Titel
A Spectacular Secret. Lynching in American Life and Literature


Autor(en)
Goldsby, Jacqueline
Erschienen
Anzahl Seiten
418 S.
Preis
€ 21,56
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Silke Hackenesch, Graduate School of North American Studies, Freie Universität Berlin

Mit „A Spectacular Secret. Lynching in American Life and Literature“ legt Jacqueline Goldsby eine interdisziplinäre Studie vor, die Literatur- und Geschichtswissenschaft miteinander in sinnvollen Dialog setzt, um die Praxis des Lynching in den USA bis ins 20. Jahrhundert zu erklären. Goldsby analysiert literarische Texte als Quellen, aus denen sich historisches Wissen erschließen lässt: „[…] rather than read history into such literary texts, I read history out of them to discern how American writers understood the meaning of lynching and its effects as a tactic to subjugate black people“ (S. 21). Für Goldsby fungiert Literatur – hier im weitesten Sinne verstanden – als Archiv für die Geschichte von Lynchings in den USA (S. 7).

Amerikas Eintritt in die Moderne dient als Dreh- und Angelpunkt der Analyse, denn die literarischen Produktionen, die die Autorin heranzieht, erzählen Lynchmorde als vereinbar mit den Transformationen dieser Zeit, allen voran im Bereich der Kommunikationsformen, des Massenkonsums und des Entstehens eines korporativen Kapitalismus (S. 5). Die These Goldsbys lautet, dass „lynching’s relation to modernity consolidated its repressive force with the long-lasting effects historians and cultural critics usually attribute to the manifestly racist sources and aims of the practice” (S. 5). Die Autorin führt als theoretisches Werkzeug das sehr überzeugende Konzept einer „kulturellen Logik“ von Lynchmorden ein, welches dieses Verbrechen eben nicht als ein irrationales, lokales, spontan entstehendes Phänomen betrachtet, sondern sich im Gegenteil den vernetzten, systemischen Aspekten widmet. Damit soll erklärt werden, warum Lynching inmitten von amerikanischem Fortschritt und Reichtum gedeihen konnte. Goldsbys Begriffskonzept erfasst Lynchmorde nicht nur als dem Süden der USA eigentümlich, als Ordnung der weißen Vormachtstellung in ökonomischer, politischer und sozialer Hinsicht, als Ausdruck Freudscher sexueller Perversionen, oder als Produktion von „Weißsein“ und Männlichkeit als essentielle Bestandteile von nationaler Staatsbürgerschaft (S. 21). Nach Ansicht der Autorin ist eine Fokussierung auf die oben genannten Aspekte unzureichend: „Historiography has institutionalized the perception that lynching means less to the central process defining American life and culture because the violence is, we presume, best understood as regional and aberrant.“ (S. 21) Freilich existieren bereits historische Studien, die Lynchings im Spannungsfeld dieser komplexen und mehrschichtigen Aspekte diskutieren. Goldsby betont jedoch, wie Symbole des amerikanischen Fortschritts in Lynchings Anwendung fanden: Opfer wurden an Laternen und Brückenpfeilern aufgehängt, mit Hilfe der Eisenbahn wurden Tausende von Zuschauern zu den Orten der Lynchings transportiert, und es zirkulierten audio-visuelle Aufzeichnungen der Verbrechen, die sich großer Popularität erfreuten (S. 23). Somit müsse man Lynchings als integralen Bestandteil von Amerikas Eintritt in das moderne Zeitalter betrachten: “Cultural logic refers to lynching’s contingent relation to modernity.“ (S. 327) Auch wenn der Verweis auf Laternen und Pfeiler nicht zu überzeugen vermag, diese wurden aus demselben Grund herangezogen wie Bäume, so macht sie doch deutlich, wie sehr die Infrastruktur der Moderne diesen Verbrechen entgegen kam; die Möglichkeit, Schaulustige mit der Bahn zum Ort des Geschehens zu bringen und Bilder beziehungsweise Tonaufnahmen vom Verbrechen zu produzieren, machten Lynching zu einem Spektakel.

Nach Goldsby ist Lynching ein „spectacular secret“ in der amerikanischen Kultur und Geschichte, da die Gewalt zum einen kulturelle Entwicklungen und Spannungen sichtbar („spectacular“) machte, zum anderen aber das normative Verhältnis von Lynching zur Moderne mit Schweigen bedacht worden ist, und die traumatischen Erlebnisse eines Lynchings im wahrsten Sinne des Wortes oft unaussprechlich und unbeschreibbar geblieben sind („secret“).

Der Einleitung folgen vier Kapitel, in denen die Autorin eine enge Textanalyse der Arbeiten von Ida B. Wells, Stephen Crane und James Weldon Johnson unternimmt. In dem dichtesten und überzeugendsten Kapitel zu Ida B. Wells beschreibt Goldsby, wie die engagierte und investigative Journalistin, nachdem drei ihrer Freunde in Memphis brutal gelyncht worden waren, ihren Kampf gegen die perfiden Morde aufnahm. Wells schrieb für mehrere regionale afrikanisch-amerikanische Zeitungen, in denen sie Gegenerzählungen zu den Massenberichterstattungen über Lynchings entwarf, indem sie „Fakten“ anders interpretierte und bewusst Verschwiegenes aufdeckte (S. 65-69). Zu ihren größten Errungenschaften zählt, dass sie die häufig als Auslöser für Lynchings herangezogenen Vorwürfe, „schwarze“ Männer hätten „weiße“ Frauen vergewaltigt, als Mythos entlarvte, und argumentierte, dass seit dem Ende der Sklaverei „schwarze“ Körper kein ökonomisches Kapital mehr darstellten und deswegen ungeschützt waren (S. 46, 162). Damit formulierte sie offen die Möglichkeit einvernehmlicher sexueller Beziehungen zwischen Euroamerikanerinnen und Afroamerikanern und verknüpfte darüber hinaus die exzessive Gewalt gegen Afroamerikaner mit der zunehmenden kapitalistischen Wirtschaftsform (S. 46). Ihre Pamphlete und ihre Reise nach England, wo sie Lynching als Problem von „globaler Bedeutsamkeit“ (S. 82) charakterisierte, erschwerten es „weißen“ AmerikanerInnen, das Problem zu ignorieren.

Der Schriftsteller und Journalist Stephen Crane publizierte 1899 den Text „The Monster“, der sich laut Goldsby auf ein Lynching in seiner Heimatstadt im Staat New York bezieht, jedoch ohne dass ein Verbrechen explizit genannt wird. Die Erzählung erwies sich als kommerziell äußerst erfolgreich, eben weil sie die Indifferenz und Gleichgültigkeit gegenüber dem Verbrechen kultiviert und es „vergessen macht“ (S. 161). Laut Goldsby gelingt in „The Monster“ zweierlei: „first, […] a meditation on the violence that corporate-monopoly capitalism promotes; and second, for the politics of disavowal that realist fiction writing modeled as evidence of white Americans’ indifference to the mortal dangers under which African Americans lived“ (S. 139). Diese Gleichgültigkeit und Apathie seitens der amerikanischen Bevölkerung lag nach Goldsby in der kapitalistischen Entwicklung begründet, die Lynching „kulturell logisch“ machte; „schwarze“ Körper, beziehungsweise „schwarze“ Arbeitskraft waren im Überfluss vorhanden und somit entbehrlich (S. 162-163). Die Autorin geht an dieser Stelle allerdings nicht darauf ein, dass dies auch für viele „weiße“ Arbeiter galt, deren Arbeitskraft nicht mehr gebraucht wurde.

Mit James Weldon Johnson widmet sich Goldsby im Anschluss einem Aktivisten und Autor der Harlem Renaissance, der selbst einmal nur knapp einem Lynching entging (S. 168). Diese traumatische Erfahrung, dessen Reichweite für Johnson schwer zu fassen war, trieb ihn an, sich in seinen Arbeiten mit Lynchings auseinanderzusetzen. Im Anschluss an Judith Butler führte das Erlebte bei Johnson dazu, dass er „passionately attached“ zur Gewalt war, der er selbst nur knapp entkommen war (S. 168). In ihrer gelungenen Analyse seines Werks „The Autobiography of an Ex-Colored Man“ konstatiert Goldsby: „[…] once race and the depiction of physical pain became forged as an essential condition for African American writing of the “real,” a literary aesthetic was established that conferred narrative value on the wounded or otherwise defiled black body as the expressive medium for authentic knowledge and experience.” (S. 186)

Schließlich untersucht Goldsby Fotografien von Lynchings, denn so sehr Texte wie die von Wells, Crane und Johnson die Perzeption dieser Morde zum Ende des 19. Jahrhunderts geprägt haben, so sehr wurde diese Aufgabe im 20. Jahrhundert von massenproduzierten Fotografien übernommen (S. 218). Diese waren in ein kulturelles Milieu eingebettet, welches das Sehen an sich als Praxis anregte und den Blick auf den Tod als theatrale, unterhaltsame Freizeitaktivität konstruierte (S. 224-27). Interessant ist hierbei vor allem die Diskussion der „black tradition in lynching photography“ (S. 239), bei der die Aufnahme des gelynchten Opfers mit einer früheren Aufnahme, oft in einem Fotostudio entstanden, gekoppelt worden ist. Diese Strategie machte das Opfer rassistischer Gewalt zu einem sichtbaren, fühlenden Subjekt und erlaubte den Hinterbliebenen, um diesen Menschen zu trauern und ihn zu erinnern (S. 246).

Mitte des 20. Jahrhunderts endete Lynching als Praxis, auch aufgrund des Mordes an Emmett Till und dem nationalen und internationalen Aufsehen, den sein Lynchmord provozierte, und der an Dynamik und Aufmerksamkeit gewinnenden Bürgerrechtsbewegung. Doch Goldsby weist darauf hin, dass Lynching durch andere Praxen ersetzt worden ist, die den (sozialen) Tod von Afroamerikanern bewirken sollten und somit in einer Tradition von Gewalt gegen „Schwarze“ in den USA zu sehen sind (S. 289).

Im Verlauf ihrer Studie bleibt Goldsby die Antwort schuldig, warum sie die Texte von Wells, Crane und Johnson gewählt hat. Hier wäre eine Synthese dieser unterschiedlichen Arbeiten gewinnbringend gewesen. Auch ihre kritische Sicht auf die bisherige vermeintlich defizitäre historische Forschung von Lynchings ruft Zweifel hervor. Die Fülle des von ihr herangezogenen Materials ist jedoch beeindruckend. Durch ihren Fokus auf literarische Produktionen und die Erkenntnisse, die sie über Lynching bieten, hat sie einen Zugang zu diesem Forschungsfeld eröffnet, der in Zukunft nicht unberücksichtigt bleiben kann.

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