R. Jaworski u.a. (Hrsg.): Die Besetzung des öffentlichen Raumes

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Titel
Die Besetzung des öffentlichen Raumes. Politische Plätze, Denkmäler und Straßennamen im europäischen Vergleich


Herausgeber
Jaworski, Rudolf; Stachel, Peter
Erschienen
Berlin 2007: Frank & Timme
Anzahl Seiten
465 S.
Preis
€ 39,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rainer Pöppinghege, Historisches Institut, Universität Paderborn

Die Erkenntnis, dass öffentliches Leben im öffentlichen Raum stattfindet, ist wahrlich nicht neu. Beispielsweise kann die „Politik der Straße“ geradezu als Wesensmerkmal politischer Auseinandersetzungen gegen Ende der Weimarer Republik betrachtet werden. Die öffentlichen Ereignisse hinterlassen sowohl im individuellen als auch im kollektiven Gedächtnis ihre Spuren; nicht selten mutieren sie gar zu Erinnerungsorten einer Nation oder Gesellschaftsgruppe. Dass der öffentliche Raum sich symbolhaft aufladen lässt, haben grundlegende Arbeiten gezeigt, etwa die in Deutschland und Frankreich mit großem publizistischem Erfolg aufgelegten Inspektionen nationaler Erinnerungsorte durch Pierre Nora bzw. Etienne François und Hagen Schulze.1

Der vorliegende Band folgt diesen Wegmarken kollektiven Erinnerns und untersucht zum Beispiel architektonische Ensembles, innerstädtische Plätze, Denkmäler und Denkmalstürze, Literatur, Straßennamen und Feierlichkeiten als nationale bzw. ethnische Identifikationsangebote. Der Band geht auf die Tagung „Die Besetzung des öffentlichen Raumes“ zurück, die 2004 in Prag stattfand2; die dortigen Vorträge wurden um weitere Beiträge ergänzt. Der Untertitel „…im europäischen Vergleich“ führt etwas in die Irre, da es sich bei den Einzelstudien mehrheitlich um Beispiele aus ost(mittel)europäischen Staaten handelt, ergänzt durch Untersuchungen zum deutschsprachigen Raum. Den Analysewert schmälert dies nicht, da die Deutungshoheit angesichts der zahlreichen politischen Umbrüche im 20. Jahrhundert gerade in den mittel- und osteuropäischen Staaten besonders heftig umkämpft war. Dennoch wäre ein Vergleich mit west- oder nordeuropäischen Staaten interessant, in denen die Nationalitätenkonflikte nicht mit derselben Schärfe ausgetragen wurden. Die zunächst stimmig wirkende These, dass die öffentliche Symbolik immer dann zum Zankapfel wird, wenn politische Umwälzungen stattfinden oder Nationalitätenkonflikte greifbar werden, müsste an vergleichsweise „homogenen“ Nationalstaaten überprüft werden.

Trotzdem bieten die insgesamt 22 Aufsätze – zu den Autoren finden sich nur E-Mail-Adressen, jedoch keine biographischen Hinweise; es handelt sich dem Anschein nach vorwiegend um Historiker und Literaturwissenschaftler – in vier Kapiteln erhellende Einsichten in die politische Funktionalisierung der Untersuchungsgegenstände: angefangen von der ersten Sektion, die sich mit „Plätze[n] als Brennpunkte[n] politischer Öffentlichkeit“ befasst, über „Materielle und immaterielle Denkmäler“ und „Straßennamen“ bis hin zu „Imaginäre[n] und reale[n] Raumkonstruktionen“. Das Kapitel über die öffentlichen Plätze ist mit Fotos ausgestattet; in den übrigen Kapiteln ist das Bildmaterial spärlicher. Wie kompliziert die memorialen Zuschreibungen waren, zeigt etwa Martin Moll am Beispiel öffentlicher Feste in der Steiermark um 1900. Im habsburgischen Vielvölkerstaat erhielt das Hissen der schwarz-rot-goldenen Flagge anlässlich eines Wohltätigkeitsfests in Graz im Jahr 1901 eine deutschnationale Konnotation, die den Zusammenhalt der österreichischen Monarchie bedrohen konnte. Bernadette Reinhold widmet sich dem Wandel des Symbolgehalts am Beispiel von Wiener Plätzen. Neben dem Heldenplatz als nationalem Platz deutet sie den Schwarzenbergplatz als „politisierten“ Platz (S. 89), der als Ort rivalisierender nationaler Identitätskonstruktionen fungierte.

Einige Aufsätze beschäftigen sich weniger mit der architektonischen Gestaltung als vielmehr mit der Benennung von Straßen und Plätzen. Als Erinnerungsorte werden Straßennamen erst in jüngster Zeit wahrgenommen3; im Standardwerk von François/Schulze fehlten sie noch. In einem lesenswerten Beitrag schildern Dietz Bering und Klaus Großsteinbeck die preußisch-militaristische Aufladung Kölner Straßennamen zur Zeit des Wilhelminismus. Der „Preußenfixierung“ nationaler Kreise konnte die Stadt nur bedingt ihre lokale konfessionelle Erinnerung entgegensetzen. Es entstanden zahlreiche Straßennamen, die die militärischen Ereignisse des 19. Jahrhunderts würdigten, während demokratische Traditionen auch zur Zeit der Weimarer Republik kaum eine Chance besaßen, auf ein Straßenschild zu gelangen. Im multiethnischen Prag dagegen diente die Benennungspolitik nicht zuletzt der Durchsetzung ethnisch-nationaler Hegemonialansprüche, wie Václav Ledvinka zeigt. Im konkreten Fall verfolgte die Habsburger Monarchie eine mehr oder minder konsequente Eindeutschungspolitik, die jedoch bei entsprechenden politischen Konstellationen vom tschechisch dominierten Stadtrat konterkariert wurde. Wie stark sich die Umbrüche in Ost- und Mitteleuropa im öffentlichen Raum bemerkbar machten, zeigt das Prager Beispiel sehr plastisch: Von den heute existierenden 6.550 Benennungen öffentlicher Räume wurden mehr als 3.000 seit Mitte des 19. Jahrhunderts geändert – teilweise bis zu sechsmal (S. 343).

Die oben erwähnte thematische Breite des Bandes kann nur zum Teil überzeugen. Zwar wird dadurch erkennbar, welcher vielfältigen „Medien“ sich die Erinnerungs- und Symbolpolitik bedient. Dennoch wäre weniger mehr gewesen – im Sinne größerer Kohärenz. Prinzipiell ist dem Band eine solche zwar nicht abzusprechen, doch einige (wenige) Artikel weiten das Spektrum zu sehr aus – und dies nicht zum Nutzen analytischer Trennschärfe. Als lieux de mémoire muss dann so ziemlich alles herhalten, was „irgendwie“ mit geschichtlichen Konnotationen behaftet ist. Ein Roman d’Annunzios (Federico Celestini) oder auch historische Dramen (Elisabeth Großegger) können auf ihre historischen Aussagen hin analysiert werden, doch führt dies im Kontext des Tagungsbands trotz hoher Qualität der Einzelbeiträge nicht viel weiter und belegt einmal mehr, dass das Konzept der „Erinnerungsorte“ ebenso vielschichtig wie diffus ist. Den Kern des Bandes bilden – wie es der Untertitel auch angibt – eigentlich jene Artikel, die sich mit Codierungen und Umcodierungen von Denkmälern, öffentlichen Plätzen und Straßennamen befassen. Dabei wird deutlich, dass eine systematische Untersuchung der zeitbedingten Zuschreibungen ein feingliedriges Analyseinstrument für die Selbstwahrnehmungen und -darstellungen einzelner Gruppen, Ethnien oder Gesellschaften liefert.

Anmerkungen:
1 Nora, Pierre (Hrsg.), Les lieux de mémoire, 7 Bde., Paris 1984–1992; ders. (Hrsg.), Erinnerungsorte Frankreichs, München 2005; François, Etienne; Schulze, Hagen (Hrsg.), Deutsche Erinnerungsorte, 3 Bde., München 2001.
2 Siehe dazu den Bericht von Heidemarie Uhl: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/id=590> (25.10.2007).
3 Sänger, Johanna, Heldenkult und Heimatliebe. Straßen- und Ehrennamen im offiziellen Gedächtnis der DDR, Berlin 2006 (rezensiert von Cornelia Siebeck: <http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/rezensionen/2007-2-047> [25.10.2007]); Pöppinghege, Rainer, Wege des Erinnerns. Was Straßennamen über das deutsche Geschichtsbewusstsein aussagen, Münster 2007.

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