V. J. Rheinheimer (Hrsg.): Herbert M. Gutmann

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Titel
Herbert M. Gutmann. Bankier in Berlin. Bauherr in Potsdam. Kunstsammler


Herausgeber
Rheinheimer, Vivian J.
Erschienen
Leipzig 2007: Koehler & Amelang
Anzahl Seiten
192 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sebastian Panwitz, Moses Mendelssohn Zentrum, Potsdam

Biographische Buchpublikationen zu Einzelpersönlichkeiten der Berliner Wirtschaftselite sind nach einem kurzen Hoch in den frühen 2000er-Jahren wieder seltener geworden.1 Umso erfreulicher ist das Erscheinen dieses Buches, das dem Bankier der Dresdner Bank, Herbert M. Gutmann, und seinem Anwesen in Potsdam gewidmet ist.

Der Historiker, der sich der Person Gutmanns zuwendet, sieht sich, wie in vielen vergleichbaren Fällen, mit der Lückenhaftigkeit der Quellenüberlieferung konfrontiert, einem Resultat der durch Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg bedingten Dokumentenvernichtungen. Das Buch macht aus dieser Not eine Tugend und nähert sich dem Leben und Wirken Gutmanns in Einzelaufsätzen. Dabei werden zwei Schwerpunkte gesetzt: die Biographie des unter Zeitgenossen wie unter Historikern umstrittenen, international wirksamen Bankiers, Netzwerkers und Sammlers Gutmann und das von ihm geschaffene Kleinod „Herbertshof“, das die Anwesen der Mehrzahl von Gutmanns Zeit- und Standesgenossen deutlich überragte.

Zum ersten Komplex gehört ein biographischer Aufsatz Vivian J. Rheinheimers. Dieser konzentriert sich auf die privaten Aspekte im Leben Herbert M. Gutmanns. Gutmanns Kindheit und Jugend als Sohn des Gründers der Dresdner Bank, Eugen Gutmann, in einer zum Christentum konvertierenden Familie werden ebenso beleuchtet wie seine Rolle als Familienvater, seine persönlichen Vorlieben für Reisen, Sport und gesellschaftliches Leben, seine politischen Überzeugungen und Tätigkeiten sowie die zunehmende Diskriminierung ab 1933. Den Vorgängen am 30. Juni 1934, dem so genannten Röhm-Putsch, ist ein kurzer eigener Aufsatz gewidmet (Martin Münzel/Vivian J. Rheinheimer).

Dem Wirken Gutmanns als Direktor der Dresdner Bank wenden sich Martin Münzel und Dieter Ziegler zu. Anschaulich wird herausgearbeitet, dass für Gutmann eine Bank mehr als Geldanlagen und Kredite bedeutete. Vielmehr gelang es ihm durch seine diplomatischen, geselligen Fähigkeiten und seine internationalen Erfahrungen, seiner Tätigkeit das besondere Flair eines Privatbankiers zu verleihen. Wie wohl kaum ein anderer Großbankier hob Gutmann die Grenzen zwischen Finanzwelt, Politik, Diplomatie, gesellschaftlichem Leben und Privatheit auf. Einen starken Bruch in Gutmanns Karriere löste die Zahlungsunfähigkeit der Dresdner Bank in der Bankenkrise von 1931 aus. Die Gründe für die harte Behandlung Gutmanns, der von der Reichsregierung auf eine Stufe mit dem sehr viel riskanter agierenden Jakob Goldschmidt von der Danat-Bank gestellt wurde und aus sämtlichen Positionen bei der Dresdner Bank ausscheiden musste, sind vielschichtig, erscheinen aber noch immer nicht vollständig geklärt. Ungeachtet dessen wäre Gutmann in den folgenden Jahren höchstwahrscheinlich eine Reintegration in das deutsche Finanzwesen gelungen, wenn nicht die Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 einen solchen Wiedereinstieg unmöglich gemacht hätte. Angesichts der sich von da an immer weiter verschärfenden Situation blieb Gutmann 1936 nur noch die Emigration.

Wolfgang G. Schwanitz behandelt Gutmanns Aktivitäten in der Deutschen Orientbank, einer Tochtergesellschaft der Dresdner Bank, die vor allem im Osmanischen Reich und später in der Türkei und Ägypten tätig war. Vor dem Ersten Weltkrieg nutzte Gutmann den Status Deutschlands als Nicht-Kolonialmacht im Nahen Osten für den Aufbau seines dortigen Finanzengagements. Nach der de facto-Zerschlagung der Orientbank baute er sie in den Nachkriegsjahren wieder auf. Schwanitz untersucht auch die Verwicklung der deutschen Bankiers in den Völkermord an den Armeniern. Wie bereits Schwanitz’ Monographie zum gleichen Thema 2 lässt auch dieser Aufsatz streckenweise einen klaren Argumentationsstrang vermissen. Nichtsdestotrotz verdeutlicht er den hohen Stellenwert des Orientengagements Gutmanns.

Einen ganz anderen Aspekt in der Biographie Gutmanns präsentiert Dietrich R. Quanz in seinem Beitrag zum Golf- und Land-Club Berlin-Wannsee, einem Ort, an dem sich für Gutmann private, soziale und politische Kontakte auf deutscher wie internationaler Ebene bündelten. Gutmanns Präsidentschaft in diesem Verein verdeutlicht zudem den hohen Stellenwert, den der Sport sowohl für ihn und seine Familie, als auch für seine Standesgenossen spielte.

Der zentrale Beitrag zum zweiten Komplex – dem „Herbertshof“ – stammt von Wolfgang Brönner. Ausgesprochen reich und vielfältig bebildert wird die Bau- und Umbaugeschichte des Gebäudekomplexes rekonstruiert und in die Villenbaugeschichte in Potsdam und Berlin eingeordnet. Leider verfällt der Autor teilweise in die manchmal unter Kunsthistorikern anzutreffende poetisch-manierierte Darstellungsweise. Ein eigenes Kapitel ist der Turnhalle im Obergeschoss – für damalige Bankiersvillen nicht unüblich – gewidmet. Spezielle Etagengrundrisse am Ende des Buches ermöglichen die exakte Lokalisierung der vielzähligen Innenraumaufnahmen. Thomas Tunsch untersucht das wohl bekannteste und wertvollste Zimmer des Herbertshofes – das „Arabicum“. Es handelt sich hierbei um einen Raum mit einer aus dem Damaskus des 18. Jahrhunderts stammenden, reich verzierten hölzernen Innenraumdekoration, die sich bis heute erhalten hat. Der Aufsatz von Jan Thomas Köhler und Jan Maruhn vergleicht die Gutmannsche Kunstsammlung mit den Sammlungen zeitgenössischer Bankiers und stellt als Besonderheit Gutmanns die Vielfalt der Stile und Kategorien in seiner Sammlung heraus. Zudem weisen sie nach, wie die Kunstsammlung zur konstituierenden Größe bei Um- und Ausbauten am Herbertshof wurde. Einem dritten Teilaspekt des Herbertshofes, der Gartenanlage, wendet sich Ute Rieper zu. Wie bereits beim Haus entschied sich Gutmann auch beim Garten nicht für eine Neuschaffung und Durchformung, sondern für punktuelle Ergänzungen und Erneuerungen auf der Grundlage des Bestehenden. Bemerkenswert war ein angegliederter umfangreicher gärtnerischer Wirtschaftsbetrieb mit hunderten Angestellten sowie die Einbindung der reizvollen Wasserlage. Im letzten Aufsatz umreißt Vivian J. Rheinheimer die Entwicklung des Herbertshofes nach der Emigration der Gutmanns über NS- und DDR-Zeit bis hin zur Phase der Hausbesetzung in den 1990er-Jahren, durch die den Nachkommen Gutmanns die Nutzung ihres rückübertragenen Eigentums für lange Jahre verwehrt blieb. Ein Stammbaum der Gutmann-Familie sowie ein Personenregister unterstützen die Orientierung und den schnellen Zugriff auf einzelne Aspekte des Buches.

Ungeachtet kleiner Schwächen in der Stilistik und der Durcharbeitung einzelner Beiträge ist dieses Buch, das sich an ein breites Publikum wendet, auch für den Fachwissenschaftler ausgesprochen bereichernd. Als tatsächlich produktiv erweist sich der interdisziplinäre Ansatz. So wird unter anderem in allen Aspekten des Lebens und Wirkens Gutmanns – im Beruf ebenso wie in den diplomatischen Aktivitäten und in der Architektur und Einrichtung des Herbertshofes – die Bedeutung des Orients deutlich. Leider fehlt dem Buch eine Schlussbetrachtung, die die einzelnen Stränge zusammenführt und die Fragen und Aufgaben benennt, die offen blieben, im Rahmen eines solchen Projektes jedoch naturgemäß nicht erschöpfend untersucht werden konnten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Eine umfassende, neue Erforschung der Bankenkrise von 1931 unter Einbeziehung der seit den frühen 1990er-Jahren zugängigen Beständen in Berlin und Moskau ist längst überfällig. Die bislang letzte Gesamtdarstellung zu diesem für den Niedergang der Weimarer Republik so wichtigen Thema ist inzwischen vierzig Jahre alt.3

Anmerkungen:
1 Herausragende Beispiele sind die Monographien zu James Simon und Eduard Arnhold, vgl. Matthes, Olaf, James Simon. Mäzen im Wilhelminischen Zeitalter, Berlin 2000; Dorrmann, Michael, Eduard Arnhold (1849-1925). Eine biographische Studie zu Unternehmer- und Mäzenatentum im Deutschen Kaiserreich, Berlin 2002. Siehe aber auch Barkai, Avraham, Oscar Wassermann und die Deutsche Bank. Bankier in schwierigen Zeiten, München 2005.
2 Schwanitz, Wolfgang G., Gold, Bankiers und Diplomaten. Zur Geschichte der Deutschen Orientbank 1906-1946, Berlin 2002.
3 Born, Karl-Erich, Die deutsche Bankenkrise 1931, München 1967.