (S. 180). Unstimmigkeiten werden auch auf thematischer und methodischer Ebene deutlich. Mit den Ausführungen zum Forschungsstand und der Rezeptionsgeschichte sowie insbesondere mit den Exkursen zur Polenfrage (S. 113ff.) und zum Schleswig-Holstein-Konflikt (S. 139ff.) verlässt der Autor den essayistischen Pfad. Präzise und verständlich erhellt er hier Hintergründe und Zusammenhänge auf wenigen Seiten. Hingegen lassen sich die enorme Dynamik innerhalb der politischen Landschaft kurz vor und während der Revolution – und damit die Rolle Blums – allenfalls erahnen. Das gesellschaftspolitische Erscheinungsbild (inner- und außerparlamentarisch) der oppositionellen Bewegungen, deren Flügelkämpfe, Abspaltungen sowie deren theoretischer Unterbau in dieser Vor-Parteien-Ära hätten einer näheren Erläuterung bedurft. Ebenso diffus erscheinen Reaktion und Gegenrevolution. Es hätte darauf hingewiesen werden müssen, dass es sich keineswegs um eine homogene und koordinierte Bewegung gehandelt hat. In Anbetracht einer Vielzahl an wörtlichen Zitaten, die meist nicht interpretiert werden, und eines gesamten Kapitels über Blums Liebesleben, welches zudem dessen außerehelichen Aktivitäten ausblendet, mangelt es an einer ausgewogenen thematischen Gewichtung.

Im letzten Kapitel "Verehrt und vergessen?" (S. 178ff.) und im Epilog liegen die Stärken des Werkes. Resümierend, relativierend und differenzierend nähert sich Reichel dem Mythos Blum, dessen Instrumentalisierung und Missbrauch. Doch die Interpretation, mit dem Tode Blums sei der Bruch der österreichischen Monarchie mit dem freiheitlichen Deutschland vollzogen worden (S. 191), befremdet. Neue Forschungsergebnisse liefert Reichel nicht. Dies beabsichtigt er auch nicht, vielmehr unterzieht er die biographische Literatur zu Blum einer kritischen Prüfung und Neugewichtung. Die spannenden Erörterungen zu den konkurrierenden Versuchen der Nutzbarmachung des demokratischen Erbe Blum seitens der jungen Bundesrepublik und DDR hätten ausführlicher sein können. Im Angesicht von 308 Fußnoten wäre ein Literaturverzeichnis sinnvoll gewesen.

Zu würdigen ist das engagierte Vorhaben Reichels, gegen das Vergessen Robert Blums anzutreten und damit einer breiten Leserschaft die aufopfernde Leistung eines Einzelnen sowie einer ganzen Generation für demokratische Veränderungen zurück ins Bewusstsein zu rufen. Doch für diesen Zweck opfert Reichel die Distanz zu Blum. Auch wenn eine gewisse Affinität zum Untersuchungsgegenstand eine Grundvoraussetzung für ein biographisches Werk ist, sollten Abstand und Neutralität besonders gewahrt bleiben.

Anmerkungen:
1 Zerback, Ralf, Robert Blum. Eine Biographie, Leipzig 2007.
2 Zerback, Robert Blum, S. 155.