G. Stedman u.a. (Hrsg.): Höfe - Salons - Akademien

Cover
Titel
Höfe - Salons - Akademien. Kulturtransfer und Gender im Europa der Frühen Neuzeit


Herausgeber
Stedman, Gesa; Zimmermann, Margarete
Anzahl Seiten
372 S.
Preis
€ 48,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christiane Coester, Deutsches Historisches Institut Paris

Den Umschlag des vorliegenden Sammelbandes ziert ein Ausschnitt aus einem Gemälde, das dem französischen Maler Louis-Michel Dumesnil zugeschrieben, aber mit wechselnden Titeln bezeichnet wird: „Königin Christina von Schweden im Kreise berühmter Gelehrter und Zeitgenossen“ oder auch „Christina von Schweden diskutiert mit Descartes in Anwesenheit des Grand Condé“. Es handelt sich um ein „Wissenschaftsbild“, das auf verschiedenen Bedeutungsebenen sowohl den Paradigmenstreit der Anhänger Descartes’, Pascals und Leibniz’ gegen den Aristotelismus als auch die wissenschaftlich-geselligen Zirkel des 17. Jahrhunderts thematisiert, in denen Angehörige des Adels, des Klerus und des Bürgertums aus ganz Europa, Männer wie Frauen – neben Christina von Schweden ist Elisabeth von Böhmen abgebildet – der Vorführung physikalischer Experimente folgten und gelehrte Konversation betrieben. Auch wenn dies nie in der im Bild dargestellten Konstellation geschah, lassen sich anhand dieses Gemäldes daher die Motive und Fragestellungen des Sammelbandes thematisieren. Dabei nimmt der Aufsatz „Christina von Schweden, der Grand Condé und die Revolution der Wissenschaften im 17. Jahrhundert“ von Otto Gerhard Oexle eine Schlüsselstellung ein, der sich einerseits intensiv mit den verschiedenen Aussagen des Bildes befasst, die dargestellten Personen und Tätigkeiten identifiziert und die Beziehungen zwischen den Personen sowie die Bedeutung der physikalischen Experimente und wissenschaftlichen Diskussionen behandelt, andererseits aber sein Augenmerk immer auf den beiden Hauptaspekten des Sammelbandes richtet: Kulturtransfer und Gender.

Dem Zusammenhang von Kulturtransfer und Gender ist von der Frühneuzeitforschung bisher nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt worden. Auf der einen Seite geraten zwar in vielen Untersuchungen zu Fürstinnen, Hofdamen oder gelehrten Frauen Aspekte des Kulturtransfers in den Blick, beispielsweise wenn es um Brautfahrten oder Korrespondenzen geht, doch wird das Konzept des Kulturtransfers kaum explizit thematisiert. Auf der anderen Seite steht in Publikationen, die sich mit Fragen des Kulturtransfers befassen, der Genderaspekt nur selten im Mittelpunkt. Dagegen stellt dieser Band, der aus einer Tagung über „Reale und symbolische Räume des Kulturtransfers“ hervorging, die 2003 am damals noch an der Technischen Universität angesiedelten Berliner Frankreichzentrum stattfand, für die Geschichts- wie für die Literaturwissenschaften einen wichtigen Anstoß dar. Die Herausgeberinnen betonen, dass sich der Band als „Anregung zum Weiterdenken“ darüber versteht, „wie ein produktiver Forschungsansatz wie die Transferforschung sich von der vermeintlichen Geschlechterneutralität lösen und zu neuen Erkenntnissen gelangen kann“ (S. 15). In 16 zumeist deutschsprachigen, aber auch italienischen und französischen Aufsätzen, deren Autorinnen und Autoren unterschiedlichen Fächern und Forschungskontexten angehören, werden die Beziehungen zwischen Kulturtransfer und Gender anhand verschiedener realer und symbolischer Orte untersucht: Höfe, Salons, Akademien, Klöster und Texte.

Der Vorzug des Sammelbandes liegt in der beeindruckenden Vielzahl und Mannigfaltigkeit der behandelten Themen. Die Beiträge widmen sich nicht nur dem Kulturtransfer an den im Untertitel genannten Orten – es geht auch um Reisen und Mode, um Übersetzungen, Kommentierungen und Vermittlungen wissenschaftlicher Erkenntnisse durch Frauen und Männer auf der Basis französischer, italienischer, spanischer, portugiesischer, deutscher, englischer und lateinischer Quellen vom Mittelalter bis zum Ende des 18. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt der Überlegungen stehen die diversen Aspekte kultureller Austauschbeziehungen, die Traditionen weiblicher Kulturvermittlung, die wechselseitige Befruchtung von Texten und immer wieder die Frage nach Rezeption, Akkulturation und Aneignung des vermittelten Wissens im Empfängerkontext. Da den meisten Beiträgen ein dezidiert theoretischer Ansatz zugrunde liegt, wird das Konzept des Kulturtransfers dabei einer grundsätzlichen Revision unterzogen. Im Folgenden wird eine Auswahl an Aufsätzen aus dem Sammelband vorgestellt.

Mit Salon, Akademie und Kloster als reale und symbolische Räume des Kulturtransfers setzen sich Margarete Zimmermann („Kulturtransfer in Salons des 16. Jahrhunderts“), Tatiana Crivelli („L’Arcadia femminile: spazi reali e simbiloci di un’ interazione culturale“) und Renate Kroll („Beschriebenes Leben als Ort des Kulturtransfers: Baudonivia, Marie de Chatteris und die Salondamen des 17. Jahrhunderts“) auseinander. Anhand verschiedener Beispiele von Salons in und um Paris, in Poitiers und am Hof von Nancy zeigt Margarete Zimmermann, dass Salons aufgrund ihrer geographischen Vernetzung und der hohen Durchlässigkeit der verschiedenen Soziotope als Zentren des Kulturtransfers fungierten, an denen nicht nur innovative literarische Strömungen gefördert sondern auch neue weibliche Rollenmuster wie der Habitus der humanistischen „sçavante“ von italienischen und spanischen Vorbildern übernommen und in die französischen Salons des 17. Jahrhunderts weitervermittelt wurden. Tatiana Crivelli sieht in der Akademie der Arkadier nicht nur einen realen Ort, der Frauen die Möglichkeit zur Darstellung ihrer Talente, zur Publikation ihrer Werke und zur Kontaktaufnahme mit anderen gelehrten oder künstlerisch tätigen Männern und Frauen bot, sondern auch einen symbolischen Raum, in dem Frauen aus der passiven Rolle der Muse in die aktive der wissenschaftlich tätigen Protagonistin wechseln, sich eine eigene, weibliche Tradition schaffen und mit unterschiedlichen Modellen von Abhängigkeit und Autonomie experimentieren konnten. Renate Kroll vergleicht von Männern verfasste Heiligenviten mit Fortführungen und Nacherzählungen durch Frauen und zeigt dabei, wie die Nonnen durch ihre Texte eine eigene Kultur entwickelten, diese pflegten und verbreiteten und auf diese Weise das mittelalterliche Frauenkloster zu einem sowohl realen als auch symbolischen Ort weiblicher Kulturvermittlung werden ließen.

Mit Religion, Wissenschaft und Mode als Bereiche weiblichen Kulturtransfers beschäftigen sich die Beiträge von Andrea Grewe („Margarete von Navarra und der Hof von Nérac“), Ursula Winter („Émilie Du Châtelet und der Transfer naturwissenschaftlicher und philosophischer Paradigmen innerhalb der europäischen Gelehrtenrepublik des 18. Jahrhunderts“) und Gertrud Lehnert („Mode als Medium des Kulturtransfers im 18. Jahrhundert“). Andrea Grewe setzt sich mit der Frage auseinander, ob und auf welche Weise die aktive Rolle der Königin von Navarra bei der Vermittlung evangelischer Ideen zu einem tief greifenden kulturellen Wandel beitragen konnte. Die Autorin zeigt, wie der von Margarete von Navarra geleistete Kulturtransfer den Bedürfnissen und Interessen von Frauen entgegenkam und somit zur Schaffung eines spezifisch weiblichen Kulturraums beitrug. Ursula Winter beschreibt, wie die Übertragungen und Kommentierungen der Werke Newtons und Leibniz’ durch Émilie du Châtelet nicht nur bereits akzeptierte Kulturgüter vermittelten, sondern grundlegende Neuerungen in das naturphilosophische Denken ihrer Zeit einführten und somit zu einem grundlegenden Paradigmenwechsel im 18. Jahrhundert beitrugen. Gertrud Lehnert beschäftigt sich mit Mode als einem Ort, an dem (bürgerliche) Werte und Normen verhandelt werden. Anhand von Modezeitschriften und bildlichen Darstellungen zeigt die Autorin, wie über Mode, die mithin mehr bedeutet als Kleidung und Accessoires, kulturelle Identität in Deutschland entstand, und zwar in Auseinandersetzung mit den französischen Vorbildern, die rezipiert, selektiert, umgearbeitet oder abgelehnt wurden.

Der Fokus der Beiträge von Roswitha Böhm („Reise, Kulturtransfer und Gender in Marie-Catherine d’Aulnoys Reiseberichten aus Spanien“) und Bernhard Struck („Reise und Kulturtransfer. Möglichkeiten und Grenzen eines Forschungskonzeptes“) richtet sich auf die Erkenntnismöglichkeiten hinsichtlich der Anverwandlung und Aneignung des Wissens über die Kultur des Reiselandes im Empfängerkontext, wobei beide Texte zu eher ernüchternden Ergebnisse kommen. Während Roswitha Böhm auf die engen Grenzen hinweist, die der Bearbeitung derartiger Fragestellungen durch die prekäre Quellenlage gesetzt sind, bemerkt Bernhard Struck, dass kaum zu ermitteln sei, auf welcher individuellen und gesellschaftlichen Ebene das Wissen über die Kultur des Reiselandes gewirkt hat. Ungeachtet dieser kritischen Schlussfolgerungen präsentieren beide Aufsätze jedoch aufschlussreiche Fallbeispiele, anhand derer die Autoren Erkenntnisse über die Darstellung von Fremd- und Eigenbildern in Reiseberichten oder die Käuferschaft von Reisebeschreibungen diskutieren.

Diese Auswahl zeigt, wie vielschichtig die Fragestellungen, Ansätze und Ergebnisse der Beiträge des Sammelbandes sind, welche die Transferforschung mit innovativen Aspekten konfrontiert und ihr neue Impulse zum Weiterdenken vermittelt, so dass sich bewahrheitet, was die Herausgeberinnen in ihrer Einleitung postulieren: „Fast alle in der Transferforschung gängigen Kategorien werden erheblich geschärft, wenn man sie mit einer Geschlechterperspektive verbindet“ (S. 13f.).

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