H. Duchhardt (Hrsg.): Stein - die späten Jahre

Titel
Stein. Die späten Jahre des preußischen Reformers 1815-1831


Herausgeber
Duchhardt, Heinz
Erschienen
Göttingen 2007: Vandenhoeck & Ruprecht
Anzahl Seiten
XI, 215 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Edgar Liebmann, FernUniversität Hagen

Pünktlich zu seinem 250. Geburtstag erlebt der Reichsfreiherr vom und zum Stein eine regelrechte Renaissance in der öffentlichen Wahrnehmung wie in der Forschung. Während beispielsweise Bundespräsident Horst Köhler mit starkem Gegenwartsbezug jüngst an Steins „klassische“ Rolle als preußischer Reformer und Minister erinnert hat 1, richtet sich das Interesse der Fachwissenschaft neuerdings besonders auf den bisher wenig beachteten letzten Lebensabschnitt des Freiherrn.

So widmet Heinz Duchhardt in seiner soeben erschienenen Stein-Biographie der Zeit nach dem Wiener Kongress 1815 bis zu Steins Tod 1831 mit knapp einhundert Seiten fast genau ein Fünftel der Darstellung.2 Der Direktor der Abteilung Universalgeschichte des Instituts für Europäische Geschichte (IEG) in Mainz und Motor der aktuellen „Stein“-Forschung hebt sich damit deutlich von früheren Biographen ab, die Steins Leben nach 1815 nur noch en passant behandelt hatten.3

Flankiert werden Duchhardts Ausführungen nun durch einen Sammelband, der auf eine „kleine Konferenz“ (S. IX) im Dezember 2006 am IEG zurückgeht. Binnen weniger Wochen erfolgte die Publikation der für den Druck überarbeiteten Referate in einem handlichen Bändchen, das sich mittels eines Personenregisters überdies gut erschließen lässt.

Die insgesamt zehn Beiträge kreisen dabei um unterschiedliche Themenschwerpunkte in den „späten Jahren“ des preußischen Reformers: Während Rudolf Schieffer und Gerhard Schmitz Steins Engagement und Verdienste um die Monumenta Germaniae Historica (MGH) in den Anfängen (Schieffer) bzw. in den 1820er-Jahren (Schmitz) beleuchten, beschreibt Gabriele B. Clemens Steins Bedeutung bzw. Einfluss auf die Anfänge Historischer Vereine in Deutschland. Schieffer wie Schmitz heben Steins herausragende Bedeutung als Repräsentant, Organisator und Financier der MGH hervor, ohne aber in ihm den alleinigen Schöpfer der Monumenta zu sehen. Ganz ähnlich verhält es sich hinsichtlich des Verhältnisses Steins zu den seit den 1820er-Jahren entstehenden Geschichtsvereinen in Deutschland. Clemens zeigt, wie Stein zu einigen Vereinen engeren Kontakt pflegte, der bis hin zur Ehrenmitgliedschaft und Spendenzuwendungen führen konnte. Allerdings war seine wohlwollende Haltung den Geschichtsvereinen gegenüber auch Ausdruck eines allgemeinen Zeitgeistes, in dem die Gründung derartiger Vereinigungen sozusagen „in der Luft“ lag (S. 54).

Michael Hundt und Wolfram Siemann erörtern anschließend Steins Verfassungsverständnis im Kontext der preußischen (Hundt) bzw. süddeutschen Verfassungsentwicklung (Siemann). Beide Beiträge zählen zu den Glanzstücken dieses Sammelbandes, stehen sie doch für durchaus gegensätzliche Deutungsangebote hinsichtlich der politischen Einordnung Steins: Tendiert Hundt dazu, Steins Verfassungsdenken nach 1815 vornehmlich in den Kategorien einer zunehmend wirklichkeitsfremden, weil vormodern-ständischen Verfassungsordnung zu bestimmen, widerspricht Siemann dieser Sicht. Vielmehr betont er Steins positive Grundhaltung zur frühkonstitutionellen Verfassungsentwicklung in Süddeutschland, die dieser – wie im Falle von Nassau oder Baden – durch Kommentierung von Verfassungsentwürfen sogar aktiv und konstruktiv mitgestaltet habe. Damit aber seien Steins Verfassungskonzeptionen keineswegs „utopisch-antiquiert“ (S. 92), sondern im Gegenteil von einer beachtlichen Flexibilität und zumindest partiellen Modernität gekennzeichnet. Auch wenn Stein bis zu seinem Lebensende dem Leitbild einer ständischen Gesellschaftsordnung verhaftet blieb, so zeigt Siemanns Beitrag doch, dass Stein sich nur sehr begrenzt in ein starres politisches Koordinatensystem zwischen „konservativ“ und „liberal“ einfügen lässt. Dieser Befund wird noch dadurch gestützt, dass der vermeintlich „konservative“ Stein während des verfassungsgeschichtlichen „Roll-Back“ nach den Karlsbader Beschlüssen den Konstitutionalismus nachdrücklich verteidigte, und damit sogar in das Visier der Mainzer Zentraluntersuchungskommission im Zuge der Demagogenverfolgungen geriet.4

Dem sich stetig verschlechternden Verhältnis zwischen Stein und Hardenberg wendet sich Thomas Stamm-Kuhlmann zu. Waren sich die beiden preußischen Minister 1806/07 in ihren politischen Grundüberzeugungen und Zielen noch weitgehend einig, war ein Jahrzehnt später das vertrauensvolle Verhältnis in blanken Hass (S. 118) umgeschlagen. Stamm-Kuhlmann führt die wachsende Entfremdung vor allem auf Steins negative Bewertung der Lebens- und Amtsführung Hardenbergs zurück.

Peter Burg schildert in seinem Beitrag, wie die von Stein maßgeblich initiierte Städteordnung von 1808 in den 1820er-Jahren deutliche Veränderungen erfuhr, und welchen Anteil deren Schöpfer am Revisionsprozess hatte. Präzise arbeitet Burg heraus, wie Steins politische Konzeptionen gerade zum Ende seines Lebens hin von einer resignierenden Grundhaltung und einem zunehmend pessimistischen Gesellschaftsbild dominiert waren. Statt einer politischen Aufbruchstimmung wie in der Reformära um 1806/07 habe Stein letztlich die fortschreitende Beschränkung der bürgerlichen Selbstverwaltung durch staatliche Eingriffe „von oben“ mitgetragen und gut geheißen.

Dabei spielte Steins Wahrnehmung der französischen Julirevolution von 1830 eine zentrale Rolle, wie Julia A. Schmidt-Funke im Anschluss an Burg zeigen kann. Angesichts der unerwarteten Nachrichten aus Paris im Sommer 1830 reagierte Stein mit Entsetzen, sah er doch zum Ende seines Lebens hin die Fundamente seiner politischen und religiösen Ordnungsvorstellungen bedroht. Ausgehend von der Briefkorrespondenz Steins in jenen Monaten, die allerdings in kaum entschlüsselbaren Balkendiagrammen ausgewertet und visualisiert wird, kann Schmidt-Funke die Vielschichtigkeit des politischen Menschen Stein nachzeichnen. Zwar lehnte er die revolutionären Vorgänge in Belgien und vor allem Frankreich ab, sah sich doch Stein in seiner antifranzösischen Grundeinstellung einmal mehr bestätigt. Statt bloßer Repression versprach er sich aber über den Weg begrenzter politischer Partizipation eine Entspannung der Situation.

Die beiden letzten Beiträge schließlich bieten interessante Einblicke in das Selbstverständnis des Freiherrn: Gerd Dethlefs betont anschaulich, wie Stein über das künstlerische Mittel der Selbstbildnisse schon zu Lebzeiten die Rezeption seiner Person steuerte. Zwar dienten persönliche Porträts und Selbststilisierungen im zeitgenössischen Kontext vorrangig der Beziehungspflege zu Verwandten und Freunden und verblieben damit (zunächst) weitgehend in einer privaten Sphäre. Gleichwohl entfalteten die Bilder Steins mittels Vervielfältigung auch in der Öffentlichkeit Wirkung, so dass auf diesem Weg die Wahrnehmung und Einschätzung Steins durch Zeitgenossen wie nachfolgende Generationen beeinflusst wurden.

Die präzise Planung, gar Inszenierung des eigenen Begräbnisses durch Stein fügt sich bruchlos in diese Arbeit am eigenen Geschichtsbild schon zu Lebzeiten ein, wie der kulturgeschichtlich inspirierte Beitrag von Heinz Duchhardt zu „Steins letzte[r] Reise“ eindrücklich beweist. Möglichst schlicht sollten die Trauerfeierlichkeiten sein, und damit zeigen, dass Stein sich im Urteil der Nachwelt nicht als „Machtmensch“, sondern als prinzipientreuer Patriot verstanden wissen wollte. Gleichwohl wurde nicht irgendwer zu Grabe getragen: In einem mehrtägigen Trauerzug wurde der Leichnam Steins von dessen westfälischem Altersruhesitz Cappenberg aus durch viele Städte Westfalens und Rheinlands zur letzten Ruhestätte nach Frücht bei Nassau überführt, unter reger Anteilnahme der jeweiligen lokalen Honoratioren.

Ähnlich wie in der Biographie Duchhardts entsteht insgesamt ein sehr facettenreiches Bild von den letzten gut fünfzehn Lebensjahren des Freiherrn vom Stein. Als „elder statesman“ verfolgte er aufmerksam die politischen Entwicklungen in Deutschland wie Europa nach 1815 und blieb bis zu seinem Tod 1831 über zahlreiche Projekte (wie die MGH) sowie politische Diskurse wichtiger und aktiver Teil des politischen und gesellschaftlichen Establishments.

Es ist das Verdienst der Autoren und des Herausgebers dieses Sammelbandes, abseits der „großen Reformjahre“ endlich auch diese bisher vernachlässigte Zeit in den Blick genommen zu haben. Wer sich künftig mit dem „ganzen“ Stein beschäftigen möchte, wird deshalb neben der Biographie Duchhardts auch an dem hier besprochenen Sammelband nicht vorbei kommen.

Anmerkungen:
1 Vgl. den Kurzbericht zur Rede des Bundespräsidenten anlässlich des Festaktes der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft in Berlin, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 249 (26.10.2007), S. 4. Der komplette Redetext findet sich auf der Webseite des Bundespräsidenten unter: <http://www.bundespraesident.de/Reden-und-Interviews-,11057.641436/Reformen-erleben-Reformen-gest.htm>.
2 Vgl. Sack, Hilmar, Rezension zu: Duchhardt, Heinz, Stein. Eine Biographie, Münster 2007, in: H-Soz-u-Kult, 05.10.2007, <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-4-020>.
3 Vgl. das Vorwort, S. VII.
4 Duchhardt, Heiz, Stein. Eine Biographie, S. 403.