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Titel
Wenn die Waffen schweigen. Friedenskonsolidierung nach innerstaatlichen Gewaltkonflikten.


Autor(en)
Paris, Roland
Erschienen
Anzahl Seiten
483 Seiten
Preis
€ 33,00
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Jost Dülffer, Universität Köln, Historisches Seminar

Nach dem Ende des alten Ost-West-Konflikts haben die UN-Missionen an Zahl und Bedeutung zugenommen. Post-conflict peace-building oder Friedenskonsolidierung heißt die Aufgabe meistens. In – je nach Zählung – 11 oder 14 Fällen haben seit 1990 Friedensmissionen stattgefunden oder laufen noch, welche eine Befriedung nach Bürgerkriegen sicherstellen sollen. Roland Paris, der in Ottawa lehrt, hat seine Studie 2004 auf Englisch vorgelegt; für die (gute) deutsche Übersetzung hat er sie in einem Schlusskapitel fortgeschrieben, was seine Ergebnisse nicht wesentlich ändert. Er versucht theoretische Reflexion und praxisnahe Anleitung miteinander zu verbinden und ist damit meilenweit von jenen politologischen Zunftgenossen entfernt, die mit der Kodierung und Quantifizierung komplexer historisch-politischer Prozesse nachweisen, dass Demokratien untereinander Frieden halten und dass es nur noch darum gehe, Demokratien zu schaffen, dann werde der Frieden schon folgen. Übergangsstrategien – und darum geht es – sind wesentlich differenzierter zu sehen. Paris zeigt in einer nüchtern-pragmatischen Darlegung aller dieser Konflikte nach Ursachen und Folgen, dass diese Entwicklungen komplex sind. Ihm scheint die allgemein verfolgte politische Strategie der 1990er-Jahre hinaus zu laufen auf die „Förderung der bürgerlichen und politischen Rechte, wie zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung, Pressefreiheit, Versammlungsfreiheit und Freizügigkeit; die Vorbereitung und Durchführung demokratischer Wahlen; die Erarbeitung nationaler Verfassungen, in denen die bürgerlichen und politischen Rechte festgeschrieben wurden; ...die Förderung der Entwicklung unabhängiger ‚zivilgesellschaftlicher’ Organisationen; ...die Förderung der Entwicklung marktwirtschaftlich orientierter Volkswirtschaften durch die Beseitigung von Hindernissen für den freien Waren- und Kapitalverkehr im Inneren und über die Grenzen des Landes hinweg“ (S. 43, vgl. S. 54).

Kurz, wenn demokratische Wahlen, freier Handel und Zivilgesellschaft konstatiert worden seien und kein Blutvergießen mehr stattgefunden habe, dann sei den UN-Missionen häufig bescheinigt worden, sie hätten ihren Auftrag erfüllt. Genau diese Erfolgskriterien greifen aber für Paris zu kurz. Man müsse die Entwicklung weiter und länger beobachten. Er diskutiert in einem Kapitel allgemein den Beitrag je einzelner internationaler Organisationen zur Friedenkonsolidierung von der UNO, OSZE, Europäischen Union bis zu Nato, OAS und Bretton-Woods-Institutionen: Die erstere war bei weitem der wichtigste Träger. Sodann analysiert er auf 160 Seiten seine Einzelfälle: Lateinamerika (Guatemala, El Salvador, Nicaragua) über Afrika (Angola, Ruanda, Namibia, Mosambik, Ruanda, Liberia), Bosnien und Kroatien sowie Kambodscha; als Nachtrag gibt es noch Erfahrungen u.a. aus dem Kosovo, Osttimor, Sierra Leone.

Das oben benannte Modell nennt Paris in Anlehnung an Woodrow Wilson „Wilsonianismus“ und findet hier in der Anwendung für die Zeit ab 1990 deutliche Grenzen seiner Erfolgsbilanz. Bei einem Typus – Namibia und Kroatien – gebe es weiter im Lande die vormaligen Bürgerkriegsparteien, aber der Ausgleich funktioniere weitgehend. Einen zweiten Typus umfassten „demagogische Demokratien“ (S. 267): Es gebe etwa in Kambodscha und Liberia relative Stabilität, aber harte politische Unterdrückung. Der zuvor verfolgte „quick and dirty“-Ansatz von außen her verdecke nur fortbestehende Konflikte, die jederzeit wieder ausbrechen könnten. Alle anderen Fälle seien weniger gelungen gelöst worden. Politische Demokratisierung habe nicht unbedingt zu wirtschaftlicher geführt und umgekehrt: liberale Wirtschaftsformen hätten nicht unbedingt Demokratie gebracht. Ja, in manchen Fällen habe der verkündete Erfolg tatsächlich den zerbrechlichen Frieden destabilisiert. Liberalisierung im politischen oder ökonomischen Sinne habe also das Wiederaufleben von Gewalt begünstigt oder gar die zuvor bestehenden Ursachen für Gewalt wieder hergestellt.

Die „paradoxe Logik der marktwirtschaftlichen Demokratie: Frieden durch Konflikt“ (S. 271) herzustellen, funktioniere nur manchmal – wenn es eben zu geregelten Konkurrenzverhältnissen gekommen sei. So gebe es schlechte Zivilgesellschaft (die dann wohl doch keine sein dürfte?, Rezensent), problematische ethnische Unternehmer, Einheimische, die nur vorgäben Demokratie zu wollen und destruktive Folgen wirtschaftlicher Liberalisierung. Wenn man die Verwundbarkeit konfliktzerrütteter Staaten sehe, dann müsse man vor allem einen Faktor stärker berücksichtigen: die fortbestehende Ineffizienz politischer Institutionen. Konkret müsse daher als Maxime gelten „Institutionalisierung vor Liberalisierung“: „So sollen sie [die Umgestalter] zuerst die Grundlagen für handlungsfähige politische und wirtschaftliche Institutionen schaffen und erst dann die Wahldemokratie einführen sowie eine marktorientierte Strukturanpassungspolitik einleiten – eine Strategie, die ich als ‚Institutionalisierung vor Liberalisierung’ (IBL) bezeichne.“ (S. 311) Demnach müssten sich externe „peace builders“ oder Konsolidierer längere Zeit und wohl auch kostspielig engagieren, Hassprediger unterdrücken, „gute“ Zivilgesellschaft fördern, Wahlrechtsordnungen befördern, welche Gemäßigte unterstützen und Folgen wirtschaftlicher Öffnung mit daraus entstehenden Konflikten entschärfen. Das hört sich alles gut an, und auch die Nachteile und Probleme seiner Strategie werden von Paris knapp und fair diskutiert. Der Konsolidierungsprozess, so könnte man zusammenfassen, müsse stärker und länger von außen geplant und befördert werden.

Mit dieser Diagnose und Therapie legt Paris gewiss den Finger in die Wunden naiver Friedensmachbarkeit, die in den letzten Jahrzehnten international leitend war und die ihren Höhepunkt (oder negative Perversion) in der 'National Security Strategy' von George W. Busch im Jahr 2002 fand (die hier gar nicht vorkommt): freie Wahlen und freie Betätigung der globalisierten Wirtschaft und alles wird gut. So gesehen ist das Buch historisch behutsam gearbeitet und differenziert in der Faktorenanalyse. Fast alles leuchtet ein.

Es bleiben dennoch Zweifel, ob bei Institutionalisierung so leicht zwischen „guter“ und „böser“ zu unterscheiden ist, ob nicht auch gegenüber diesem Ansatz mehr Ambivalenzen zu berücksichtigen sind. Gerade von außen angeleitete und finanzierte „good governance“ kann es den Konfliktparteien leichter machen, ohne Einigungszwang ihre herkömmlichen Konflikte weiter zu pflegen, die Einmischung von außen zunehmend als Fremdherrschaft zu diskreditieren und als neues Feindbild darzustellen. Weiteres kommt hinzu: Diese Studie ist wie viele andere so angelegt, dass zwei (bürgerkriegerische) Konfliktparteien von einer einzigen oder zumindest einigen äußeren Kraft, etwa der UNO, angeleitet werden. Historische Situationen sind aber grundlegend anders zu analysieren, haben mehr als ein paar intervenierende Variablen beizusteuern. Gewiss ist der Antagonismus des alten „Kalten Krieges“ verschwunden, der ziemlich viele regionale Konflikte auflud. Aber es gibt neue externe Einflüsse – angefangen von regionalen, über die Bürgerkriegsparteien hinaus reichenden ethnischen oder religiösen oder ökonomischen Einflüssen bis hin zu weiterhin nicht nur über die UNO oder andere Großinstitutionen agierende große oder weit entfernte Mächte – nicht zuletzt die mit den Institutionen von Bretton Woods bei Paris nur sehr kurz benannten Einflüsse von Globalisierung.

Einiges von dem Benannten wird vom Autor bei Darlegung der Einzelfälle am Rande erwähnt. Das ist löblich, strukturiert das Modell aber nicht. In einer Art praktischer Anleitung für internationale Friedensmissionen wird man den IBL-Ansatz gut als sinnvolle Erweiterung integrieren können. Aber die konkreten Probleme jedes Einzelfalls fangen in einer weit komplexeren Einbettung an. Demokratie und liberaler Handel mögen weiterhin als gute Ziele für eine Konsolidierung angestrebt werden, aber die Probleme sind in den Fallstudien komplexer und kaum ein für alle Mal zu regeln. „Democratic peace“ und „liberal peace“ sind wohl nicht so einfach zu erreichen, wie sich das manche Politologen und Politiker vorstellen. Es geht – darauf weist Paris immer wieder hin – um mehr als „Wilsonianism“ oder um die Voraussetzungen, damit dieser erst einmal vor Ort greifen könne. Die eingangs im Auszug genannten Bedingungen von Paris sind hinreichend differenziert und decken sich in manchem z.B. mit Dieter Senghaas’ „zivilisatorischem Hexagon“1, das allerdings weniger handlungsleitend sein will. Aber die von Paris gewonnenen Anregungen lassen sich mühelos auch auf andere Fälle wie zwischenstaatliche Kriege übertragen – sie können auch in der Geschichte anderer Friedensschlüsse verwandt werden. Sieht man etwa auf die mentalen Nachwirkungen der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts, dann wird sofort klar, dass mit gegebenenfalls autoritär eingeleiteter Institutionenbildung bei den zu Befriedenden längst nicht alles getan ist – und wie der Friedensmacher dann grade die kooperativen Kräfte der ehemaligen Konfliktparteien stärken kann, bleibt fraglich. Da würde es der Rezensent vorziehen, die zivilgesellschaftlichen Faktoren, „gute Zivilgesellschaft“ nach Paris, mindestens gleichberechtigt zu benennen. Nur wie macht man das – unter Berücksichtigung von Zeit und Geld?

Anmerkung:
1 Senghaas, Dieter, Zum irdischen Frieden. Erkenntnisse und Vermutungen, Frankfurt am Main 2004.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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