M. Lindemann: Liaisons Dangereuses

Cover
Titel
Liaisons Dangereuses. Sex, Law, and Diplomacy in the Age of Frederick the Great


Autor(en)
Lindemann, Mary
Erschienen
Anzahl Seiten
353 S.
Preis
$ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Heiko Droste, Södertörns University College, Stockholm

Hamburg: Am 19. Oktober 1775 wurde ein italienischer Graf (Joseph Visconti) im Haus der Geliebten (Anna Maria Romellini) des spanischen Konsuls (Antoine de Sanpelayo) von einem schlesischen Baron (Joseph von Kesslitz) im Streit getötet. Der Täter gab später an, in Notwehr gehandelt zu haben. Während das Opfer mit 23 Messerstichen brutal getötet wurde, trug der Täter freilich keinerlei Verletzungen davon. Dieser Umstand wie die Liebesbeziehung zwischen dem Konsul und seiner Geliebten veranlassten den Hamburger Rat zu einer mehrere Monate dauernden Untersuchung des Falls. Diese war umso langwieriger als die Beteiligten, da nicht Bürger der Stadt, Anlass zu diplomatischen Bemühungen von Seiten ihrer Herkunftsländer gaben.

Der Rat glaubte offenbar an einen mit Vorsatz begangenen Mord. Der Täter befand sich folglich während der gesamten Untersuchung in Haft und wurde erst nach Abschluss der Untersuchung mit Leistung der Urfehde entlassen. Das war keineswegs ein Freispruch, zumal die Zweifel gegen ihn nie ausgeräumt werden konnten. Mehrere Monate nach der Tat streute Anna Maria Romellini zudem das Gerücht, der Täter habe sich dafür bezahlen lassen, die Schuld auf sich zu nehmen. Diese wie viele andere Behauptungen sind nicht mehr zu verifizieren.

Lindemann arbeitet den Todesfall mitsamt der Untersuchung, der Vorgeschichte der Beteiligten wie auch der möglichen Deutungen und Hypothesen detailliert auf. Das tut sie vor allem mit Hilfe des ausführlichen Untersuchungsberichts des Hamburger Syndikus Garlieb Sillem, aber auch eingehender Recherchen in den Archiven der involvierten Fürsten und Höfe. Damit arbeitet sie ein imponierendes Quellenmaterial auf, zumal sie sich intensiv um die Einbettung des Todesfalls in die Kultur der Zeit bemüht.

Diese Vorgehensweise ist der prinzipiellen Entscheidung Lindemanns geschuldet, den Fall zur Basis einer Kulturgeschichte zu machen, in deren Zentrum zunächst die Bürgerstadt Hamburg steht. Sie eröffnet das Buch mit einer packenden Darstellung der eigentlichen Tat, um den Fall anschließend in zwei Hauptteilen zu analysieren. Im ersten Hauptteil geht es zum einen um die außenpolitischen Handlungsoptionen des Hamburger Stadtrats und damit einer Stadtrepublik in einer monarchischen europäischen Gesellschaft. Zum anderen wird die lange Geschichte der Unruhen innerhalb Hamburgs, der Vielzahl von teils konkurrierenden Bürgergremien sowie der leicht zu reizende Öffentlichkeit herausgearbeitet.

Im zweiten Hauptteil werden die vier Beteiligten sowohl als Individuen mit einer je eigenen Vorgeschichte als auch als typenhafte Erscheinungsformen einer sich wandelnden Adelskultur gesehen. Nach Ansicht Lindemanns entwarfen sie ihre eigenen Biographien in Anlehnung an zeitgenössische Kriminal- und Liebesgeschichten. Visconti wurde in der Darstellung der Beteiligten zum falschen Grafen, der brutal war und von illegalen Geschäften und Betrügereien lebte. Sanpelayo war der Vertreter einer angesehenen spanischen Familie, der als wirtschaftlich erfolgreicher Konsul in Hamburg lebte. Er gefährdete seinen Ruf allerdings durch die öffentliche Liebschaft zu Romellini. Diese wiederum war zu diesem Zeitpunkt etwa 24 Jahre alt, lebte aber bereits seit Jahren von Geschenken wechselnder hochgestellter Liebhaber. Sie hatte mehrere uneheliche Kinder und wird von Lindemann als "woman of pleasure" bezeichnet. Kesslitz schließlich war Abkömmling einer verarmten schlesischen Adelsfamilie, der seinen Lebensunterhalt wenig standesgemäß verdiente und daher möglicherweise erpressbar war.

Der Fall bietet darüber hinaus viele interessante Aspekte, etwa zum Straßengericht – einer rituellen Forderung nach einer Bestrafung der Täter am Platz des Todes, die vom Scharfrichter und Vertretern des Rats ausgeführt wurde – oder zu den Details der Lebensberichte der Beteiligten, die diese im Lauf des Prozesses abzugeben hatten. Gleichzeitig greift Lindemann weit in die schlesische Geschichte, die brandenburgischen Kriege wie die besonderen Beziehungen Spaniens zu Hamburg aus. Die Vielfalt der von Lindemann aufgegriffenen Themen und Perspektiven ist ganz sicher eine Stärke des Buchs. Es richtet sich an einen gebildeten, freilich nicht notwendig akademischen Leserkreis. Es gibt dennoch ein umfangreiches Quellen- und Literaturverzeichnis sowie Endnoten.

Die Vielfalt ist allerdings auch die größte Schwäche der Studie. Der Leser hat den Eindruck, dass Lindemann sich nicht für eine Geschichte bzw. ein Thema entscheiden kann. Da sie eine kulturalistische Deutung eines Ereignisses anbietet, bietet sie auch eine kurze Zusammenfassung der wichtigsten neuen Forschungen in diesem Bereich. Da der Fall am Hamburger Niedergericht verhandelt wurde, erklärt sie die Arbeitsweise des Gerichts mitsamt seiner Geschichte. Um die Herkunft von Kesslitz' aus schlesischem Adel zu bewerten, fügt sie eine Geschichte Schlesiens seit dem 16. Jahrhundert mitsamt Landkarte ein. Hinzu tritt eine Einführung in die zeitgenössische Adelserziehung in Schlesien.

Die multiperspektivische Herangehensweise Lindemanns, die die Lebendigkeit und Vielschichtigkeit des Falls wie auch der frühneuzeitlichen Gesellschaft insgesamt aufzeigen soll, ist verdienstvoll. Als Literatur funktioniert sie hingegen nur bedingt. Es kommt notwendig zu vielen Wiederholungen. Dadurch verschwindet der Todesfall zeitweilig aus dem Blickfeld, da er nur mehr Aufhänger einer Darstellung der Gesellschaft des 18. Jahrhunderts ist. Diese Unentschiedenheit äußert sich bereits im Buchtitel: Während der Obertitel bewusst an den berühmten Briefroman von Choderlos de Laclos erinnert, verweist der Untertitel auf Friedrich den Großen. Beides soll offenbar die Neugierde der Leser wecken. Das Medium Brief spielt freilich nur eine untergeordnete Rolle und Friedrich der Große kommt nur am Rande vor.

Eine abschließende Bewertung fällt daher schwer. Lindemann hat große Anstrengungen unternommen, den Todesfall in Hamburg im Rahmen einer Kulturgeschichte der Feudalgesellschaft einzubetten. Hierbei arbeitet sie sehr fundiert und gründlich. Ihre Studie verliert dadurch freilich an Geschlossenheit und Prägnanz. Vielleicht ist es gerade der Anspruch, alle Fragen zu erörtern und möglichst zu klären, der das Buch seines Zentrums beraubt.

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