Dissent and Opposition in Communist Eastern Europe

Pollack, Detlef; Wielgohs, Jan (Hrsg.): Dissent and Opposition in Communist Eastern Europe. Origins of Civil Society and Democratic Transition. Aldershot 2004 : Ashgate, ISBN 0-7546-3790-5 275 S. $ 99.95

: The Dilemmas of Dissidence in East-Central Europe. Citizen Intellectuals and Philosopher Kings. Budapest 2003 : Central European University Press, ISBN 963-9241-39-3 503 S. € 23,95

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ilko-Sascha Kowalczuk, Abt. Bildung und Forschung, Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes (BStU)

Der Zusammenbruch des europäischen Kommunismus 1989/91 erwies sich als ein Ereignis mit vielen Erscheinungsformen. In einigen Staaten fanden Revolutionen statt, in anderen wurde die Macht der Kommunisten wegverhandelt, in noch anderen reformierten sich die Herrschenden wider Willen selbst weg und schließlich gibt es postkommunistische Staaten, in denen noch gar nicht entschieden ist, ob der Kommunismus als Herrschaftsform wirklich der Vergangenheit angehört. Ebenso debattiert wird die Frage, wann der definitive Untergang nun begonnen habe. Ist Gorbatschows Machtantritt 1985 der Anfang vom Ende oder war Gorbatschow nur die letzte verzweifelte Antwort des Kommunismus auf die Agonie, die, von Polen 1980 ausgehend, den Ostblock immer stärker im Griff hatte? Gibt es Ereignisse und Prozesse, die zäsurbildend für den Untergang nicht erst nach 1985 eintraten, sondern gar vor 1980 lagen? Das alles wird noch viele Forschergenerationen beschäftigen. Es lässt sich lediglich vorhersagen, dass diese Debatten in ein, zwei, drei Generationen weniger leidenschaftlich, weniger ideologisch und weniger geschichtspolitisch „aufmunitioniert“ geführt werden dürften.

Auch die Rolle von Opposition und Widerstand im Kommunismus findet im Rahmen dieser Diskussionen immer wieder Beachtung. Während die einen behaupten, Opposition und Widerstand hätten die überragende Bedeutung beim Untergang des Ostblocks gespielt, entgegnen andere ebenso überzeugt, sie hätten nur eine marginale Bedeutung erlangt und selbst diese sei fraglich. Jan Wielgohs und Detlef Pollack, die beiden Herausgeber des Sammelbandes „Dissent and Opposition in Communist Eastern Europe. Origins of Civil Society and Democratic Transition“, ist in ihrer abwägenden Positionierung hingegen zuzustimmen, wenn sie den Zusammenbruch des Kommunismus als Folge eines Ursachenbündels endogener und exogener Faktoren erklären (S. 245). In diesem Prozess spielte die Opposition eine katalysatorische Rolle. Sie habe nicht allein den Untergang bewirkt, dabei aber kurze Zeit eine hervorgehobene Funktion besessen. Insbesondere in der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre habe eine Politisierung des oppositionellen Milieus begonnen, in deren Folge die Aktionen immer radikaler gegen das System gerichtet ausfielen, die Kommunikation verschiedener ideologischer Gruppen intensiviert und die Vernetzung der Oppositionsgruppen dichter und professioneller wurde.

Wielgohs/Pollack fassen komparatistisch zusammen, was in ihrem Studienband in zehn Länderstudien entfaltet worden ist. Diese Publikation ähnelt einem Handbuch und stellt zugleich eine gute Ergänzung zu einem anderen Handbuch dar, in dem die kommunistischen Geheimpolizeien analysiert werden.1 Im Einzelnen kommen Studien zu Polen (Stefani Sonntag), der ČSSR (Oldrich Tůma), Ungarn (Máté Szabó), der DDR (Marc-Dietrich Ohse), der UdSSR (Viktor Voronkov/Jan Wielgohs, mit Schwerpunkt Russland), Estland (Rein Ruutsoo), Rumänien (Christina Petrescu), Bulgarien (Dimitrina Petrova), Kroatien (Katarina Spehnjak/Tihomir Cipek) und Slowenien (Ivan Bernik) zum Abdruck. Die Beiträge weisen jeweils eine ähnliche Struktur auf: Forschungsstand und Forschungsfragen werden einleitend vorgestellt, sodann folgen Überblicke über die Entwicklung von Opposition und Widerstand, und schließlich werden unter analytischen Gesichtspunkten deren Inhalte, Formen und Ergebnisse betrachtet. Gerade weil die Aufsätze weitgehend nach einem ähnlichen strukturellen Muster verfasst wurden, eignet sich der Band hervorragend für vergleichende Betrachtungen. Besonders hervorzuheben ist der Umstand, dass die Herausgeber bemüht waren, nicht nur Beiträge zu relativ bekannten Ländergeschichten zu versammeln, sondern auch Länder berücksichtigten, die aus unterschiedlichen Gründen in vergleichenden Betrachtungen zumeist unbeachtet bleiben. Dass dabei freilich immer noch große Lücken existieren, die auch dieser wichtige Band nicht schließen kann, liegt vorrangig daran, dass in vielen postkommunistischen Staaten, gerade was frühere Sowjetrepubliken oder einige Balkanstaaten anbelangt, die entsprechende Forschungen noch nicht jenen Status erlangt haben, die einen gesicherten Überblick sinnvoll erscheinen lassen. Gleichwohl wäre es angemessen, bei einer eventuellen Neuauflage mittlerweile relativ gut erforschte Staaten wie Litauen, Lettland, Serbien oder die Ukraine mit einem eigenen Aufsatz zu berücksichtigen. Und weil es historisch Sinn macht, wäre auch eine gesonderte Betrachtung der Entwicklungen in der Slowakei, die sich in einigen wesentlichen Punkten von Tschechien unterschied, angeraten.

In nicht wenigen Beiträgen wird die Oppositions- und Widerstandsgeschichte als ein Phänomen verhandelt, dass eher neben der Gesellschaft existierte und nicht inmitten ihrer Probleme wurzelte. Das wird in vielen Publikationen so gehandhabt. Dahinter verbirgt sich oftmals nicht nur ein unbefriedigender Forschungsstand (oder eine ungenügende Rezeption), sondern oft auch eine ungenügende Reflektion darüber, wie die Gesellschaft ihre Lebensumstände über bloße Statistiken hinaus wahrnahm.2 Denn so sehr die Oppositionellen in den kommunistischen Systemen zumeist auch zahlenmäßig gering blieben, so sehr bildeten sie zugleich ein gesellschaftliches Abbild, das sich nicht in Zahlen und Programmen, wohl aber an ihren Zielen, nämlich der radikalen Verbesserung der eigenen sozialen, politischen und kulturellen Lebensverhältnisse messen lässt. Wenn in manchen Beiträgen, so etwa zur UdSSR, auch Aufstände und Demonstrationen in die Analyse einbezogen worden wären, die keinen offenbar gewachsenen politischen, religiösen oder nationalen Hintergrund hatten, wäre die Oppositionsgeschichte nicht nur auf die bekannten Strömungen zugeschnitten geblieben.3 In anderen Beiträgen wiederum vermisst man weitgehend Hinweise darauf, dass es, zumeist in den 1940er- und 1950er-Jahren, bewaffneten antikommunistischen Widerstand gegeben hatte. Insgesamt erscheinen die Beiträge zu sehr auf das Ende des Kommunismus konzipiert zu sein. Wenn Wielgohs/Pollack schreiben, nur in Polen, im Sommer 1980, hätten verschiedene oppositionelle soziale Milieus effektiv und gemeinsam gehandelt (S. 243), so ist diese Singularitätsbehauptung sowohl mit Blick auf Ungarn 1956 als auch auf die ČSSR 1968ff. nicht zutreffend. Vor allem die beiden Herausgeber greifen zudem eine Debatte auf, die Anfang der 1990er-Jahre bereits geführt, aber nie beendet worden ist: Sind Opposition und Widerstand im Kontext Neuer Sozialer Bewegungen (NSB) im Westen zu denken, gehören sie dazu, bauen sie auf ähnlichen Axiomen auf? Auch wenn Wielgohs/Pollack die unterschiedlichen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen betonen, so scheinen sie dennoch der These anzuhängen, Opposition und Widerstand in der Endphase des Kommunismus seien als NSB analytisch zu behandeln. Zumindest diese These bedarf weiterer, insbesondere quellennaher Erörterungen.

Dessen ungeachtet bietet der Studienband einen sehr guten Einstieg in die Analyse der Vielfalt von Opposition und Widerstand. Er eignet sich nicht nur für komparatistische Forschungsansätze, er dürfte sich auch in der Lehre als unverzichtbar erweisen.

Das trifft auch auf die vorliegende Monographie der kanadischen Politologin Barbara J. Falk zu. In ihrer Studie behandelt sie Polen, Ungarn und die ČSSR. Wenn Eric Hobsbawms bekannte Diagnose zutreffe, das 20. Jahrhundert sei das „Zeitalter der Extreme“ gewesen, so Falk, dann sei Ostmitteleuropa die „Region der Extreme“ gewesen (S. 4). Mit großer Anteilnahme zeichnet Falk im ersten Kapitel zunächst die Oppositions- und Widerstandsgeschichte in den drei Ländern nach. Dieser Überblick enthält die wichtigsten Ereignisse, Prozesse und Personen. Anders als oft herausgestellt, sieht Falk gerade keine durchgängige antikommunistische Ausrichtung, sie betont vielmehr die „linken“, die „revisionistischen“ Wurzeln der Oppositionellen in den 1970er- und 1980er-Jahren. Gerade die Genesis von „Antipolitik“ oder der „Zivilgesellschaft“ im ostmitteleuropäischen Gegendiskurs macht diese Betonung plausibel. Zugleich aber geht Barbara J. Falk, wie auch schon der Band von Wielgohs/Pollack, zu wenig auf Gegenströmungen ein. Bei der Behandlung der Solidarność etwa bleiben radikale Abspaltungen wie „Kämpfende Solidarność“ (Solidarność Walcząca) unerwähnt.4 Auch tschechische oppositionelle Kritiker der Charta 77, zumeist vor 1968 emigrierte Antikommunisten, finden keine Erwähnung.5 Das ist nicht nur nennenswert, weil diese Vielgliedrigkeit von Opposition und Widerstand so manche Entwicklung nach 1990 erst verständlich macht. Es ist auch deshalb zu beachten, weil diese „anderen“ Gegenbewegungen in eine historische Betrachtung schon deshalb gehören, um die relative Schwäche oder Stärke einzelner Gegenbewegungen nicht nur zu historisieren, sondern sie selbst zu beachten.

Das freilich ist nicht das Anliegen von Barbara J. Falk. Im zweiten Kapitel analysiert sie die Beiträge der wichtigsten oppositionellen Intellektuellen zu Theorie und Praxis der „Zivilgesellschaft“ und der „Antipolitik“. Kenntnisreich stellt sie die Ansätze etwa von Kołakowski, Michnik oder Kuroń aus Polen, von Havel oder Benda aus der ČSSR und von Bibó, Kis, Haraszti sowie Konrád aus Ungarn vor. Es sind hier nicht neue Kenntnisse, die überraschen könnten, zumal die Autorin ausschließlich auf englischsprachige Publikationen zurückgreift und keine neuen empirischen historischen Einsichten vermittelt. Vielmehr besticht Falks ideengeschichtlicher Ansatz, der die unterschiedlichen Debatten in Polen, Ungarn und der ČSSR nicht nur miteinander in Beziehung setzt. Denn zugleich zeigt sie, dass die zivilgesellschaftlichen (Handlungs-)Theorien in diesen Staaten einerseits auf die eigenen Lebenserfahrungen abhoben und andererseits diese Theorien, so unterschiedlich motiviert sie sein mochten (S. 309), nicht auf Institutionen oder den Staat, sondern auf die Selbstorganisation, die Autonomie des Subjekts im ungeliebten Saat abzielten (z.B. S. 197, 301). Ähnlich Wielgohs/Pollack sieht Falk starke Bezüge zu den NSB (S. 302). Zentral erscheint ihr dabei, dass es gerade nicht darum ging, eine neue Ideologie oder Elite zu entwickeln, sondern um die politische, kulturelle, letztendlich gesellschaftliche Selbstverwirklichung im jedweden Staatswesen.

Falks Buch schließt ein Kapitel ab, das sie mit „The Dissident Contribution to Political Theory“ überschreibt. Anders als in den meisten Darstellungen stellt sie den ostmitteleuropäischen Denkern nicht Francis Fukuyama entgegen, der „1989“ mit teleologischen Vorzeichen als „Ende der Geschichte“ deutete. Statt seiner nimmt sie zwei der wichtigsten westlichen Gegenstimmen von Fukuyama und Sympathisanten von Michnik, Kuroń, Havel, Benda, Bibó und Konrád kritisch ins Visier: Ralf Dahrendorf und Timothy Garton Ash. Sie teilt deren Empathie wie Sympathie für die Dissidenten, glaubt aber anders als Dahrendorf und Ash, dass die ostmitteleuropäischen theoretischen Beiträge zu „Zivilgesellschaft“ und „Antipolitik“ nicht allein auf die Überwindung der kommunistischen Staatssysteme gerichtet waren und demzufolge anders rezipiert werden müssten. Vor dem Hintergrund des westlichen Politiksystems und der westlichen Politikmoral sieht Falk in den dissidentischen Theorien eminente Beiträge zur Politik und Politikwissenschaft. Gewaltlosigkeit, Toleranz und „acceptance of everyone, especially the other“ (S. 346) müssten und könnten als Strukturmerkmale verankert werden. Angesichts der Ergebnisse von 1989/91 glaubt Falk, dass die ostmitteleuropäische Praxis gelebter Zivilgesellschaft einen neuen Politikstil befördern könnte, zumal die NSB theoretisch wie praktisch in den 1990er-Jahren stagnierten.

Leider kann Falk nicht erklären, wie das moralische und theoretische Potential der ostmitteleuropäischen Dissidenz praxisrelevant oder wenigstens für die Politikwissenschaft theoretisch umgesetzt werden kann. Sie mag ihre Gründe haben, sich gegen Dahrendorfs „Antiutopismus“ zu wenden. Die bleiben aber faktisch genauso moralisch begründet, wie ihre Analysetexte. Das wertet diese Texte und ihre Autoren keinen Deut ab. Es sind historische Texte, die es entsprechend zu decodieren gilt. Gerade Havels oder Konráds Haltungen zum Irak-Krieg zeigen, dass diese Autoren sehr genau Systemunterschiede ausmachen können. Und auch Michniks Position veranschaulicht, dass die einstige Nähe zum „Feind“ nicht automatisch heißt, dass der Freund immer Freund und der Feind immer Feind bleibt. Mit anderen Worten: Barbara Falks Versuch, die Texte der ostmitteleuropäischen Gegenelite politikwissenschaftlich als Beiträge und Impulse für eine „moderne“ Politiktheorie zu verstehen, ist moralisch und auch politisch verständlich, theoretisch (und wiederum politisch) aber wenig nachvollziehbar. Letztlich argumentiert Falk genauso moralisch wie ihre Stichwortgeber, nur das die Staaten, in denen die Havels und Konráds bis 1989 leben mussten, weitaus manichäistischer waren als jene, in denen solche gehaltvollen und lehrreichen Studien gefördert werden, zu denen die empfehlenswerte Arbeit von Falk gehört. Gerade weil sie das Denken im intellektuellen Ostmilieu vor 1989 so kenntnisreich und präzis analysiert, kann man ihre Schlussfolgerungen teilen – man kann es aber auch lassen und sich als Anti-Utopianer6 dennoch an ihrem Buch erfreuen.

Anmerkungen:
1 Vgl. Persak, Krzysztof; Kamiński, Łukasz (Hrsg.), A Handbook of the Communist Security Apparatus in East Central Europe, 1944 – 1989, Warschau 2005 (eine deutsche erweiterte Ausgabe steht kurz vor Drucklegung).
2 Als Beispiel siehe etwa: Hildermeier, Manfred, Geschichte der Sowjetunion 1917–1991. Entstehung und Niedergang des ersten sozialistischen Staates, München 1998.
3 Vgl. etwa: Kozlov, Vladimir A., Mass Uprisings in the USSR. Protest and Rebellion in the Post-Stalin Years, London 2002; Baron, Samuel, Bloody Saturday in the Soviet Union, Stanford 2001. In einem der wichtigsten Bücher über die Opposition, aus der Feder einer Menschenrechtsaktivistin sind solche Ereignisse freilich auch nicht erwähnt worden, vgl. Alexejewa, Ludmilla, Soviet Dissent. Contemporary Movements for National, Religious, and Human Rights. Middletown Connecticut 1987.
4 Auch in Standardwerken wird diese, im Westen weithin unbekannte, Organisation meist nur kursorisch oder gar nicht erwähnt, vgl. etwa: Kühn, Hartmut, Das Jahrzehnt der Solidarnosc. Die politische Geschichte Polens 1980-1990, Berlin 1999; Ash, Timothy Garton, The Polish Revolution: Solidarity, London 1991; Holzer, Jerzy, „Solidarität”. Die Geschichte einer freien Gewerkschaft in Polen, München 1985.
5 Einen knappen Einblick in diese bis in die Gegenwart andauernde Debatte gibt: Masin, Barbara, Gauntlet. Five Friends, 20000 Enemy Troops, and the Secret That Could Have Changed the Course of the Cold War, Annapolis Maryland 2006, S. 330-331.
6 Vgl. Kowalczuk, Ilko-Sascha, 1989 in Perspektive: Ralf Dahrendorfs Antiutopismus, in: Merkur. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 59 (2005), 1, Nr. 669, S. 65–69.

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