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Titel
Der Rote Baron. Die ganze Geschichte des Manfred von Richthofen


Autor(en)
Castan, Joachim
Erschienen
Stuttgart 2007: Klett-Cotta
Anzahl Seiten
360 S.
Preis
€ 24,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rüdiger von Dehn, Bergische Universität Wuppertal

Die ersten 100 Seiten der umfassenden Biographie über Manfred Freiherr von Richthofen erinnern durchaus an die Jahre 1914 bis 1918, scheint die Darstellung doch selbst im Stellungskrieg zu versinken. Weder geht es nach vorne noch zurück. Vielmehr schwingt die Beschreibung des Lebensbildes vom „Roten Baron“ inhaltlich einfach nur hin und her, verteilt auf zwölf Kapitel. Thematisch lassen sich diese wieder in drei große Teilbereiche aufschlüsseln.

In den ersten fünf Kapiteln folgt der Historiker und Dokumentarfilmer Joachim Castan der schrittweisen Persönlichkeitsentwicklung Manfred von Richthofens. Hinweise auf die Familie des Barons, sein Selbstverständnis als Offizier wie auch seine anfänglich naiv wirkende Vorstellung vom Krieg, den er im Rang eines Ulanen-Leutnants von August 1914 an mitmacht, bilden den Rahmen für die vorliegende Charakterstudie. Die Kapitel 6 bis 9, die den größten Teil des Werkes ausmachen, beschreiben den Weg von Richthofens zum neuen, für das Kaiserreich so propagandistisch wirksamen Status des „Roten Barons“ im Luftkampf über der Westfront. Die Kapitel 10 bis 12 sind seinem Tod 1918 und der seit 1919 wirkenden Kraft des Mythos’ „Manfred von Richthofen“ gewidmet. Abgerundet wird die Darstellung in einer weiteren zusammenfassenden, aber wenig überzeugenden Schilderung über den „Menschen“, der sich hinter dem Jagdfliegerhelden verbarg. Es sind zu viele einzelne Szenen, die vom Leser zusammengefügt werden müssen, um ein komplettes Bild des „Red Devil“ in seiner symbolbeladenen Fokker Dr. I zu bekommen. Wie ein Schleier legen sich dabei Beschreibungen allgemeiner historischer Ereignisse des beginnenden 20. Jahrhunderts über den gesamten Textkorpus. Ein ausgewogenes Literaturverzeichnis stützt schließlich den Anmerkungsapparat, der an manchen Stellen hätte deutlich ausgeweitet werden können.

Wie gestaltet sich der Inhalt einer Biographie, in der erstmals Quellen aus dem Familienarchiv derer von Richthofen eingebunden wurden, deren Interpretation aber auch an sehr suggestiv wirkende Fragestellungen gebunden ist? Schon im ersten Kapitel wird der vielfältige Anspruch des Buches formuliert: Einerseits soll hinter dem Mythos und dem „Markenartikel“ der Mensch von Richthofen beschrieben und analysiert werden. Hierzu kommen zahlreiche Zeitgenossen, besonders seine Mutter und die Kameraden, zu Wort, um ihre persönlichen Eindrücke über den einstigen Kavallerie-Offizier in den Kriegsjahren zu schildern. Andererseits werden die Klischees über die Jagdfliegerei und den „Roten Baron“ ausgewertet, die über viele Jahre hin das Bild von ihm bestimmten. Castan will sich nicht mit der positivistischen Beschreibung vom Leben und Sterben des Freiherrn begnügen.

Daher werden etwa die familiären Hintergründe und die Beziehungen des jungen Manfred zu seinem Vater ausgeleuchtet. Letzterer war von seinen eigenen Hoffnungen auf eine erfolgreiche Militärkarriere enttäuscht, was für den weiteren Lebensweg seines Sohnes nicht ohne Folgen blieb. Der dominanten Mutter dagegen gelang es, die Familie über zwei Weltkriege hinweg zusammenzuhalten. Seine ersten Verdienste als Soldat erwarb sich von Richthofen 1914 bei der Kavallerie an der Ostfront, bevor er in die „Blutmühle“ von Verdun versetzt wurde. Von hier aus führte der Weg des preußischen Aristokraten bald zur Fliegerei, die sich für ihn zunächst ganz auf Aufklärungsmissionen und Bombenangriffe beschränkte. Entscheidend war hier die Begegnung mit Oswald Boelcke, dem „Vater der deutschen Jagdfliegerei“. Etwas seltsam wirkt es, wenn Castan formuliert, der spätere „Rote Baron“ sei zunächst zum Flugbeobachter „mutiert“. Fragwürdig sind wohl auch die Vergleiche der Mentalität von Richthofens zu der eines U.S.-Marineinfanteristen. Mit etwas Mühe lässt sich hier bereits erahnen, worauf Castan mit seiner Beschreibung hinaus will: Schon 1915 sieht er in von Richthofen einen paranoiden Jäger, der Spaß am Töten hat und möglichst bald möglichst viele Orden vorweisen möchte. Im fünften Kapitel wird sogar die Kriegspsychologie zu Rate gezogen, um den Charakter des Freiherrn weiter zu entschlüsseln.

Etwas abrupt folgt ein Abriss über die Bedeutung Anthony Fokkers für die Entstehung der deutschen Luftstreitkräfte, um anschließend den Leser wieder in das Kriegsgeschehen von 1916 zu versetzen. Sieht man von der bisweilen übertriebenen Dramatik mancher Kampf-Beschreibungen ab, wirkt es geradezu erfrischend, dass den abgeschossenen Gegnern des Fliegerbarons eine klare Identität gegeben wird. Mit dem sechsten Kapitel erreichen sowohl das Buch, als auch von Richthofens Karriere ihre Höhepunkte. Der Mythos des „Red Devil“ wird geboren. Er wurde auf deutscher Seite dank der kaiserlichen Propaganda ausgeschlachtet und durch die Abfassung der Autobiographie „Der Rote Kampfflieger“, aus der immer wieder ausführlich zitiert wird, weiter verfestigt. Garant für von Richthofens Erfolge im Kampf war die Aussicht auf die Verleihung des Ordens Pour le Mérite. Auf die Analyse der größten Erfolge im Jahr 1917 schließt ein Abriss über die inneren und äußeren Belastungen an, denen die Jagdflieger sich im Kampf ausgesetzt sahen.

Einmal mehr stellt sich hier die Frage, ob es die Aufgabe des Historikers sein kann, Lebensbilder nach den Methoden Freuds zu entwerfen, ist das siebte Kapitel doch ganz der Tiefenpsychologie und der Bedeutung des Luftkampfes auf den menschlichen Organismus gewidmet. Im achten Kapitel folgt die Einführung des berühmten Dreideckers von Fokker sowie die endgültige Vereinnahmung der Person von Richthofens durch die deutsche Propaganda, um noch im Angesicht der Niederlage 1918 einen unzweideutigen Helden präsentieren zu können. Zunehmend zeigt sich, dass nun die Jagdflieger als Elite der kaiserlichen Armee verheizt wurden. Auch von Richthofen wurde sich dieser Entwicklung mehr und mehr bewusst. Eine Verwundung im Jahr 1917 gab ihm Anlass genug, über den Sinn eines Krieges nachzudenken, an dem er immer mehr zu zweifeln begann. Castan versteht zu zeigen, dass der propagandistische Druck und die an von Richthofen gestellten Erwartungen ihn innerlich langsam zerbrechen ließen.

Folglich wird die Endzeitstimmung an der Front und im Jagdgeschwader von Richthofen von Seite zu Seite deutlich spürbarer. Das zehnte Kapitel umrahmt die letzten Tage im Leben von Richthofens, wobei auch hier auf eine atmosphärische, dichte Beschreibung Wert gelegt wird. Nochmals werden all die Personen in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt, die eine Bedeutung für das Leben des erst 25jährigen Offiziers besaßen, bevor dieser am 21. April 1918 von australischen MG-Schützen abgeschossen wurde. Offen bleibt dabei die Frage, warum Castan allen „Wahrheiten“ über die Todesumstände nachgeht, wenn diese in seinen Augen doch kaum von historischer Bedeutung sind. Nichtsdestotrotz: der Ruf Manfred von Richthofens lebte weiter.

Die Fortsetzung des Mythos vom „Roten Baron“ erstreckte sich über die Instrumentalisierung der Jahre 1933-1945 durch Hermann Göring bis hin zum neuen Traditionsverständnis der Bundesluftwaffe: 1959 wurde von Richthofen zum Namensgeber eines neu aufgestellten Jagdgeschwaders erkoren. Kritiken über die einschlägigen Kino-Machwerke von 1971 bis zu einem für 2008 angekündigten Spielfilm werden im Anschluss an das Lebensbild noch mitgeliefert, womit der Weg offen ist für Castans abschließende Bewertung des Charakters. Knapp an einem Borderline-Syndrom soll der wenig gebildete Offizier und passionierte Jäger gestanden haben, zudem soll er von seinem Vater ins Soldatensein gezwungen worden sein, was es ihm schließlich kaum möglich machte, seine Kindheit auszuleben. Castan zufolge wuchs von Richthofen auf der Suche nach einem Ersatz für die fehlende Mutterliebe zu einem wahren Menschenjäger heran – eine nur bedingt überzeugende Bilanz der Lebensbeschreibung.

Insgesamt eignet sich das Werk dennoch als Einstieg in die Beschäftigung mit der Luftkriegsgeschichte in den Jahren 1914 bis 1918; es werden dabei deutlich mehr als bloße Grundkenntnisse vermittelt. Doch springt die Darstellung thematisch viel zu sehr, als dass sich der Eindruck einer ausgewogenen Reflexion der Propagandaikone und des Menschen von Richthofen einstellt. Castans Suggestion, sich in die Person Manfred von Richthofens hineinzuversetzen, überzeugt ebenso wenig. Dennoch wird in dieser insgesamt gut geschriebenen Biographie auch der Experte Details finden, die für eine tiefgründige Auseinandersetzung mit dem „Roten Baron“ noch von Bedeutung sein können.

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