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Titel
Ehepaare vor Gericht. Konflikte und Lebenswelten in der Frühen Neuzeit


Autor(en)
Lutz, Alexandra
Erschienen
Frankfurt am Main 2006: Campus Verlag
Anzahl Seiten
408 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marion Lischka, Ruhr-Universität Bochum

In Zeiten, in denen eine hohe Zahl der Scheidungen die Fragilität der Ehegemeinschaft in der modernen Gesellschaft belegt, liegt es mitunter nahe, auf vergangene, scheinbar bessere Zeiten zu verweisen. Historiker wissen indessen schon lange, dass auch frühneuzeitliche Ehen nicht stets harmonisch verliefen oder hielten, bis der Tod sie schied. Was für die Betroffenen eine bittere Erfahrung gewesen sein mag, stellt sich für den Historiker als Glücksfall dar: eheliche Konflikte, die vor Gericht gerieten und damit Spuren in den Quellen hinterlassen haben. Tatsächlich sind solche Quellen von der Geschichtswissenschaft in den letzten Jahrzehnten verstärkt herangezogen worden, um die soziale Praxis frühneuzeitlicher Ehen, vor allem aber den disziplinierenden Zugriff der Obrigkeiten in den Blick zu bekommen.

Auch Alexandra Lutz greift auf solche Gerichtsquellen zurück. Ausgewertet hat sie über 400 Fälle von Ehestreitigkeiten, eigenmächtigen Trennungen, böswilligem Verlassen oder Scheidungsbegehren, die vor dem holsteinischen Konsistorium der Propstei Münsterdorf in den Jahren 1650 bis 1770 verhandelt wurden. Ihr Untersuchungsansatz ist dabei stark alltagsgeschichtlich geprägt, geht es ihr doch vorrangig darum, Einblicke ins "Innenleben" dieser Ehen zu gewinnen, geschlechtsspezifische Handlungsräume auszuloten, Erwartungen und handlungsleitende Normen sowie Machtstrukturen in den Paarbeziehungen offen zu legen und die neuralgischen Punkte des Ehelebens zu analysieren (S. 8f.).

Zu Beginn untersucht die Autorin aber die sozioökonomischen und rechtlichen Bedingungen, die Einfluss auf die Lebenswelt der Eheleute hatten bzw. den Konfliktaustrag vor Gericht strukturierten. Was die normativen Grundlagen und die Urteilspraxis des konsistorialen Ehegerichts betrifft, betont Lutz, dass der Einfluss landesherrlicher Regulierungsbemühungen im ganzen Untersuchungszeitraum gering war. Dagegen bemühten sich die durchweg geistlichen Richter am Konsistorium seit dem späten 17. Jahrhundert, "verstärkt gegen die Tendenzen der Selbstregulierung" von Ehekonflikten vorzugehen (S. 374). Im Laufe des 18. Jahrhunderts versuchten sie zudem, stärker auf die Gestaltung der ehelichen Beziehung und den Lebenswandel der Ehegatten einzuwirken. Allerdings stießen sie dabei immer wieder auf den Widerstand der Betroffenen, gegen deren Willen sich rigide obrigkeitliche Normen dann auch nur bedingt durchsetzen ließen. Von einer erfolgreichen Sozialdisziplinierung in diesem Bereich könne daher keine Rede sein (S. 376).

Eingehend beschäftigt sich Lutz anschließend mit zeitgenössischen Diskursen über die Ehe. Berücksichtigt werden sowohl juristische Diskurse als auch die Ehelehren Luthers und der Hausväterliteratur. Die über diese Diskurse vermittelten Normen und Eheideale vergleicht die Autorin dann mit den Argumentationsmustern vor Gericht, den normativen Zuschreibungen und Bildern, die dort vom idealen Eheleben, dem eigenen (normgerechten) Verhalten und dem (normabweichenden) des Partners entworfen wurden. Dabei sei nicht immer eindeutig zu bestimmen, ob die Parteien den vor allem von Luther beeinflussten Vorstellungen hinsichtlich der innerehelichen Rollen- und Aufgabenverteilung tatsächlich handlungsleitende Relevanz für ihre Lebensgestaltung zuerkannten oder ob sie im Prozess aus strategischen Gründen auf diese rekurrierten (S. 185f.).

Der Hauptteil der Arbeit widmet sich dann der sehr detaillierten Analyse der Konfliktursachen und -abläufe sowie der Mittel des Konfliktaustrags. Das besondere Interesse der Autorin gilt den von der Forschung bislang eher vernachlässigten Emotionen. Hier konfrontiert Lutz die u.a. von Edward Shorter vertretene These fehlender emotionaler Bindungen in frühneuzeitlichen Paarbeziehungen mit der Bedeutung, die Eheleute ihren (verletzten) Gefühlen beimaßen, wenn es galt, vor Gericht das Scheitern einer Ehe zu begründen. In dieselbe Richtung weist es, wenn die eheliche Sexualität als wichtiges Zeichen des Einverständnisses mit und der Zuneigung zum Partner, die sexuelle Verweigerung aber als ernstes Signal emotionaler Entfremdung aufgefasst wird (S. 240). Als weitere Konfliktursachen kamen ein als unangemessen empfundener Lebenswandel und dabei vor allem der übermäßige Alkoholkonsum des Ehegatten vor Gericht zur Sprache. Beides konnte unmittelbare wirtschaftliche Folgen haben und so zur Belastung der ehelichen Gemeinschaft werden. Allerdings erkennt Lutz ökonomischen Faktoren als Ursache ehelicher Probleme in ihrem Untersuchungsgebiet keine dominante Rolle zu (S. 383f.).

Zu den neuralgischen Punkten der Ehe gehörte auch die Gestaltung der innerehelichen Machtverteilung. Konflikte entzündeten sich häufig an der Frage der Entscheidungs- und Verfügungsgewalt über den gemeinschaftlichen Besitz bzw. der Unterordnung und Gehorsamspflicht der Frauen. Hier kommt Lutz zu dem Ergebnis, dass insbesondere deren Handlungsräume sowie die ehelichen Machtbeziehungen in der sozialen Praxis keineswegs immer so eindeutig fixiert waren, wie es die zeitgenössischen Diskurse nahe legen. Stattdessen forderten Frauen immer wieder einen respektvollen Umgang und ihre Teilhabe an wichtigen Entscheidungsprozessen ein (S. 283f.).

In den gerichtsnotorischen Ehestreitigkeiten kam (männlicher) Gewalt als Mittel des Konfliktaustrags eine überragende Rolle zu. Daneben zielten die von beiden Geschlechtern gleichermaßen eingesetzten Injurien auf die Verletzung der Ehre, mit Hilfe von Drohungen versuchte man, Druck auf den Partner auszuüben. Auch symbolische Handlungen gehörten zum Repertoire der Streitenden: So ließen sich dem Ehegatten mittels eines "sauren Gesichts", eines entblößten Hinterteils oder der verweigerten Tisch- und Bettgemeinschaft mehr als deutlich die bestehenden Friktionen innerhalb der Ehe demonstrieren. Die Rolle des sozialen Umfelds bei Eheproblemen war ambivalent: Einerseits versuchten Verwandte und Nachbarn, bei Streitigkeiten zu vermitteln und zu schlichten; andererseits konnten gerade die Herkunftsfamilien der Eheleute selbst Quelle für Konflikte sein. Auch hier sieht Lutz die Ursache der Auseinandersetzungen weniger in ökonomischen Faktoren als vielmehr in "emotionale[n] Abhängigkeitsbeziehungen". Ehemänner konnten heftig reagieren, wenn die Ehefrau eine engere Beziehung zu ihren Eltern unterhielt als zu ihrem Angetrauten (S. 351).

Es ist das Verdienst der Autorin, die von ihr benutzten Quellen unter einer ganzen Reihe von Gesichtspunkten, die hier nur ansatzweise angedeutet werden konnten, intensiv ausgewertet zu haben. Entstanden ist so eine quellennahe Arbeit, die vor den Augen des Lesers ein farbiges Panorama frühneuzeitlicher Ehebeziehungen, -konflikte und Konfliktstrategien entfaltet. Insgesamt wäre aber eine weniger breit gefächerte Anlage und weniger kleinteilige Aufgliederung der untersuchten Aspekte wünschenswert gewesen, was die Arbeit gestrafft und einige Redundanzen verhindert hätte. Vielleicht nur eine Folge unglücklicher Formulierungen ist der teilweise angedeutete Anspruch der Autorin, auf der Grundlage der für den Untersuchungsraum gewonnenen Einsichten eine Klärung der bislang oftmals divergierenden Forschungsergebnisse vornehmen zu können (z.B. hinsichtlich der Rolle frühneuzeitlicher Gerichte in Ehekonflikten, des disziplinierenden Zugriffs der Obrigkeiten usw.). Ein solcher Anspruch überzieht aber die Repräsentativität der vorliegenden Regionalstudie.

Neu, was die Gewichtung anbelangt, ist vor allem der Ansatz, die ehelichen Konflikte stärker als bislang auf ihre emotionale Qualität und Ursachen hin abzuklopfen. Hier liegt ein auch für die zukünftige Forschung noch längst nicht ausgereiztes Untersuchungsfeld, welches aber in hohem Maße Fallstricke bereithält. Dessen ist sich die Autorin durchaus bewusst, sie setzt diese Erkenntnis aber nicht immer befriedigend um. Die Schlussfolgerung, dass die vor Gericht häufig eingeforderte „Liebe“ des Ehepartners "in der Frühen Neuzeit nicht nur die Erfüllung gegenseitiger Verpflichtungen, sondern auch emotionale Verbundenheit meinte" (S. 196), wirft die Frage auf, ob diese Differenzierung tatsächlich durch die Quellen gedeckt ist. In ihnen wird nämlich, wie Lutz selbst konstatiert, fehlende Liebe gewöhnlich anhand von konkreten Handlungen bzw. Unterlassungen illustriert (S. 193), wobei die "Liebe in der Vorstellung der Männer eng mit dem Gehorsam ihrer Frauen gekoppelt war", in den Aussagen der Ehefrauen "Liebe dagegen als Gegensatz zu Misshandlungen und zu fehlenden Unterhaltsleistungen der Männer dargestellt" wurde (S. 194). Zielte der "Liebesdiskurs" (S. 192) also auf eine "Liebe der Emotionen" oder doch eine "Liebe des Handelns"1, die sich in der Erfüllung bestimmter Rollenerwartungen und Verhaltensgebote konkretisierte, die eingeübt, auch eingefordert und gegebenenfalls durch "erzieherische" Prügel erzwungen werden konnte? Dies würde dann doch auf eine andere Liebessemantik als die uns heute vertraute hinauslaufen!

An einigen Stellen wäre eine stärkere Einbettung des innerehelichen Konfliktverhaltens in den Kontext zeitgenössischer Kommunikationsformen wünschenswert gewesen. Dies hätte unter Umständen andere Deutungsperspektiven eröffnet. Ein Ehemann, der seiner Frau "gleich drei Briefe schrieb, in denen er sie dazu aufforderte, nie mehr zu ihm zurückzukehren", kann damit möglicherweise "dem Ausmaß seiner Enttäuschung und seinen immer noch bestehenden Gefühlen Ausdruck" gegeben haben (S. 196). Berücksichtigt man aber, dass die dreimalige Wiederholung in der frühneuzeitlichen Kommunikation eine besondere Rolle spielte und dazu diente, Worten und Taten besonderen Nachdruck, eine gewissermaßen 'rechtliche' Relevanz zu verleihen, würde diese Handlungsweise zwanglos zu der in diesem Fall offenbar intendierten Selbstscheidung passen.

Anmerkung:
1 Beck, Rainer, Frauen in der Krise. Eheleben und Ehescheidung in der ländlichen Gesellschaft Bayerns während des Ancien régime, in: Dülmen, Richard van (Hrsg.), Dynamik der Tradition. Studien zur historischen Kulturforschung IV, Frankfurt am Main 1992, S.137-212, hier S.188, 192.

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