H. Heller u.a. (Hrsg): All quiet on the Genre Front?

Cover
Titel
All quiet on the Genre Front?. Zur Praxis und Theorie des Kriegsfilms


Herausgeber
Heller, Heinz; Röwekamp, Burkhard; Steinle, Matthias
Erschienen
Marburg 2006: Schüren Verlag
Anzahl Seiten
219 S.
Preis
€ 19,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jakob Sobe, Berlin

Am 22. und 23. September 2005 fand in Marburg unter dem Titel „All quiet on the Genre Front?“ ein film- und medienwissenschaftliches Symposium zum Kriegsfilm statt.1 Nun liegt, als schriftliches Ergebnis dieser Tagung, das gleichnamige Buch vor. Es zeigt, dass „die Suche nach historisch-pragmatischen Bedingungen des erzählten Krieges und ihren methodisch-theoretischen Modellierungen“ (S. 208) keineswegs, wie der Titel suggerieren könnte, zu nichts Neuem führt, sondern stattdessen zu einer Vielzahl unterschiedlicher Blickwinkel und konstruktiver Fragen. Auch geht der Band in mehreren Beiträgen noch über die Tagung hinaus: Beispielsweise wird im letzten Artikel das in Deutschland erst 2006 angelaufene Golfkriegsdrama „Jarhead“ (USA 2005) „als kurios asymmetrischer Kriegsfilm“ (S. 194) ausführlich besprochen, und, gerade wegen seiner „ironisch-selbstreflexiven Brechung“ der Genreregeln (S. 202), als besonders wichtig, gar Genre-erneuernd herausgestellt.2 Die Autoren des Artikels, Dennis Conrad und Burkhard Röwekamp, konstatieren dementsprechend frohgemut: „Es gibt also Hoffnung. Der Anti-Kriegsfilm ist tot, es lebe der Anti-Kriegsfilm.“ (S. 206)

Mit Antikriegsfilmen – im Gegensatz zu Kriegsfilmen bzw. der Frage, ob und wie man beide überhaupt voneinander unterscheiden kann – beschäftigt sich vorrangig der vierte und letzte Teil des Tagungsbandes. Der erste Teil widmet sich, nach einer Einführung durch die Herausgeber, hauptsächlich den Grundlagen und einem Überblick über das Genre. So definieren Thomas Klein, Marcus Stiglegger und Bodo Traber im Beitrag „Motive und Genese des Kriegsfilms. Ein Versuch“ zunächst einmal, was ein Kriegsfilm aus ihrer Sicht überhaupt ist, nämlich eine „filmische Reflexion technisierter moderner Kriege seit dem Ersten Weltkrieg“ (S. 14), um dann zügig durch die filmgeschichtlichen Jahrzehnte voranzuschreiten und dem Leser einen groben Genreabriss zu bieten. Anschließend analysiert Hans-Jürgen Wulff en détail den (Anti-)Kriegsfilm „All Quiet on the Western Front“ (USA 1930) als Modellfall, „an dem sich die Gratwanderung zwischen radikaler Verurteilung des Krieges und seiner Verherrlichung verdeutlichen lässt“ (S. 27). Ein klassisches Definitionsproblem des Genres also, das sich als roter Faden durch die meisten Beiträge des Bandes zieht.

Der zweite Teil, für den die Herausgeber in der Einführung die Überschrift ‚Exkursionen durch die Filmgeschichte’ vorschlagen, setzt dann auch folgerichtig gleich wieder mit einer Infragestellung des Genres ein. Zu Beginn seiner umfassenden Analyse des deutschen Kriegsfilmgenres fragt Knut Hickethier, ob man zum Krieg nicht auch den Bürgerkrieg, demnach auch den Terrorismus zählen müsse – und ob also zum Beispiel Filme über die Rote Armee Fraktion (RAF) folgerichtig Kriegsfilme seien? Hickethier verneint das, weil man damit dem Selbstverständnis der RAF Vorschub leiste, „die sich selbst als ‚im Krieg’ mit dem kapitalistischen System sah und damit ihre mörderischen Aktionen legitimierte“ (S. 42). Vielleicht macht er es sich mit diesem politischen Argument allerdings etwas zu einfach. Die Frage wird erneut im dritten Teil aufgegriffen: In seinem gedankenreichen Artikel „Die Metastasen des Krieges“ trennt Peter Riedel zunächst die modernen von den klassischen Kriegen, „also Entropie statt kosmischer Gewalten“ (S. 134), um anschließend die RAF bzw. generell „die Stadtguerilla Exempel eines in seiner Erscheinungsform grundlegend veränderten internationalen Kriegsgeschehens“ zu nennen (S. 135). Wenn sich der Krieg wandle, müsse das auch für das Kriegsfilmgenre gelten, was wiederum dazu führen solle, den Genrebegriff zu weiten. „Dass man Filme über Terrorismus, aber zum Beispiel auch Spionagefilme nicht als Kriegsfilme wahrnimmt, ist nur Zeichen eines sensitiven oder perzeptuellen Anachronismus“, so Riedel (S. 139).

Im zweiten Teil finden sich weiterhin Beiträge zum deutschen und osteuropäischen Kriegsfilm, zum Vietnamkrieg im US-amerikanischen Kino und, in einem Beitrag von Jörn Glasenapp, zu Gemeinsamkeiten zwischen Western und Kriegsfilm anhand des von John Wayne in beiden Genres verfilmten „Alamo-Mythos“. Der dritte Teil zur ‚Motivgeschichte’ beinhaltet, neben Peter Riedels Reflektionen, einen Artikel von Angela Krewani, in dem sie drei Kriegsfilme „auf ihre Inszenierungsstrategien des männlichen Körpers hin überprüft“ (S. 101), sowie Thomas Koebners schön zu lesenden, kenntnisreichen Beitrag zur „Schlachtinszenierung“. Dieser Text gewährt einen weiten Überblick über alle möglichen Filmschlachten und darin wiederkehrende Standardsituationen und kümmert sich insgesamt wenig um Genredefinitionen: Filme wie Sam Peckinpahs Western „The Wild Bunch“ (USA 1968), Stanley Kubricks Historie „Barry Lyndon“ (GB 1975) oder Akira Kurosawas King-Lear-Verfilmung „Ran“ (J 1980) werden ebenso zu Rate gezogen wie klassische Kriegsfilme, bekannte Schlachtengemälde und „Schlachtenliteratur“ wie zum Beispiel Homers „Ilias“.

Zurück zum bereits angesprochenen Antikriegsfilmgenre und dessen Definition: Burkhard Röwekamp versucht in seinem Beitrag „Peace is our Profession“, mit dem der vierte Teil des Bandes eingeleitet wird, aufzuzeigen, „dass gerade die Variabilität filmischer Strukturen und Verfahren notwendige Bedingung zum Erhalt der kulturellen Funktion des Antikriegsfilms unter historisch sich wandelnden Gegebenheiten ist“ (S. 153). Mithin müsse man das Genre eher über die Veränderungsmechanismen und dynamischen Bedeutungszuschreibungen begreifen, als über eine starre Feststellung von Zugehörigkeiten. Der Autor analysiert wiederkehrende Themen, Erzählstrategien und Figurenkonstellationen in Antikriegsfilmen – zum Beispiel betonen sie nach Röwekamp „tendenziell das Scheitern von Wertvorstellungen und Ordnungssystemen“ (S. 152) – und geht zudem zusätzlich auf Antikriegsmalerei und -literatur ein. Dass damit am Ende eher eine verschwommene Morphologie des Antikriegsfilms als eine klare Definition entsteht, wirkt in gewissem Sinne zwar unbefriedigend, ist aber andererseits wahrscheinlich unvermeidlich. Angesichts gewisser Szenen in „Jarhead“ beispielsweise, in denen „die Rekruten mit Hilfe des als Antikriegsfilm geltenden „Apocalypse Now“ (USA 1979) auf den Krieg eingestimmt werden“ (S. 202) verwischt die Grenze zwischen Kriegs- und Antikriegsfilm so stark, dass eine endgültige, zeitübergreifende Definition ohnehin unmöglich erscheint.

Einen letzten, recht kurzweiligen Themenkomplex des Buches bilden die Beiträge von Matthias Steinle und Heinz-B. Heller über Kriegskomödien. Steinle widmet sich den klassischen Kriegskomödien von Chaplin bis zu den Marx-Brothers und gelangt zu dem Schluss, dass diese Filme sich „dem Genre ‚Kriegsfilm’ ebenso wie dem Label ‚Anti-’ entziehen“ (S. 180); Heller beschreibt „Groteske Situationen des Wider-Sinns“ in den Kriegskomödien der 1960er-Jahre. Gestützt auf die Philosophien von Clausewitz und Bergson, kommt Heller zu dem Ergebnis, dass die von Clausewitz festgestellte „Friktion“, also das Unkalkulierbare, Zufällige im Kriege, jene „menschliche Komponente“, die alle noch so perfekten Berechnungen durcheinanderbringen kann, genau das sei, was Bergson als Grund des Lachens festlege: eine Korrektur des Mechanischen, Automatischen, Starren im Menschen. Eben darauf beruhe das Konzept von Komödien wie Stanley Kubricks „Dr. Strangelove“ (USA 1964) oder Mike Nichols’ „Catch 22“ (USA 1970). „Dem Widersinn des Krieges mit der Freilegung und Dekonstruktion seiner Logik zu begegnen und diese Erfahrung dem Zuschauer sinnlich erfahrbar zu machen, darin liegt wohl das Potential der grotesken Filmkomödie.“ (S. 193) So erfreut „All quiet on the Genre Front?“ den Leser also sogar mit einer kleinen Metaphysik der Kriegsfilmkomödie.

Keine Rede demnach von Stille an der Genrefront, zumindest nicht, so lange es noch Bücher wie das hier besprochene oder Filme wie Sam Mendes’ „Jarhead“ gibt. Dessen letzte Pointe besteht übrigens darin, dass die beiden Helden und Scharfschützen im ganzen Krieg keinen einzigen Schuss auf ihre Feinde abfeuern können, weil diese allesamt vorher schon durch Bomben getötet wurden. „Die Ruhe an der ‚Genrefront’ ist also trügerisch – das Kräfteverhältnis von Praxis und Theorie des Kriegsfilms muss dringend neu taxiert werden.“ (S. 210) Mit dieser Forderung schließt das Buch – und erfüllt sie gleichzeitig mit einem ersten, wichtigen Beitrag.

Anmerkungen:
1 Ein Tagungsbericht findet sich unter: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=930.
2 Zu symmetrischen und asymmetrischen Kriegen vgl. u.a.: Münkler, Herfried, Der Wandel des Krieges. Von der Symmetrie zur Asymmetrie, Weilerswist 2006. Rezension unter: http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2006-3-229.

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