Cover
Titel
Vanities of the Eye. Vision in Early Modern European Culture


Autor(en)
Clark, Stuart
Erschienen
Anzahl Seiten
420 S.
Preis
€ 55,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markus Friedrich, Historisches Seminar, Johann Wolfgang Goethe-Universität

„Visualität“ ist mittlerweile ein zentrales Forschungsfeld historischer Kulturwissenschaften. Noch vor nicht allzu langer Zeit war die Geschichte des Sehens häufig kaum mehr als eine spezialistische Geschichte innerhalb von naturwissenschaftlichen oder medizinhistorischen Einzeldisziplinen. Hinzu kam die Wissenschaftsgeschichte, deren traditionelle Fortschrittsgeschichte einen Zuwachs empirischer, also auf dem Prinzip der Autopsie beruhender Verfahren in der Frühen Neuzeit konstatierte. Die ‚Helden’ dieser Tradition waren etwa Andreas Vesalius für die Medizin oder Galileo Galilei für die Astronomie. Weitergehende, kulturhistorische Kontexte einer ‚Geschichte des Sehens’ blieben dagegen oft ausgespart. Am ehesten lieferte noch die Sozialgeschichte der Reformation mit ihren Untersuchungen zu den reformatorischen und reformierten Bilderstürmen einen solchen Kontext. Erfreulicherweise hat sich dieses Bild in den 1990er-Jahren zu wandeln begonnen. Mittlerweile ist die Zahl der Arbeiten, die sich der visuellen Kultur der Frühen Neuzeit zuwenden, kaum mehr zu überblicken.

Nun hat Stuart Clark ein Buch vorgelegt, das diese Diskussion in vielerlei Hinsicht neu beleben wird. Ohne Umschweife macht Clark deutlich, dass er vor den großen Fragen und der großen Thesenbildung nicht nur nicht zurückschreckt, sondern diese ausdrücklich sucht. In diesem Fall geht es um nichts Geringeres denn um eine zusammenfassende Bewertung des Sehens im 16. und 17. Jahrhundert. Clarks Buch versucht, wie bereits der Titel – ein Zitat von George Hakewill – andeutet, auf über 400 Seiten die These zu untermauern, dass das 16. und 17. Jahrhundert von einem umfassenden Vertrauensverlust in die Zuverlässigkeit des Sehsinnes geprägt sei. Dazu wählt der Autor eine Reihe miteinander verbundener Diskurse aus, in denen das Sehen – oft ganz unerwartet – einen zentralen Stellenwert hatte. So behandelt das erste Kapitel die physiologischen und erkenntnistheoretischen Grundlagen des Sehens. Die folgenden drei Kapitel analysieren natürlich, magisch und dämonisch bedingte Fehlleistungen der Augen. Es folgen Abschnitte über die religiöse Kritik am Sehen, insbesondere unter abendmahlstheologischer Perspektive, und über das theologische Verständnis von Geistern und Erscheinungen. Die Reformation bleibt auch für Clark ein zentraler Moment in der abendländischen Geschichte der Visualität, denn nun werden die visuellen Elemente des Christentums (Messe, Geistererscheinungen) auch und gerade in ihrer sinnlichen Erfahrbarkeit ambivalent und kritikfähig.

Fallstudien zu König Saul und Macbeth exemplifizieren viele dieser Aspekte dann an zwei konkreten und in den Texten omnipräsenten mythischen Gestalten. Die Kapitel über den philosophischen Skeptizismus und über Descartes bzw. Montaigne bieten gewissermaßen das philosophische Pendant zu den Diskursen der früheren Kapitel. Auch in der Geschichte der Sinne, so ließe sich zusammenfassen, konnten der reformatorische Fideismus und die skeptische Philosophie eine unintendierte, aber doch mächtige Parallelwirkung entfalten (z.B. S. 284, 290). Das letzte Kapitel diskutiert noch einmal die Folgen der Visualitäts-Krise sowie (potentielle) Auswege, wie sie paradigmatisch Descartes und Hobbes darstellen.

Immer und immer wieder zeigen diese Diskurse laut Clark, dass die frühneuzeitliche Kultur einerseits durch eine grundlegende Zentralstellung des Sehens bzw. des Gesehenen geprägt war, dessen Eindeutigkeit aber andererseits in allen angesprochenen Diskursfeldern Schritt für Schritt ausgehebelt wurde. Das Sehen war zentraler Fixpunkt und wurde doch in seiner Verlässlichkeit grundlegend kritisiert. Es ist immer wieder Clarks Anliegen, diese fundamentale und häufig auch explizierte Ambivalenz im Verhältnis zum Sehen als grundlegendes Strukturprinzip frühneuzeitlichen Denkens zu etablieren, das alle Autoren jenseits ihrer konkreten Einzelpositionen vereinte (S. 86, 110, 130, 209 u.a.). Erst die positive Integration von Zweifel bzw. Unsicherheit in das Denken konnte diese Krise der Visualität überwinden, indem nicht-repräsentative Theorien des Sehens entwickelt wurden (S. 329, 337).

Der prominenteste Akteur in Clarks Buch ist wohl der Teufel. In der einen oder anderen Weise kreisen die meisten der vorgestellten Argumentationsstränge darum, dass man beim Sehen immer mit der Möglichkeit zu rechnen hatte, einer teuflischen oder dämonischen Manipulation zu unterliegen. In einer Welt, die den Dämonen grundsätzliche eine derartige Wirksamkeit zubilligte, dass sie von Gottes Macht nur mit Mühe unterschieden werden konnte, ist – so Clarks Grundtenor – potentiell jegliche visuelle Erfahrung nur eine teuflische Täuschung in böser Absicht. Damit erlangt die Dämonologie, seit jeher Clarks Spezialität, auch für die Geschichte der Sinne eine umfassende Relevanz, deren philosophische Quintessenz im Descartes’schen Dämon zu beobachten ist. Weit über das vergleichsweise begrenzte Feld der natürlichen und magischen Täuschungen und Illusionen hinaus reicht damit die Unsicherheit. Die Dämonologie, so kann man Clarks Buch zusammenfassen, ist letztlich der Ermöglichungsgrund einer umfassenden Täuschungshypothese, vor der nichts bestehen kann (S. 125, 316). Der philosophische Skeptizismus systematisiere in erkenntnistheoretischer Perspektive damit letztlich nur eine umfassende Unsicherheit, die ihm eigentlich vorgängig ist (etwa S. 269).

Mit dieser sehr pointierten Ausrichtung seiner Argumentation auf die Bereiche von Dämonologie, Erscheinungen, Geistern, Hexerei usw. bringt Clark ein bisher kaum angemessen gewürdigtes Themenfeld ins Zentrum der Geschichte des Sehens. Hier liegen zweifellos auch die innovativsten Aspekte seines Buchs. Zugleich könnte man diesen spezifischen Blick auf die Visualität der Frühen Neuzeit als methodischen Ausgangspunkt dafür nehmen, die Geschichte des Sehens (endlich) aus ihrer Verankerung in den ‚hochkulturellen’ Diskursen der gedruckten Traktate zu befreien. Clark selbst geht diesen Weg kaum, doch bieten beispielsweise seine Bemerkungen zur Relevanz der Hexereibekämpfung für die Geschichte der Sinne zahlreiche Hinweise, wie eine solche Alltagsgeschichte des Sehens aussehen könnte. Wenn Clark die edierten Akten der Spanischen Inquisition zitiert (S. 144f.), in denen Alonso de Salazar 1612 die Rolle des Sehens in einem konkreten Hexereifall diskutiert, so ist damit angezeigt, welche Quellenbestände sich in Zukunft für eine Analyse der Sinne anbieten könnten, die über die gelehrten Abhandlungen hinausgehen will. Eine ähnliche Anregung könnten die Andeutungen zur obrigkeitlichen Kontrolle der Gaukler und Schausteller sein (S. 82), die sich ebenfalls mittels weiterer Quellenbestände ausbauen lassen dürften. Auch die Praxis der Wunder- und Erscheinungsbeurteilungen durch kirchliche Instanzen in Kanonisationsprozessen und ähnlichen Kontexten wird von Clark angesprochen (S. 223), ohne dass dies weiter verfolgt wird.

Clarks Buch ist zweifellos ein grundlegender Beitrag zur frühneuzeitlichen Geschichte des Sehens. Es ist ein Werk von stupender Gelehrsamkeit, sowohl was die eigene Aufarbeitung der Quellenbestände angeht als auch hinsichtlich der Syntheseleistung. Die Bibliographie ist umfassend, wenngleich man einige einschlägige Titel, etwa von Carl Havelange oder Peter Bexte, vermisst. Die Darstellung ist durchweg hervorragend lesbar, allerdings reihen sich die Quellenbelege oftmals langatmig und repetitiv aneinander. Damit wird zwar eine Vielzahl von Quellen erwähnt und erschlossen, allerdings ist der Leser gezwungen, sich immer wieder durch ähnliche Präsentationen desselben Arguments zu arbeiten. Insgesamt hätte der Arbeit eine deutliche Straffung deshalb sehr gut getan. Doch diese Bemerkungen können die Gewichtigkeit von „Vanities of the Eye“ nicht beeinträchtigen. An Hand einer Reihe von bisher ungenügend berücksichtigten Diskursen hat Stuart Clark nicht nur eine wichtige Ergänzung zur bisherigen Blickrichtung vorgelegt, sondern durch seine starke These auch einen interpretatorischen Referenzpunkt gesetzt. Ob zustimmend, kritisierend oder weiterführend – an Clarks Buch wird zukünftig kein Weg vorbei führen.

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