B. Gibson (Hrsg.): Statius, Silvae 5

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Titel
Statius, Silvae 5. Edited with introduction, translation, and commentary


Herausgeber
Gibson, Bruce
Reihe
Oxford classical monographs
Erschienen
Oxford u.a. 2006: Oxford University Press
Anzahl Seiten
LII, 492 S.
Preis
£ 80.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Habermehl, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften

Dem fünften Buch von Statius’ Silvae, einem der enigmatischsten Gedichtzyklen flavischer Provenienz, widmet sich die kommentierte Ausgabe von Bruce Gibson, die aus einer Oxforder Dissertation von 1995 hervorgegangen ist. Angesichts des alexandrinischen Charakters der Silvae kommt der theoretischen Diskussion in Gibsons Buch eine Schlüsselrolle zu. Dies zeigt bereits die Einführung, die sich auf drei essentielle Punkte konzentriert: das ‚Wesen der Silvae‘ (fein herausgearbeitet werden die kallimacheischen Momente des Werks), Besonderheiten des fünften Buchs (teilweise lassen sie sich aus dessen vermutlich posthumer Publikation erklären, so Gibson im Anschluss an Markland), und die dominierende Rolle der consolatio in Statius’ Schwanensang (drei der fünf Gedichte sind Toten- und Trauerlieder). Ihr widmet Gibson einen eigenen Essay. Originell sind seine Bemerkungen zum ‚Verschmelzen‘ zweier Stimmen – Tröstendem und Getröstetem – in Statius’ lyrischem ‚Ich‘. Dieser Befund trägt freilich nicht Gibsons Schlussfolgerung, der in den Epikedien deshalb eine ‚anti-konsolatorische‘ Tendenz ausmacht. Die poetisch-ästhetische Gestaltung seines Schmerzes, in die Statius soviel Liebesmüh investiert (wie Gibson selbst festhält, z.B. S. XXXVIf.), belegt nicht etwa die Trost-losigkeit seiner Poesie, sondern ist auf ihre Weise ‚Trauerarbeit‘ – und damit letztendlich consolatio in eigener Sache.

Integraler Bestandteil des Bandes ist ein neuer Text. Über die Prinzipien seiner Textgestaltung hätte Gibson unbesorgt ein paar Worte verlieren dürfen. Dass er etwa den Archetypen, den Matritensis, vor Ort neu kollationiert hat, erfährt man einzig aus der Danksagung (S. VIII). Dienlich wäre auch ein Register der Abweichungen von der derzeit maßgeblichen Ausgabe Courtneys (für Irritationen gut sind vereinzelte Lemmata im Kommentar – so etwa zu 5,70 –, die vom eingangs gedruckten Text abweichen). Hier endet aber auch schon die kleinliche Kritik. Gibsons Text zeugt von einer intensiven Auseinandersetzung mit der Überlieferung wie mit den Anstrengungen ganzer Philologengenerationen seit den Tagen der Humanisten – und von einem ausgesprochenen Mut zur Konjektur. Die ersten Leser seines Manuskripts – Steven J. Heyworth, Michael Winterbottom, Leofranc Holford-Strevens – haben solide Vorschläge beigesteuert. Vor allem jedoch 15 Konjekturen von Gibson selbst finden sich im Text (5,1,66. 83. 191; 5,2,54; 5,3,42. 105. 113a. 217. 240; 5,5,1. 11. 45. 70. 80. 85). Manches ist eher exempli gratia zu verstehen; einige seiner Einfälle besitzen aber Eleganz und Schlagkraft, die ihnen auch in künftigen Editionen einen Platz sichern dürfte.

Zum Tragen kommen die philologischen Tugenden, die Text und Apparat verraten, in dem reichen Kommentar. Nirgendwo ist Gibson besser als in der Diskussion der heiklen Überlieferung. Mit didaktischem Geschick bespricht er diffizile oder verderbte Passagen des Matritensis, geht auch die ausgefallensten Eingriffe und Heilungsversuche durch und wägt salomonisch zwischen den vielen Varianten und Konjekturen ab. Dass er aber auch für inhaltliche Fragen und Realien jeder Couleur ein Auge hat, mag ein Blick auf das längste Gedicht des Buches belegen (silv. 5,3) zum Tod des Vaters – ein überaus schwieriger Text mit vielen anrührenden Passagen (ein kleines Juwel ist etwa das Gleichnis vom Vater des Olympioniken im Stadion, V. 220–224). So deutet er neben dem vertrauten Efeu die ominöse Chiffre der Eibe (V. 8), entschlüsselt die kallimacheische Anspielung in dem Epitheton ornans trepidam (V. 9), sammelt entlegene Nachrichten zur Figur Erigones (V. 74) oder paraphrasiert Statius’ harte Kritik an Andromache (V. 78–79). Ein subtiles etymologisches Spiel spürt er in der Juxtaposition pater – ingenium auf (V. 28) oder sagt in einem höchst ökonomisch organisierten Absatz alles Notwendige zum gerne besungenen ‚singenden Schwan‘ (V. 80–81). Wenn Statius in der Schwebe lässt, ob der Entschlafene im Äther weile oder im Elysium, ist dies weniger ein Zeichen theologischer Unsicherheit als vielmehr traditionelles Motiv der consolatio (S. 276). Und in der Apostrophe genitor praedocte (V. 3) entdeckt Gibson in nuce die beiden Themen des Gedichts, die Beziehung zwischen Vater und Sohn und die beeindruckende (mitunter offenbar fast erdrückende) poetische Dominanz des Vaters (S. 268). So geht es weiter bis zum rührend-rätselhaften Schluss des Textes, wo Statius den Verstorbenen bittet, er möge sich ihm doch einmal im Traum zeigen – und Gibson die drei dunklen Exempla Numa, Scipio und Sulla ausleuchtet, von denen unversehens die Rede ist. Nur an einer Stelle vermisst man ein Detail: Wenn V. 66–68 eine junge Witwe sich auf den Scheiterhaufen ihres Gemahls werfen will, denkt man unweigerlich an die indische Sati, deren spektakuläres Los im Gefolge des Alexanderzugs in Hellas und Rom kolportiert wurde.1

Gibsons kritische Ausgabe bietet nicht nur einen umsichtig edierten Text auf der Basis aller relevanten Textzeugen und neuzeitlichen philologischen Bemühungen. Sie verortet Statius’ Unternehmen in der reichen Tradition hellenistischer und kaiserzeitlicher Dichtung und identifiziert (auch dank des überaus detailfrohen Kommentars) zum ersten Mal in der modernen Sekundärliteratur Silvae 5 als essentiellen Beitrag zur überaus facettenreichen flavischen Literatur. Der Band wird uns lange begleiten.

Anmerkung:
1 Vgl. vor allem Strab. 15,1,30 u. 62; Diod. 19,33–34.

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