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Titel
Militarismus - Vernichtungskrieg - Geschichtspolitik. Zur deutschen Militär- und Rechtsgeschichte.


Autor(en)
Messerschmidt, Manfred
Erschienen
Paderborn 2006: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
408 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Christoph Jahr, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität

Kaum jemand hat mehr zu der Wandlung der hergebrachten Kriegsgeschichte und „Wehrkunde“ zur modernen Militärgeschichte als einer anerkannten akademischen Subdisziplin beigetragen als Manfred Messerschmidt, der seit 1963 am Militärgeschichtlichen Forschungsamt (damals noch in Freiburg im Breisgau) tätig war, von 1970 bis 1988 als dessen Leitender Historiker. Als Präsident der „Commission d’Histoire du droit militaire “ und als Generalsekretär des „Comité d’Histoire de la Deuxième Guerre Mondiale“ steht er darüber hinaus für die internationale Vernetzung der Militärgeschichte. Zu Ehren seines 80. Geburtstages 2006 hat das MGFA eine Sammlung von neunzehn seiner wichtigsten Aufsätze (im wesentlichen aus der Zeit nach seinem Ausscheiden aus dem MGFA) herausgegeben, die Messerschmidts beeindruckende Breite und Tiefe an historischem Wissen eindrucksvoll dokumentiert.

Anders, als es der Titel nahelegt, sind Messerschmidts Aufsätze nicht in drei, sondern in vier thematische Blöcke gebündelt. Der erste Teil ist „Militär und Militarismus in Deutschland“ überschrieben und beinhaltet Aufsätze über die militärischen Eliten in Deutschland und Frankreich oder den Militarismus in der NS-Zeit. Letzterer lässt sich, so Messerschmidt, mit dem Militarismus-Begriff etwa eines Gerhard Ritter, Friedrich Meinecke oder Hans Herzfeld nicht erfassen, da dieser von der Vorstellung einer grundsätzlichen Trennung von ziviler und militärischer Sphäre ausgeht. Der knappe Überblick über „Die allgemeine Wehrpflicht: Kind und Garant der Demokratie“ von 1990 kommt zu dem pointierten Urteil, dass „die preußische Version der allgemeinen Wehrpflicht mit Demokratie nichts im Sinn hatte“ (S. 52). Damit widerspricht Messerschmidt Theodor Heuss’ bekanntem Diktum, die allgemeine Wehrpflicht sei das „legitime Kind der Demokratie“ und wird darin von der späteren Forschung bestätigt.1 Bei allem Respekt für die Zivilcourage, deren es in Deutschland als Militärkritiker bedurfte, arbeitet Messerschmidt neben den Verdiensten auch die Schwächen der Militarismus-Kritik in der Weimarer Republik heraus, die es nicht vermochte, eine echte Massenwirksamkeit zu erlangen, weil es ihr zu oft mehr darauf ankam, Recht zu behalten, als politische Mehrheiten zu organisieren.

Die Schwierigkeit, solche Aufsatzsammlungen thematisch stringent zu bündeln, zeigt sich an Messerschmidts Aufsatz über „Das ‚friderizianische Exempel’. Nachwirkungen Friedrichs II. in Preußen-Deutschland“. Dieser wäre statt im Militarismus-Kapitel wohl besser in der später folgenden Sektion „Geschichtspolitik“ aufgehoben gewesen, macht er doch deutlich, wie verheerend sich der „Friedrich-Mythos“ mit seiner Betonung der unkontrollierten königlichen Kommandogewalt und der herausgehobenen Stellung des Offizierskorps im 19. und 20. Jahrhundert ausgewirkt hat.

Die Spezifik des Zugangs von Messerschmidt als gelerntem Historiker und Juristen zur Militärgeschichte wird im zweiten, „Recht und Politik“ überschriebenen Themenblock deutlich. Neben dem Aufsatz über „Carl von Ossietzky und die politische Justiz“ und einer Studie zur Rolle der Rechtsgeschichte im NS-Staat steht ein Aufsatz über das Institut des „Gerichtsherren“ und seine Rolle für die Wehrmachtjustiz. Darin zeigt sich, dass nicht nur die Militärrichter, sondern auch die Wehrmachtsgeneralität durch die Art der Ausübung ihrer Funktion als Gerichtsherr zu der Schreckensbilanz der Wehrmachtjustiz beigetragen haben. In seiner Studie über „Rechtswissenschaft und Nationalsozialismus“ wendet sich Messerschmidt gegen die durch Gustav Radbruch populär gewordene These, dass die deutsche Justiz aufgrund des in ihr dominierenden rechtspositivistischen Denkens quasi chancenlos war, die von ihr verlangte Rolle als Exekutoren des NS-Unrechts zurückzuweisen. Das Gegenteil trifft zu: die weitgehend Realität gewordene Denkfigur eines überpositivistischen, gesetzes- und rechtsverdrängenden „Führerbefehls“, der von der Justiz bereitwillig im Sinne größtmöglicher Härte auszulegen sei, ermöglichte erst den fast vollständigen Zusammenbruch liberaler Rechtstraditionen unter dem Signum eines neuen „völkischen“ Rechts.

Schließlich verdient in diesem Kapitel noch der bereits 1987 in den „Militärgeschichtlichen Mitteilungen“ erschienene Aufsatz „Kriegstechnologie und humanitäre Völkerrecht in der Zeit der Weltkriege“ besondere Beachtung. Anhand der Themen Gaskrieg, Luftkrieg und Einsatz der Atombombe diskutiert Messerschmidt die Schwäche völkerrechtlicher Bindungen angesichts der Eigendynamik technologischer und militärischer Erwägungen, die die angelsächsischen Mächte zu dem völkerrechtlich nicht gedeckten Mittel des Flächenbombardements deutscher Städte greifen ließ. Anders als etwa Jörg Friedrich kommt Messerschmidt ganz ohne überzogene Polemik zu klaren, aber eben auch differenzierten Urteilen. War, so Messerschmidt, die Aushebelung völkerrechtlicher Hemmungen im Bombenkrieg primär in der technischen Machbarkeit begründet, betrieb sie der NS-Staat aus ideologischen Motiven. „Bombenkrieg“ und „Auschwitz“ sind daher, entgegen dem was Friedrich zumindest sprachlich nahelegt 2, grundsätzlich voneinander zu unterscheiden.

Das anschließende dritte Kapitel befasst sich in fünf Aufsätzen mit dem Thema „Wehrmacht und Vernichtungskrieg“, für das Messerschmidt nicht zuletzt durch seine Gutachtertätigkeit bei der Überarbeitung der umstrittenen „Wehrmachtsausstellung“ des Hamburger Instituts für Sozialforschung in der Öffentlichkeit profiliert hat. Dabei weist Messerschmidt die zyklisch immer wieder aufgewärmte These, Hitler sei 1941 nur einem von Stalin geplanten Angriff zuvorgekommen, ebenso zurück wie die Legende von der „sauberen Wehrmacht“. Der Beitrag „Ideologie und Befehlsgehorsam im Vernichtungskrieg“ macht deutlich, wie stark die ideologischen Kernelemente des Nationalsozialismus – Antisemitismus und Ostexpansion – selbst von jenen Wehrmachtsoffizieren verinnerlicht worden waren, die Hitler und der NSDAP ansonsten eher skeptisch gegenüberstanden und teilweise sogar den Weg in den Widerstand fanden. Das zeigte sich nicht nur im Krieg gegen die Sowjetunion, sondern ebenso in Südosteuropa, wie der Aufsatz „Partisanenkrieg auf dem Balkan“ eindringlich vor Augen führt.

Der vierte und letzte thematische Block schließlich befasst sich mit „Geschichtspolitik und Tradition“. Ein Beitrag behandelt die von Walther von Brauchitsch im November 1945 verfasste „Denkschrift der Generäle“, die gewissermaßen Geschichtspolitik in eigener Sache betrieb. Zu diesem Zweck wurde die historische Wahrheit systematisch umgeschrieben, um die Fata Morgana einer „unpolitischen“, von Hitlers Expansionsplänen regelmäßig überraschten Generalität aufrecht erhalten zu können. Dieser Versuch kennzeichnete auch die Strategie der deutschen Eliten insgesamt, wie Messerschmidts Aufsatz über den „Nürnberger Prozess“ vor Augen führt. Angesichts dieser Bilanz ist es nur konsequent, dass Messerschmidt hohe ethische Maßstäbe anlegt wenn es darum geht, welche Soldaten der Wehrmacht heute noch traditionsbildend für die Bundeswehr sein können. „Soldatische Leistungen“ allein, ohne Rückkopplung an moralische Aspekte, reichen dafür nach Messerschmidts Meinung jedenfalls nicht aus. Wer verstehen will, woher Messerschmidts Mischung aus aufklärerischem Engagement und wissenschaftlicher Nüchternheit rührt, dem sei schließlich die Lektüre seines hier erstmals veröffentlichten autobiographischen Berichts über seine Erfahrungen als Soldat und amerikanischer Kriegsgefangener 1944/45 empfohlen. Wie in seinen wissenschaftlichen Texten vermag er es auch in dieser biographischen Skizze, anschauliche Erzählung und sachliche Analyse miteinander zu verbinden.

Die ganze Breite des akademischen Schaffens von Manfred Messerschmidt kann diese Aufsatzsammlung, so umfangreich sie ist, leider nicht abbilden. So sind insbesondere diejenigen Schriften unterrepräsentiert, die sich mit der Wehrmachtjustiz und ihren Opfern auseinandersetzen, aber auch die Beiträge Messerschmidts zur historischen Friedensforschung finden sich hier nicht dokumentiert. Das beigefügte Publikationsverzeichnis ermöglicht es dem Leser immerhin, diese Lücken selbst zu füllen. An einigen Stellen hätte man sich schließlich auch gewünscht, kurze Hinweise auf den aktuellen Forschungsstand zu erhalten, weil manche der von Messerschmidt vor zehn oder zwanzig Jahren diagnostizierten Forschungslücken inzwischen gefüllt sind. Die herausgehobene Bedeutung Messerschmidts als Wissenschaftler zeigt sich nicht zuletzt darin, dass seine Urteile im Licht neuerer Forschungen gewiss hier und da zu differenzieren wären, im Wesentlichen jedoch bis heute Bestand haben.

Anmerkungen:
1 Vgl. Frevert, Ute, Die Kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland, München 2001.
2 Vgl. Friedrich, Jörg, Der Brand. Deutschland im Bombenkrieg 1940-1945, Berlin 2002, z.B. S. 110, 184, 311.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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