N. Scholz u.a. (Hrsg.): Politique symbolique en France

Titel
Représentation et pouvoir. La politique symbolique en France (1789-1830)


Herausgeber
Scholz, Natalie; Schröer, Christina
Reihe
Collection "Histoire"
Anzahl Seiten
300 S.
Preis
€ 20,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Deinet

Anzuzeigen ist ein Kuriosum: ein Sammelband mit ausschließlich französischsprachigen Beiträgen, beigesteuert von deutschen, amerikanischen und – last not least – einigen französischen Forschern zur Symbolpolitik in Frankreich zwischen Französischer Revolution und Restauration. Entstanden ist er auf Initiative einer der 16 Untergruppen des Münsteraner Sonderforschungsbereichs 496 der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit dem Titel „Symbolische Kommunikation und soziale Wertesysteme vom Mittelalter bis zur Französischen Revolution“, dem außer Historikern auch Musikwissenschaftler, Philosophen sowie diverse Philologen, Ethnologen und Juristen angehören. Die besonders aktive Gruppe unter Leitung von Prof. Dr. Hans-Ulrich Thamer widmet sich schon seit einigen Jahren der Schlüsselperiode zwischen 1789 und 1830 und fragt nach der Fortdauer und der Veränderung der symbolischen Kommunikation an der Schwelle zur Moderne. Sie tut dies am Beispiel des europäischen Pilotlandes Frankreich, und hier ist auch die Erklärung für die Entstehung des vorliegenden Sammelbandes zu suchen: Die deutsche Gruppe nutzte die Anwesenheit zahlreicher amerikanischer Frankreichhistoriker in Paris anlässlich ihrer Jahrestagung im Juni 2004, um sich mit der eigenen Thematik an den Kongress der Amerikaner anzuhängen. Mit ins Boot holte man einige französische Kollegen um den Soboul-Nachfolger Jean-Clément Martin von der Universität Paris I (Panthéon-Sorbonne) sowie einige weitere ausgewiesene Spezialisten der napoleonischen und nach-napoleonischen Zeit. Das Deutsche Historische Institut in Paris stellte dem Unternehmen seine atmosphärisch unvergleichlichen Räume in der Rue du Parc-Royal zur Verfügung, und das Ergebnis des dreitägigen Symposiums liegt nun in Gestalt des vorliegenden Bandes vor. Da man sich wie selbstverständlich des Französischen als ‚lingua franca’ bediente, wurden die meisten Beiträge in der Vortragssprache beibehalten, einige noch nachträglich übersetzt. Offenbar hofft man seitens der Herausgeber auf eine gewisse Breitenwirkung in Frankreich. Der günstige Preis und die opulente Bebilderung (75 Abbildungen) berechtigen zu dieser Erwartung.

Was bietet der Band, und vor allem: Was bietet er Neues? Was die Französische Revolution angeht, so konzentrieren sich die Beiträge des ersten Teils bewusst auf die Direktorialperiode, also die Zeit, als sich die Revolution (vergeblich) zu verstetigen suchte und bestrebt war, eine ihr eigene Symbolsprache im öffentlichen Bewusstsein zu verankern. Mittel dazu waren sowohl die politischen Bankette, die von semi-spontanen Plein-Air-Veranstaltungen in der Früh- und Hochphase der Revolution zu durchkalkulierten Festessen mit ausgewähltem Publikum in großen Sälen mutierten (Referent: Hans-Ulrich Thamer), wie auch die Begräbniszeremonien für republikanische Generäle (Bernard Gainot) oder auch die diversen Versuche zur Etablierung einer kohärenten republikanischen Allegoriensprache in der Bildpublizistik (Christina Schröer). Ein nicht zu unterschätzendes Feld der symbolischen Kommunikation war schließlich das Theater, nicht nur in Paris ein echtes Massenmedium, vergleichbar in seiner Breitenwirkung fast schon dem heutigen Fernsehen, wie die Beiträge von Rüdiger Schmidt und Philippe Bourdin zeigen.

Die Beiträge des zweiten Teils, insbesondere die Darlegungen von Annie Duprat und Natalie Petiteau, gehen den Schwierigkeiten, aber auch den unbestreitbaren Erfolgen bei der Etablierung einer spezifisch imperialen Zeichensprache nach. Besonders die Regimentsadler und die Wappen des neuen Schwertadels mit ihrer üppigen, die Feldzüge rekapitulierenden Fantasieheraldik entwickelten sich zu ausgesprochenen ‚Rennern’ auf dem Markt der Symbole, von deren Erfolg nicht zuletzt die Verbitterung ihrer Träger bei deren Abschaffung bzw. Zurückdrängung unter der Restauration zeugt.

Der beste, weil kohärenteste Teil des Bandes ist der dritte über die Restaurationsperiode. Hier beeindrucken vor allem die Beiträge der Amerikanerinnen Sheryl Kroen und Jo Burr Margedant, die unmittelbar und textnah über ihre jeweiligen Forschungen zu den politischen Kämpfen um das Theater am Beispiel von Molières Tartuffe bzw. zu der durch die Zeitumstände gebrochenen Biografie Louis Philippes berichten. Die Restauration – das lassen diese wie auch die anderen, um die Ermordung des Duc de Berry im Jahr 1820 kreisenden Aufsätze dieses Teils erkennen – litt unter dem besonderen Manko einer permanenten Ambivalenz in ihrer Symbolsprache: Während offiziell von Ludwig XVIII. die politique de l’oubli programmiert wurde, existierte daneben eine vor allem von einigen Kirchenvertretern propagierte Sühne- und Rachepolitik, die in der immer wieder durchscheinenden These von einer Kollektivschuld des französischen Volkes gegenüber den Bourbonen gipfelte. Die bürgerlichen Massen durchschauten, so scheint es, diese Ambivalenz der Symbole und nahmen die Kollektivschuldtheorie als die eigentliche Botschaft der Restauration wahr, während sie die politique de l’oubli als pures Ablenkungsmanöver abqualifizierten, was diese jedoch nicht von Anfang an gewesen war. Die Wendung von 1820 und der Übergang von Ludwig XVIII. zu Karl X. mit seiner an vorabsolutistische Gebräuche anknüpfenden, als anachronistisches Beschwörungsritual begriffenen Symbolpolitik machte diesen ersten Versuch einer Aussöhnung der Gegensätze obsolet, noch bevor er in der Julirevolution von 1830 sein reales Ende fand.

Dass die Beiträge sich nicht immer zu einer Gesamtschau zusammenfügen, wird man einem Sammelband schwerlich zum Vorwurf machen können. Dennoch gilt auch hier, was in ähnlicher Weise für zahlreiche Publikationen zur symbolischen Kommunikation und zur Erinnerungskultur, die gerade in Deutschland in den letzten Jahren wie Pilze aus dem Boden geschossen sind, zutrifft. Hier hat inzwischen eine gewisse Sammelleidenschaft um sich gegriffen, die sich in ihrer detailverliebten Akribie selbst zu genügen scheint. Doch so wichtig die Detailschärfe in der Einzelanalyse auch sein muss, sie ersetzt noch keine stringente Synthese.

Was eine solche Synthese der symbolischen Kommunikation oder, zugespitzter gesagt: der Geschichtspolitik im Frankreich des 19. Jahrhunderts zu leisten hätte, hat in seinem Einleitungsbeitrag Jean-Clément Martin skizziert. Der Kampf um die „représentations“ im weiteren Sinne des Wortes, also im Sinne von „Darstellung/Abbildung, Vorstellung“ (und nicht nur im engeren Sinne von „Vertretung“), war immer auch ein Kampf um die politische Macht („pouvoir“) und enthielt als notwendiges Korrelat das Moment der politischen Gewalt („violence“). Ohne eine Einbeziehung des Zusammenspiels dieser Faktoren – so darf man aus Martins begrifflichen Prolegomena folgern – bliebe die Analyse der Symbolsprache eine Geschichte ohne Unterleib. Es genügt eben nicht, wie ein Kunsthistoriker die Grammatik der Bilder, der Gesten oder Riten zu studieren; der Historiker muss auch fragen, wie die von der politischen Macht ausgesandten Botschaften bei ihrem Adressaten angekommen sind. Gewiss, für das 19. Jahrhundert, das noch keine Masseninterviews und Befragungen im heutigen Stil kannte, ist das immer ein heikles Unterfangen; aber einzelne Beiträge des Bandes wie der von Sheryl Kroen über das Theater der Restaurationszeit oder die materialgesättigte Studie von Rolf Reichardt über die Verbreitung der Verfassungssymbolik in der Bildpublizistik zwischen 1789 und 1830 zeigen, wie weit eine intensive Analyse solcher Reaktionen „von unten“ auch ohne die Beihilfe moderner Umfragetechniken reichen kann.

Ein zweites kommt hinzu. Die Geschichte der symbolischen Kommunikation gewinnt erst dann Kontur, wenn sie breit genug angelegt ist, um die Entwicklung, also die Veränderung dieser Sprache in den Blick zu bekommen. Dies bezieht sich zum einen auf den Übergang von der verordneten Symbolsprache des Ancien Régime zur dialogischen Symbolsprache der Französischen Revolution. Aber wie Martin bemerkt, ist die Französische Revolution kein in sich kohärentes Feld. Nach einer Phase wirklich freier Kommunikation zwischen 1789 und 1792 gerinnt die Symbolsprache nach 1793 zu einem quasi monologischen Gespräch der politischen Macht mit einem stummen Gegenüber, dessen fehlende Stimme durch die antike Reminiszenz ersetzt wird. Auch das Direktorium kehrt nach einer vorübergehenden Tauperiode zwischen 1795 und 1797 zu dieser Ein-Weg-Kommunikation zurück, und unter Napoleon wird der Pseudo-Dialog dann mit zynischer Bravour verfeinert und auf die Nachbarländer übertragen. Erst 1816, so Martin, kehrt Frankreich zu jener Dissonanz der Symbolsprachen zurück, die für das 19. Jahrhundert charakteristisch bleiben sollte.

Schade war es, dass die Tagung nicht über den selbst gewählten Endpunkt von 1830 hinausblicken konnte. Hier hätte man gerne weiter nachgefragt, in welchen Phasen und mit welchen Zäsuren (die nicht notwendig mit denen der politischen Geschichte übereinstimmen müssen) sich die historische Selbstvergewisserung der wechselnden Regime und der konkurrierenden politischen Gruppierungen im Frankreich des 19.Jahrhunderts vollzog, wie sich die symbolische Selbstbestimmung dieser Gruppen, von den Legitimisten über die Orléanisten bis zu den Bonapartisten und den Republikanern, äußerte und wie sich ihre Protagonisten zu den konkreten Erfahrungen, die von den Jahreszahlen 1830, 1848 und 1871 markiert werden, verhielten… Blieb die (fast) alle Symbole der Vergangenheit integrierende ideologische Sammlungspolitik Louis Philippes tatsächlich so folgenlos, wie immer behauptet wird? Und bedurfte es tatsächlich erst der mimetischen Wiederholung der (Großen) Revolution in der (kleinen) von 1848 und des ersten im zweiten Kaiserreich, um die alten Symbole zu entzaubern und die Erosion der Klischees zu bewerkstelligen?

Zugegeben, diese Fragen reichen weit über die von den Müttern und Vätern des Sonderforschungsbereichs 496 gezogenen Grenzen des Untersuchungszeitraums hinaus, aber sie zielen auf das selbstreflexive Fundament des modernen Frankreich und müssten ein französisches Publikum, auf das dieser Sammelband ja spekuliert, mindestens ebenso interessieren wie die Frage nach der Genese der modernen Symbolsprache im Übergang vom Ancien Régime zur Revolution. Aber vielleicht nimmt sich ja eines der nächsten Kolloquien der deutsch-französisch-amerikanischen Historikergemeinschaft dieses Themas an.