Titel
The Fourth Revolution. Transformations in American Society from the Sixties to the Present


Autor(en)
Daniels, Robert V.
Erschienen
London 2006: Taylor & Francis
Anzahl Seiten
XIV, 275 S.
Preis
€ 18,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felix Krämer, Hamburg

Wann ist eine Revolution eine Revolution? Politisch-revolutionäre Transformationen haben in Entwicklungsgeschichten über die Vereinigten Staaten seit Alexis de Tocqueville stets eine bedeutende Rolle gespielt. 1 Im Hintergrund historiographischer Überlegungen schwingt die Frage mit, was einen historisch-gesellschaftlichen Wandel ausmachen könnte, wie dieser jeweils zu werten ist und wie er schließlich ins Bild der Geschichte gesetzt werden muss. Der Historiker Robert Vincent Daniels hat nun einen Band vorgelegt, der eine “Fourth Revolution“ in der jüngsten Geschichte der USA diagnostiziert. Gemeint sind die Verschiebungen, die seit den 1960er-Jahren die US-Gesellschaft und ihre Kultur nachhaltig prägten. “Racial Revolution“, ”Revolution of the Youth“ und “Gender Revolution” sind nach Daniels die wesentlichen Eckpfeiler dieser Revolution. Die drei Vorläufer der Vierten Revolution wären die religiös motivierten Umbrüche des 16. und 17. Jahrhunderts, die Amerikanische Revolution des ausgehenden 18. Jahrhunderts und die ökonomisch-sozialen Verschiebungen im Zuge des New Deals ab den 1930er-Jahren. In der zwölf Kapitel umfassenden Studie benutzt Daniels das Konzept ‚Revolution’ demzufolge für die Beschreibung historisch-gesellschaftlicher Wandlungsprozesse.

Zu Beginn des ersten Kapitels wird die zentrale These des Buches skizziert: “For decades the Western world and above all the United States of America have been in the throes of a new revolution, not a massively violent and bloody one, to be sure, but a revolution nonetheless.” (S. 1) Auch wenn dieser Zugriff auf die 1960er-Jahre beileibe nicht gänzlich neu erscheint, so ist er doch bislang noch nicht in der von Daniels ausgeführten Form synthetisiert worden. Ausgehend von einer begrifflichen Lokalisierung seines Ansatzes in der Debatte über revolutionären Wandel, führt Daniels in den ersten vier Kapiteln durch die Herkunftsgeschichte der Vereinigten Staaten bis in die Zeitgeschichte. Das letzte Drittel des 20. Jahrhunderts nimmt er in den verbleibenden acht Kapiteln aus unterschiedlichen Perspektiven unter die Lupe. Dabei werden die von Daniels fokussierten sozialen Emanzipationsbewegungen ab den 1960er-Jahren – Bürgerrechtsbewegung, Jugend- bzw. Studentenbewegung, Frauenbewegung – in ihren historischen „roots“ verortet, miteinander in Beziehung gesetzt und in ihrer kulturgeschichtlichen Bedeutung gewürdigt. Darüber hinaus beschreibt Daniels auch Widersprüche und Gegenbewegungen, vor allem verkörpert im Wiedererstarken der Religiösen Rechten in den 1970er-Jahren. Am Ende seines Buches wirft er noch einen Blick auf eine mögliche Fünfte Revolution, deren Konturen in den radikalsten Ideen aus der Vierten Revolution fußen und deren Umwälzungspotentiale – im Wesentlichen eine grundlegende Kritik an der westlichen Zivilisationsidee – Daniels mit durchaus skeptischem Blick bereits am Horizont der jüngsten Historie ausgemacht zu haben glaubt (S. 217).

Die konkrete Beschreibung der Vierten Revolution beginnt mit dem fünften Kapitel, das vom Kampf der Bürgerrechtsbewegung gegen die rassistische Gesellschaftsordnung handelt. Daniels stellt fest: “The earliest, deepest, most violent, and most uniquely American component of the Fourth Revolution in the United States was the black civil rights movement.” (S. 73) Die Ahnen des Protestes, der sich in den 1950er- und 1960er-Jahren Bahn brach, verfolgt Daniels zurück bis in der Zeit vor dem Amerikanischen Bürgerkrieg, in der sich bereits der Abolitionismus äußerte – beispielsweise in Person und Werk des ehemaligen Sklaven Frederick Douglass. 2 Booker T. Washington und W. E. B. Du Bois führt er als diejenigen Stimmen an, die nach dem offiziellen Ende der Sklaverei 1865 im letzten Drittel des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts wesentliche Züge des ungebrochen rassistischen Unterdrückungssystems in den Vereinigten Staaten anprangern konnten. Für die 1960er-Jahre zeichnet Daniels verschiedene Herkunftslinien des Protests. Zum ersten nennt er die Bewegung um Martin Luther King Jr., die “deeply and specifically Christian“ gewesen sei (S. 75). Zum zweiten führt er die später in den 1960er-Jahren an Bedeutung gewinnenden “Black Power separatists“ an, die zumindest zum Teil von der Idee eines ‚Schwarzen Islam’ nach dem Vorbild von Elijah Muhammad und Malcolm X beeinflusst waren (S. 90). Neben den offensichtlichen rechtlichen und politischen Diskriminierungen in den USA war die Protestbewegung auch durch literarische Auseinandersetzungen mit dem modernen Rassismus inspiriert, wie beispielsweise James Baldwins „The Fire Next Time“ von 1963 oder Frantz Fanons Reflexionen des Kampfes in einer (post)kolonialen rassistischen Weltordnung. 3

Das sechste Kapitel ist betitelt “The Revolution of the Youth“. Unter diesem Label bringt Daniels so verschiedene Bezeichnungen wie Counterculture, Studentenprotest und New Left zusammen (S. 97). Ausgehend von einer moderaten Phase in der ersten Hälfte der 1960er-Jahre beschreibt Daniels auch hier eine Radikalisierung der Jugendrebellion im Verlauf des Jahrzehnts, wobei für ihn ein signifikantes Moment der Jugendbewegung die Opposition zum Vietnamkrieg darstellt (S. 99ff.). Das Gesicht der Counterculture zeichnet Daniels weniger politisch als vielmehr in einer psychologisch motivierten Gegenhaltung zum Establishment – mit Drogen und Selbsterfahrungen experimentierend – obwohl er zugesteht, dass Überschneidungspunkte mit der Neuen Linken kaum von der Hand zu weisen sind (S. 104). Die „Students for a Democratic Society“ (SDS), diejenige Facette der Studentenbewegung, die herkömmlichen linken Organisationsformen am nächsten kam, wuchsen nach der Eskalation des Vietnamkrieges 1965 von kleineren lokalen Netzwerken rasant zu einer bundesweiten Organisation, die – wie ihre Pendants in Europa – revolutionären Wandel in der gesamten Gesellschaft anvisierte. Vernetzt mit afroamerikanischen Protestgruppen hatten die studentischen Aktionen an den Universitäten Höhepunkte in Campusbesetzungen unter anderem beispielsweise in Harvard und Cornell im Jahr 1969 (S. 111ff.). Für die Zeit der frühen 1970er-Jahre konstatiert Daniels ein Abflauen der studentischen Protestaktivität.

Die “Gender Revolution“, der Daniels das siebte Kapitel des Buches widmet, ist die ergebnisoffenste Säule der Vierten Revolution, wie er zu Beginn seiner Beschäftigung mit den ‚gender troubles’ der 1960er- und 1970er-Jahre feststellt. Die historischen Bezüge fasst Daniels zurück bis ins 18. Jahrhundert, also bis zur Zweiten Revolution als die „American Founding Fathers [sic.]“ die Prinzipien politischer Gleichheit festgeschrieben hätten. 4 Der ab Mitte des 19. Jahrhunderts immer wieder geführte Kampf für Gleichberechtigung seitens verschiedener Frauenorganisationen (mal mehr, mal weniger an der Seite der AbolitionistInnen) sei schließlich im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts zu einem gesellschaftspolitischen Aufbruch geworden (S. 120ff.). Auch die Gender-Komponente der Vierten Revolution konzeptionalisiert Daniels zwischen einem moderaten und einem radikalen Flügel in den 1960er- und 1970er-Jahren. Zum einen nennt er Betty Friedan als ein Verbindungsmoment zwischen der Dritten Revolution der 1930er-Jahre und der Vierten Revolution ab den 1960er-Jahren. Friedan hatte in ihrem vielbeachteten Buch „The Feminine Mystique“ von 1963 auf die kulturelle Dimension der Unterdrückung des Subjekts Frau hingewiesen. Zum anderen führt er als Beispiel für eine weit radikalere Variante Kate Milletts grundsätzliche Patriarchatskritik in „Sexual Politics“ an. 5 Ob nun moderat oder radikal – die feministische Bewegung produzierte, wie Daniels betont, weit mehr theoretische Reflexionen, als die beiden in den vorangegangenen Kapiteln beschriebenen Bewegungen (S. 130). Merkwürdig erscheint, dass sich lediglich ein Unterpunkt seines Gender-Kapitels mit dem Begriff der „Sexual Revolution“ befasst. Die Sexuelle Revolution ist bei Daniels eine ‚nicht so recht greifbare Story’ (S. 132f.). Dabei könnte man die Existenz einer Sexuellen Revolution zwar durchaus mit Hilfe von Michel Foucaults Arbeiten zur Sexualitätsgeschichte bezweifeln; die Rede vom Sexuellen, wie sie sich gerade ab den späten 1960er-Jahren gehäuft in den unterschiedlichsten Diskursen findet, in ihrer Wirkungsmacht gering zu schätzen, verwundert angesichts eines Bandes, der bereits in seiner Strukturierung den Begriff der Revolution für alle möglichen anderen Bereiche realiter nimmt. 6 Darüber hinaus ist im Bezug auf theoretische Reflexionen, die Daniels für die feministische Literatur hervorhebt, anzumerken, dass aus dem emanzipationspolitischen Hintergrund der Schwulen- und Lesbenbewegung ab den 1970er-Jahren ebenfalls eine beachtliche Zahl an Texten hervorgegangen ist, die keineswegs nur auf Milletts Arbeiten – unter dem Label ‚radikal feministisch’ gefasst – reduziert werden kann. Außerdem wäre in diesem Kapitel ein Verweis auf die Bewegung der „Black Feminists“ hilfreich gewesen, um die Intersektionalität der verschiedenen Emanzipationsstränge stärker zu konturieren. 7 Statt dessen beschränkt sich Daniels auf das Resümee: “[…] the gender revolution remains the least complete of all the elements of the Fourth Revolution.” (S. 146)

In den folgenden drei Kapiteln vertieft Daniels seine Betrachtung der Auswirkungen der Vierten Revolution für die US-Kultur und Gesellschaft und zurrt die Schlaufen enger in seinem Versuch, letztgültige Bedeutungen der revolutionären Verschiebungen festzustellen. Neben den Beschreibungen von Gegenbewegung im achten Kapitel “Revolution and Reaction”, in dem vor allem der Gegenschlag in Reagans Regierungszeit in den 1980er-Jahren Beachtung findet, skizziert Daniels in Kapitel 9, wie sich die Revolution parallel dazu tiefer in die kulturelle Verfassung der US-amerikanischen Gesellschaft eingrub. Unter der Überschrift “Extensions of the Revolution“ markiert er in Kapitel 10 überzeugend unterschiedliche Identitätspolitiken, die im Gefolge der Vierten Revolution artikulierbar wurden. Wie Daniels darlegt, konnten beispielsweise “Hispanics“, “Native Americans“ und andere ethnisierte Gruppen vom Antidiskriminierungskampf der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung profitieren – wobei an dieser Stelle zu ergänzen ist, dass die Möglichkeiten des Antidiskriminierungskampfes keineswegs einen Automatismus in Gang setzten, der in Gleichberechtigung innerhalb der US-Gesellschaft fern ethnischer Zuschreibungen gemündet wäre (S. 178ff.). Unter den “Extensions“ der Vierten Revolution taucht dann auch die “Gay Liberation“ auf, neben den Bewegungen für “Disability Rights“ und “Prisoners Rights“ (S. 182, 186 und 192).

Im vorletzten Kapitel schlägt Daniels den Bogen zur unmittelbaren Gegenwart. Unter der Überschrift “The Fourth Revolution at the Millennium“ beschreibt er, dass die Errungenschaften der Vierten Revolution – allen Backlash-Lamenti zum Trotz – ab den späten 1980er- und in den 1990er-Jahren eine Art kulturelle Hegemonie hergestellt hätten (S. 199ff.). Die Wahrnehmung unterschiedlicher Gruppen, deren Mitglieder in der gesellschaftlichen Ordnung von Diskriminierung und struktureller Gewalt (z.B. „hate crime“) betroffen sein konnten, implementierte nach Daniels ein Verständnis von Differenz, das im Gegensatz zur tradierten Ideologie der Individuen mit per se gleichen Rechten stand (S. 206). Die “Culture Wars“ der 1990er-Jahre, die vornehmlich in akademischen Debatten und intellektuellen Zirkeln ausgefochten wurden, sind auch in diesem Zusammenhang zu verstehen – nunmehr ausgefochten zwischen Konservativen, Liberalen und so genannten ‚Postmodernisten’ (S. 208).

Im letzten Kapitel fragt Daniels nach der Existenz einer Fünften Revolution (S. 215). Dabei stellt er den postmodernen bzw. poststrukturalistischen KritikerInnen ein fatales Zeugnis aus. Auf den ersten Blick mag Daniels Argumentation kohärent wirken, die auf die Vierte Revolution folgende fünfte Schippe auf das Wasserrad der revolutionären turns in der intellektuellen Geschichte der USA (und darüber hinaus) drohe das Rotieren der gesellschaftspolitischen Kritik an den Rand seiner Möglichkeitsbedingungen zu bringen. Beim zweiten Hinsehen scheint diese Einschätzung aber doch eher ein verfrühter Abgesang auf jene philosophische Möglichkeit der Kritik zu sein, die im Wesentlichen unter dem Stichwort „Dekonstruktion“ gehandelt wird. Die akademische Bewegung hin zu einer substanziellen Hinterfragung modernistischer Prämissen ist keineswegs auf “rebels looking for a cause [...]“ zu reduzieren, wie Daniels es nonchalant tut (S. 218). Zu verbuchen ist vielmehr, dass gerade wegen Denk- und Kritikformen, die eben auch in der politisch-intellektuellen Landschaft der USA in den 1990er-Jahren mitentwickelt wurden (beispielsweise in den Postcolonial-Studies), intensiv und fruchtbar an historischen und gegenwärtigen Fragen einer sich immer wieder aufs Neue konzipierenden Welt – lokal wie global – gearbeitet werden kann. 8

Daneben ist es unbenommen Daniels’ Verdienst, die oft implizit an Wirtschaftszyklen orientierte Sozialgeschichte entkernt und Emanzipations- bzw. Identitätspolitiken in Form einer Kulturgeschichte des Politischen beschrieben zu haben. Allerdings hangelt sich seine Erzählung letztlich doch an Zyklen – nämlich an revolutionären Transformationen innerhalb der Protestgeschichte der Vereinigten Staaten – entlang, die somit einer westlichen Fortschrittsgeschichte verhaftet bleiben. Eine solche Strukturierung gilt es, trotz oder gerade wegen Daniels’ Skepsis gegenüber eines angeblichen „postmodernen Relativismus“, sowohl diachron (in der Abfolge der vier bis fünf Revolutionen) als auch synchron (in der Benennung der drei Hauptsäulen der Vierten Revolution) immer wieder genau zu hinterfragen. Anregung dafür bietet Daniels’ Buch.

Anmerkungen:
1 Tocqueville, Alexis de, De la démocratie en Amérique, Paris 1835.
2 Douglass, Frederick, A Narrative of the Life of Frederick Douglass, an American Slave, Boston 1845.
3 Fanon, Frantz, The Wretched of the Earth, New York 1963.
4 Hoff, Joan, Law, Gender and Injustice: A Legal History of U.S. Women, New York 1991.
5 Millett, Kate, Sexual Politics, Garden City/New York 1970.
6 Foucault, Michel, Sexualität und Wahrheit. Der Wille zum Wissen, Bd.1, Frankfurt am Main 1983.
7 Combahee River Collective, Black Feminist Statement (1977), in: James, Joy; Sharpley-Whiting, T. Denean (Hrsg.), The Black Feminist Reader, Malden 2000, S. 270.
8 Vgl. Castro Varela, María Do Mar; Dhawan, Nikita, Postkoloniale Theorie. Eine kritische Einführung, Bielefeld 2005.

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