M. Bechhaus-Gerst u.a. (Hrsg.): Konstruktionen von Afrika

Cover
Titel
Koloniale und postkoloniale Konstruktionen von Afrika und Menschen afrikanischer Herkunft in der deutschen Alltagskultur.


Herausgeber
Bechhaus-Gerst, Marianne; Gieseke, Sunna
Reihe
Afrika und Europa. Koloniale und postkoloniale Begegnungen 1
Erschienen
Frankfurt am Main 2007: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
447 S.
Preis
€ 58,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sabine Voßkamp, Universität Duisburg-Essen

Die Beiträge des Sammelbandes sind aus einer Tagung des Kölner Vereins „KopfWelten – gegen Rassismus und Intoleranz“ im Jahr 2004 hervorgegangen. Das Vereinsziel besteht darin, mittels Ausstellungen, Konferenzen und Publikationen „die vorherrschenden Afrikabilder nachhaltig zu verändern und so langfristig Rassismus abzubauen“.1 Mit der interdisziplinären und internationalen Tagung wurden zwei Zielsetzungen verfolgt: Erstens sollte ein Beitrag zur Etablierung der Postcolonial Studies in Deutschland geleistet werden; zweitens sollte der – aus dieser theoretischen und methodischen Perspektive – als defizitär bewertete Zustand der deutschen Geistes- und Gesellschaftswissenschaften aufgezeigt werden, um „die verschiedenen Positionen und Disziplinen in Konfrontation und Dialog zu bringen, um Veränderungen herbeizuführen und Nachhaltigkeit zu erreichen“ (S. 9). Die Darstellung des Tagungsverlaufs durch die Herausgeberinnen lässt darauf schließen, dass im Ergebnis jedoch vor allem Dissens und eine Verhärtung „traditioneller“ und „postkolonialer“ Positionen zu verzeichnen waren. Der Band bietet eine Auswahl von Beiträgen aus den vier Tagungssektionen, wobei die Herausgeberinnen bewusst die „inhaltliche wie theoretische Heterogenität“ der Tagung dokumentieren wollen (S. 10).

Die Sektion 1 widmet sich Critical Blackness/Whiteness Studies, wobei der Schwerpunkt deutlich auf den letztgenannten liegt. Susan Arndt stellt in Auseinandersetzung mit Roland Barthes Überlegungen zum Begriff des „Racial Turn“ als methodologischem Instrument an. Erklärtes Ziel ist die Dekonstruktion der Strukturen, mit denen Weißsein als „Master-Signifier“ Gesellschaft und Kultur formt. Lisa Bokemeyer und Nadine Golly plädieren in ihrem Beitrag „Repräsentationen im Wissenschaftskontext – machtblind oder machtkritisch?“ vehement für eine gesellschaftspolitisch kritische Haltung der Wissenschaft und greifen den geisteswissenschaftlichen „Mainstream“ hinsichtlich seiner kanonischen Lehre und theoretischen Fundamente scharf an. An diesem Beitrag lassen sich die Konfliktlinien der Tagung besonders deutlich ablesen.

Aspekte des Themenkomplexes Emanzipation und Kolonialismus untersuchen Anette Dietrich und Martina Tißberger jeweils in ihren Beiträgen. Weiße Frauen, die in kolonialen und postkolonialen Zeiten aus emanzipatorischen Motiven auf Reisen gingen, befanden sich häufig in dem Dilemma, zwischen Rasse, Gender und heimischen wie kolonialen Herrschaftsstrukturen gefangen zu sein, statt in der Ferne die erhoffte Befreiung zu finden.

Philosophisch-theoretische Begründungen einer Überlegenheit der weißen Hautfarbe analysiert zum einen El Hadj Ibrahima Diop anhand der europäischen Theoretiker der Aufklärung. Zum anderen reflektiert Ingrid Jungwirth die diskursive Entstehung und Rezeption der Identitätstheorie Erik H. Eriksons. Beide Aufsätze untersuchen den Zusammenhang von kollektiven Identitätsfragen und -krisen, Normen und Macht sowie die diesem Komplex zur Last gelegte Rassialisierung des europäischen Denkens. Letzteres meint eine Strukturierung und Überformung des europäischen Wertesystems durch die Kategorie Rasse. Maguéyé Kassé schließt beim Thema Identitätsfragen an und beschreibt, inwieweit die historisch bedingten Konstruktionen von Afrika durch den Globalisierungsprozess in Veränderung begriffen sind und daher eine (allerdings nicht näher definierte) interkulturelle Kommunikation erforderlich wird.

Die Sektion 2 umfasst neun Beiträge zur (post)kolonialen Literatur, die um die Verarbeitung von Eigen- und Fremdwahrnehmungen sowie die Frage nach literarisch fixierten Wahrnehmungsmustern kreisen. Dass sich deutsche SchriftstellerInnen eher selten mit der deutschen Kolonialvergangenheit auseinandergesetzt haben, wird daran deutlich, dass Uwe Timms Roman „Morenga“ sowie Peter Altenbergs „Ashantee“ gleich mehrfach aufgegriffen werden (vgl. die Beiträge von Kodjo Attikpoe, Katharina von Hammerstein, Gregor Schröder und Lacina Yeo). Den Roman „Ein unsichtbares Land“ von Stephan Wackwitz analysiert Gunther Pakendorf mit Blick auf jüngere Diskurse zur deutschen Identität.

Die Funktion der Vergewisserung des Eigenen über das Fremde boten und bieten aber nicht nur Romane, sondern ebenso Reiseberichte, Missions-, Sach- und pädagogische Jugendliteratur. Am Beispiel des kolonialen Missionsdramas „Zaïda“ analysiert dies Esaïe Djomo und zeigt damit, wie mittels der Darstellung afrikanischer Machthaber als barbarischer Despoten die Entmachtung dieser Herrscher als Befreiungstat legitimiert werden sollte. Mit Repräsentationen Kameruns und der Kameruner beschäftigen sich Albert Gouaffo anhand der Jugendliteratur im Kaiserreich sowie Albert-Pascal Temgoua, der das Bild der kamerunischen Frau in der deutschen Kolonialliteratur untersucht: Die als nackt und schön gesehenen Frauen wurden gleichzeitig als bedauernswerte Opfer polygamer Gesellschaftsstrukturen dargestellt und fungierten damit als Projektionsfläche für den männlichen Blick. Der Blick auf das Eigene durch das Fremde wurde auf die Spitze getrieben von Hans Paasches kulturpessimistischem Briefroman „Die Forschungsreise des Afrikaners Lukanga Mukara in das innerste Deutschland“ (1912/13), den Pierre Kodjio Nenguie sozusagen gegen den Strich auf die Repräsentation des Fremden als eines Beobachters hin analysiert.

Die Beiträge der disziplinär und thematisch am weitesten gefassten Sektion 3 lassen sich in die Kategorien medialer und performativer Untersuchungsgegenstände unterteilen. Den Bereich des Performativen untersucht Florian Carl gleich in zweifacher Hinsicht, wenn er die Begegnung von Weißen mit Musik von Schwarzen während des Reisens anhand ihrer Berichte untersucht. Völkerschauen boten den Daheimgebliebenen scheinbar authentische Darstellungen von afrikanischer Kultur, wie Sunna Gieseke am Beispiel der Völkerschauen in Köln und ihrer öffentlichen Rezeption zeigt. Wie wirkmächtig die deutsche Kolonialzeit auch in der bundesrepublikanischen Geschichte blieb, zeigt Stefanie Michels ausgehend vom Kult um Tod und Bestattung Paul von Lettow-Vorbecks im Jahr 1964, der den Mythos des „treuen deutschen Askari“ erneut in eine breite Öffentlichkeit trug.

Bildliche Inszenierungen von Afrikanern untersuchen Andreas Eckl am Beispiel von Missionsfotos zwischen „’Heiden’-, Erfolgs- und Propagandafotographien“ (S. 248) sowie Wolfgang Fuhrmann am Beipiel der Thematisierung des Herero-Krieges in der Frühgeschichte des Kinos. Der Instrumentalisierung und Kommerzialisierung von Bildern widmen sich Melanie Leucht und Franz Rudolf Menne, die Sammelbilder auf ihren Beitrag zur Stereotypenbildung hin untersuchen, sowie Mathias Ludynia, der (eher eklektisch) Afrikaner-Bilder in der deutschen Werbung sowie Antirassismus-Kampagnen analysiert. Schließlich widmen sich Julio Mendívil sowie Lothar Pützstück AfrikanerInnen im deutschen Schlager sowie in der Schlager-, Pop- und Rockszene allgemein.

In Sektion 4 sind schließlich Beiträge zur afrikanischen Diaspora und zu schwarzen Deutschen versammelt. Die Persistenz historisch gewachsener Stereotypen zeigt Erwin Ebermann am Beispiel von afrikanischen ZuwanderInnen in Wien und kommt zu dem Ergebnis, dass AfrikanerInnen in „wesentlichen Lebensbereichen“ von einem Drittel aller ÖsterreicherInnen abgelehnt werden (S. 380). Der Beitrag von Maureen Maisha Eggers untersucht, inwiefern in der Kinder- und Jugendliteratur Rassifizierungen feststellbar sind, das heißt Zuschreibungen von Merkmalen, die für Afrikaner bzw. Europäer als wesenhaft definiert werden, und wie damit die Machtdifferenz zwischen Schwarz und Weiß festgeschrieben wird. Damit bietet Eggers sowohl Anknüpfungen zu Sektion 2 als auch zu den theoretischen Überlegungen der Sektion 1.

Erfahrungen von Machtdifferenz und Marginalisierung spielen ebenso im Beitrag von Nadine Golly eine Rolle, die die Studienbedingungen schwarzer Studenten in Deutschland thematisiert und für eine stärkere Auseinandersetzung an deutschen Hochschulen mit diesem Thema plädiert. Um jugendliche Afrikaner und ihre Bewältigungsstrategien hinsichtlich der Fremdheitserfahrungen in Deutschland dreht sich das Forschungsprojekt von Marga Günther, die Gespräche mit guineischen Bildungsmigranten nach der Methode der reflexiven Hermeneutik ausgewertet hat. Last but not least schlägt Joachim Zeller einen großen Bogen zur „Imagologie des Schwarzen“ (S. 420) und der publizistischen Wahrnehmung von schwarzen BürgerInnen vom Kaiserreich bis zur Weimarer Republik.

Fazit: Der Sammelband ist tatsächlich so heterogen und für viele LeserInnen vermutlich auch so streitbar wie von den Herausgeberinnen im Vorwort angekündigt. Er bietet aber eine große thematische und methodologische Breite, die über das ungleiche Niveau mancher Beiträge hinwegtröstet. Nicht nur Fachwissenschaftlern der verschiedenen Disziplinen, sondern vor allem auch Studierenden ist der Band zu empfehlen, da er wie wenige Sammelbände neben dem Einstieg in ein Themenfeld gleichzeitig den Einblick in aktuelle Forschungskontroversen gewährt und so deren kritische Reflexion ermöglicht.

Anmerkung:
1 Zit. nach der Website des Vereins „KopfWelten e.V. – gegen Rassismus und Intoleranz“ (<http://www.kopfwelten.org/>, 25.10.2007).