I. Wigger: Die "Schwarze Schmach am Rhein"

Cover
Titel
Die "Schwarze Schmach am Rhein". Rassistische Diskriminierung zwischen Geschlecht, Klasse, Nation und Rasse


Autor(en)
Wigger, Iris
Erschienen
Anzahl Seiten
347 S.
Preis
€ 29,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Stefanie Michels, Institut für Afrikanistik, Universität zu Köln

Gegenstand von Iris Wiggers Buch, das auf ihrer Dissertation beruht, ist die so genannte "Schwarze Schmach"-Kampagne, die sich um die Besetzung des Rheinlandes durch schwarze französische und belgische Kolonialsoldaten im Anschluss an Deutschlands Niederlage im Ersten Weltkrieg entspann. Zwar kann diese Kampagne mittlerweile als wissenschaftlich relativ gut untersucht gelten, neben Christian Kollers umfangreicher Studie hat vor allem die Dissertation von Sandra Maß zentrale Aspekte ausgeleuchtet.1 Wiggers Untersuchung kann diesen Arbeiten insofern etwas hinzufügen, als sie die Kampagne explizit unter den In- und Exklusionsmechanismen "Geschlecht", "Rasse", "Nation" und "Klasse" untersucht. Sie fragt danach, welche Rolle Bilder dieser sozialen Kategorien spielten und wie sie sich zueinander verhielten. Ihre Hypothese ist, dass sie bei der gesellschaftlichen Konstruktion der "Schwarzen Schmach" ein "rassistisches Konglomerat" und "sich wechselseitig ergänzende Diskriminierungszusammenhänge" (S. 31) bildeten. Damit verortet sie ihre Arbeit in der sozialwissenschaftlichen Rassismus-Diskussion und sieht sie als "historiografisch orientierte Diskursanalyse mit ideologiekritischen Einschlag" (ebd.). Die Studie ist äußerst detailreich und kann die bisher bereits breit ausgewertete Materialbasis tatsächlich noch einmal erweitern. Wigger hat in diversen Stadt- und Landesarchiven des Rheinlands, in den Bundesarchiven, dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes sowie dem Public Records Office in London geforscht. Die Autorin selbst hebt zudem "Alltagsmaterialien" wie Romane, Theaterstücke, Karikaturen, Medaillen, Briefverschluss-Marken und Fotografien – und damit mediale Ansätze – hervor.

Die Arbeit ist in zwei Hauptkapitel unterteilt. Im ersten werden – neben der nationalen Arena – drei internationale Protagonisten der Kampagne vorgestellt: der britische Sozialist Edmund D. Morel, der damalige italienische Ministerpräsident Francesco Nitti und die US-amerikanische Schauspielerin Ray Beveridge. Der biographische und somit subjektorientierte Zugang zu diesen Konstrukteuren der Kampagne hebt sich erfreulich gegenüber solchen diskursanalytischen Arbeiten ab, die subjektive Sprechpositionen oft einebnen. Ebenso kann Wigger zeigen, dass der Diskussionsraum um die "Schwarze Schande" durchaus transnational war. Gerade die Ausführungen zu Ray Beveridge und deren Aufrufen zur Lynchjustiz zeigen, wie stark sich US-amerikanische Verhältnisse in den Diskussionen abbildeten.

Das Herzstück ihrer Arbeit stellt das zweite Hauptkapitel dar, in dem sie "alltägliche" Medien auf die Kategorien "Rasse", "Geschlecht", "Klasse" und "Nation" hin untersucht. Durch die Materialfülle kann sie in vier Unterkapiteln sehr detailreich zeigen, wie die jeweiligen Kategorien sich in der Kampagne wiederfanden. Ins Zentrum rückt die Kategorie "Geschlecht" und hier besonders der Frauenkörper, den sie als "boundary marker" beschreibt, dem jedoch nicht nur "Trennung", sondern auch "Übergänge" inhärent waren. Er wurde zum Träger von Frauenehre, nationaler Ehre und weißer "Rassenehre". Die Darstellung des nackten, weißen und vorgeblich von Schwarzen vergewaltigten Frauenkörpers schloss schwarze Frauen aus dem Opferkollektiv aus und verwies gleichzeitig auf die "Verunreinigung" der vergewaltigten Frau. Hier spielten herrschaftliche, rassistische und eugenische Diskurse ineinander, indem Selbstmord und Kindsmord für diese Frauen zur nationalen Tat stilisiert wurden. Während die Gegenüberstellung von männlicher Selbstbeherrschung und weiblicher Triebhaftigkeit sowie die Unterscheidung zwischen ehrhaften und ehrlosen Frauen dem zeitgenössischen Selbstverständnis entsprechen, überschreitet die Autorin die sichtbare diskursive Ebene, indem sie im Topos der vergewaltigen und geschändeten Frau die gewaltgetränkten Phantasien der weißen Männer sieht, die diese auf den "schwarzen Mann" projizieren und damit indirekt die alltägliche Gewalt gegen Frauen in der Weimarer Republik thematisieren. Gleichzeitig wurde das "schwache Geschlecht" zur Metapher für die hilflose Nation, wodurch sich diese vom Kriegstreiber zum Opfer wandelt und die Franzosen umgekehrt zu Tätern gemacht werden.

Diese antifranzösische Rhetorik konnte zudem noch rassisiert werden, indem die Franzosen, die "Kulturverrat" geübt hätten, selbst zu "weißen Niggern" werden. Wigger arbeitet deutlich heraus, wie gerade das Bild der französischen Frau in solcher Weise dem der deutschen Frau entgegengesetzt und die Kategorie "Frau" ebenso rassisiert wird, wie die des "Neger" feminisiert. Ebenfalls kann sie zeigen, wie willkürlich der Topos "Rasse" dabei eingesetzt wird – einerseits begrifflich differenziert zwischen "Braunen", "Gelben", "Schwarzen" bis "hinunter zu richtigen Negern" (S. 136), andererseits binär vereinfachend in zwei "Rassen", eine "weiße" und eine "schwarze", zu der alle Kolonialsoldaten gehörten. "Rassestereotype" ermöglichten die Einordnung der bloßen Präsenz der französischen Kolonialsoldaten als Erniedrigung der "weißen Rasse", unabhängig von deren tatsächlichem Verhalten. "Schwarze Herrschaft" wird gleichgesetzt mit einem Verrat an der "Herrschaft" und der "Kontrolle" der Weißen.

Diese Operation stellte den Imperialismus an sich in Frage, der darauf beruhte, dass die Weißen "zivilisatorisch" überlegen und von daher Gebieter der "Schwarzen" seien. Wigger liest dies als "wachsende Ungewissheit über die zuvor als selbstverständlich angenommene Hegemonie des weißen Imperialismus" (S. 202). Hier ist sicher anzumerken, dass Ängste vor Ohnmacht und Kontrollverlust stets ein Teil von rassisch begründeten sozialen Ungleichheiten war, und dies sowohl in Kolonialgebieten, als auch in ehemaligen Sklavenhaltergesellschaften wie den USA. Die klassenbezogene Komponente des Diskurses über die schwarzen Besatzungssoldaten – gelesen als Überwindung der innenpolitischen Gegensätze – wurde in der bisherigen Forschung zwar bereits angesprochen. Wigger aber gebührt es, diesen Aspekt reich mit Material unterfüttert zu haben. Sie kommt zu dem Schluss, dass die "Konstrukteure" der Kampagne sich an Arbeiterinnen und Arbeiter wandten und diese in besonderer Weise als Opfer der schwarzen Herrschaft darstellen. Dabei appellieren sie dafür, die Klassensolidarität durch die Rassesolidarität zu ersetzen. Zwar konnten auch Prostituierte ins weiße Kollektiv subsumiert werden, die Unterklassefrau blieb letztlich jedoch ein entbehrlicher Teil des Volkskörpers.

Gerade in Wiggers lesenswerten Ausführungen zum Komplex "Klasse" fällt auf, dass "die Kampagne" selber zum Subjekt wird und die eingangs von ihr verfolgte biografisch basierte Einordnung "der Konstrukteure" der Kampagne wieder aufgegeben wird. Die beiden Hauptteile bleiben so etwas disparat nebeneinander stehen. Es fragt sich, was außerhalb "der Kampagne" passiert und ob sie hier nicht zu stark gemacht wird. Wigger thematisiert zwar, dass die Äußerungen von Arbeitern und Arbeiterinnen unterrepräsentiert gewesen seien. Sie traten wohl eher als die Zielgruppe der Kampagne auf, wobei deren tatsächliche Bedeutung als Rezipienten unklar bleibt. Die nach dem Ersten Weltkrieg und den radikal veränderten politischen Verhältnissen in der Weimarer Republik gedemütigte Männlichkeit weißer bourgeoiser Eliten hat im Anschluss an die wegweisende Arbeit von Klaus Theweleit etwa auch Sandra Maß ins Zentrum ihrer Arbeiten gestellt.2 Deren 2006 erschienene Arbeit konnte Wigger leider nicht mehr rezipieren – sie stellt an diesem und anderen Punkten aber eine wichtige Ergänzung dar. Auffällig ist, dass Wigger den "Askari-Mythos", der sich zeitgleich in Deutschland etablierte, nicht explizit erwähnt, während Maß deutlich die Spiegelbildlichkeit dieser beiden Propagandabewegungen beschrieb. Wichtigstes Verdienst Wiggers bleibt es, gezeigt zu haben, dass die "Schwarze-Schmach"-Kampagne keineswegs nur über die Kategorie "Rasse" funktionierte, sondern dass die sozialen Ungleichheitsdistinktionen "Rasse", "Nation", "Klasse" und "Geschlecht" unentwegt ineinander übergriffen und sich auch gegenseitig substituieren konnten.

Ebenfalls stark – und im Kontext der Forschung zur Präsenz der französischen Kolonialsoldaten im Rheinland neu – sind die Ansätze eines Gegendiskurses, dem sie leider nur einen kurzen Exkurs widmet. Hierin werden sowohl die Gegenrede Frankreichs beleuchtet, als auch dessen mediale Versuche, alternative Bilder zu schaffen. Von den Atelierfotografien der französischen Kolonialsoldaten, die Wigger in Stadtarchiven fand, sind einige im Buch abgedruckt – auch das Cover ziert eine bis dato nicht veröffentlichte Aufnahme von schwarzen und weißen französischen Soldaten. Ziel Frankreichs war es, die Soldaten darauf als legitime Vertreter ihrer Armee zu inszenieren und so den drastischen Bildern der "Schwarze Schmach"-Kampagne etwas entgegenzusetzen. Wie leicht auch das "realistische" Medium der Fotografie in bestehende Stereotype eingepasst werden konnte, zeigen die von einem Deutschen später hinzugesetzten Untertitel zu Fotografien in einem privaten Fotoalbum. Hier könnten Betrachtungen des französischen Blickwinkels (auch aus französischen Archiven) sowie auf die Perspektiven der Kolonialsoldaten selber anschließen.

Auf der rein sprachlichen Ebene fällt auf, dass Wigger sich äußerst inkonsequent vom zeitgenössischen Jargon distanziert – zwar ist es richtig, keine "Begriffsquarantäne" (S. 25) zu betreiben. Andererseits bleibt ihr Text oft zu eng am zeitgenössischen Diskurs. Gerade Begriffe wie "primitive Rasse", "Mulattisierung", "Bastardisierung" und "Vernegerung" wirken, ohne in Anführungsstriche gesetzt zu werden, äußerst irritierend. Auch die "weiße" und die "schwarze Rasse" erscheinen meist ohne Anführungsstriche. Neben einigen inhaltlichen Redundanzen beeinträchtigt auch der formale Aufbau das Lesevergnügen. Von den insgesamt 335 Seiten enthalten nur 193 den eigentlichen Text. Der Rest entfällt auf Endnoten, Quellen-, Literatur- und Abkürzungsverzeichnisse sowie einen Abbildungsteil. In den 1475 Endnoten, die leider nicht durchlaufend nummeriert sind, findet die Leserin lediglich eine Kurztitelangabe bzw. allzu oft "a.a.O.", die dann in einer dreigeteilten Bibliografie ("Gedruckte Quellen", "Periodika und Berichte", "Elektronische Quellen und audiovisuelle Medien") nachgeschaut werden muss. Abgeschlossen wird das Buch durch ein Nachwort des Betreuers der Autorin, Wulf D. Hund, der die Arbeit zusammenfassend einordnet. Trotz dieser Einschränkungen kann Wiggers Studie die derzeitig boomende Forschung zu schwarzen Kolonialsoldaten in Europa an entscheidenden Stellen bereichern.

Anmerkungen:
1 Koller, Christian, "Von Wilden aller Rassen niedergemetzelt". Die Diskussion um die Verwendung von Kolonialtruppen in Europa zwischen Rassismus, Kolonial- und Militärpolitik (1914-1930), Stuttgart 2001; Maß, Sandra, Weiße Helden, schwarze Krieger. Zur Geschichte kolonialer Männlichkeit in Deutschland, 1918-1964, Köln u.a. 2006.
2 Theweleit, Klaus, Männerphantasien, Bd. I und II, Frankfurt am Main 1977/78.

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