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Titel
Terrorismo e società. Il pubblico dibattito in Italia e in Germania negli anni Settanta


Autor(en)
Tolomelli, Marica
Erschienen
Bologna 2006: Il Mulino
Anzahl Seiten
295 S.
Preis
€ 22,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Petra Terhoeven, Seminar für Mittlere und Neuere Geschichte, Georg-August-Universität Göttingen, z.Zt. Deutsches Historisches Institut Rom

Nachdem Marica Tolomelli bereits vor einigen Jahren eine komparative Analyse der Beziehungen zwischen Arbeiterschaft und protestierenden Studenten in der italienischen und deutschen 68er-Bewegung vorgelegt hat1, erweist sich die Bologneser Zeithistorikerin auch in ihrer jüngsten Publikation als gut informierte Kennerin italienischer wie bundesrepublikanischer Verhältnisse im betreffenden Zeitraum. Diesmal hat sie in einer literatur- wie quellengesättigten Studie die Reaktionen beider Gesellschaften auf die (höchst unterschiedlich dimensionierte) linksterroristische Bedrohung der 1970er-Jahre in den Blick genommen – eine willkommene Ergänzung der mit dem Namen Donatella Della Portas verbundenen komparativen Untersuchungen der Radikalisierungsdynamik italienischer und deutscher Terrorgruppen.2 Anhand eines Vergleichs der öffentlichen Debatten aus Anlass der Schleyer- bzw. Moro-Entführung möchte Tolomelli Unterschiede und Gemeinsamkeiten im Konfliktverhalten beider Gesellschaften herausarbeiten, aber auch generelle Aufschlüsse über das Verhältnis zwischen Zivilgesellschaft und staatlichen Institutionen, über Mechanismen der Meinungsbildung und Strategien nationaler Selbstvergewisserung gewinnen. Das Auftauchen antisystemischer politischer Gewalt, argumentiert Tolomelli, provozierte in beiden Ländern sehr kontrovers geführte Auseinandersetzungen um die Grundlagen staatlicher Legitimität, die während des „Deutschen Herbstes“ bzw. in den 55 Tagen der Moro-Entführung kulminierten.

Nach einem einführenden methodischen Teil, in dem sie vor allem ihren Öffentlichkeitsbegriff expliziert, stellt die Verfasserin zunächst Protagonisten, Funktionsmechanismen und Grundmuster des Terrorismus-Diskurses in beiden Ländern vor. In einem zweiten Schritt werden daraus grundsätzlichere Aussagen zur politischen Kultur abgeleitet. Neue Akzente kann Tolomelli vor allem bei der Herausarbeitung der unterschiedlichen Rolle der Intellektuellen setzen, die sich nördlich der Alpen zu engagierten „Verteidigern der Republik“ und der durch die Verfassung garantierten Grundrechte machten3 – während im Süden enorme Vorbehalte gegen eine Solidarisierung mit dem (ungleich massiver) bedrohten Staatswesen bestanden. Anders als in der Bundesrepublik, wo kritische Geister im Rahmen einer vor allem parteipolitisch motivierten, anti-intellektuell gefärbten Diffamierungskampagne der CDU/CSU-Opposition zu mehr öffentlicher Zurückhaltung angehalten wurden, appellierte die italienische Presse – namentlich diejenigen Blätter, die der inzwischen zur staatstragenden Kraft mutierten kommunistischen Partei nahestanden – wiederholt an die Kulturschaffenden, angesichts der dramatischen Ereignisse ihr Schweigen zu brechen, das man ihnen als mangelnde demokratische Gesinnung auslegte. Eine solche politische Positionsbestimmung wurde von den allermeisten italienischen Intellektuellen aus einer tiefen Skepsis gegenüber einem mit Parteienprotektionismus und Korruption identifizierten, christdemokratisch monopolisierten Staatsapparat jedoch schlicht verweigert.

Dieses Gefühl völliger politischer Entfremdung blieb nicht auf intellektuelle Kreise beschränkt. Tolomelli spricht für die 1970er-Jahre von einem „Zusammenbruch der Staatsloyalität“ auf breiter Front, der zeitgenössischen Beobachtern das Gefühl gab, einem „Showdown“ der italienischen Demokratie beizuwohnen (S. 250). Die Autorin macht für diese Erosion gleichermaßen Phänomene der longue durée als auch zeitgenössische Fehlentwicklungen innerhalb der Institutionen und politischen Parteien verantwortlich. Vor diesem Hintergrund habe sich die Kritik der außerparlamentarischen Linken in Italien teilweise so stark radikalisiert, dass sie sich mit der gegen das System gerichteten Fundamentalopposition der gewaltbereiten Gruppierungen traf – anders als in Westdeutschland, wo die staatskritische Linke zwar Demokratiedefizite anprangerte, die Daseinsberechtigung der Bundesrepublik jedoch in der Regel nicht grundsätzlich in Frage stellte. Angesichts der Gerüchte um den bewussten Einsatz einer „Strategie der Spannung“ durch hohe Regierungs- und Geheimdienstkreise bzw. die Existenz eines regelrechten „Doppelstaats“, die sich im fraglichen Zeitraum verdichteten (und später zumindest teilweise bewiesen werden konnten), erschien die Verletzung des staatlichen Gewaltmonopols in Italien, ganz anders als in der Bundesrepublik, kaum als gravierender Tabubruch. Hinzu kam die im Vergleich mit Deutschland ungleich größere Gewöhnung an Gewalt im öffentlichen Leben – als historische Hypothek wie als zeitgenössische Erfahrung.

Gerade das Gefühl einer fundamentalen Destabilisierung des Gemeinwesens ist es laut Tolomelli jedoch gewesen, das schließlich zu einem Aufbäumen der italienischen Zivilgesellschaft, einer Neubewertung des Staates im Sinne eines gemeinsamen Gutes und der breiten gesellschaftlichen Absage an die in den Folgejahren weiter eskalierende linksterroristische Gewalt geführt habe. Auch die vielgeschmähten Intellektuellen hätten durch ihr Pochen auf dem Recht auf Dissens letztendlich zu einer heilsamen Pluralisierung der Debatten beigetragen. Noch positiver sieht Tolomellis Fazit für die Bundesrepublik aus, für die sie sich dem Urteil anschließt, dass der Linksterrorismus trotz vorübergehender Sympathisantenhysterie und autoritärer Reaktion der Politik letztlich eine weitere Demokratisierung nicht dauerhaft verhindert, sondern sogar als Katalysator eines Reifungsprozesses hin zu mehr Bürgersinn („cultura di cittadinanza“) und Konfliktbereitschaft gedient habe.4

Diese Beobachtungen sind für sich genommen nicht neu, gewinnen aber durch die vergleichende Perspektive zweifellos an Tiefenschärfe. Aus deutscher Sicht besteht Tolomellis größtes Verdienst wohl darin, dass sie einem italienischen Publikum, das nach wie vor auf eine wissenschaftlich fundierte Darstellung des deutschen Linksterrorismus in italienischer Sprache wartet (während etwa die Erinnerungen eines Peter-Jürgen Boock übersetzt sind), gut informiert und in wohltuend unaufgeregter Weise einen Einblick in die Licht- und Schattenseiten bundesdeutscher Befindlichkeiten der 1970er-Jahre vermittelt. Der direkte Vergleich mit Italien dürfte dazu beitragen, den Nebel aus Mythen und Schauergeschichten weiter zu lichten, der viele Italiener beim Gedanken an den „Deutschen Herbst“ immer noch frösteln lässt. Das Wort „Selbstmord“ mochte Tolomelli gleichwohl bei der Schilderung der „Nacht von Stammheim“ nicht in den Mund nehmen, womit sie dem längst aus der RAF selbst heraus widerlegten Mythos vom Staatsmord nicht in wünschenswerter Deutlichkeit entgegentritt – als wäre eine durch die Behörden nicht verhinderte Selbsttötung von Strafgefangenen im Hochsicherheitstrakt nicht Skandal genug.

Unterm Strich gebührt Tolomelli zweifellos große Anerkennung dafür, sich den inhaltlichen und vor allem methodischen Problemen des Vergleichs gestellt zu haben. Wem es für die Lektüre an Italienischkenntnissen mangelt, der sei auf die nach wie vor empfehlenswerte, konsequent komparativ argumentierende Untersuchung im Rahmen der „Analysen zum Terrorismus“ des Bundesinnenministeriums verwiesen.5

Anmerkungen:
1 Tolomelli, Marica, „Repressiv getrennt“ oder „organisch verbündet“. Arbeiter und Studenten 1968 in der Bundesrepublik Deutschland und in Italien, Opladen 2001.
2 Della Porta, Donatella, Social Movements, Political Violence, and the State. A Comparative Analysis of Italy and Germany, Cambridge 1995.
3 Duve, Freimut; Böll, Heinrich; Staeck, Klaus (Hrsg.), Briefe zur Verteidigung der Republik, Reinbek bei Hamburg 1977.
4 Vgl. zu dieser Deutung zuletzt die differenzierten Bemerkungen von Büchse, Nicolas, Von Staatsbürgern und Protestbürgern. Der Deutsche Herbst und die Veränderung der politischen Kultur in der Bundesrepublik, in: Knoch, Habbo (Hrsg.), Bürgersinn und Weltgefühl. Politische Moral und solidarischer Protest in den sechziger und siebziger Jahren, Göttingen 2007, S. 311-332, online unter URL: <http://www.zeitgeschichte-online.de/portals/_rainbow/documents/pdf/raf/buechse_buergersinn.pdf> 12.10.2007.
5 Steinert, Heinz (unter Mitarbeit von Hess, Henner; Karstadt-Henke, Susanne; Moerings, Martin; Paas, Dieter; Scheerer, Sebastian), Sozialstrukturelle Bedingen des „linken Terrorismus“ der 70er Jahre. Aufgrund eines Vergleichs der Entwicklungen in der Bundesrepublik Deutschland, in Italien, Frankreich und den Niederlanden, in: Bundesministerium des Innern (Hrsg.), Protest und Reaktion. Analysen zum Terrorismus, Bd. 4/2, Opladen 1984, S. 461-601.

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