M. Zimmermann (Hrsg.): Der Traum von Troia

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Titel
Der Traum von Troia. Geschichte und Mythos einer ewigen Stadt


Herausgeber
Zimmermann, Martin
Erschienen
München 2006: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
240 S.
Preis
€ 22,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Monika Schuol, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Um Troia ist es still geworden – diesen Eindruck erweckt zumindest das Schweigen der Medien, die in den Jahren 2001–2003 dem fachwissenschaftlichen Disput zwischen dem Grabungsleiter Manfred Korfmann und dem Althistoriker Frank Kolb über den universitären Rahmen hinaus zu einer ungeheuren Resonanz in der Öffentlichkeit verholfen hatten.1 Tatsächlich bildeten zwei Beiträge von Kolb und Korfmann (19. und 22. November 2003) im „Schwäbischen Tagblatt“ sowie eine Stellungnahme des Rektorats der Tübinger Universität am 27. November 2003 den vorläufigen Abschluss der Auseinandersetzung2; weniger lautstark und gewissermaßen unter Ausschluss der breiten Öffentlichkeit findet diese Kontroverse jedoch bis heute in den Fachpublikationen ihre Fortsetzung.3

Das Ziel des hier anzuzeigenden Sammelbandes, hervorgegangen aus einer Vorlesungsreihe an der LMU München, ist weder die Nachzeichnung noch die Fortsetzung des Streits zwischen Kolb und Korfmann; vielmehr gehen die 14 Beiträge der Frage nach, wie es zu dieser im Wissenschaftsbetrieb ungewohnten Heftigkeit in der Kontroverse kommen konnte und wie die große, für altertumswissenschaftliche Themen ungewohnte Resonanz in der Öffentlichkeit zu erklären ist. Daher steht, wie Martin Zimmermann im Vorwort und in seinem Beitrag „Troia – eine unendliche Geschichte?“ darlegt, nicht die Argumentation der Kontrahenten im Mittelpunkt, sondern die Rezeption des Troia-Mythos in Literatur, Kunst und Politik von der Antike bis in die Neuzeit. Die Idee Zimmermanns, jenseits der Forschungen unter der Leitung Korfmanns dem Fachpublikum und dem interessierten Leser einen anderen Zugang zur Faszination Troias zu eröffnen, ist nicht neu: Ein ähnlich konzipierter Band zur Rezeption des Troia-Stoffes, hervorgegangen aus einer Tübinger Vorlesungsreihe kurz vor Beginn des Troia-Streits, ist 2004 erschienen4; die Überschneidungen sind aber gering und beschränken sich auf den Beitrag von Jan-Dirk Müller.5 Vor allem die Rezeption des Troia-Mythos in der deutschen Literatur, zweifellos ein reizvolles und ergiebiges Thema, wurde 2001 im Begleitband zur Troia-Ausstellung 6 in mehreren recht kurzen, dafür aber reich bebilderten Beiträgen behandelt.7 Doppelungen sind unvermeidbar, jedoch aufgrund anderer Schwerpunktsetzungen nicht störend.

Der Konzeption Zimmermanns entsprechend zählen Fachvertreter und -vertreterinnen der Klassischen Archäologie, Gräzistik, Alten Geschichte, Mittelalterlichen Geschichte und der Germanistischen Mediävistik zu den Beiträgern; keiner von ihnen gehört zum Kreis von Kolb oder Korfmann, einige sind aber bereits in der Anfangsphase des Streits um Troia als Kritiker des Troia-Ausgräbers hervorgetreten, so Justus Cobet und Hans-Joachim Gehrke.8 Hartwin Brandt („Europa und der Mythos von Troia“) beschäftigt sich mit der politischen Instrumentalisierung des Sagenkreises um Troia in der Antike (etwa durch Alexander den Großen und Augustus), seiner Verbreitung im Mittelalter sowie der Verarbeitung des Troia-Stoffes in Theater, Literatur, Film und Kunst des 20. Jahrhunderts. An diese diachrone Betrachtung anknüpfend kritisiert Brandt Korfmanns Stilisierung des als genuin anatolisch erwiesenen spätbronzezeitlichen Troia zu einem kulturellen Zentrum europäischer Erinnerung und Identität; insbesondere prangert er die Verknüpfung von Mythos und Wissenschaft mit der Diskussion um den EU-Beitritt der Türkei an.

Thomas Alexander Szlezák („Die Ilias Homers“) wendet sich dem älteren der beiden homerischen Epen zu, das seine faszinierende Wirkung trotz der ungeklärten Fragen nach der tatsächlichen Lokalisierung des Schauplatzes und der Historizität des Geschehens und unabhängig von Korfmanns Interpretation des archäologischen Befundes der Schicht VIIa bis heute nicht verloren hat. Der Beitrag von Barbara Patzek („Troia und der Troia-Mythos im Bewusstsein der Griechen von der archaischen bis zur klassischen Zeit“) widmet sich der Entstehung des Troia-Mythos und seiner Geltung als „Geschichte aller Griechen“ (S. 69) und „Teil [...] der kontinuierlichen geschichtlichen Erinnerung“ (S. 69), wobei sie der homerischen Erzählung grundlegende Auswirkungen auf die historische und politische Bedeutung des Troia-Mythos zuschreibt. Dem breiten Interesse der griechischen Bildkunst am troianischen Sagenkreis geht Susanne Muth („Bilder des Troia-Mythos in der griechischen Kunst“) nach; dabei steht die Luxuskeramik des 6. und 5. Jahrhunderts v.Chr. im Mittelpunkt, die sich durch eine intensive und sehr differenzierte Auseinandersetzung mit der Mythenerzählung auszeichnet und – wie Muth überzeugend herausarbeitet – durch das thematische Spektrum der Bilder zugleich Aufschluss über Wertvorstellungen und Rollenideale der wohlhabenden Athener gibt.

Mit den Mechanismen von Mythenproduktion und -rezeption im republikanischen Rom und im frühen Prinzipat als Legitimationsinstrument eigener innenpolitischer Machtansprüche und römischer Vorherrschaft im Mittelmeerraum beschäftigt sich Uwe Walter („Die Rache der Priamos-Enkel? Troia und Rom“); konkret nimmt er die Rückführung der Iulii Caesares auf Venus und Troia und die entsprechende Propaganda auf Münzen, der Ara Pacis und in der augusteischen Dichtung in den Blick. Ulrich Sinn („Der Troia-Mythos in der römischen Kunst“) untersucht die feste Verankerung des Troia-Mythos in der gesamten römischen Welt anhand einer Reihe beeindruckender Bildwerke, deren Entstehung er nicht nur mit den politischen Zielsetzungen Roms, sondern auch mit der allgemein verbreiteten Homer-Verehrung in Verbindung bringt.

Die Rezeption der Troia-Erzählung als politischer Legitimationsmythos, den mittelalterliche Herrscherdynastien ebenso wie Städte und selbst die Türken für sich in Anspruch nahmen, erläutert Knut Görich („Troia im Mittelalter – der Mythos als politische Legitimation“). Jan-Dirk Müller („Das höfische Troia des deutschen Mittelalters“) behandelt die Verarbeitung der Troia-Sage in der mittelalterlichen Literatur und zeigt an mehreren Werken, wie das Bild Troias von zeitgenössischen Vorstellungen überformt und die Handlung den Werten der Adelsgesellschaft (Ritterschaft, Minne) entsprechend ausgestaltet wurde. Justus Cobet („Schliemanns Troia“) reflektiert die öffentliche Wahrnehmung der Arbeiten Schliemanns und die historisch-philologische Kritik des 19. und 20. Jahrhunderts; er kritisiert, dass sich Korfmann und sein Kreis mit der Annahme der Historizität des epischen Stoffes in die direkte Nachfolge des ersten Ausgräbers von Troia gestellt hätten.

Die Berichterstattung der in- und ausländischen Medien über den Streit um Troia, die mediale Inszenierung des Konfliktes und die Gründe für das große Interesse einer über die Fachwelt hinausgehenden Öffentlichkeit skizziert Gregor Weber in seinem Beitrag „Neue Kämpfe um Troia – der Streit in den Medien“. Mit der Verarbeitung des Troia-Stoffes im Film beschäftigt sich Mischa Meier („Troia im Film“): An vier Beispielen (Produktionen aus den Jahren 1956, 1961, 2003 und 2004) wird aufgezeigt, dass die Antikfilme um eine zumindest in ihren zentralen Elementen dem Publikum bekannte Geschichte herumkomponiert werden, aber sehr unterschiedlich mit dem mythischen Sujet umgehen; schlussfolgernd stellt Meier fest, dass „der Troia-Mythos vorbehaltlos als Historie präsentiert werden konnte“ (S. 193), weil der Troianische Krieg fest in der abendländischen Kultur verankert sei.9 Raimund Wünsche („Der ‚Mythos Troja‘ als Ausstellungskonzept“), leitender Sammlungsdirektor der Staatlichen Antikensammlungen und Glyptothek in München, stellt eine Sonderausstellung mit dem Titel „Mythos Troja“ vor, die vom 19. Juli 2006 bis zum 31. Januar 2008 zu sehen ist. Gezeigt werden vor allem Vasen des 6. und 5. Jahrhunderts v.Chr. mit Darstellungen des Troia-Mythos, aber auch die Giebelskulpturen des Aphaiatempels von Ägina. Hans-Joachim Gehrke („Troia im kulturellen Gedächtnis“) analysiert die Veränderungen der Troia-Tradition und die Verankerung Troias als Erinnerungsort im kulturellen Gedächtnis seit der Antike. Im Anhang finden sich Anmerkungen und Literaturangaben zu den einzelnen Beiträgen sowie ein Autorenverzeichnis.

Die Auswahl der Beiträgerinnen und Beiträger mag den Unmut des Korfmann-Pernicka-Kreises provozieren, kommt doch von dieser Seite niemand zu Wort. Dennoch erscheint Zimmermanns Konzept, aus archäologischer, philologischer und historischer Sicht die Wirkungsgeschichte Troias zu betrachten, durchaus überzeugend: Zwar wird der Umgang der Troia-Ausgräber mit den archäologischen Befunden immer wieder angeprangert; auch die politische Instrumentalisierung des Troia-Mythos durch Korfmann mit Blick auf die Diskussion um den EU-Beitritt der Türkei ist wiederholt Gegenstand der Kritik, so in den Beiträgen von Hartwin Brandt, Gregor Weber und Hans-Joachim Gehrke. Die Skepsis wird aber durchgängig in ruhiger Tonlage vorgetragen und steht durchaus nicht im Mittelpunkt des Bandes. Insgesamt ist es dem Herausgeber gelungen, ein buntes Spektrum der Wirkungsgeschichte Troias und der Ilias in Kunst, Literatur und Politik zu präsentieren. Der Band sei allen empfohlen, die vielleicht weniger die Kolb-Korfmann-Kontroverse Revue passieren lassen wollen als vielmehr an der Rezeption antiker Mythen und der bis heute von Troia ausgehenden Faszination interessiert sind.

Anmerkungen:
1 Vgl. http://www.uni-tuebingen.de/troia/deu/kontroverse.html; http://www.uni-tuebingen.de/troia/deu/symposium.html; http://www.uni-tuebingen.de/alte-geschichte/personen/kolb/kolb_troia2.html (Stand jeweils 09.12.2007).
2 Vgl. http://www.uni-tuebingen.de/uni/qvo/uniinfo/uniinfo00-2003/uniinfo17.html (09.12.2007).
3 Kolb, Frank, Entwicklungen im Troia-Streit seit 2003, in: http://www.uni-tuebingen.de/alte-geschichte/personen/kolb/kolb_troia1.pdf (09.12.2007).
4 Hofmann, Heinz (Hrsg.), Troia. Von Homer bis heute, Tübingen 2004.
5 Müller, Jan-Dirk, Das höfische Troia des deutschen Mittelalters, in: Hofmann (wie Anm. 4), S. 119–141.
6 Troia – Traum und Wirklichkeit. Begleitband zur Ausstellung, Stuttgart 2001.
7 Vgl. folgende Beiträge: Borgolte, Michael, Europas Geschichten und Troia. Der Mythos im Mittelalter, S. 190–203; Lienert, Elisabeth, Ein mittelalterlicher Mythos. Deutsche Troiadichtungen des 12. und 14. Jahrhunderts, S. 204–211; Brunner, Horst, „Die in jeder Hinsicht schönste und beste Stadt“. Deutsche Troialiteratur des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, S. 212–225.
8 Cobet, Justus; Gehrke, Hans-Joachim, Warum um Troia immer wieder streiten?, in: Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 53 (2002), S. 290–325.
9 Die Literaturangaben zum Beitrag von Mischa Meier können nach Erscheinen der in seinem Beitrag genannten Sammelbände folgendermaßen ergänzt werden: Wieber, Anja, Vor Troja nichts Neues? – Moderne Kinogeschichten zu Homers Ilias, in: Lindner, Martin (Hrsg.), Drehbuch Geschichte. Die antike Welt im Film, Münster u.a. 2005, S. 137–162; Wieber, Anja, Antike am laufenden Meter – Mehr als ein Jahrhundert Filmgeschichte, in: Meier, Mischa; Slanička, Simona (Hrsg.), Antike und Mittelalter im Film. Konstruktion – Dokumentation – Projektion, Köln 2007, S. 19–40.

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