H. Rauchenschwandtner: Politische Subjekte der Ökonomie

Titel
Politische Subjekte der Ökonomie. Nomos, Volk, Nation


Autor(en)
Rauchenschwandtner, Hermann
Reihe
Kulturelle Ökonomik 5
Erschienen
Münster 2007: LIT Verlag
Anzahl Seiten
351 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dietmar J. Wetzel, Universität Bern

Hermann Rauchenschwandtner, Philosoph und Ökonom, Dozent an der Wirtschaftsuniversität Wien und zugleich Vizepräsident der Gesellschaft für Phänomenologie und kritische Anthropologie, unternimmt in seiner Arbeit „Politische Subjekte der Ökonomie: Nomos, Volk, Nation“ den überaus ambitionierten Versuch zu zeigen, inwiefern die Begriffe der Volkswirtschaft und der Nationalökonomie politische Subjekte in den Blick bringen. Die Arbeit ist in der von Gerold Blümle, Rainer Klump und anderen herausgegebenen Reihe zur „Kulturellen Ökonomik“ erschienen. Seit einiger Zeit entdeckt die deutschsprachige Ökonomik das Phänomen Kultur, wobei sich – nicht nur für Soziolog/innen – interessante Überschneidungen mit der Wirtschaftssoziologie ergeben.1

Zwei thematische Stränge, gleichsam „Brennpunkte“ (S. 17) der Untersuchung, strukturieren den durchweg dicht geschriebenen Text: Zum einen wird im Anschluss an die Arbeiten Michel Foucaults eine genealogisch-diskursanalytische Perspektive vorgeführt, die das „Wahrsprechen“ politischer Subjekte im Diskurs (Globus, Nation, Weltbürgertum) thematisiert – ein Diskurs, der vermehrt im Zeichen der Globalisierung steht. Zum anderen fokussiert Rauchenschwandtner mittels einer historisch-epistemologischen Analyse auf den Bruch in der Ordnung des Wissens im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert, wo ein Nomos der Ökonomie von unterschiedlichen „Wahrsprechern“ beansprucht wurde. Die Ökonomie fand ihren Gegenstand nicht in Objekten wie Bevölkerung oder Güterreichtum, vielmehr schoben sich zunehmend Subjekte wie das Volk oder die Nation in den Vordergrund. Im Sinne einer kritischen Absetzbewegung verfährt Rauchenschwandtner erstens in Abgrenzung zu einer „Metaphysik des Geistes“, und deren Einbindung als konstitutives Element des sozialen Bandes, und zweitens entgegen einem Nomos der Erde respektive dessen existentieller Repräsentation (S. 334).

Aus der überaus materialreichen Untersuchung (die Gliederung zeugt von dem Reichtum, gleichfalls aber auch von dem manchmal nur schwer zu erfassenden Gang der Argumentation) können nur die wichtigsten Aspekte herausgegriffen und gebündelt thematisiert werden. Ich schlage eine thematische Gliederung vor, mit der es gelingen kann, für die Leser/innen ein paar Schneisen zu schlagen und Knotenpunkte der Abhandlung zu identifizieren: 1) Nomos, Erde, Territorium, 2) „Volk“ zwischen Existenz und Fiktion, 3) Nation als Vorstellung und 4) „Cultur“ als Synthesis von Wirtschaft und Gesellschaft.

Zu 1) Nomos, Erde, Territorium
Dem Nomos entspricht sowohl die gesetzte (rechtliche) Ordnung einer Gemeinschaft als auch eine „spezifische Eigentümlichkeit dieses Gemeinwesens“, was sich durch Gewohnheit, Sitten und Geschichte fassen lässt. „Im Umkreis des Nomos platzieren ‚sich‘ konkretisierte Allgemeinheiten, die einer nomischen Wirtschaft ihren Namen geben: Volkswirtschaft und Nationalökonomie“ (S. 27). Das nationale Territorium liefert den Ort, der einem Gemeinwesen die Verbindlichkeit ermöglicht, so dass sich das „Volk“ nicht in den „leeren Weiten eines Kosmopolitismus verläuft“ (S. 248). Über Prozesse der De- und Reterritorialisierung (im Anschluss an Deleuze/Guattari) kommt es im Zuge der Globalisierung zur „Entgrenzung“ des Örtlichen bei gleichzeitiger Neubesetzung und Aufwertung des jeweiligen (nationalen) Territoriums. Dem Nomos der Ökonomie eignet eine doppelte Bestimmung: Zum einen ist er „von Natur aus“, zum anderen ist er als „Leben“, „Geschichte“ und Kultur „nicht von Natur aus“. Vielmehr ist er, wie Rauchenschwandtner diesbezüglich zeigt, „in eine vermittelnde Beziehung zu Grund und Boden, zu den natürlichen Produktivkräften (Grund und Boden, aber auch in der Rede über einen ‚nationalen Menschen‘ [Knies] und dessen wirtschaftliche ‚Thätigkeit‘) gesetzt“ (S. 276).

Zu 2) „Volk“ zwischen Existenz und Fiktion
Als Subjekt ist das „Volk“ im Übergang von der sog. Policeywissenschaft hin zu einem wichtigen Grund der Ökonomie in den Blick geraten. „Das ‚Volk‘ befindet sich in der Klemme zwischen permanenten Rückfällen in einer Charakterologie bestimmter Eigentümlichkeiten, deren extremer Rand durch eine existentielle seinsgemäße Gleichartigkeit bezeichnet ist, und einer bloßen Fiktion auf der anderen Seite, dass das ‚Volk‘ als Subjekt des staatsrechtlichen Raumes abhanden kommt und sich nur in den Definitionen der Parteien und Vereine als Objekt geltend macht“ (S. 69). Vor allem unter Rückgriff auf die Arbeiten Jacques Rancières gelingen hier bemerkenswerte Einsichten in das Funktionieren der Demokratie und dahingehend, inwiefern die Erscheinungsweise des Volkes „ein eigentümliches Dispositiv der Subjektivierung“ (Rancière) bezeichnet. Auch im 19. Jahrhundert werden unterschiedlichste Redeweisen nur den fragwürdigen Versuch starten können, dem „Volk“ eine Homogenität zu verleihen. Als Rätsel des – nicht nur – politischen Wissens entzieht sich ein jedwedes „Volk“ sowohl den idealistischen als auch den materialistischen Zugriffen unterschiedlichster Diskurse und wird nur in der Distanz zu seiner An- respektive Abwesenheit problematisierbar. Nach den Konstitutionsbedingungen des „Volkes“ zu fragen, steht dabei je schon in der Spannung von Präsentation und Repräsentation eines kollektiven Handlungssubjekts und verweist zudem mehrfach auf aktuelle Konstellationen des Politischen (S. 73). Fakt ist, dass sich im Übergang zum 19. Jahrhundert ein Nomos der Ökonomie „unter dem Titel des ‚Volks‘ oder der ‚Nation‘ in die wirtschaftlichen Kräfte“ einfügt (S. 199).

Zu 3) Nation als Vorstellung und Bildungsprodukt
Für Rauchenschwandtner ist es der Krieg, der nicht nur für die Auflösung alles Gemeinschaftlichen steht, sondern geradezu ein konstitutives Merkmal der Gemeinschaft bildet, weil es immer auch darum geht, mittels Krieg den Prozess der „Verstaatlichung“ (Foucault) zu forcieren.2 Entgegen den Bestimmungen etwa von Benedict Anderson begreift Rauchenschwandtner die Nation gerade als nicht bloße „Erfindung“, „Vorstellung“ oder „Imagination“, sondern hauptsächlich im Sinne einer „Bildungsproduktion“ (S. 96). Hierbei beansprucht die Produktion und Bildung der Nation eine dezidierte Anbindung an den Grund der ökonomischen Produktion. Im Unterschied zum „Volk“ besteht die Nation nicht aus der Gesamtheit der Individuen; vielmehr verkörpert sie die herrschende, politisch repräsentierte Schicht. Rauchenschwandtner gelingt in diesem Zusammenhang der Nachweis, wie sich die Konstitution des Nationalen von der „Produktion der Geister“ zu einer Produktion auf ökonomischer Grundlage verschiebt, und wie die „in die Tiefen der Erde und der Natur geht“ (S. 133).

Zu 4) „Cultur“ als Synthesis von Wirtschaft und Gesellschaft
Rauchenschwandtner insistiert auf der Einsicht, der zufolge sich weder das Volk der Volkswirtschaft noch die Nation der Nationalökonomie auf einen natural bestimmten Boden reduzieren lassen. Ebenso wenig handelt es sich dabei um gemeinsame Vorstellungen, die den volkswirtschaftlichen Zusammenhalt ausmachen. Kultur beziehungsweise eine „kulturelle Mitte“ (S. 313) steht für den Anspruch, sich zwischen einem abstrakten Kosmopolitismus der Wirtschaft und einer konkreten Ausdeutung des Individuellen ohne Anbindung an eine empirische Erweiterung des Abstrakten zu schieben. Die kulturelle Synthesis fungiert gleichsam als „Function“ und „Combination“ von Ökonomie und Natur. Trotz der überzeugenden Herleitung dieser Position bleibt doch im Unklaren, wie nun genau das Gebiet einer solchen kulturellen Synthese umrissen sein könnte. Vor allem bleibt offen, inwiefern es gelingt, den hegemonialen Anspruch des Ökonomischen gegenüber dem Kulturellen einzudämmen.

Fazit und kritische Würdigung
Historisch-epistemologisch und diskursanalytisch zu verfahren heißt für Rauchenschwandtner, historische Analysen mit einem gegenwärtigen Ausgangs- und Endpunkt zu verbinden. Überzeugend entreißt ein solches Vorgehen die vielfach umkreisten „Objekte“ (Volk, Nation und Nomos) jeder ontologischen oder historistischen Begründungsfunktion, indem sie als wissenschaftliche – das heißt nicht natürliche – Gegenstände in zeiträumlichen Verschiebungen und Transformationen auftauchen, die anhand von positiven – wenngleich konstruierten – Textserien erläutert werden. Damit werden homogene Rationalitätsansprüche und jedwede Ontologie aktualiter historisiert und erkenntniskritisch der Alltagserfahrung entrissen. In den Worten Rauchenschwandners: „So sind das Volk und die Nation mitnichten eine einfache Fiktion oder ein wirklicher Tatbestand, sondern Dispositive, denen eine vermeintliche ‚Tiefe‘ anhängig ist, woraus sie sich produzieren respektive hervorbringen. Sie sind nun freilich auch nicht beliebig, sondern erheischen eine bestimmte Struktur, welche die Einheit zum Ausdruck bringt“ (S. 334).

Zum Abschluss noch einige Bemerkungen zur Lesbarkeit: Bei der vorgelegten Studie handelt es sich um „schwere Kost“, was nicht zuletzt an der formalen Gestaltung des Textes liegt. Konkret bedeutet dies, dass der Lesefluss immer wieder durch lange Fußnoten und Exkurse unterbrochen wird. Das Abstraktionsniveau ist durchweg hoch, teilweise verliert man auch als geneigter Leser den roten Faden. Dies ist insofern bedauernswert, als der Autor mit großem Aufwand ein überaus interessantes Thema im Rahmen der gerade im Entstehen begriffenen „kulturellen Ökonomik“ abhandelt.

Anmerkungen:
1 Märkt, Stephan, Kulturelle Ökonomik und Wirtschaftssoziologie, in: Berliner Journal für Soziologie 1 (2007), S. 121–130.
2 Vgl. dazu Wetzel, Dietmar J., Diskurse des Politischen. Zwischen Re- und Dekonstruktion, München 2003, S. 261f.

Kommentare

Von H-Soz-Kult, Redaktion06.04.2011

Anmerkung der Redaktion:

Nach der Veröffentlichung dieser Rezension erwiesen sich Teile des Textes als fast wörtliche Übernahmen aus einem bereits 2000 veröffentlichten Editorial von Alessandro Barberi für die Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften (ÖZG 11/2000/4), online einsehbar unter <http://www.univie.ac.at/Wirtschaftsgeschichte/oezg/OeZG004.html#Editorial> (06.04.2011).

Die Redaktion bedauert dies.

Die Redaktion von H-Soz-u-Kult